VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 07.09.2005 - 6 G 2273/05
Fundstelle
openJur 2012, 26637
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellersgegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11.07.2005 wirdwiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 €festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers, gerichtet auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Antragsgegners vom 11.07.2005 ist, gem. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig; er ist auch in der Sache begründet. Die Kammer ist bei der im Eilverfahren allein in Betracht kommenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Bescheid des Antragsgegners vom 11.07.2005 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird mit der Folge, dass das Aufhebungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an dem Sofortvollzug des Bescheides überwiegt.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung - FeV) vom 18.08.1998 (BGBl. I Seite 2214) hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 3 FeV finden die §§ 11 - 14 FeV entsprechende Anwendung, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist. Dies schließt die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens unter den genannten Voraussetzungen ein (vgl. § 11 Abs. 3 FeV). Verweigert der Betroffene die Durchführung der Untersuchung oder legt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht vor, so darf die Behörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 S. 1 FeV). Dieser ist gem. § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV bei der Anordnung auf diese mögliche Schlussfolgerung hinzuweisen.

Die in § 11 Abs. 8 FeV normierte Schlussfolgerung kann die Verwaltungsbehörde allerdings nur dann ziehen, wenn die Anordnung der Beibringung eines derartigen Gutachtens zu Recht erfolgte. Dies ist hier nicht der Fall, da der Antragsgegner nicht berechtigt war, von dem Antragsteller die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern.

Der Antragsgegner hat die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung mit Schreiben vom 20.04.2005 damit begründet, dass der Antragsteller mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichtes Frankfurt-Höchst vom 28.10.2002 wegen fahrlässigen Fahrens unter Alkoholeinfluss (3,26 Promille) verurteilt und eine Sperrfrist bis zum 27.10.2003 verhängt worden war und das im Rahmen seines Antrags auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist erstellte medizinisch-psychologische Gutachten dem Antragsteller die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen abgesprochen hatte. Die aus den damaligen Ereignissen resultierenden Eignungsbedenken kann der Antragsgegner dem Antragsteller jedoch nicht länger vorhalten und zum Anlass nehmen, vom Antragsteller ein weiteres medizinisch-psychologisches Gutachten zu fordern. Denn mittlerweile wurde dem Antragsteller am 28.02.2005 eine Fahrerlaubnis der Tschechischen Republik erteilt. Diese Fahrerlaubnis muss von den deutschen Behörden gem. § 28 Abs. 1 S. 1 FeV anerkannt werden mit der Folge, dass von der Geeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Erteilung der Fahrerlaubnis in der Tschechischen Republik am 28.02.2005 ausgegangen werden muss.

Dem steht auch nicht § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt die Berechtigung nach § 28 Abs.1 FeV unter anderem nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden ist. Dieser Personenkreis kann gem. § 28 Abs. 5 S. 1 FeV von der EU-Fahrerlaubnis im Inland nur dann Gebrauch machen, wenn ihm das Recht hierzu auf Antrag erteilt wurde, was voraussetzt, dass die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Die Vorschrift des § 28 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 S. 1 FeV kann jedoch nur hinsichtlich der Fortgeltung einer vor den innerstaatlichen Maßnahmen erteilten EU-Fahrerlaubnis gelten, sie kann nicht angewendet werden in jenen Fällen, in denen die EU-Fahrerlaubnis nach den in § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV genannten Maßnahmen und nach Ablauf der Sperrfrist erteilt wurde. Denn dies widerspräche der Führerscheinrichtlinie des Rates 91 - 439 EWG vom 29.07.1991 (Amtsblatt Nr. L 237) in der Auslegung, die sie durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil Kapper, vom 29.04.2004 C 476/01, DAR 2004, 333 ff. , NJW 2004, 1725 ff.) erhalten hat.

