Hessisches LSG, Urteil vom 21.10.2004 - L 1 KR 737/03
Fundstelle
openJur 2012, 25566
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. Juli 2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Aufnahme als Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Die Klägerin war während ihres Berufslebens „Stationshilfe" in einem Krankenhaus und bezieht seit dem 1. Februar 2001 von der Beigeladenen Altersrente für Frauen. Neben dieser Altersrente bezieht die Klägerin Versorgungsbezüge einer kirchlichen Zusatzversorgungskasse.

Den Rentenantrag hatte die Klägerin am 6. Oktober 2000 gestellt und gleichzeitig eine Meldung zur KVdR bei der Beklagten eingereicht. Die Klägerin, die am 1. April 1956 erstmalig eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte, war überwiegend bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. In der Zeit vom 4. Juli 1978 bis zum 31. Juli 1982 war sie privat (über ihren Ehemann) bei der Debeka krankenversichert.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe keinen Anspruch auf Aufnahme als Mitglied in der KVdR. Nach den gesetzlichen Vorschriften müsse sie von der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zum Tag der Rentenantragstellung mindestens 9/10 der zweiten Hälfte dieses Zeitraumes pflichtversichert gewesen sein. Der für sie maßgebliche Zeitraum laufe somit vom 4. Juli 1978 (Beginn der zweiten Hälfte des Erwerbslebens) bis zum 6. Oktober 2000 (Tag des Rentenantrages). Als anrechnungsfähige Vorversicherungszeiten habe die Klägerin 18 Jahre, 2 Monate und 6 Tage nachgewiesen. Erforderlich wären indessen 20 Jahre, 0 Monate und 16 Tage. Gleichzeitig wies die Beklagte in dem Bescheid auf die Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft hin.

Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, sie halte es für unzumutbar, dass sie, die 37 Jahre lang Mitglied der Beklagten gewesen sei, nunmehr nicht Aufnahme in der KVdR finden könne. Eine Unterbrechung der Mitgliedschaft bei der Beklagten sei nur deswegen eingetreten, weil sie während ihrer Kindererziehungszeiten über ihren Ehemann (einem Beamten) privat versichert gewesen sei. Übergangsweise beantrage sie die Aufnahme als freiwilliges Mitglied. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Vorversicherungszeit sei nicht erfüllt. Die Zeit der privaten Krankenversicherung der Klägerin vom 4. Juli 1978 bis zum 31. Juli 1982 könne auf die Vorversicherungszeit nicht angerechnet werden. Gegen den ihr am 12. April 2001 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 26. April 2001 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben und ihr Begehren auf Aufnahme in die KVdR weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 24. Juli 2003 die Klage abgewiesen und in den Gründen im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20. Dezember 1988 (- GRG - Bundesgesetzblatt I S. 2477). Maßgeblich für die Beurteilung sei der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und daher sei das Gesetz in dieser Fassung anzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluss vom 15. März 2000 Vorschrift § 5 Abs.1 Nr. 11 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21. Dezember 1992 (- GSG - Bundesgesetzblatt I S. 2266) für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) erklärt, soweit Personen, die nach dem 31. Dezember 1993 einen Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gestellt haben, nur dann in der KVdR versichert seien, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraums aufgrund einer Pflichtversicherung versichert gewesen seien. Soweit die Vorschrift mit Art. 3 GG unvereinbar sei, könne sie bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31. März 2002, nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts weiter angewendet werden. Da es innerhalb dieser Frist nicht zu einer gesetzlichen Neuregelung gekommen sei, bestimme sich nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts der Zugang zur KVdR ab dem 1. April 2002 nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. des GRG vom 20. Dezember 1988. Die Klägerin erfülle die nach der betreffenden Vorschrift erforderliche Vorversicherungszeit nicht, da sie nicht in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist zu 9/10 Mitgliedschaftszeiten durch freiwillige oder Pflichtbeiträge zurückgelegt habe. Im Übrigen hätte die Klägerin in der Zeit, als sie sich privat versichern ließ, bereits die Möglichkeit gehabt, eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beantragen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 1. August 2003 zugestellte Urteil am 12. August 2003 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie trägt nunmehr vor, das Sozialgericht sei zu einer falschen Entscheidung gelangt, denn das „Urteil verstoße gegen Art. 3 GG". Zum einen werde sie gegenüber den Versicherten schlechter gestellt, die über kürzere Versicherungszeiten verfügten. Hierbei könne es sich um Versicherte handeln, die zu einem späteren Zeitpunkt in das Erwerbsleben eingetreten oder zu einem früheren Zeitpunkt ausgeschieden seien, die gleichen Unterbrechungszeiten vorweisen würden und insgesamt weniger Beiträge als sie selbst geleistet hätten. Zum anderen sei sie benachteiligt, da sie aufgrund der Zeit ihrer - wirtschaftlich sinnvollen – privaten Krankenversicherung schlechter gestellt sei als andere Versicherte. Eine Benachteiligung, die im Rahmen des Art. 3 zu würdigen sei, ergebe sich weiterhin in geschlechtsspezifischer Hinsicht, da typischerweise Frauen Unterbrechungen ihrer Erwerbsbiographie aufgrund von Erziehungszeiten hätten, und dadurch nicht in die günstige KVdR aufgenommen werden könnten. Schließlich verstoße § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. des GRG vom 20. Dezember 1988 sei zwar geschlechtsneutral formuliert; nach aller Lebenserfahrung seien indes wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen. Für die Verschärfung des Zugangs zur KVdR durch die geforderte Vorversicherungszeit sei indes ein legitimes Ziel nicht ersichtlich. Im Übrigen sei sie zu Beginn der Unterbrechungszeit wegen Kindererziehung von der Beklagten in keiner Weise auf die Möglichkeit hingewiesen worden, sich freiwillig gesetzlich zu versichern. Die Beigeladene hätte sie zudem bei Rentenantragstellung auf die mit Zeitpunkt des Ausscheidens verbundenen negativen Folgen hinsichtlich des Krankenversicherungsschutzes hinweisen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Oktober 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2001 zu verurteilen, sie ab dem 6. Oktober 2000 als Mitglied in der KVdR aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Der Senat hat in einem Erörterungstermin am 27. April 2004 die Klägerin persönlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Niederschrift zur öffentlichen Sitzung vom 27. April 2004 in der Gerichtsakte Bezug genommen. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.

Gründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Marburg ist im Ergebnis zu Recht ergangen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Aufnahme als Mitglied in der KVdR.

Die Klägerin ist als Rentenbezieherin und aufgrund eigener früherer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung weder nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GSG noch aufgrund § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG, welches nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. März 2000 (BVerGE 102, 68) für die Zeit ab dem 1. April 2002 (wieder) anzuwenden ist, Mitglied der KVdR geworden. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid unter Anwendung der in dieser zum Zeitpunkt geltenden Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GSG zutreffend festgestellt, dass die Klägerin in der zweiten Hälfte der maßgebenden Rahmenfrist nicht zu 9/10 in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund einer Pflichtversicherung Mitglied gewesen ist. Das Sozialgericht hat zum Zeitpunkt seiner Entscheidung eine Mitgliedschaft aufgrund der ab 1. April 2002 geltenden Rechtslage nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG geprüft und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin auch unter der nach dieser Vorschrift möglichen Einbeziehung freiwilliger Mitgliedschaftszeiten nicht die erforderliche Vorversicherungszeit erfüllt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit Bezug auf die Gründe im angefochtenen erstinstanzlichen Urteil (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Klägerin kann das von ihr gewünschte Ergebnis der Mitgliedschaft in der KVdR auch nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erreichen.

Das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelt worden und setzt voraus, dass eine Behörde durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln nachteilige Folgen für die Rechtsstellung des Versicherten herbeigeführt hat und dass diese rechtlichen Nachteile durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können. Die Behörde hat dem Versicherten dann grundsätzlich die Rechtsposition einzuräumen, die er gehabt hätte, wenn von Anfang an ordnungsgemäß verfahren worden wäre (BSGE 49, 76).

