SG Darmstadt, Urteil vom 15.03.2006 - S 18 AS 146/05
Fundstelle
openJur 2012, 27255
  • Rkr:

1. Der Bewiligung der Regelleistung gemäß § 20 Abs 2 SGB II durch den Leistungsträger ist keine Entscheidung über Sonderbedarfe des Regelleistungsberechtigten zu entnehmen.

2. Bei einem Rechtstreit über Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für einen Bewilligungszeitraum sind Leistungsbescheide für Folgezeiträume entsprechend § 96 SGG einzubeziehen, wenn im Wesentlichen die selben Rechtsfragen betroffen sind und andere Tatsachen oder Rechtsfragen für den Folgezeitraum nicht zu klären sind (vgl BSG, 17.11.2005 - B 11a/11 AL 57/04 R ; BSG SozR 4-5375 § 2 Nr 1 mwN).

3. Der Gesetzgeber ist aus Art 3 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 S 2 GG und Art. 20 Abs 1 GG verpflichtet in einem Grundsicherungssystem eine Bedarfsdeckung für Sonderbedarfe vorzusehen. Eine solche eröffnet § 73 SGB XII für dem Grunde nach Leistungsberechtige nach dem SGB II.

4. Eine Beiladung und Verurteilung des Sozialhilfeträgers ist gemäß § 75 Abs 2 2. Fall, Abs 5 SGG ausgeschlossen.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten des Klägers für den Umgang mit seinem bei der allein sorgeberechtigten Mutter lebenden, 1992 geborenen Sohn über die bewilligte Regelleistung nach § 20 SGB II hinaus als so genannten Sonderbedarf zu übernehmen hat.

Auf den Leistungsantrag des Klägers vom 21. Oktober 2004, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Leistungsbescheid vom 17. Dezember 2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 in Höhe von insgesamt 964,94 €. Der Zahlbetrag setzte sich zusammen aus der Regelleistung nach § 20 SGB II in Höhe von 345,00 € (§ 20 Abs. 2 SGB II) sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II. Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 24. Dezember 2004 am 30. Dezember 2004 unter anderem mit der Begründung Widerspruch ein, er könne aus der Regelleistung weder seine Aufwendungen für den Umgang mit seinen Sohn decken noch seiner Unterhaltsverpflichtung nachkommen. Ergänzend führte er mit Schreiben vom 24. Juni 2005 aus, sein Sohn gehöre zu seiner Bedarfsgemeinschaft, weil er alle 14 Tage von Freitagmittag bis Sonntagabend sowie 6-mal im Jahr für eine Woche und 1-mal im Jahr drei Wochen bei ihm wohne. Das ergebe rein rechnerisch einen Zeitraum von 150 Tagen im Kalenderjahr. Zudem müsse er, um sein Umgangsrecht wahrnehmen zu können, an den Besuchswochenenden eine Fahrstrecke von 540 km mit dem eigenen Pkw zurücklegen. Das würde ihn pro Besuch 140,00 € kosten. Er sei familienrechtlich nach § 1684 Abs. 1 BGB zum Umgang mit seinem Sohn verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht habe hervorgehoben, dass der Staat die Mittel für den Umgang bereitstellen müsse, wenn die verpflichtete Person ihrer Umgangspflicht ansonsten nicht nachkommen könne (BVerfG vom 25. Oktober 1994, FamRZ 1995, Seite 86 ff.). Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zu Begründung führte sie aus, der Bedarf des Klägers sei mit der Regelleistung abgedeckt.

Hiergegen hat der Kläger am 6. Juli 2005 beim Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Die Beklagte hat dem Kläger mit weiteren Leistungsbescheiden vom 17. Juni 2005 für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 30. November 2005 und 16. November 2005 für den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Mai 2006 dieselbe Regelleistung bewilligte, ohne auf den im Klageverfahren geltend gemachten Sonderbedarf einzugehen. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15. März 2006 sein zunächst erweitertes Begehren auf die Übernahme der der Fahrtkosten für den -3 Umgang mit seinem Sohn beschränkt.

