VG Gießen, Urteil vom 21.09.2005 - 8 E 178/03
Fundstelle
openJur 2012, 26643
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beklagten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist Nachbar der Beigeladenen und wendet sich gegen einen der Beigeladenen erteilten Genehmigungsbescheid für den Betrieb von mobilen Anlagen zur Behandlung von unbelastetem Bauschutt und Grünschnitt.

Sowohl das Grundstück des Klägers als auch das des Beigeladenen liegen in einem Bereich, der als Gewerbegebiet ausgewiesen ist. Auf den entsprechenden Antrag vom 19.11.2001, dem auch ein Gutachten des TÜV Thüringen vom 13.07.1995 zu Schallemissionen der mobilen Aufbereitungs- und Brecheranlage MBU TRIMA CB 83/105 P beigefügt war, erteilte der Beklagte der Beigeladenen unter dem 20.09.2002 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Betrieb von mobilen Anlagen zur Behandlung von unbelastetem Bauschutt und Grünschnitt an maximal 10 Tagen pro Jahr sowie für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Lagerung von unbelastetem Bauschutt auf dem Grundstück in der Gemarkung E., Flur ..., Flurstücke ... und ... Die Genehmigung enthält zahlreiche Nebenbestimmungen. So wird in Nr. 3.1 festgelegt, dass die Bauschuttrecyclinganlage und die Schredderanlage für Grünschnitt zusammen nur an maximal 10 Tagen im Jahr, an Werktagen in der Zeit von 07.00 Uhr bis 18.00 Uhr betrieben werden dürfen. Nach Nr. 3.2 der Genehmigung wird der zulässige Immissionsrichtwert im Einwirkungsbereich der Anlage auf tagsüber 70 dB(A) festgesetzt. Kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen diesen Wert am Tag um nicht mehr als 25 dB(A) überschreiten. Diese Verfügung begründete der Beklagte im Wesentlichen damit, anhand des vorgelegten Lärmgutachtens könne eine Überschreitung des Immissionsrichtwertes für eine Gewerbegebiet [65 dB(A)] an der nächstgelegenen betriebseigenen Wohnung ausgeschlossen werden. Eine Richtwertüberschreitung auf dem Grundstück selbst bzw. in unmittelbarer Nähe könne dagegen nicht ausgeschlossen werden. Der in Nr. 6.3 der TA-Lärm für seltene Ereignisse geltende Immissionsrichtwert von 70 dB(A) sei aber einzuhalten und werde von der Anlage nach den rechnerischen Ermittlungen auch eingehalten.

Hiergegen erhob der Kläger am 11.10.2002 Widerspruch. Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 11.11.2002 führte er aus, eine Bauschuttrecyclinganlage sei eine erheblich störende Anlage, die in einem Gewerbegebiet nicht zulässig sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Genehmigung den Betrieb der Anlage nur an maximal 10 Tagen pro Jahr erlaube. Es sei nämlich das ganze Jahr über mit der Andienung von Bauschutt und Grünschnitt zu rechnen. Zwischen der geplanten Anlage und seinem, des Klägers, Gewerbebetrieb lägen nur 15 m. Er, der Kläger, betreibe dort ein Studio für Industrie- und Werbefotografie. Dort würden hochsensible digitale Aufnahmechips eingesetzt, die hohe Anforderungen an die allgemeinen Raumbedingungen stellten. Sauberkeit, allgemeine Luftfeuchtigkeit und die Raumtemperatur seien hierbei die wichtigsten Faktoren. Für das Studio sei eine besondere Klimaanlage installiert worden, deren Lüftungseinlässe und -auslässe mit Absicht zum Außenbereich hin konzipiert worden seien, da dort mit den niedrigsten Immissionen gerechnet werden könne. Genau an diese Stelle solle nun die Bauschuttrecyclinganlage gebaut werden, was eine erhebliche Verschlechterung der Umgebungsluft bewirken werde. Der zu erwartende Lärm in unmittelbarer Umgebung des Studios führe dazu, dass das Studio zumindest an den 10 genehmigten Tagen nicht zu betreiben wäre. Die Erschütterungen, die von der Anlage ausgehen würden, ließen auch Beeinträchtigungen der Filmaufnahmen erwarten, nämlich verwackelte Bilder. Sieben Meter von der Anlage entfernt habe er, der Kläger, sieben Arbeitsplätze eingerichtet, die sich vornehmlich mit Grafik beschäftigten. Hier würden Scanner benutzt, und jedes Staubkorn führe zu zeit- und kostenintensiven Nachbearbeitungen. Zudem plane er bei der anstehenden Erweiterung des Betriebsgebäudes, eine Wohnung zu integrieren. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der bereits vorhandenen Bebauung könne die Wohnung nur in unmittelbarer Nähe der geplanten Bauschuttrecyclinganlage errichtet werden. Er, der Kläger, könne auch nicht darauf verwiesen werden, die Wohnung existiere noch nicht und bleibe deshalb bei der Genehmigung der Anlage unberücksichtigt. Neben der Bauschuttrecyclinganlage genehmige der angefochtene Bescheid auch noch eine Shredderanlage für Grünschnitt. Da diese ebenfalls nur an maximal 10 Tagen im Jahr betrieben werden dürfe, sei eine Zwischenablagerung des Grünschnitts erforderlich. Es sei zu befürchten, dass es zu Verrottungen des Grünschnitts mit erheblichen Geruchsbelästigungen komme.