Vorliegend liegt ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Beklagten durch Verletzung der in §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - SGB I normierten Beratungs- und Auskunftspflichten nicht vor. Der Versicherungsträger muss nur dann, wenn ein konkreter Anlass besteht, z. B. weil er von dem Bürger um Beratung ersucht wurde, diesen auf Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die klar zu Tage treten, also für den Versicherungsträger erkennbar geworden sind und zweckmäßigerweise von jedem vernünftigen Versicherten genutzt werden (BSG, Urteil vom 28. September 1976, BSGE 42, 224 ff.). Ein solcher konkreter Anlass zur Beratung bestand für die Beklagte im Jahre 1975, als die Klägerin wegen ihrer Kinder ihre Arbeit aufgegeben hat, nicht. Zum einen hat die Klägerin in dem Termin am 27. April 2004 angegeben, seinerzeit sei das mit dem Krankenversicherungsschutz sozusagen „automatisch" gelaufen. Sie sei über ihren Ehemann privat versichert worden und wisse nicht, ob sie sich damals noch an die für sie vor der „Kinderzeit" zuständige Krankenkasse gewandt habe. Zum anderen konnte die Beklagte die Klägerin im Jahre 1975 auch noch nicht darauf hinweisen, dass ihr Versicherungsschutz während der Erziehungsjahre Auswirkungen auf eine spätere Versicherung als Rentnerin haben könnte, da die entsprechenden Gesetze noch nicht in Kraft getreten waren. Der von der Klägerin vorgetragene Beratungsfehler durch die Beigeladene, den zuständigen Rentenversicherungsträger (für den die Beklagte unter Umständen einzustehen hätte), liegt ebenfalls nicht vor. Weder hat die Klägerin dargelegt, sie habe die Beigeladene um entsprechende Beratung ersucht, noch musste sich der Beigeladenen bei Rentenantragstellung aufdrängen, dass ein Hinausschieben des Rentenantrages für die Klägerin sinnvoll sein könnte. Zutreffend hat die Beklagte insoweit darauf hingewiesen, dass ihr im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die Vorversicherungszeiten der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bekannt seien. Nach dem Vortrag der Klägerin im Termin am 27. April 2004 ist zudem anzunehmen, dass eine fehlerhafte oder unterlassene Beratung durch die Beigeladene oder die Beklagte nicht kausal dafür geworden wäre, dass die Klägerin den Rentenantrag vor Erfüllung der für eine Mitgliedschaft in der KVdR erforderlichen Vorversicherungszeit gestellt hat. Die Klägerin hat in dem betreffenden Termin behauptet, sie habe sich bei der Beklagten "auch noch einmal" erkundigt, ob ihr bei einer späteren Rentenantragstellung ein Beitritt zur KVdR möglich sei, und die Auskunft erhalten, sie müsse dafür 4 ½ Jahre länger arbeiten. Letzteres habe sie aus gesundheitlichen Gründen nicht gewollt.