Der Kläger wiederholt sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend führt er aus, es sei nicht zumutbar, seinen Sohn auf die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zu verweisen. Der Wohnort seines Sohnes verfüge über keinen Bahnanschluss. Die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel würde zu einer einfachen Fahrzeit von 3 bis 5 Stunden führen. Außerdem könne sein Sohn in seinem Alter nicht ohne Begleitung bleiben, weil er mehrfach umsteigen müsse.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2004 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2005 sowie den Bewilligungsbescheid vom 17. Juni 2005 und 16. November 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2006 die notwendigen Fahrtkosten mit dem Pkw für die Ausübung des Umgangsrechtes mit seinen Sohn zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte führt zur Begründung ihres Antrages aus, für das Begehren des Klägers finde sich keine Anspruchsgrundlage im SGB II. Darüber hinaus werde auch der geltend gemachte Bedarf bestritten. Eine Bahnfahrkarte für den Sohn des Klägers koste circa 10,00 € für eine einfache Fahrt. Bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel fielen daher maximal 45,00 € an. Gegen die nunmehr angefochtenen Folgebescheide habe der Kläger nicht rechtzeitig Widerspruch eingelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Alg 2-Akte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist bereits unzulässig, soweit sich das Anfechtungsbegehren des Klägers gegen die Bescheide vom 17. Dezember 2004, 17. Juni 2005 und 16. November 2005 richtet. Der Kläger ist im Hinblick auf sein Leistungsbegehren durch die vorbezeichneten Bescheide nicht beschwert, weil sie keine ablehnende Regelung zur Deckung eines Sonderbedarfs über die Regelleistung hinaus enthalten.

Die Auslegung eines Verwaltungsaktes richtet sich nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen. Maßgebend ist die im Verfügungssatz getroffene Regelung und ihre darin abgegebene Erklärung und der aus dem Inhalt ersichtliche Erklärungswille, wie er für den Adressaten des Verwaltungsaktes erkennbar geworden ist (BSG SozR 4100 § 117 Nr. 21). Entscheidend ist dabei der objektive Empfängerhorizont eines verständigen Dritten.

Den vorgenannten Bescheiden ist abgesehen von den Kosten der Unterkunft ausdrücklich nur eine Bewilligung der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II zu entnehmen. Eine solche Bewilligung enthält keine Regelung zu darüber hinaus geltend gemachten Bedarfen. Die Auffassung der Kammer fußt auf der besonderen Ausgestaltung der Regelleistung im SGB II auch im Gegensatz zum Sozialhilferecht nach dem SGB XII. Bei der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II handelt es sich um eine pauschalierte Leistung, die unabhängig von der individuellen Bedarfslage stets in derselben Höhe zu gewähren ist, soweit der darin zum Ausdruck kommende Regelbedarf nicht durch eigenes Einkommen oder Vermögen zu decken ist (Im Einzelnen: siehe Entscheidungsgründe zur Begründetheit). Eine Prüfung der individuellen Bedarfslage hat dabei nicht zu erfolgen. Deshalb ist ohne besondere Anhaltspunkte, die im Bescheid ihren Ausdruck finden müssen, allein der Bewilligung der Regelleistung eine Entscheidung über die darüber hinausgehende Deckung eines individuellen Sonderbedarfs nicht zu entnehmen. Dahingestellt bleiben kann, ob für Bewilligungsbescheide nach dem Sozialhilferecht etwas anderes zu gelten hat, weil dort nach § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII die Regelsätze im Einzelfall abweichend festzulegen sind.

Aus diesem Grunde hat die Kammer im vorliegenden Rechtsstreit nicht die Frage zu klären, ob die Bewilligungsbescheide für die Folgezeiträume über den 30. Juni 2005 hinaus entsprechend § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind. Im Hinblick auf weitere Rechtsstreitigkeiten wird jedoch darauf hingewiesen, dass es der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor allem für das Arbeitsförderungsrecht entspricht, Bewilligungsbescheide für unmittelbar anschließende -5 Folgezeiträume in Dauerschuldverhältnissen entsprechend § 96 Abs. 1 SGG einzubeziehen, wenn im Wesentlichen dieselben Rechtsfragen betroffen sind, um die Rechtsfrage in einem Rechtsstreit für den gesamten Leistungszeitraum und nicht nur den jeweiligen Bewilligungsabschnitt klären zu können (zuletzt: BSG vom 17.11.2005 – B 11a/11 AL 57/04 R <juris> mwN). Erst wenn in einem weiteren Bewilligungsabschnitt andere Tatsachen oder Rechtsfragen zu klären sind, kommt eine Einbeziehung des Folgebescheids entsprechend § 96 Abs. 1 SGG nicht mehr in Betracht (BSG SozR 45375 § 2 Nr. 1).