Im Schriftsatz vom 19.11.2002 wies die Beigeladene darauf hin, es sei nur mit einem geringen Lkw-Verkehr zu rechnen, weil ihr Unternehmen nur über einen kleinen Lkw und einen Unimog verfüge. Außerdem liege noch eine Gewerbehalle zwischen ihrer Zufahrt und dem Grundstück des Klägers. Der Abstand der Anlage zur Halle des Klägers betrage 50 m und zu dessen Klimaanlage 70 m. Staubemissionen könnten nicht auftreten, da das Material im Freien lagere und durch die Niederschläge durchnässt werde. Zudem sei die Recyclinganlage mit einer Wasserberieselung ausgerüstet. Schon jetzt gebe es in der Umgebung der Halle des Klägers zudem erheblichen Verkehrslärm durch zwei Speditionen, ein Sägewerk und einen Autotuner. Erschütterungen verursache die Anlage nicht. Grünschnitt werde nur an wenigen Tagen im Jahr angeliefert, jeweils im Frühjahr und Herbst. Es handele sich um Grünschnitt von Privatpersonen. Dieser werde nach Beendigung der Anlieferung sofort zerkleinert und abgefahren.

Mit Schriftsatz vom 09.12.2002 erwiderte der Kläger hierauf, die bestehenden Vorbelastungen sprächen eher dafür, dass eine weitere Lärmquelle - hier durch die Anlage - für den Kläger nicht mehr hinnehmbar sei.

Mit Bescheid vom 19.12.2002 fügte der Beklagte die Regelung in den Genehmigungsbescheid ein, wonach unmittelbar beim Erstbetrieb der Anlage entsprechende Messungen durchzuführen seien, ob die in der Genehmigung aufgeführten Immissionsrichtwerte eingehalten würden und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung machte der Beklagte geltend, die geplante Anlage sei wegen ihrer konkreten Beschaffenheit in einem Gewerbegebiet zulässig. Vorliegend handele es sich um eine atypische Zerkleinerungsanlage. Denn deren Betrieb solle an höchstens 10 Tagen kalenderjährlich erfolgen. Es sei daher nicht mit unzumutbaren Immissionen für den Kläger zu rechnen. Da nur an wenigen Tagen im Frühjahr und Herbst eines Jahres Grünschnittanlieferungen zu erwarten seien, impliziere dies einen geringen Lieferverkehr. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der kleinen Fahrzeugflotte der Beigeladenen sei nicht mit einem merklich erhöhten Verkehrsaufkommen zu rechnen. Es komme auch zu keiner Verrottung, da Grünschnitt dort nicht gelagert werden solle. Eine Staubbildung beim Zerkleinern des Bauschutts werde durch die vorgesehene Bewässerung verhindert. Die geplante Erweiterung des Betriebs des Klägers um eine Wohneinheit in Richtung der Anlage der Beigeladenen sei derzeit nicht hinreichend konkret.

