OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.08.2006 - 19 U 98/06
Fundstelle
openJur 2012, 27849
  • Rkr:

Wird die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und verliert eine Anschlussberufung damit ihre Wirkung, hat der Berufungsführer grundsätzlich auch die Kosten der (zulässigen) Anschlussberufung zu tragen.

Tenor

[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.]

Gründe

Die Berufung des Klägers war durch einstimmigen Senatsbeschluss zurückzuweisen, denn der Senat ist davon überzeugt, dass die Berufung aus den in der Verfügung des Senats vom 17. Juli 2006 (Bl. 136 f. d. A.) dargelegten Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, wie auch die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Durchführung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert (§ 522 Abs. 2 ZPO).

Zu dem Hinweis des Senats hat der Kläger nicht Stellung genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Diese Kostentragungspflicht des Klägers umfasst auch die Kosten der Anschlussberufung des Beklagten.

Die Frage, wer die Kosten der Anschlussberufung zu tragen hat, wenn die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird und die Anschlussberufung dadurch gemäß § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verliert, ist in der ZPO nicht geregelt und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung (und im Schrifttum) unterschiedlich beantwortet (vgl. für die Rechtsprechung OLG Celle, 16 ZS., MDR 2004, 592; OLG Hamburg MDR 2003, 1251; OLG Köln, OLGR Köln 2004, 397 f.; OLG Frankfurt, 23. ZS., OLGR Frankfurt 2004, 288 f. (Kostenteilung); OLG Brandenburg MDR 1261, 1262; OLG Dresden BauR 2003, 1431; OLG Celle, 2 ZS., NJW 2003, 2755, 2756; OLG München, OLGR München 2004, 456 (Kostentragungspflicht des Berufungsklägers).

Der Senat schließt sich der Auffassung an, die im Grundsatz eine Anwendung des § 97 ZPO (i. V. mit § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO) befürwortet. Dafür spricht, dass sich die prozessuale Situation des Anschlussberufungsführers im Falle einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht anders darstellt als im Falle der Rücknahme der Berufung nach vorangegangenem Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Für letzteren Fall hat der BGH (BGH MDR 2006, 586) klargestellt, dass der Grundsatz, wonach gemäß § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO einem Berufungskläger in der Regel auch die Kosten einer zulässig erhobenen Anschlussberufung aufzuerlegen sind, wenn diese ihre Wirkung durch Rücknahme der Berufung verliert (so BGH NJW-RR 2005, 727, 728), auch dann gilt, wenn der Berufung ein gerichtlicher Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorausgegangen ist. Dieser Grundsatz wird damit begründet, dass die Kosten einer Anschlussberufung dem Anschlussberufungskläger nicht auferlegt werden können, wenn diese durch die im Belieben des Berufungsklägers stehende Berufungsrücknahme ohne gerichtliche Sachentscheidung hinfällig wird. Im Falle einer Zurückweisung der Berufung durch das Berufungsgericht gilt von der Interessenlage her nichts anderes. Auch insoweit ist der Anschlussberufungskläger in seinem Bestreben, über den Gegenstand der Anschlussberufung eine Sachentscheidung herbeizuführen, davon abhängig, wie sich der Berufungskläger verhält. So ist etwa die Entscheidung des Berufungsklägers, sich – wie vorliegend - gegen die im Hinweis des Berufungsgerichts enthaltene Absicht der Berufungszurückweisung nicht zur Wehr zu setzen, mithin keine Stellungnahme abzugeben und einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ergehen zu lassen, eine ebenso beliebige Entscheidung wie eine Berufungsrücknahme. Für den Anschlussberufungskläger ändert sich nichts. Er ist auch insoweit von der Entscheidung des Berufungsklägers abhängig und kann eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts, das im Falle des § 522 Abs. 2 ZPO nur über die Berufung entscheidet, nicht selbst herbeiführen. Jedenfalls in dieser Situation wäre es nicht sachgerecht, einem Anschlussberufungskläger die Kosten seiner Anschlussberufung aufzuerlegen. Etwas anderes dürfte im übrigen auch dann nicht gelten, wenn der Berufungskläger nach vorangegangenem gerichtlichen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO von seiner Stellungnahmemöglichkeit (mit mehr oder weniger substantieller Begründung) Gebrauch macht. Dafür sprechen neben Gerechtigkeitsüberlegungen auch die aus dem Gesichtspunkt der Ressourcenknappheit der Justiz motivierten Erwägungen des OLG Celle, 16. ZS a. a. O.), wonach der „uneinsichtige“ Rechtsmittelführer, der dem Hinweis des Berufungsgerichts zu § 522 Abs. 2 ZPO nicht durch eine Rücknahme der Berufung Rechnung trägt, in der Kostenentscheidung nicht privilegiert werden soll.

