VG Gießen, Urteil vom 28.02.2007 - 8 E 4187/05
Fundstelle
openJur 2012, 28460
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin ist ausgebildete Logopädin und betreibt als Heilzentrum "E" eine Praxis für Logopädie, Krankengymnastik und Ergotherapie. Die Bereiche der Ergotherapie und Physiotherapie lässt die Klägerin durch angestellte Mitarbeiter erbringen. Eine Eintragung in das Handelsregister ist nicht erfolgt.

Mit Bescheid vom 16.09.2005 wurde die Klägerin durch die beklagte Industrie- und Handelskammer aufgefordert, Beiträge für die Jahre 2003 bis 2005 in Höhe von insgesamt 1.318,86 EUR zu zahlen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 17.10.2005 Widerspruch. Diesen begründete die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 17.10.2005 im Wesentlichen damit, sie übe im Rahmen des Heilzentrums "E" ausschließlich einen freien Beruf aus und sei auch nicht im Handelsregister eingetragen.

Mit Bescheid vom 16.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung zurück, für die Klägerin seien seitens des Steuerberaters gegenüber der Beklagten Unterlagen eingereicht worden, in denen Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgesetzt worden seien. Ebenso sei der Beklagten auf Nachfrage von dem Finanzamt B-Stadt mitgeteilt worden, dass die festgesetzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Gewerbesteuerpflicht unterlägen. Die Festsetzungen des Finanzamts B-Stadt hätten somit Tatbestandswirkung für die Beklagte, so dass die Klägerin Mitglied bei ihr sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 16.12.2005 Klage erhoben. Sie meint, sie betreibe ihre Praxis ausschließlich freiberuflich. Daher sei sie nicht Pflichtmitglied in der beklagten Industrie- und Handelskammer. Sie sei zwar zur Gewerbesteuer veranlagt, aber nicht im Handelsregister eingetragen. Die Veranlagung zur Gewerbesteuer bedeute nicht, dass sie mit ihrem Unternehmen keine freiberuflichen Leistungen erbringe. Vielmehr erbringe sie diese durch bei ihr beschäftigte Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation. Die Besonderheit, weshalb eine Pflichtmitgliedschaft in der Beklagten ausscheide, bestehe insbesondere darin, dass sie, die Klägerin, sowohl höchstpersönlich als auch durch die bei ihr angestellten Personen ausschließlich freiberufliche Leistungen erbringe. Auch sei für eine Mitgliedschaft erforderlich, dass sie als Freiberuflerin ins Handelsregister eingetragen sei. Im Hinblick auf Art. 3 GG dürfe sie nicht schlechter gestellt werden als der Inhaber eines Heilzentrums, der sämtliche Leistungen höchstpersönlich erbringe.

Die Klägerin beantragt,

den Beitragsbescheid der Beklagten vom 16.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die festgesetzten Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb unterlägen der Gewerbesteuerpflicht. Rechtlich sei sie, die Beklagte, an die Festsetzungen des Finanzamts gebunden.

Das Gericht hat von dem Finanzamt B-Stadt eine amtliche Auskunft eingeholt zur Frage, ob die Klägerin wegen Einkünften aus Gewerbebetrieb zur Gewerbesteuer veranlagt worden ist. Das Finanzamt hat mit Schreiben vom 14.09.2006 mitgeteilt, dass die Einkünfte der Klägerin aus dem Teilbereich der Logopädie als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 S. 1 EStG eingestuft würden, so dass hierfür keine Gewerbesteuerpflicht bestehe. Für die Einkünfte aus den Teilbereichen Ergotherapie und Physiotherapie bestehe eine Gewerbesteuerpflicht der Klägerin nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG, da diese Tätigkeiten von Angestellten mit entsprechender Ausbildung durchgeführt würden. Wegen des Inhalts der amtlichen Auskunft im Übrigen wird auf das Schreiben des Finanzamts B-Stadt vom 14.09.2006 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in den Verfahren 8 E 4187/05 und 8 E 4197/05 verwiesen. Diese sind ebenso wie die beigezogene Behördenakte Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beitragsbescheid der Beklagten vom 16.09.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 16.11.2005 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Die Klägerin ist nämlich Mitglied der Beklagten und konnte im festsetzten Umfang zu Beiträgen herangezogen werden. Gemäß § 2 Abs. 1 IHKG gehören zur Industrie- und Handelskammer, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer entweder einen gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten. Von dieser Kammerzugehörigkeit werden nach § 2 Abs. 2 IHKG natürliche Personen und Gesellschaften ausgenommen, welche ausschließlich einen freien Beruf ausüben und nicht in das Handelsregister eingetragen sind.