Am 21.01.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Im Übrigen führt er aus, der angefochtene Bescheid stütze sich auf eine rechnerische Ermittlung von Immissionswerten. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass im Gutachten des TÜV Thüringen eine ausgesuchte Anlage zugrunde gelegt worden sei, die hinsichtlich der Lärmimmissionen sicherlich auf dem neuesten Stand sei. Es bestehe aber keine Garantie, dass die Beigeladene nur solche Anlagen einsetze. Die Verwertbarkeit des Gutachtens des TÜV Thüringen sei auch deshalb zweifelhaft, weil dort in weitem Abstand keine reflektierenden Flächen vorhanden gewesen seien. Die Verhältnisse vor Ort seien aber andere. Darüber hinaus habe der TÜV Thüringen Aufgabegeräusche der zu brechenden Betonteile nicht berücksichtigt. Die Vorbelastungen des Grundstücks seien nicht so erheblich. Vom Bauhof der Gemeinde gingen kaum Belästigungen aus, die Spedition habe nur einen Abstellplatz in unmittelbarer Nähe zum Grundstück des Klägers.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2002 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, seine Bescheide seien rechtmäßig und verweist insoweit auf die angefochtenen Verfügungen. Ferner führt er aus, durch die Messauflage solle festgestellt werden, ob beim Erstbetrieb der Anlage die in der Genehmigung enthaltenen Immissionsrichtwerte eingehalten würden.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Sie ist der Ansicht, durch die Anlage komme es zu keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen des Klägers. Die Anlage, die dem Lärmgutachten vom 13.07.1995 zugrunde liege, sei keine ausgesuchte, sondern eine solche, die tatsächlich eingesetzt werde. Die Befüllung der Anlage müsse zudem vorsichtig geschehen.

In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Planunterlagen genommen. Sie haben in diesem Zusammenhang übereinstimmend erklärt, dass die kürzeste Entfernung zwischen der Anlage und der Halle des Klägers ungefähr 30 m betrage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, den zu den Akten gereichten Bebauungsplan „...“ sowie die Behördenakten des Beklagten (2 Hefter), die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Genehmigungsbescheid vom 20.09.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 19.12.2002 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtliche Grundlage der der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist § 6 Abs. 1 BImSchG. Danach ist die Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und einer aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Diese Vorschrift, der drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, U. v. 11.12.2003 - 7 C 19/02 -, NVwZ 2004, 610, 611; VGH Bad.-Württ., U. v. 17.06.1999 - 10 S 44/49 -, VBlBW 2000, 78, 80; OVG Rh.-Pf., B. v. 03.03.1975 - 2 B 11/75 -, GewArch 1975, 165; Jarass, BImSchG, Kommentar, 6. Aufl., 2005, § 5 Rdnr. 120) ist im vorliegenden Fall jedoch eingehalten.

Für den Kläger gehen von dieser Anlage keine erheblichen Belästigungen aus. Die von ihm geltend gemachten Immissionsbelastungen bewirken keine unzumutbaren Beeinträchtigungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG. Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind hiernach Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Für die Bestimmung schädlicher Umwelteinwirkungen in Form erheblicher Belästigungen durch Anlagenlärm, Staub, Erschütterungen oder Gerüche gilt allgemein der Maßstab der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, U. v. 25.02.1992 - 1 C 7.90 -, BVerwGE 90, 53, 56; U. v. 17.02.1984 - 7 C 8.82 -, BVerwGE 69, 37, 43 f.; U. v. 12.12.1975 - IV C 71.73 -, BVerwGE 50, 49, 55; VG Gießen, U. v. 28.05.1997 - 8 E 666/96 -, GewArch 1997, 491; Jarass, a. a. O., § 3 Rdnr. 47). Dieser Maßstab bezeichnet damit die Grenze jenseits deren Einwirkungen von dem Immissionsbetroffenen nicht mehr hingenommen werden müssen. Hierfür ist entscheidend auf die materielle baurechtliche Lage abzustellen (vgl. BVerwG, U. v. 25.02.1992 - 1 C 7.90 -, BVerwGE 90, 53, 56; Jarass, a.a.O., § 3 Rdnr. 55; Koch, in: Koch/Scheuing (Hrsg.), GK-BImSchG, Stand: Mai 2005, § 3 Rdnr. 62) und damit auf die durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse vorgegebene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des betroffenen Grundstücks. Mitbestimmend sind hierbei auch wertende Elemente wie die Herkömmlichkeit, die soziale Adäquanz und die allgemeine Akzeptanz (vgl. BVerwG, U. v. 30.04.1992 - 7 C 25.91 -, BVerwGE 90, 163, 165 f.; U. v. 29.04.1988 - 7 C 33.87 -, BVerwGE 79, 254, 260; VG Gießen, B. v. 16.04.2002 - 8 G 493/02 -, GewArch 2002, 348, 349; Jarass, a. a. O., § 3 Rdnr. 54; AI., GewArch 2004, 453, 455).