Das Leistungsbegehren des Klägers ist nur für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2005 unzulässig, weil insoweit noch keine Verwaltungsentscheidung vorliegt. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 ist hingegen dem Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2005 eine ablehnende Entscheidung über den spätestens mit Widerspruch geltend gemachten Sonderbedarf zu entnehmen. Enthält der Widerspruchsbescheid eine erstmalige selbstständige Beschwer kann er entsprechend § 79 Abs. 2 VwGO isolierter Gegenstand eines Anfechtungsbegehrens sein, ohne dass es eines weiteren Widerspruchsverfahrens als Klagevoraussetzung nach § 78 SGG bedarf (Meyer-Ladewig, § 78 SGG, 8. Aufl., Rn. 8 mwN).

Soweit die Klage für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 zulässig ist, bleibt sie in der Sache erfolglos, weil die Beklagte zu Recht in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2005 die gesonderte Übernahme von Fahrtkosten des Klägers für den Umgang mit seinem Sohn abgelehnt hat.

Unabhängig davon, ob und in welcher Höhe der Kläger wegen der Fahrtkosten einen notwendigen Bedarf zu decken hat, steht ihm bereits dem Grunde nach hierfür kein Leistungsanspruch gegenüber der Beklagten zur Verfügung.

Das Anspruchssystem des SGB II sieht für den vom Kläger geltend gemachten Bedarf keine Anspruchsnorm vor, die die Beklagte zu seiner Deckung verpflichtet.

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll grundsätzlich die Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II den gesamten notwendigen Lebensunterhalt als soziokulturelles Existenzminimum des Hilfebedürftigen sichern. Es handelt sich somit um eine gesetzlich bestimmte pauschalierte Leistung (Gesetzesbegründung: BT-Drucks 15/1516 S. 56 f.), die nur nach Maßgabe der §§ 21, 23 Abs. 3 SGB II für besonders aufgeführte Mehrbedarfe und des § 23 Abs. 1 SGB II für eine vorübergehende darlehensweise Deckung Ausnahmen zulässt. Die letztgenannte Ausnahme steht im Zusammenhang mit dem gesetzgeberischen Willen, es der eigenverantwortlich Haushaltsregie des Hilfebedürftigen zu überlassen, auch einmalige Bedarfe durch Ansparungen aus der gegenüber dem höchsten Regelsatz auf Grundlage des BSHG um 48,00 € erhöhte Regelleistung zu decken (BTDrucks 15/1516 S. 46). Ist das mangels eines ausreichenden Ansparungszeitraums nicht möglich oder vom Hilfebedürftigen versäumt worden, soll die darlehensweise Gewährung mit Rückzahlungsverpflichtung aus der laufenden Regelleistung es ermöglichen, die Ansparung quasi nachzuholen.

Eine davon abweichende Deckung des notwendigen Lebensunterhalts über die Regelleistung hinaus ist hingegen nach der gesetzgeberischen Intention im SGB II nicht vorgesehen. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen Bedarf handelt, der nicht von der Aufzählung in § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II erfasst ist. Durch das Wort "insbesondere" ist ausdrücklich benannt, dass es sich um eine unvollständige Aufzählung handelt, die nur die wesentlichen Bedarfsgruppen für den notwendigen Lebensunterhalt aufzählt. Der eindeutige gesetzgeberische Wille erlaubt es auch nicht, eine Erweiterung mit dem Argument vorzunehmen, die Höhe der Regelleistung entspreche im Referenzsystem der Sozialhilfe dem Eckregelsatz gemäß § 28 SGB XII, § 40 SGB XII in Verbindung mit § 2 RSV. Zwar beruht der Eckregelsatz auf einer Auswertung des durchschnittlichen Verbrauchsverhaltens unterer Einkommensgruppen, die bereits methodisch im Einzelfall darüber hinausgehend Bedarfe nicht berücksichtigen kann. Das allein rechtfertigt es aber nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber entgegen seiner Regelung in Ausnahmefällen im Anspruchssystem des SGB II diese über die Regelleistung hinaus decken will.