Gegen das Erfordernis einer Vorversicherungszeit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG bestehen nach Auffassung des Senats aus den von der Klägerin genannten Gründen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Klägerin ist entgegen ihrem Vortrag durch § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der betreffenden Fassung nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Durch den dort normierten Gleichbehandlungsgrundsatz wird dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das betreffende Grundrecht nur dann, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (BVerfG, Urteil vom 10. November 1998, BVerfGE 99, 165, 177 ff. stRspr). Die von ihr behauptete Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG hat die Klägerin insbesondere mit der konkreten Ausgestaltung der nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG geforderten Vorversicherungszeit begründet. Danach könnten Rentner mit kürzeren Beitragszeiten als sie selbst Mitglied der KVdR werden. Bei gleichen Unterbrechungszeiten und gleichem Zeitpunkt der Rentenantragstellung aber späteren Eintritt ins Erwerbsleben verschiebe sich die zweite Hälfte innerhalb der Rahmenfrist und die nach dem betreffenden Gesetz geforderten 9/10 könnten erfüllt werden. Die dargestellte Ungleichbehandlung ist indes durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG stellt bei der Berechnung der Vorversicherungszeit auf die individuelle Erwerbsbiographie des jeweiligen Rentners ab. Rentner sind grundsätzlich nur dann versichert, wenn sie mindestens 9/10 der zweiten Hälfte „ihres" Erwerbslebens der gesetzlichen Krankenversicherung angehört haben oder als Familienangehörige eines Kassenmitglieds nach § 10 versichert waren. Durch die Zugangsverschärfung in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG wollte der Gesetzgeber den Gedanken der Solidarität stärker als bisher betonen und vermeiden, die Versichertengemeinschaft mit Krankheitskosten von Personen zu belasten, die während der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens der gesetzlichen Krankenversicherung nicht längere Zeit angehört haben (BT-Drucksache 11/2237). Das Kriterium der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft ist dabei eines der Prinzipien, die den Gesetzgeber bei der Einrichtung einer Pflichtversicherung insgesamt leiten und kann ein Anhaltspunkt für die Sachgerechtigkeit einer Grenzziehung mit der Folge unterschiedlicher Beitragslast sein (BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000, a.a.O.). Bei der Verschärfung des Zugangs zur KVdR aus dem gewichtigen Grund der Stabilisierung der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung hätte der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten gehabt. Er hätte für den Zugang zu der Pflichtversicherung auch auf die (absolute) Anzahl der Beiträge bzw. die Dauer der Versicherungszeit abstellen können. Tatsächlich hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Vorversicherungszeit - wie schon ausgeführt – auf die individuelle Erwerbsbiographie abgestellt und zudem den Schwerpunkt auf die zweite Hälfte des individuellen Erwerbslebens gelegt. Nur diejenigen sind als schutzbedürftig einbezogen worden, die nach ihrer individuellen Erwerbsbiographie längere Zeit in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens der Solidargemeinschaft angehört haben. Letzteres erscheint sachgerecht, weil die zweite Hälfte des Erwerbslebens zeitlich näher an den jeweiligen Leistungsfall heranreicht als die erste Hälfte des Erwerbslebens. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre die Regelung indes dann, wenn aufgrund der vorgegebenen Berechnung der Vorversicherungszeit (nach der individuellen Erwerbsbiographie) Personengruppen nicht einbezogen würden, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit auch im Rentenalter bedürfen. Durch die in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG getroffene Regelung können aber gerade auch Versicherte mit kürzerer Versicherungszeit in den Schutzbereich der KVdR einbezogen werden.

Die getroffene Regelung ist unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen einer Regelung vorzuziehen, die auf die absolute Anzahl der Versicherungsjahre bzw. Beiträge abstellt. Im Übrigen ist schon nach der gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung durch das Krankenversicherungs Kostendämpfungsgesetz vom 27. Juni 1977 für den Zugang zur KVdR erforderlichen „Halbbelegung" das individuelle Erwerbsleben des jeweiligen Rentners maßgeblich gewesen.

Hinsichtlich des Erfordernisses der sog. „Halbbelegung" hat das Bundesverfassungsgericht (allerdings unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG) keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben (BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1985, BVerfGE 69, 272, sowie Urteil vom 25. März 1986, BVerfGE 72, 84).

Für die verfassungsrechtliche Bewertung ist im Übrigen von Gewicht, dass Personengruppen wie die Klägerin beim Ausschluss von der KVdR nicht ohne Krankenversicherungsschutz sind, sondern den Versicherungsschutz im Rahmen des freiwilligen Beitrittsrechts fortführen können (BSG, Urteil vom 3. September 1998, Die Beiträge Beilage 1999, 201-205; BVerfG, Urteil vom 3. April 2001, BVerfGE 103, 225). Der Ausschluss aus dem Kreis der pflichtversicherten Rentner ist nur mit finanziellen Belastungen verbunden, sofern im Rentenalter auch andere Einkünfte als gesetzliche Renten bezogen werden. Er bewirkt über § 240 SGB V sowie § 248 SGB V in der bis zum 31. Dezember geltenden Fassung, dass freiwillig Versicherte bei geringen Einkünften gegebenenfalls einen Mindestbeitrag leisten müssen, ihre Beiträge auch auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus dem Vermögen erhoben werden und dass die Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen mit dem vollen und nicht nur mit dem halben Beitragssatz belastet sind. Durch § 248 SGB V in der Fassung durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (- GMG - BGbl. I S. 2189) hat der Gesetzgeber im Übrigen mit Wirkung zum 1. Januar 2004 die unterschiedliche beitragsrechtliche Belastung der pflichtversicherten und freiwillig versicherten Rentner angeglichen.

