OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.11.2005 - 2 UF 166/05
Fundstelle
openJur 2012, 26790
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 07.04.2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Kassel abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, für die Klägerin Unterhalt in Höhe von jeweils monatlich 440 € für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.06.2005 und von 466 € für die Zeit vom 01.07.2005 bis 23.08.2005 zu zahlen, und zwar den Unterhalt für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2004 an die Stadt A (Sozialamt), für den Anschlusszeitraum an die Arbeitsförderung A GmbH, beides .., A.

Von den Kosten des ersten Rechtszugs haben der Beklagte 2/3, die Klägerin 1/3 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zu 3/4, der Klägerin zu 1/4 zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der jeweils beizutreibenden Beträge abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Zugunsten des Beklagten wird die Revision zugelassen.

Gründe

I. Die Parteien, deren am ...1972 geschlossene Ehe mit Urteil vom ...2005, rechtskräftig durch beiderseitigen Rechtsmittelverzicht am selben Tag, geschieden ist, streiten um Trennungsunterhalt. In einem vorausgegangenen Verfahren hat die Stadt A – Sozialamt – als Träger der Sozialhilfe kraft übergegangenen Rechts für die Klägerin Trennungsunterhalt für den Zeitraum vom 01.02.2003 bis zum 02.07.2003, dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des hier gegenständlichen Verfahrens, Unterhalt geltend gemacht, der ihr mit inzwischen rechtskräftigem Urteil vom 28.08.2003 in Höhe von monatlich 298,80 € zugesprochen worden ist. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Urteils in den beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten des Vorprozesses (540 F 1321/03) Bezug genommen.

Im gegenwärtigen Verfahren verfolgt die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch ab dem genannten Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in eigenem Namen weiter, erstinstanzlich zuletzt gerichtet auf rückständigen Unterhalt für die Zeit von Januar bis Mai 2003 in Höhe von 734,16 € nebst Zinsen, von Juni bis November 2003 von monatlich 128,36 € und ab 01.12.2003 von monatlich 728,30 €.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der Sachdarstellung im Einzelnen Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht der Klage nur in Höhe von monatlich 96 € ab Mai 2005, dem Monat nach der letzten mündlichen Verhandlung, stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Für die Zeit bis zur mündlichen Verhandlung am 07.04.2004, diesen Monat eingeschlossen, sei die Klägerin nicht aktiv legitimiert, nachdem die Ansprüche auf die Träger der Sozialhilfe übergegangen seien. Eine Rückabtretung sei nicht vorgetragen. Für den Anschlusszeitraum hat es das zuvor schwankende Einkommen auf monatlich 1.345 € (zusammengesetzt aus einer BfA-Rente von 1.008,47 € und einer VBL Rente von 336,42 €) festgestellt und hiervon von der unstreitigen Kreditbelastung des Beklagten in Höhe von monatlich 544 € einen Teilbetrag von 408 € als auf die Ehezeit entfallend und damit eheprägend abgezogen. Von dem verbleibenden Nettoeinkommen von 936 € hat es der Klägerin den über dem ihm notwendig verbleibenden Selbstbehalt von 840 € liegenden Betrag zugesprochen.

Gegen dieses Urteil, soweit die Klage abgewiesen worden ist, richtet sich die Berufung der Klägerin, zunächst im Wesentlichen mit ihren erstinstanzlichen Anträgen, jedoch mit der Maßgabe, dass die Unterhaltsbeträge bis einschließlich 31.12.2004 an die Stadt A und für den Anschlusszeitraum an die Arbeitsförderung A GmbH (…) zu zahlen seien. Sie rügt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass das Amtsgericht sie nicht auf die fehlende Aktivlegitimation hingewiesen habe. In diesem Fall hätte sie, wie jetzt mit der Berufung, ihre Anträge umgestellt. In der Sache beanstandet sie, dass das Amtsgericht das Einkommen des Beklagten um Kreditbelastungen bereinigt habe. Insoweit habe ihn die Obliegenheit getroffen, Privatinsolvenz anzumelden und die Bedienung der Kredite einzustellen. In diesem Fall wäre er für den geforderten Unterhalt leistungsfähig.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

nach und im Umfang bewilligter Prozesskostenhilfe unter Zurücknahme ihrer Berufung im Übrigen, wie erkannt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Verfahrensrüge entgegen; gegenüber der anwaltlich vertretenen Klägerin habe es keines Hinweises wegen ihrer Antragstellung bedurft.

In der Sache hält er eine Obliegenheit zur Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens nicht für gegeben. Eine solche sei in der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nur gegenüber dem Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder anerkannt worden. Für den hier verfahrensgegenständlichen Ehegattenunterhalt sei die Rechtslage aber eine andere, da dieser Anspruch unter Berücksichtigung von Verpflichtungen gegenüber Dritten zu bestimmen sei.

II. Die Berufung hat in dem zuletzt verfolgten Umfang Erfolg.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin als getrennt lebende Ehefrau ist dem Grunde nach außer Streit (§ 1361 BGB). Nicht angegriffen und damit der Beurteilung des Senats zugrunde liegend sind die Einkommensverhältnisse des Beklagten aus Rentenbezug in Höhe von 1.345 €. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung insoweit Zweifel geäußert und aus der zeitlichen Überschneidung verschiedener Einkünfte ein höheres Einkommen vermutet hat, betrifft dies nicht mehr den jetzt noch streitigen Zeitraum ab Januar 2004.