Dem Begehren des Klägers kann auch nicht faktisch auf dem Wege entsprochen werden, ein nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II zu gewährendes Darlehen entgegen § 23 Abs. 1 S. 3 SGB II von der Tilgungspflicht auszunehmen (so: SG Dresden vom 5. November 2005 – S AS 992/05 ER <juris> mwN). Eine solche Vorgehensweise entspräche einem Erlass oder bei zeitlicher Beschränkung einer Stundung des Darlehensrückzahlungsanspruchs. Eine solche Veränderung von Ansprüchen hat der Gesetzgeber nur in den Grenzen des § 44 SGB II erlaubt. Für einen auf § 44 SGB II gestützten so genannten Billigkeitserlass besteht jedoch nur Raum, solange damit die gesetzliche Rechtsfolgenanordnung im Einzelfall korrigiert wird, um Umstände berücksichtigen zu können, die gesetzlich wegen des abstrakten und generellen Charakters von Rechtsnormen nicht zu erfassen sind (Hölzer in: Estelmann § 44 SGB II Rn. 1). Ansonsten ist es nicht gerechtfertigt, von einer gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung abzuweichen. Anlass für die Korrektur der gesetzlichen Wertung wäre aber nicht nur ein im Einzelfall zu berücksichtigender Umstand, sondern die vom Gesetzgeber systematisch gewollte Nichtberücksichtigung von Sonderbedarfen, die nicht aus der Regelleistung bestritten werden können.

Der Kammer ist es auch verwehrt, im Sozialhilferecht in § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII und § 73 SGB XII vorgesehene Rechtsansprüche gegenüber dem kommunalen Sozialhilfeträger für die Deckung von Sonderbedarfen im Wege der Rechtsfolgenanalogie auf die Beklagte als Leistungsträger nach dem SGB II zu erstrecken (aA SG Dresden vom 05.11.2005 – S 23 AS 982/05 ER <juris>). Insoweit fehlt es an einer für eine entsprechende Anwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich bestimmt, dass für solche Ansprüche der Sozialhilfeträger leistungspflichtig ist, und zudem für den Anspruch aus § 73 SGB XII gegenüber dem Sozialhilfeträger Berechtigte nach dem SGB II nicht nach § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II, § 21

S. 1 SGB XII ausgeschlossen.

Zur Überzeugung der Kammer wäre aber ein vollständiger Ausschluss der Deckung unabweisbarer, von der Regelleistung nicht hinreichend gedeckter Bedarfe, die wegen ihrer Höhe oder ihres dauerhaften bzw. regelmäßig auftretenden Charakters nicht durch Ansparbeträge aus der Regelleistung zu finanzieren sind (Sonderbedarfe), verfassungswidrig, wenn der Gesetzgeber dem Grunde nach Leistungsberechtigten nach dem SGB II jedenfalls außerhalb des Anspruchssystems des SGB II keine Anspruchsgrundlage zur Verfügung stellte.

Der Gesetzgeber hat nach der Rechtsprechung des BVerfG dafür Sorge zu tragen, dass ein Fürsorge-oder moderner gesprochen Grundsicherungssystem zur Verfügung steht, dass für den Einzelnen das Existenzminimum sichert. Gefordert ist demnach eine gesetzgeberische Aktivität. Während der Erste Senat eine solche gesetzgeberische Handlungspflicht ausdrücklich zunächst nur dem Sozialstaatsgebot entnommen hat (BverfGE 1, 97 <104 f.>; offen gelassen: BVerfGE 40,121 <133>), stellen beide Senate mittlerweile auf den Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 2 2. Fall GG) i.V.m dem Sozialstaatsgebot ab (BVerfGE 82, 60 <88>; 87, 153 <171>). Auch wenn die letztgenannten Entscheidungen die steuerrechtliche Behandlung des Existenzminimums als Schranke gegenüber dem Zugriff des Fiskus auf das eigene Einkommen, nicht aber auf eine Leistungsgewährung durch den Staat betreffen, ist dem jedenfalls auf objektivrechtlicher Ebene eine Handlungspflicht des Gesetzgebers zu entnehmen.