Auch pflichtversicherte Rentner werden nunmehr hinsichtlich ihrer Einkünfte aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen mit dem vollen Beitragssatz und nicht wie bisher mit dem halben Beitragssatz belastet.

Bei der Klägerin, bei der als beitragspflichtige Einnahmen ihre Altersrente der LVA Hessen sowie eine kirchliche Versorgungsrente zugrunde zu legen sind, ergibt sich somit eine Mehrbelastung im Vergleich zu einem Mitglied der KVdR nur noch im Hinblick auf den von ihr in der Zeit vom 6. August 2000 bis zum 31. Dezember 2003 - mehr - zu tragenden Beitrag aus den Versorgungsbezügen.

Der Einwand der Klägerin, sie sei durch die Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG geschlechtsspezifisch benachteiligt und dadurch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG gegeben, trifft ebenfalls nicht zu. Zutreffend ist der Vortrag der Klägerin zwar insoweit, als Lücken in der Erwerbsbiographie durch Erziehungsjahre überwiegend Frauen betreffen, und zwar Frauen im Alter der Klägerin, bei denen die Elternzeit noch nicht das Fortbestehen der Mitgliedschaft zur Folge gehabt hat (vgl. § 192 SGB V in der ab dem 1. Januar 1992 geltenden Fassung). Andererseits hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG dem Schutzbedürfnis der Versicherten, die Erziehungsarbeit leisten, Rechnung getragen, indem er bestimmt hat, die 9/10 in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens könnten auch durch Zeiten als Familienangehörige eines Kassenmitglieds nach § 10 SGB V erfüllt werden. Die Tatsache, dass die Klägerin weder als freiwilliges Mitglied noch als Familienangehörige eines Kassenmitglieds in den Erziehungsjahren der gesetzlichen Krankenversicherung angehört hat, sondern vielmehr privaten Versicherungsschutz über ihren verbeamteten Ehemann in Anspruch genommen hat, führt gerade dazu, sie typischerweise für nicht schutzbedürftig zu halten.

Schließlich verstößt § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995, NJW 1996, 445) stellt eine nationale Regelung keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der betreffenden Richtlinie dar, selbst wenn sie erheblich mehr Frauen als Männer betrifft, wenn der nationale Gesetzgeber in vertretbarer Weise davon ausgehen konnte, dass die fraglichen Rechtsvorschriften erforderlich waren, um ein sozialpolitisches Ziel zu erreichen, das mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nichts zu tun hat. Wie oben dargelegt, dient die Verschärfung des Zugangs zur KVdR durch § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.d.F. durch das GRG allein dem legitimen Ziel der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft, das nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die gesellschaftlichen Veränderungen, die eine andere Bewertung der Berufstätigkeit von Frauen und der Ableistung von Erziehungsarbeit erfordern, in verschiedenen Vorschriften des Sozialgesetzbuches ihren Niederschlag gefunden haben. Auf der einen Seite wird Erziehungsarbeit in den Sozialversicherungssystemen verstärkt berücksichtigt.

Auf der anderen Seite sind aufgrund der geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse inzwischen auch Privilegien für berufstätige Frauen entfallen, wie die Möglichkeit der Altersrente für Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres nach § 39 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI, welche die Klägerin aufgrund ihres Alters noch in Anspruch nehmen konnte (vgl. § 237a SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Revision wird im Hinblick auf die von der Klägerin vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).