OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.01.2005 - 3 Ws 1003/04, 3 Ws 1003/04 (Ausschl)
Fundstelle
openJur 2012, 25840
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Ausschluss des Rechtsanwalts Prof. Dr. RA1 alsVerteidiger in dem Strafverfahren gegen A wird verworfen.

Die Kosten des Ausschließungsverfahrens und die dem Verteidigerinsoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskassezur Last.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel hat in dem vorgenannten Strafverfahren gegen A einen Antrag auf Ausschluss des Verteidigers Prof. Dr. RA1 gestellt, welchen die 1. Strafkammer des Landgerichts Kassel gemäß § 138 c II 2 StPO dem Oberlandesgericht Frankfurt zur Entscheidung vorgelegt hat.

Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.

Zu würdigen ist insoweit der Sachverhalt, wie er sich nach der Antragsbegründung ohne Bezugnahmen auf Anlagen oder sonstige Schriftstücke darstellt (vgl. hierzu im einzelnen OLG Hamm, NStZ 1999, 50 ff). Es ist nicht Aufgabe des Senats, von sich aus nach den Grundlagen für eine etwaige Ausschließung zu forschen (OLG Düsseldorf, Strafverteidiger 1997, 459 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 47. Auflage § 138 c Rn 9).

Die Vorlage ist unschlüssig, weil die angeführten Tatsachen – auch bei Unterstellung ihrer Richtigkeit – die Ausschließung des Verteidigers nicht zu rechtfertigen vermögen. In einem derartigen Fall ist die Vorlage ohne mündliche Verhandlung als unbegründet zu verwerfen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1975, 943, 945; OLG Braunschweig StV 1984, 500, 502; OLG Bremen NJW 1981, 2711; LG Bamberg AnwBl 1980, 33; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 336; Meyer-Goßner, a.a.O., § 138 d, Rz. 1).

Der in dem Vorlagebeschluss zugrundegelegte Sachverhalt füllt den Ausschließungsgrund des § 138 a Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht aus, da sich aus der Antragsbegründung ein hinreichender Verdacht bezüglich einer Handlung des Verteidigers, die für den Fall der Verurteilung des Angeklagten eine - zumindest versuchte - Strafvereitelung gem. § 258 StGB darstellte, nicht ergibt.

Der Verteidiger durfte die zum Termin geladenen früheren Sachverständigen schon deshalb auf die Folgen einer etwaigen Verletzung der Schweigepflicht hinweisen, weil nach dem mitgeteilten Sachverhalt keinesfalls feststeht, dass ein Verstoß gegen § 203 I Nr. 1 StGB durch die als sachverständige Zeugen geladenen Personen von vorneherein ausscheiden würde.

§ 203 I StGB stellt -in der hier allein in Betracht kommenden Variante der Ziffer 1- das unbefugte Offenbaren eines fremden Geheimnisses durch einen Arzt unter Strafe, das diesem im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. "Geheimnis" im Sinne der Vorschrift ist eine Tatsache, die nur einem einzelnen oder einem beschränkten Personenkreis bekannt ist, deren Kenntnis nach dem Willen des Betroffenen hierauf beschränkt ist und an deren Geheimhaltung der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse hat (vgl. z.B. Münchener Kommentar zum StGB (MK) § 203 Rn 11; Leipziger Kommentar (LK) StGB 10. Auflage § 203 Rn 19; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflage § 203 Rn 3).

Dies ist bei Informationen, die der Sachverständige z.B. zu Anamnese oder zu früheren oder aktuellen Unfallfolgen des Angeklagten im Rahmen der von ihm durchgeführten Untersuchung erlangt hat, ohne weiteres der Fall.

Aber auch Diagnosen unterfallen dem Schutzbereich der Norm (MK, a.a.O. Rn 24; LK a.a.O. Rn 20).

Dass die insoweit von den Sachverständigen im Rahmen der jeweiligen Begutachtung festgestellten Tatsachen bereits offenkundig und damit nicht mehr geheimhaltungsbedürftig wären, ist nicht ersichtlich.

Dem Geheimnisschutz unterliegen allerdings solche Tatsachen nicht (mehr), die allgemein bekannt (offenkundig) sind oder die jedermann ohne weiteres zugänglich sind (BGHZ 40, 289, 292; MK § 203 Rn 16).

Insoweit können auch Tatsachen, die in öffentlicher Verhandlung vor Gericht erörtert worden oder bei der Urteilsverkündung öffentlich bekannt gemacht worden sind, ihren Geheimnischarakter verloren haben (MK a.a.O.).

Hiervon ist jedoch nicht schon dann auszugehen, wenn - wie hier - die Zeugen bereits im Rahmen der "ersten Hauptverhandlung" Angaben in öffentlicher Verhandlung gemacht haben.

Inhalt und Umfang der früheren Aussagen der sachverständigen Zeugen sind nicht im einzelnen bekannt.

Nach der Antragsbegründung wurden die sachverständigen Zeugen im Rahmen ihrer Vernehmungen vor Gericht von den Feststellungen des im Strafverfahren gegen A beauftragten Sachverständigen in Kenntnis gesetzt und insoweit um neue Bewertung ihrer Gutachten gebeten.

Ob diese Neubewertung ihrer früheren Gutachten auch die Preisgabe einzelner persönlichkeitsrelevanter Tatsachen und Untersuchungsbefunde umfasst hat, welche damit ihre Eigenschaft als Geheimnis verloren haben könnten oder sich die Aussage der sachverständigen Zeugen in der Mitteilung des Ergebnisses der Neubewertung erschöpft hat, ist nicht ersichtlich.