Für die hinsichtlich des klägerischen Begehrens im Vordergrund stehende Frage, ob die Lärmeinwirkungen der Bauschuttrecyclinganlage die Schwelle der Erheblichkeit überschreiten, orientiert sich das Gericht an den Regelungen der TA-Lärm vom 26.08.1998. Denn die TA-Lärm vermag Anhaltspunkte dafür aufzuzeigen, wann Geräuschbeeinträchtigungen als unzumutbar einzustufen sind (Hess.VGH, U. v. 05.03.2001 - 9 UE 2329/95 - Juris; Feldhaus, BImSchG, Kommentar, Stand: Sept. 2005, Bd. 1, Teil I, § 5 Erl. 5). Zwar ist die nach § 48 BImSchG erlassene TA-Lärm 1998 nur eine Verwaltungsvorschrift und verpflichtet unmittelbar nur die Behörden beim Vollzug des Bundesimmissionsschutzrechts. Gleichwohl haben die Gerichte diesen Verwaltungsvorschriften zum Teil bindenden Charakter zugesprochen mit dem Argument, es handele sich um ein antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. BVerwG, U. v. 17.02.1978 - 1 C 102.76 -, BVerwGE 55, 250, 258; Hess.VGH, U. v. 15.11.1991 - 14 UE 3229/86 - Juris), während aus heutiger Sicht die Verbindlichkeit derartiger Verwaltungsvorschriften teilweise mit dem Gesichtspunkt begründet wird, sie seien normenkonkretisierende und nicht nur normeninterpretierende Verwaltungsvorschriften (vgl. BVerwG, B. v. 09.04.2003 - 6 B 12.03 -, GewArch 2003, 300, 301; BVerwG, U. v. 19.12.1985 - 7 C 65.82 -, BVerwGE 72, 300, 320 f.; VGH Bad.-Württ., U. v. 27.06.2002 - 14 S 2736/01 -, NVwZ-RR 2003, 745, 750; Jarass, a. a. O., § 48 Rdnr. 27). Jedenfalls kann die TA-Lärm 1998 als Anhaltspunkt bzw. Orientierungshilfe zur allgemeinen Beurteilung von Lärm herangezogen werden (vgl. BVerwG, B. v. 01.09.1999 - 4 BN 25/99 -, NVwZ-RR 2000, 146; Hess.VGH, U. v. 06.11.2000 - 9 N 2265/99 -, HSGZ 2001, 441, 448; VG Gießen, B. v. 16.04.2002 - 8 G 493/02 -, GewArch 2002, 348, 349; AI., GewArch 2004, 453 f.). Mangels normativer Vorgaben für die Beurteilung von Lärmimmissionen der vorliegenden Art orientiert sich die erkennende Kammer in ständiger Rechtsprechung ebenfalls an den einschlägigen technischen Regelwerken, die unter sachverständiger Beratung der Fachöffentlichkeit erarbeitet worden sind (VG Gießen, B. v. 16.04.2002 - 8 G 493/02 -, GewArch 2002, 348, 349; B. v. 23.01.2001 - 8 G 3077/00 -, GewArch 2001, 255, 256; B. v. 09.10.2000 - 8 G 2832/00 -, NVwZ-RR 2001, 304, 306; U. v. 18.02.1998 - 8 E 1785/94 -, GewArch 1998, 350, 351).

Vorliegend ist die TA-Lärm 1998 anwendbar weil sie sowohl den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche interpretiert (Ziff. 2.1) als auch alle Anlagen im Sinne des § 3 Abs. 5 BImSchG - mit Ausnahme der in Ziff. 1 lit.a) bis h) genannten, zu denen die Bauschuttrecyclinganlage nicht gehört - erfasst. Die von der TA-Lärm 1998 vorgegebenen Lärmwerte konkretisieren mithin in rechtlich zulässiger Weise die Zumutbarkeitsschwelle für die vom Lärm einer Bauschuttrecyclinganlage Betroffenen, wie hier für den im selben Gewerbegebiet in unmittelbarer Nachbarschaft der Anlage ansässigen Kläger.