Umfasst die Menschenwürde vor allem den wesensgerechten personalen Schutz, bezieht sie die Bestimmung des Menschen als soziales Gattungswesen ein. Das Existenzminimum muss dann über die bloße Existenz hinaus eine soziokulturelle Teilhabe in der sozialen Umwelt ermöglichen. Die damit einhergehende Reichweite unterliegt aber nicht allein einer empirischen Feststellung, sondern ist Ausdruck einer normativen Bestimmung unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Gegebenheiten (BVerfGE 91, 93 <114> mwN). Zugestanden wird dabei dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative, die es ihm erlaubt den Mindestbedarf nach eigener Wertung festzulegen (BverfGE 87, 153 <171>; BVerfGE 91, 93 <114>; 1, 97 <104 f.>).

Dieser Handlungspflicht ist der Gesetzgeber durch die Grundsicherungssysteme in der Sozialhilfe nach dem SGB XII und für Erwerbsfähige nach dem SGB II nachgekommen.

Zu beachten hat der Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative, den sich aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot ergebenen Grundsatz der Rechtsetzungsgleichheit.

Der Gleichheitsgrundsatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72 <88>, stRspr).

Ohne einen Anspruch auf Bedarfsdeckung in den vorbenannten Bedarfslagen zur Verfügung zu stellen, ergäbe sich eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aus zwei Gesichtspunkten. Zum einen erlitten Personen, die dem Anspruchssystem nach dem SGB II unterworfen sind, einen Nachteil gegenüber Personen, die dem Anspruchssystem der Sozialhilfe zugeordnet sind, in dem Sonderbedarfe nach § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII berücksichtigt werden können. Zum anderen erlitten sie einen Nachteil gegenüber Personen, die keinen Sonderbedarf aufweisen und damit keinem ungedeckten Bedarf unterworfen wären. Beide Benachteiligungen wären nicht zu rechtfertigen. Einerseits besteht kein hinreichender sachlicher Grund dafür, allein erwerbsfähige Hilfebedürftige von der Bedarfsdeckung insoweit auszunehmen. Verknüpft sein könnte der Ausschluss allenfalls mit der Erwartung, Berechtigte nach dem SGB II blieben nur für einen kurzfristigen Zeitraum hilfebedürftig, weil sie vorrangig in eine Existenz sichernde Erwerbstätigkeit zu vermitteln seien. Das kann die Benachteiligung nicht rechtfertigen, weil im Einzelfall bei erfolglosen Vermittlungsbemühungen eine dauerhafte Hilfebedürftigkeit nicht ausgeschlossen ist. Andererseits könnten im Einzelfall bestehende Sonderbedarfe im Rahmen einer pauschalierten Leistungsbemessung nur unberücksichtigt bleiben, soweit sie den Vorgaben des BVerfG zur pauschalierenden Regelung entsprächen. Das setzt dreierlei voraus. Erstens müssten die eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen, zweitens dürfte der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht sehr intensiv sein und drittens dürfte die Benachteiligung nur unter besonderen Schwierigkeiten vermeidbar sein (BVerfGE 84, 348 <359 f.>, stRspr). Gegen die beiden letztgenannten Gesichtspunkte würde eine Nichtberücksichtigung von Sonderbedarfen im Rahmen einer pauschalierten Leistungsgewährung verstoßen. Die jedenfalls objektiv-rechtliche Schutzpflicht des Staates zur Sicherung des Existenzminimums aus Art. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsgebot verstärkt die Benachteiligungsfolgen bei ungedeckt bleibenden Sonderbedarfe in einem Ausmaß, dass es dem Gesetzgeber nicht erlaubt, eine Bedarfsdeckung generell auszuschließen. Zumal bei dem jeweiligen Bedarf, wie hier dem Umgangsrecht mit dem eigenen Kind, eine weitere grundrechtlich geschützte Rechtsposition betroffen sein kann (BVerfG FamRZ 1995, S. 86 ff.). Die Praktikabilität zeigt sich schon daran, dass es dem Gesetzgeber im Sozialhilfesystem möglich ist, Sonderbedarfe im Einzelfall zu berücksichtigen.

Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben hat der Gesetzgeber aber dadurch Genüge getan, dass im Sozialhilferecht eine Anspruchsgrundlage für Sonderbedarfe zur Verfügung steht, von der Berechtigte nach dem SGB II nicht gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II, § 21 S. 1 SGB XII ausgeschlossen sind.

Im neunten Kapitel des SGB XII sieht § 73 einen Ermessensanspruch auf Leistungen in sonstigen Lebenslagen vor, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Es handelt sich um einen Auffangtatbestand, der Bedarfe erfassen soll, die ansonsten in den Grundsicherungssystemen nach dem SGB II und XII nicht hinreichend geregelt sind. In diese Anspruchsgrundlage auch Sonderbedarfe, wie die Kosten des Umgangsrechts mit dem eigenen Kind, einzubeziehen, steht nicht entgegen, dass die Rechtsprechung des BVerwG für den Geltungszeitraum des BSHG entschieden hat, solche Sonderbedarfe als Bedarfe zum Lebensunterhalt anzusehen (BVerwG FamRZ 1996, S. 105 f.), die nach Maßgabe der Regelungen zum Lebensunterhalt zu decken sind. Insoweit ist zu beachten, dass die Reichweite eines Auffangtatbestandes sich nach den Lücken bestimmt, die das Anspruchssystem im Übrigen lässt. Im Gegensatz zum Sozialhilferecht (§ 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII; vormals §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 2 BSHG) sieht das SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich nur die an einem durchschnittlichen Bedarf orientierte pauschale Regelleistung gemäß § 20 SGB II vor. Ein hiervon abweichender Sonderbedarf, der durch Ansparbeträge aus der Regelleistung nicht zu decken ist, wird nicht gesondert erfasst. Zwar ist der Regelleistung eine abschließende Regelung zur Höhe der Bedarfsdeckung des regelmäßig notwendigen Lebensunterhalts zu entnehmen, der nicht durch den Auffangtatbestand des § 73 SGB XII korrigiert werden darf. Hinsichtlich der Sonderbedarfe hat der Gesetzgeber aber unter Berücksichtigung der von ihm im Umkehrschluss zu § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II, § 21 S. 1 SGB XII ausdrücklich eröffneten Anspruchsverpflichtung gemäß § 73 SGB XII gegenüber Berechtigten nach dem SGB II und der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Behandlung von Sonderbedarfen nicht zum Ausdruck gebracht, insoweit eine Bedarfsdeckung nach § 73 SGB XII ausschließen zu wollen.