Dieser Ausnahmetatbestand ist vorliegend nicht erfüllt. Eine ausschließlich freiberufliche Tätigkeit der Klägerin ist nicht gegeben. Denn in den Bereichen der Ergotherapie und der Physiotherapie übt die Klägerin keinen freien Beruf aus. Sie lässt vielmehr durch andere Mitarbeiter diese Tätigkeiten ausüben, da ihr selbst die entsprechenden fachlichen Kenntnisse fehlen. Gerade dies wäre aber Voraussetzung für das Ausüben einer ausschließlich freiberuflichen Tätigkeit, was sich auch aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ergibt. Danach ist ein Angehöriger eines freien Berufs auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird (vgl. FG Hamburg, U.v. 09.07.2004 - VII 20/01 -, DStRE 2005, 149). Eigenverantwortlich im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist eine Tätigkeit dann, wenn der Angehörige eines freien Berufs seine Arbeitskraft in einer Weise einsetzt, die ihm tatsächlich ermöglicht, uneingeschränkt die fachliche Verantwortung auch für die von seinen Mitarbeitern erbrachten Leistungen zu übernehmen (Wacker, in: AF., EStG, Komm., 25. Aufl., 2006, § 18 Rdnr. 25).

Die Klägerin ist ausgebildete Logopädin. Diese Tätigkeit ist gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG auch als freiberuflich anerkannt (vgl. BMF-Schreiben vom 22.10.2004 - IV B 2-S 2246-3/04 -, DB 2004, 2452). Hierfür besteht nach Auskunft des Finanzamts B-Stadt auch keine Gewerbesteuerpflicht. Umstände, welche die Klägerin qualifizieren, auch die Bereiche der Ergotherapie oder Physiotherapie aufgrund spezieller eigener Fachkenntnisse überwachen zu können, hat die Klägerin nicht dargetan. Dagegen spricht auch, dass es sich bei diesen Bereichen nicht um die eigentliche Tätigkeit einer Logopädin, sondern gänzlich andere Heilberufe handelt. In den Bereichen der Ergotherapie und der Physiotherapie übt die Klägerin nicht selbst eine freiberufliche Tätigkeit aus. Vielmehr lässt sie die entsprechenden Leistungen durch angestellte Mitarbeiter erbringen.

Eine ausschließliche Ausübung freiberuflicher Tätigkeit der Klägerin im Sinne des § 2 Abs. 2 IHKG ist insoweit nicht gegeben. Freiberufler im Sinne des § 2 Abs. 2 IHKG sind nämlich ausschließlich solche, die das Steuerrecht als freiberuflich anerkennt. Dies ist ausweislich der amtlichen Auskunft des Finanzamts B-Stadt vom 14.09.2006 nur hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin als Logopädin der Fall. Für die Einkünfte aus den Teilbereichen Ergotherapie und Physiotherapie besteht dagegen eine Gewerbesteuerpflicht. Das Finanzamt stuft diese Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein, da diese Tätigkeiten von Angestellten mit entsprechender Ausbildung erbracht werden. In diesen Fällen ist aber die Voraussetzung eines ausschließlich freien Berufs nach § 2 Abs. 2 IHKG nicht gegeben (VG Ansbach, U.v. 22.10.1987 - AN 4 K 87/010135 -, GewArch 1988, 135; Jahn, GewArch 2005, 169, 178; vgl. Frentzel/Jäkel/Junge, Industrie- und Handelskammergesetz, Komm., 6. Aufl., 1999, § 2 Rdnr. 94 f.).