In dem genannten Urteil hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt, dass Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie, wonach ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Abs. 2 genannten Maßnahmen (Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis) angewendet wurde, eng auszulegen ist (Rdnr. 72). Der EuGH hat in jener Entscheidung zunächst klargestellt, dass das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis des ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellungsstaat ausschließlich von den Behörden des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats überprüft werden darf (Rdnr. 46), da das Gemeinschaftsrecht dem Ausstellungsstaat die ausschließliche Zuständigkeit zuweist, über das Vorliegen des Erfordernisses des ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellungsstaat zu befinden (Rdnr. 48) - was gleichzeitig bedeutet, dass den Behörden des Anerkennungsstaates eine solche Befugnis nicht zukommt. Der Anerkennungsstaat hat die Entscheidung des Ausstellungsstaates zu akzeptieren und kann lediglich im Rahmen eines Informationsaustausches dem Ausstellungsstaat ernsthafte Zweifel mitteilen.

Darüber hinaus hat der EuGH in der Entscheidung Erläuterungen zu der in Art. 8 der Richtlinie vorgesehenen Befugnis des Anerkennungsstaates, unter bestimmten Bedingungen einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Gültigkeit zu versagen, gegeben. Er führt aus, dass dann, wenn die zusätzlich zu der fraglichen Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates abgelaufen ist, Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie diesem Mitgliedstaat verbietet, die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der dem Betroffenen später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, abzulehnen. Ein Mitgliedstaat dürfe sich nicht auf Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie berufen, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine solche Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde (Rdnr. 76).

Der Antragstellerbevollmächtigte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem Kerngehalt der Ausführungen des EuGH die Entscheidung eines EU-Mitgliedstaates, einem EU-Bürger die Fahrerlaubnis zu erteilen, grundsätzlich zu akzeptieren ist. Insbesondere aus der Interpretation des Art 8 der Führerscheinrichtlinie durch den EuGH folgt für die Kammer, dass § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV dann nicht anwendbar ist, wenn die EU-Fahrerlaubnis erteilt wurde, nachdem die im Anerkennungsstaat durchgeführten Maßnahmen, einschließlich einer angeordneten Sperrfrist, beendet sind (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 18.08.2004, Az.: 11 K 4476/03; Hentschel, Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahre 2004, NJW 2005, 641, 644; Otte/Kühner, Führerscheintourismus ohne Grenzen, NZV 2004, 321, 328).

Nach Auffassung der Kammer kommt es auch nicht in Betracht, die EuGH-Entscheidung dahingehend "restriktiv" zu verstehen, dass eine generelle Pflicht zur Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis kraft Vorrang des Gemeinschaftsrechtes nur in jenen Fällen gelten könne, in denen das nationale Fahrerlaubnisrecht nach Ablauf der Sperrfrist keine weiteren Anforderungen an die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stelle (so Geiger, Aktuelle Rechtsprechung zum Fahrerlaubnisrecht, DAR 2004, 690, 691) oder es für jeden Mitgliedstaat auch nach Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis bei der Möglichkeit verbleiben müsse, bei noch bestehenden Eignungszweifeln in seinem Hoheitsgebiet seine nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzungen und die Aufhebung der Fahrerlaubnis zur Anwendung kommen zu lassen (so VG München, Beschluss v. 13.01.2005, Az.: M 6b S 04.5543, NJW 2005, 1818). Zur Begründung jener Auffassungen wird angeführt, dass die Richtlinie im Hinblick auf materielle Eignungsvoraussetzungen nur Mindestvoraussetzungen festlege, so dass Raum für eigenständige nationale Regelungen bliebe. Eine solche Auslegung des EuGH-Urteils widerspricht jedoch gerade dem vom EuGH in den Vordergrund gerückten Prinzip der unbedingten gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine. In Rdnr. 77 des Urteils wird ausdrücklich festgestellt: "Wie der Generalanwalt in Nr. 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wäre es die Negation des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine selbst, wenn man einen Mitgliedstaat für berechtigt hielte, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern." Die sich im Hinblick auf unterschiedliche nationale Ausgestaltungen ergebenden Probleme sind solche der Harmonisierung der Verwaltungspraktiken der Mitgliedstaaten; sie können nicht zur Folge haben, das Anerkennungsprinzip des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie einzuschränken.