Die Kammer ist nicht befugt gewesen, den zuständigen Sozialhilfeträger entsprechend § 75 Abs. 2 2. Fall SGG beizuladen und im Falle einer Leistungspflicht aus § 73 SGB XII entsprechend § 75 Abs. 5 SGG zu verurteilen. Scheitert eine unmittelbare Anwendung der Beiladungsvorschriften bereits daran, dass nur Sozialversicherungsträger und Bundesländer beiladungsfähig sind, kommt auch eine analoge Anwendung auf den kommunalen Sozialhilfeträger nicht in Betracht, weil es insoweit an einer planwidrigen Lücke in der gesetzlichen Regelung fehlt. Eine Regelungslücke liegt zunächst nur vor, wenn die maßgebliche gesetzliche Regelung eine Rechtsfrage ungeklärt lässt. Das ist nicht der Fall, weil der Gesetzgeber durch das das 7. Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 – 7. SGGÄndG -(BGBl. I S. 3302) die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für die Sozialhilfe gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG in eigenständigen Fachkammern vorgesehen hat (§ 10 SGG), die in ihrer Zusammensetzung den vorher zuständigen Kammern bei den Verwaltungsgerichten entsprechen (§ 12 Abs. 5 S. 2 SGG), ohne die Sozialhilfeträger in die Beiladungsregelung des § 75 Abs. 2 2. Fall, Abs. 5 SGG aufzunehmen. Dem ist zunächst eindeutig die Regelung zu entnehmen, für die Sozialhilfeträger die Möglichkeit zur Beiladung und Verurteilung nicht zu eröffnen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn nach dem mutmaßlichen gesetzgeberischen Willen, mit der Rechtswegzuweisung der Sozialhilfestreitigkeiten zur Sozialgerichtsbarkeit zwingend die Erstreckung der Beiladungsregelung auf die Sozialhilfeträger verbunden wäre und der Gesetzgeber es nur versehentlich unterlassen hätte, das im 7. SGGÄndG anzuordnen. Das ist nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen. Sprechen könnte dafür, dass auch im Verhältnis zwischen Sozialhilfeträger und Leistungsträger nach dem SGB II die Situation auftreten kann, in der der Kläger nicht erkennen kann, wer nach dem geltenden Recht tatsächlich für die begehrte Leistung zuständig ist. Damit besteht die Gefahr zweier widersprechender Entscheidungen durch verschiedene Spruchkörper des Gerichts. Gerade dies soll durch § 75 Abs. 5 SGG vermieden werden. Ob der Gesetzgeber aus diesem Grunde die Beiladungsregelung auf kommunale Träger erstrecken wollte, ist seiner Gesetzesbegründung zum 7. SGGÄndG jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr hat er ausdrücklich angegeben, der Gesetzentwurf enthalte alle notwendigen Änderungen für eine Überführung der Rechtswegzuständigkeit in die Sozialgerichtsbarkeit (Gesetzesbegründung: BT-Drucks 15/3169 S. 1). Es sind auch Gründe ersichtlich, die den Gesetzgeber davon hätten abhalten können, die Beilladungsregelung auf kommunale Träger zu erstrecken. Da er für die Sozialhilfestreitigkeiten besondere Spruchkörper mit abweichender Zusammensetzung geschaffen hat (§§ 10, 12 Abs. 5 S. 2 SGG), ist über sozialhilferechtliche Ansprüche ausschließlich in diesen Fachkammern zu entscheiden, solange die Beiladungsregelung des § 75 Abs. 2 2. Fall, 5 SGG keine andere Möglichkeit eröffnet. Eine solche Ausnahme hätte aber zur Folge, dass bei Optionskommunen iSd § 6b Abs. 1 SGB II, die sowohl für Ansprüche nach dem SGB II als auch dem SGB XII der zuständige Leistungsträger sind, allein eine Verurteilung in der Sozialhilfekammer wegen sozialhilferechtlicher Ansprüche möglich bliebe, während bei gespaltener Zuständigkeit zwischen Arge für SGB II und kommunalem Träger für SGB XII über die Beiladung nach § 75 Abs. 2 2. Fall SGG auch andere Fachkammern über sozialhilferechtliche Ansprüche entscheiden könnten. Diesen durch die uneinheitliche Trägerschaft im SGB II drohenden Wertungswiderspruch hätte den Gesetzgeber veranlassen können, von der Möglichkeit einer Verurteilung des beigeladenen kommunalen Trägers abzusehen.

Die Kammer hat davon abgesehen, den Kreis Groß-Gerau als Sozialhilfeträger beizuladen, weil ein Fall der notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs. 2 1. Fall SGG nicht vorliegt (zu den Grenzen: BSG SozR 4-3250 § 14 Nr. 1) und ohne Möglichkeit zur Verurteilung eine Beiladung gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 SGG nicht sachdienlich gewesen ist.

Die Kammer hat über die Zulassung der Berufung nicht entschieden, weil sie bereits Kraft Gesetzes statthaft ist (§ 143 SGG). Der Beschwerdegegenstand übersteigt nach den behaupteten Fahrtkosten des Klägers den Wert von 500,00 € (vgl. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf dem der Kammer nach § 193 Abs. 1 S. 1 SGG eingeräumten Ermessen. Maßgeblich ist gewesen, dass der Kläger in der Hauptsache voll unterlegen ist und die Beklagte auch sonst keinen zur Klage berechtigenden Anlass geboten hat.