Gemäß Nr. 6.1 lit.b) der TA-Lärm 1998 betragen die Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden in Gewerbegebieten tags 65 dB(A). Unter dem Begriff „tags“ werden nach Nr. 6.4 TA-Lärm 1998 die Zeiten von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr verstanden. Gemäß Nr. 7.2 der TA-Lärm kann eine Überschreitung der an sich zulässigen Immissionsrichtwerte im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für genehmigungsbedürftige Anlagen ausnahmsweise zugelassen werden. Dies gilt nur, wenn wegen voraussehbarer Besonderheiten beim Betrieb einer Anlage zu erwarten ist, dass in seltenen Fällen oder über eine begrenzte Zeitdauer - aber an nicht mehr als 10 Tagen oder Nächten eines Kalenderjahres und nicht an mehr als an jeweils zwei aufeinander folgenden Wochenenden - die Immissionsrichtwerte (Nrn. 6.1 und 6.2 der TA-Lärm 1988) auch bei Einhaltung des Standes der Technik zur Lärmminderung nicht eingehalten werden können. Diese Regelung wird durch Nr. 6.3 der TA-Lärm 1998 dahingehend konkretisiert, dass bei seltenen Ereignissen (Nr. 7.2 der TA-Lärm 1998) die Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden in Gebieten nach Nr. 6.1 lit.b) bis f) der TA-Lärm 1998 die Immissionsrichtwerte tags 70 dB(A) betragen. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen diese Werte in Gebieten nach Nr. 6.1 lit.b) der TA-Lärm 1998 am Tag um nicht mehr als 25 dB(A) überschreiten.

Die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung trägt diesen Vorgaben umfassend Rechnung. In Nr. 3.1 der Nebenbestimmungen der Genehmigung wird geregelt, dass die Bauschuttrecyclinganlage und die Shredderanlage für Grünschnitt zusammen an maximal 10 Tagen im Jahr an Werktagen in der Zeit von 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr betrieben werden dürfen. Damit werden sogar restriktivere Tageszeiten festgesetzt, als es nach Nr. 6.4 der TA-Lärm 1998 möglich wäre. Nr. 3.2.1 dieser Nebenbestimmungen legt den zulässigen Immissionsrichtwert im Einwirkungsbereich der Anlage auf tagsüber 70 dB(A) fest und ordnet auch an, dass kurzzeitige Geräuschspitzen diesen Wert am Tag um nicht mehr als 25 dB(A) überschreiten dürfen. Insoweit trägt der angefochtene Bescheid auch den oben beschriebenen immissionsschutzrechtlichen Regelungen der Nr. 6.3 der TA-Lärm 1998 hinsichtlich seltener Ereignisse von nicht mehr als 10 Tagen eines Kalenderjahres hinreichend Rechnung. Dies gilt sowohl für die Festsetzung eines zulässigen Immissionsrichtwertes von tagsüber 70 dB(A) als auch hinsichtlich der Regelung in Nr. 3.2.1 der Nebenbestimmungen der Genehmigung, wonach kurzzeitige Geräuschspitzen diesen Wert am Tag um nicht mehr als 25 dB(A) überschreiten dürfen.

Die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung gibt auch keine Immissionsrichtwerte vor, die von der Beigeladenen nicht eingehalten werden können. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung kann in solchen Fällen rechtswidrig sein, in denen zulässige Immissionsrichtwerte festgesetzt werden, die von vornherein und absehbar beim Betrieb der Anlage überschritten werden und somit nicht einhaltbar sind (vgl. OVG Meckl.-V., U. v. 16.07.1999 - 3 M 79/99 - Juris; VGH Bad.-Württ., U. v. 11.03.1997 - 10 S 2815/96 -, VBlBW 1997, 384, 386; VG Gießen, B. v. 16.04.2002 - 8 G 493/02 -, GewArch 2002, 348, 350). Die Einhaltung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte beim Betrieb der Anlage der Beigeladenen ist nämlich objektiv nicht unmöglich. So kann der Betreiber z. B. durch eine entsprechende Einwirkdauer sicherstellen, dass der zulässige Immissionsrichtwert von 70 dB(A) tagsüber eingehalten wird. Auch die rechnerischen Ermittlungen des TÜV Thüringen in dessen Gutachten vom 13.07.1995 zu Schallemissionen der mobilen Aufbereitungs- und Brecheranlage stützen die Annahme, dass die maßgeblichen Immissionsrichtwerte eingehalten werden können. Wenn der Kläger sich demgegenüber darauf beruft, der TÜV Thüringen komme zu dem Ergebnis, in einer Entfernung bis zu 50 m sei mit Lärmimmissionen über 70 dB(A) zu rechnen, verkennt er zunächst, dass die dort ermittelten Immissionspegel keine nach Nr. 2.10 der TA-Lärm zu bildende Beurteilungspegel sind. Nur letztere sind entscheidend im Hinblick auf die Frage, ob die Immissionsrichtwerte nach der TA-Lärm eingehalten werden. Auch bei der kürzesten Entfernung zwischen der Anlage der Beigeladenen und der Halle des Klägers von ca. 30 m sind die maßgeblichen Immissionsrichtwerte jedenfalls dadurch einhaltbar, dass die Beigeladene den Betrieb entsprechend zeitlich einschränkt.