Aufgrund des EuGH-Urteils vom 29.04.2004 ist nach Auffassung der Kammer auch jene Auslegung der Richtlinie ausgeschlossen, wonach § 28 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 FeV als nationale Ausgestaltung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie anzusehen sei und dementsprechend auch derjenige, dem vor der Erteilung seiner EU-Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen worden war, vor Anerkennung seiner später erworbenen EU-Fahrerlaubnis ein Antragsverfahren nach § 28 Abs. 5 FeV zu durchlaufen habe (so VGH Mannheim, Urteil von 12.10.2004, Az.: 10 S 1346/04, VRS 108,141; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 11.03.2005, Az.: 4 L 389/05). Würde man ein solches Verfahren nach § 28 Abs. 5 FeV, mit dem festgestellt werden soll, ob die Gründe für die Entziehung mittlerweile nicht mehr bestehen, auch für jene Konstellationen für zulässig erachten, in denen die EU-Fahrerlaubnis erst nach Ablauf der innerstaatlichen Maßnahme erteilt wurde, so widerspräche dies im Ergebnis ebenfalls dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Denn Befugnis und Kompetenz des Ausstellungsstaates, die Eignung des Betreffenden zum Führen von Kraftfahrzeugen festzustellen, würde in Abrede gestellt. Eine solche Vorgehensweise wäre nicht mit dem vom EuGH herausgestellten Zweck der Richtlinie vereinbar (so OVG Koblenz, Beschluss v. 15.08.2005, Az.: 7 B 11021/05) Der EuGH hat, wie dargestellt, nach Ablauf der Sperre die Anerkennung der nachträglich erteilten EU-Fahrerlaubnis verlangt. Ein besonderes Zuerkennungsverfahren nach § 28 Abs. 5 FeV stünde dem entgegen, da gemäß § 28Abs. 5 Satz 2 FeV i.V.m. § 20 Abs. 3 FeV die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt ist, unter bestimmten Voraussetzungen von dem Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern. Bei fortgesetzt negativen medizinisch-psychologischen Gutachten käme eine solche Vorgehensweise der vom EuGH für unzulässig erachteten Verweigerung der Anerkennung ohne zeitliche Limitierung gleich. Das OVG Koblenz hat in seinem Beschluss vom 15.08.2005 zutreffend darauf hingewiesen, dass die Richtlinie gemäß der Auslegung des EuGH vom Anerkennungsstaat verlangt, das Ergebnis einer Eignungsprüfung beim Verfahren der Erteilung der Fahrerlaubnis im Ausstellungsstaat hinzunehmen. Die entsprechende Kontrolle der allgemeinen Verfahrensrichtigkeit wird, soweit dazu Anlass bestehen sollte, die Kommission im Wege der Staatenklage zu übernehmen haben. Ein erneutes Auffälligwerden nach Erteilung der EU-Fahrerlaubnis wird dagegen für die zuständige nationale Verwaltungsbehörde Anlass sein, die vorgesehene Maßnahme nach der FeV auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie zu ergreifen mit der Folge, dass gegebenenfalls der Gebrauch der EU-Fahrerlaubnis im Inland untersagt wird.

Gegen die von der Kammer vertretene Rechtsansicht kann auch nicht eingewandt werden, die europäische Kommission gehe ersichtlich davon aus, dass § 28 Abs. 4 u. 5 FeV, soweit die Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis nach einer im Inland erfolgten Entziehung einer Fahrerlaubnis geregelt sei, mit der Vorgabe der Richtlinie im Einklang stehe, weil die Regelung in der Antragsschrift vom 29.08.2003 im Vertragsverletzungsverfahren C - 372/03, in welcher die Kommission die Bereiche aufgeführt hat, in denen die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie nach ihrer Ansicht nicht entsprechend umgesetzt habe, nicht genannt würde (so VGH Mannheim, Urteil vom 10.12.2004, a.a.O.) Denn eine solche, zunächst durchaus vertretbare Auslegung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie kommt durch die nach jenem Antragsverletzungsverfahren ergangene Entscheidung des EuGH aus den oben genannten Gründen nicht mehr in Betracht.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen, da er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG; die Kammer hat wegen der Vorläufigkeit einer Entscheidung im Eilverfahren die Hälfte des sogenannten gesetzlichen Auffangstreitwertes in Ansatz gebracht.