Jedenfalls kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die sachverständigen Zeugen im Rahmen ihrer früheren Befragung bereits zu sämtlichen möglicherweise in der erneuten Hauptverhandlung zur Sprache kommenden Tatsachen im Rahmen ihrer früheren Aussage umfassend Stellung genommen haben und deshalb im Rahmen ihrer neuerlichen Aussage keine Tatsachen im Zusammenhang mit der durchgeführten Untersuchung mehr denkbar wären, die dem Geheimnisbegriff des § 203 StGB unterfielen.

Nur dann könnte eine erneute Aussage jedoch von vorneherein aus dem Anwendungsbereich des § 203 StGB herausfallen.

Auch der -zutreffende- Hinweis der Staatsanwaltschaft, dass nur Tatsachen, nicht aber Werturteile dem Schutzbereich des § 203 StGB unterfallen, rechtfertigt keine andere Bewertung.

Selbst wenn sich die Angaben der sachverständigen Zeugen im Rahmen der „ersten Hauptverhandlung“ auf die Mitteilung des Ergebnisses ihrer Neubewertung ohne jede Darlegung von Einzelbefunden beschränkt haben sollten und damit möglicherweise als Werturteil nicht dem Schutzbereich des § 203 StGB unterfallen wäre, besagt dies nichts über den Ablauf der erneuten Hauptverhandlung, in deren Rahmen die sachverständigen Zeugen durchaus zu Angaben aufgefordert werden könnten, welche als Tatsachen dem Schutzbereich des § 203 StGB unterfallen würden.

Insoweit muss es dem Verteidiger unbenommen bleiben, auf die Strafbarkeit einer unbefugten Weitergabe geschützter Informationen im Rahmen der erneuten Hauptverhandlung hinzuweisen.

Ein Einverständnis des Angeklagten mit der Weitergabe der Informationen durch die früheren Sachverständigen im Rahmen der erneuten Hauptverhandlung liegt nicht vor, so dass auch von einer unbefugten Weitergabe von Informationen bei Aussage der als sachverständige Zeugen geladenen Gutachter auszugehen wäre.

Die Weitergabe dieser Informationen an Dritte ist „unbefugt“ und kann daher tatbestandsmäßig im Sinne des § 203 I 1 StGB sein, soweit sie nicht von dem Einverständnis des Geheimnisträgers (hier des Angeklagten) gedeckt ist oder dieser kraft Gesetzes oder gerichtlicher Anordnung zur Duldung der Untersuchung verpflichtet ist (ausführlich hierzu MK § 203 Rn 70 ff; LK § 203 Rn 79).

Einwilligungsfähig ist allein derjenige, auf den sich die geheimhaltungsbedürftige Information bezieht (MK § 203 Rn 55). Wer Auftraggeber der Untersuchung ist oder in wessen Interesse die Untersuchung durchgeführt worden ist, spielt demgegenüber keine Rolle (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, NJW 1960, 1392 m.w.N.; Scholz, NJW 1981, 1987 (1989) für die entsprechende Problematik bei Berufspsychologen).

Lediglich im Umfang des Einverständnisses mit der Begutachtung ist der Sachverständige befugt, sein Gutachten zu erstatten und im erforderlichen Umfang ggf. auch Informationen weiterzugeben (MK § 203 Rn 70).

Grundsätzlich gilt das Einverständnis jedoch nur in dem Verfahren, in dem es erteilt worden ist (BGHSt 38, 369 (371); MK a.a.O. Rn 63; LK a.a.O. ).

Nach dem mitgeteilten Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Sachverständigen den Angeklagten A im Auftrag der Versicherungsgesellschaft untersucht haben.

Die Einwilligung des Angeklagten in die Untersuchung und die Weitergabe von Informationen an die Versicherung im Rahmen der Abwicklung des Versicherungsfalles deckt damit nicht die Weitergabe der im Rahmen der Begutachtung gewonnenen personenbezogenen Informationen durch den Sachverständigen auch im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Angeklagten.

Ob der Angeklagte die Sachverständigen in der „ersten Hauptverhandlung“ von der Schweigepflicht befreit hatte, ist nicht bekannt. Es kommt darauf aber zunächst auch nicht an, denn die Entbindung ist widerrufbar (MK § 203 Rn 70; LK § 203 Rn 66) und der Angeklagte hat sie jedenfalls im Vorfeld der „zweiten Hauptverhandlung“ widerrufen. Daraus folgt, dass die Schweigepflicht wieder auflebt (MK a.a.O.) und die Sachverständigen nunmehr bezüglich ihrer dem Schutzbereich des § 203 StGB unterfallenden Erkenntnisse bei den Untersuchungen zum Schweigen verpflichtet sind.

Ebenso wenig greift die Erwägung der Staatsanwaltschaft, die Sachverständigen seien durch den Angeklagten getäuscht worden und damit Opfer einer Straftat, nämlich des Betruges zum Nachteil der Versicherung, was ihnen die Befugnis gebe, ihre Erkenntnisse zu offenbaren, wenn nur so eine Strafverfolgung des Täters möglich werde.

Das folgt schon daraus, dass die bisherigen Aussagen der Sachverständigen verwertbar bleiben, so dass die Strafkammer nicht gehindert wäre, z.B. Beweis über den Inhalt der Aussagen zu erheben, den die Sachverständigen zu der Zeit und unter den Umständen gemacht haben, als sie von der Schweigepflicht entbunden waren.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO (vgl. Senatsbeschlüsse v. 13.3.1992 – (2) 3 Ws 136/92 (Ausschl.) – u.v. 15.6.1994 – (1) 3 Ws 443/94 (Ausschl.); Meyer-Goßner, a.a.O., § 138 d, Rz. 10).