Selbst wenn die Beigeladene - wie der Kläger befürchtet - einen anderen Anlagentyp zum Einsatz bringen würde, als denjenigen, der Messgegenstand des Gutachtens des TÜV Thüringen vom 13.07.1995 war, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die im Genehmigungsbescheid festgesetzten zulässigen Immissionsrichtwerte objektiv nicht einhaltbar sind.

In sonstiger Hinsicht sind unter Abwägung aller gegenseitigen Interessen ebenfalls keine für den Kläger unzumutbaren Immissionen in Form von Erschütterungen, Staub oder Gerüchen durch den Betrieb der Bauschuttrecycling- und Shredderanlage der Beigeladenen zu erwarten. Den vom Kläger geltend gemachten Belästigungen durch Staubemissionen wird insbesondere dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass die Recyclinganlage nach Nr. 3.3.2 der immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen mit einer Entstaubungsanlage entsprechend dem Stand der Technik ausgestattet sein muss. Der Beigeladenen wird ferner untersagt, bei Ausfall der Entstaubungsanlage die Recyclinganlage zu betreiben (Nr. 3.3.3 der Genehmigung). Die Entstaubungsanlage ist regelmäßig zu warten. Über Wartungsvorgänge muss die Beigeladene ein Kontrollbuch führen. Durch ausreichende Befeuchtung des Recyclingmaterials an den Lagerplätzen hat die Beigeladene eine Staubentstehung auszuschließen. Ebenfalls sind die Fahrwege regelmäßig zu befeuchten und entsprechend zu reinigen (Nr. 3.3.4, 3.3.5, 3.3.6 der Genehmigung).

Zu einer nicht hinnehmbaren Geruchsbelästigung auf dem Grundstück des Klägers infolge einer von ihm befürchteten Verrottung des zwischengelagerten Grünschnitts kann es schon deshalb nicht kommen, weil, wie die Beigeladene substantiiert dargetan hat, der von der Gemeinde nur an wenigen Tagen im Jahr, jeweils im Frühjahr und Herbst, angelieferte Grünschnitt sofort zerkleinert und abgefahren wird (Bl. 187 d. Behördenakte). Mögliche unzumutbare Erschütterungen, die von der Bauschuttrecyclinganlage auf das Fotostudio des Kläger ausgehen könnten, sind vorliegend nicht ersichtlich.

Da von der streitigen an maximal 10 Tagen im Jahr betriebenen Bauschuttrecyclinganlage im vorliegenden Fall keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, kann dieser Anlage ausnahmsweise kein konkretes, die Gebietsprägung eines Gewerbegebiets i. S. d. § 8 BauNVO beeinträchtigendes Störpotential unterstellt werden. Es liegt insoweit ein atypischer Ausnahmefall vor (vgl. zu solchen atypischen Ausnahmefällen: BVerwG, B. v. 02.02.2000 - 4 B 87/99 -, NVwZ 2000, 679, 680; U. v. 24.09.1992 - 7 C 7/92 -, NVwZ 1993, 987, 988). Der Kläger kann sich somit nicht auf den Abwehranspruch auf Bewahrung der festgesetzten Gebietsart berufen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass er möglicherweise in der Zukunft die Errichtung einer Wohneinheit auf seinem Grundstück plant. Ein solcher Abwehranspruch steht den Planbetroffenen im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nämlich nur dann zu, wenn das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des durch den Bebauungsplan festgesetzten Baugebiets zu besorgen ist (vgl. BVerwG, B. v. 02.02.2000 - 4 B 87/99 -, NVwZ 2000, 679, 680; U. v. 16.09.1993 - 4 C 28/91 -, NJW 1994, 1546, 1548). Eine solche schleichende Umwandlung kann in Bezug auf die Genehmigung des Betriebs der Bauschuttrecyclinganlage und der Shredderanlage für Grünschnitt an zusammen maximal 10 Tagen im Jahr jedoch aus den zuvor genannten Gründen nicht angenommen werden.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keine Anträge gestellt und sich insoweit einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.