Für die Begründung der Mitgliedschaft in einer Industrie- und Handelskammer kommt es allein auf die dem Grunde nach bestehende Gewerbesteuerpflicht an (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2004 - 6 B 60.04 -, GewArch 2005, 24, 25). Die dem Grunde nach bestehende Gewerbesteuerpflicht ist vorliegend gegeben. Für die Einkünfte aus den Teilbereichen der Ergotherapie und Physiotherapie wird die Klägerin durch das Finanzamt B-Stadt zur Gewerbesteuer veranlagt. Hierfür ist es unerheblich, ob hinsichtlich des Teilbereichs der Logopädie eine Gewerbesteuerpflicht seitens des Finanzamts verneint wird. Denn Einkünfte eines Unternehmens können steuerrechtlich unterschiedlich qualifiziert werden (vgl. FG Hamburg, U.v. 09.07.2004 - VII 20/01 -, DStRE 2005, 149, 150). Da die Klägerin Mitglied der Beklagten ist, konnte sie zum veranlagten Beitrag herangezogen werden. Die Feststellungen des Finanzamts über die Gewerbesteuerpflicht haben Tatbestandswirkung und binden die Beklagte im Rahmen ihrer Beitragsveranlagung (vgl. Jahn, GewArch 2005, 169, 176). Liegen diese Voraussetzungen vor, kommt es auch auf eine Eintragung ins Handelsregister nicht mehr an (vgl. VG Ansbach, U.v. 22.10.1987 - AN 4 K 87.01035 -, GewArch 1988, 135, 136; Frenzel/Jäkel/Junge, Industrie- und Handelskammergesetz, Komm., 6. Aufl., 1999, § 2 Rdnr. 94; Jahn, GewArch 2005, 169, 178).

Die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin in der beklagten Industrie- und Handelskammer verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Insbesondere ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem vergleichbar, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.1999 (- 2 BvR 2861/93 -, NJW 2000, 860) zugrunde lag. Dort ging es um die Frage, ob eine unterschiedliche Umsatzsteuerbefreiung allein an die Rechtsform eines Unternehmens anknüpfen konnte. Diese Grundsätze, wonach das Gleichbehandlungsgebot eine unterschiedliche Umsatzsteuerbefreiung allein nach der Rechtsform eines Unternehmens verbiete, sind auf den vorliegenden Fall und insbesondere auf die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 2 IHKG nicht übertragbar. Die Klägerin erbringt nämlich in dem Bereich, in welchem sie zur Gewerbesteuer veranlagt wurde - wie bereits dargestellt - gerade nicht ausschließlich eine freiberufliche Tätigkeit. Sie erbringt eine solche insbesondere auch nicht durch andere Mitarbeiter, so dass die Vergleichbarkeit mit einer Logopädin, welche ausschließlich logopädische Tätigkeiten ausübt - wenn auch durch fachlich qualifizierte Mitarbeiter - und die daher nicht als Pflichtmitglied einer Industrie- und Handelskammer zu qualifizieren ist, nicht gegeben ist.

Der Beitrag wurde von der Beklagten auch der Höhe nach rechtmäßig festgesetzt. Insoweit ist bereits weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dies nicht der Fall sein könnte. Der Grundbeitrag wurde vorliegend nach § 6 der Beitragsordnung und Nr. III.2 der jeweils für das entsprechende Rechnungsjahr gültigen Haushaltssatzung der Beklagten berechnet. Entsprechendes gilt für die Umlage, die nach § 7 der Beitragsordnung in Verbindung mit Nr. IV der jeweils für das entsprechende Rechnungsjahr gültigen Haushaltssatzung der Beklagten festgesetzt wurde.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, da die Klägerin unterlegen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 1.318,86 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 GKG und orientiert sich an der Höhe der angefochtenen Beitragsforderung.