Nicht angefochten und damit unstreitig gestellt ist die Feststellung des Amtsgerichts, dass die Klägerin, die nach einer Knieoperation mit teilweiser Erwerbsminderung im Geringverdienerbereich berufstätig war, nach Verlust ihrer letzten Arbeitsstelle wegen Betriebsaufgabe im September 2004 keine Erwerbseinkünfte mehr bezieht. Sie bezieht seither Sozialhilfe, seit Anfang 2005 Arbeitslosengeld II, jeweils in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe. Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin, veranlasst durch einen entsprechenden Hinweis in dem PKH Beschluss des Senats vom 05.09.2005, auf eine erfolgte Überleitung von Unterhaltsansprüchen gemäß § 33 SGB II (mit Bescheid der AFK vom 26.07.2005, Anlage zum Schriftsatz vom 12.10.2005, Bl. 53 d. A.) hingewiesen, was inzwischen unstreitig gestellt ist.

Der Streit der Parteien geht allein um die Frage, inwieweit der Beklagte berechtigt ist, sein Einkommen entsprechend den Ausführungen des angefochtenen Urteils um Raten für die Tilgung eines ehebedingten Kredits in Höhe von (anteilig) 408 € monatlich zu bereinigen, oder gehalten ist, zur Ermöglichung höherer Unterhaltsleistungen ein Privatinsolvenzverfahren einzuleiten. Letzteres hat der Bundesgerichtshof in seiner grundlegenden Entscheidung vom 23.02.2005 (FamRZ 2005, 608 = MDR 2005, 812) jedenfalls im Verhältnis zu den Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder bejaht, sofern dies im Rahmen einer Gesamtabwägung dem Unterhaltsschuldner zumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn die Leistungsfähigkeit durch die Kreditbedienung erheblich eingeschränkt ist, so dass keine oder nur sehr geringe Unterhaltsleistungen möglich sind, die Belastung wegen der Höhe des Kredits erhebliche Zeit andauert, mit einer Restschuldbefreiung zu rechnen ist und nicht besondere Umstände etwa betreffend die Schutzwürdigkeit des Gläubigers entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der Beklagte nach den rechnerisch nicht beanstandeten Feststellungen des Amtsgerichts nur zu geringen Unterhaltsleistungen imstande ist, die Belastungen wegen der Höhe der Schuld in der Größenordnung von 25.000 € noch einige Jahre andauern würden und im Falle eines Insolvenzverfahrens mit einer Restschuldbefreiung zu rechnen ist.

Die danach offene Rechtsfrage, inwieweit diese Grundsätze auch im Verhältnis zu dem getrennt lebenden Ehegatten anwendbar sind, bejaht der Senat mit der Klägerin, jedoch mit nachfolgender Modifikation, die sich hier nicht auswirkt.

In der Tat bestehen Bedenken, eine Obliegenheit zur Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit anzunehmen, wenn Verbindlichkeiten mit ihren Lasten - wie hier - bereits die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt haben. Inwieweit danach solche eheprägenden Belastungen im Rahmen der Bedarfsbestimmung heranzuziehen sind, ist danach zweifelhaft. Dies kann hier jedoch auf sich beruhen, da es hier nicht um die Höhe des eheprägenden Bedarfs der Klägerin geht, sondern um die Leistungsfähigkeit des Beklagten, hier definiert durch die Wahrung des notwendigen Selbstbehalts. Im Streitzeitraum beträgt das eheprägende Einkommen der Parteien, errechnet aus dem Renteneinkommen des Beklagten nach Abzug des eheprägenden Teils der Belastungen, wie dargestellt 935 €. Daraus errechnet sich der der Klägerin zustehende Halbanteil mit (rund) 468 € und damit mehr als die Klageforderung. Der weit dahinter zurückbleibende Verurteilungsbetrag gründet darauf, dass der Beklagte unter Wahrung seines Selbstbehalts diesen Betrag nicht zu leisten vermag.

Jedenfalls insoweit obliegt es ihm, entsprechend dem für minderjährige Kinder entwickelten Grundsatz auch gegenüber der unterhaltsbedürftigen getrennt lebenden Ehefrau seine Leistungsfähigkeit durch Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens zu Lasten der Drittgläubiger zu verbessern. Der Senat folgt insoweit der Rechtsauffassung des OLG Koblenz (FamRZ 2004, 823 f.), das die Obliegenheit zur Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens auch im Verhältnis zum Ehegatten bejaht hat, ohne diese Frage allerdings näher zu thematisieren.

Die zuerkannten Beträge errechnen sich danach aus der Differenz zwischen dem (seit 01.07.2005 erhöhten) pfändungsfreien Betrag und dem jeweiligen ihm notwendig verbleibenden Selbstbehalt von 840 € bis 30.06.2005 und von da ab 890 €.

Der Senat hat jedoch zur Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage, inwieweit eine Obliegenheit zur Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens auch gegenüber dem (hier) getrennt lebenden Ehegatten besteht, die Revision zugelassen. Diese Begründung beinhaltet keine Beschränkung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Berufung unter Einbeziehung von § 269 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.