Demgegenüber tragen die eher formal angesiedelten Argumente eines Vergleichs mit der früheren Rechtsprechung zur Anschlussrevision nach früherem Recht (vgl. OLG Celle, 2. ZS a. a. O.) sowie eines Hinweises auf das allgemeine kostenrechtliche Prinzip, dass der Unterliegende die Kosten seines erfolglos gebliebenen Angriffsmittels zu tragen hat (OLG Frankfurt, 23. ZS. a. a. O.) eine Entscheidung mit dem Inhalt einer Kostenquotelung nicht. Dem Vergleich mit der Regelung zur Anschlussrevision nach früherem Recht begegnen schon deshalb durchgreifende Bedenken, weil - worauf auch OLG Celle, 16. ZS. (a. a. O.) und OLG Hamburg (a. a. O.) hinweisen - § 522 Abs. 2 ZPO gerade nicht der als Annahmeverfahren ausgestalteten Revision früheren Rechts nachgebildet ist (ausführlich hierzu OLG Hamburg a. a. O.). Der Hinweis auf das allgemeine kostenrechtliche Prinzip der Kostentragungspflicht des Unterliegenden erscheint deshalb nicht durchgreifend, weil mangels einer Prozess- und Sachentscheidung des Berufungsgerichts über die Anschlussberufung im Falle der Berufungszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO von einem Unterliegen des Anschlussberufungsführers mit seinem Angriffsmittel nicht ohne weiteres gesprochen werden kann. Auch die Hilfserwägung des 23. Zivilsenats des OLG Frankfurt, es bestünde keine Veranlassung, das Kostenrisiko des Anschlussberufungsklägers zu senken und umgekehrt den Berufungskläger mit dem Risiko einer Belastung mit den Kosten einer sachlich nicht geprüften, möglicherweise erfolglosen, aber kostenintensiven Anschlussberufung auszusetzen, hält der Senat nicht für durchgreifend. Das Risiko einer (Anschluss-)Berufung muss jeder erstinstanzlich teilweise obsiegende Berufungskläger tragen, ohne dass dies von vornherein als ungerechtfertigte Einengung seines Entschlusses, Berufung einzulegen, beurteilt werden kann. Der Berufungskläger muss in diesem Falle grundsätzlich auch mit einer (selbständigen) Berufung der Gegenseite rechnen. Spekulationen darüber, dass die Anschlussberufung sachlich erfolglos sein könnte, verbieten sich von vornherein.

Allerdings enthalten diese Erwägungen des 23. Zivilsenats des OLG Frankfurt im Kern einen Gesichtspunkt, der auch nach Auffassung des Senats eine Ausnahme von dem Grundsatz zu begründen vermag, dass der Berufungsführer ebenso wie im Falle der Berufungsrücknahme nach vorangegangenem Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch im Falle einer Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO die Kosten der infolge der Entscheidung hinfällig gewordenen Anschlussberufung zu tragen hat. Eine solche Ausnahme könnte dann im Einzelfall begründet sein, wenn die Anschlussberufung erst nach einem – dem Anschlussberufungsführer zugegangenen – Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingelegt worden ist (so bereits entsprechende Erwägungen des OLG Hamburg a. a. O.). Dann nämlich könnte eine Situation vorliegen, in der es dem Anschlussberufungskläger zuzurechnen ist, wenn er trotz der größeren Wahrscheinlichkeit einer Berufungszurückweisung gegenüber einer Verfahrensfortsetzung - möglicherweise im Hinblick auf das erwartete Unterliegen des Berufungsführers – eine Streitwerterhöhung herbeiführt, die den Berufungsführer ungerechtfertigt belasten würde, weil die Einlegung der Anschlussberufung zu diesem Zeitpunkt, nämlich bereits vor der Entscheidung des Berufungsgerichts zur Interessenwahrnehmung noch nicht erforderlich ist. Vielmehr kann der Berufungsbeklagte im Hinblick auf das laufende Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO die Verlängerung seiner Berufungserwiderungsfrist beantragen und ggf. im Falle der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung die Anschlussberufung noch innerhalb der verlängerten Berufungserwiderungsfrist einlegen.

Die Voraussetzungen dieser Ausnahme liegen vorliegend indes nicht vor. Der Hinweis des Senats ist mit Ausgangsverfügung vom 1.8.2006 dem Berufungskläger am 3.8.2006 zugestellt worden. Für einen früheren Zugang des Hinweises an den Berufungsbeklagten bestehen keine Anhaltspunkte. Die Anschlussberufung vom 2.8.2006 ging postalisch (ohne vorherige Fax-Übermittlung) am 3.8.2006 bei Gericht ein. Mithin erfolgte die Anschlussberufungseinlegung noch vor Kenntniserlangung von dem Hinweise des Senats.