OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.01.2004 - 20 W 390/03
Fundstelle
openJur 2012, 24796
  • Rkr:
Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 29. September 2003 wird aufgehoben.

Die außerordentliche Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 14. Oktober 2002 wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1) ist als Berufsbetreuerin u.a. mit dem Aufgabenkreis der Sorge für die Gesundheit bestellt. Nachdem die Betreuerin einen Vergütungsantrag eingereicht hatte, beanstandete die Beteiligte zu 2) die geltend gemachten Aufwendungen und Vergütung für die Begleitung der Betroffenen zu einigen Arztterminen und wies darauf hin, dass die Betreuerin die Begleitung zu Arztbesuchen grundsätzlich nur zu organisieren, aber nicht selbst durchzuführen habe, wovon Ausnahmen nur bei Erstbesuchen oder wenn dies zur Unterrichtung des Betreuers über den Gesundheitszustand und die Therapie unerlässlich sei, in Betracht kämen. Darauf beantragte die Betreuerin mit Schreiben vom 13. Oktober 2002 beim Amtsgericht, die Betreuung auf die Begleitung zur ärztlichen Behandlung zu erweitern und führte zur Begründung aus, die betagte Betroffene habe große Angst vor Arztbesuchen und könne krankheitsbedingt die Anweisungen des Arztes nicht mehr verstehen und umsetzen. In der Vergangenheit von ihr organisierte Arztbesuche habe die Betroffene strikt abgelehnt und nicht wahrgenommen. Nur nach längerer Überredung und bei persönlicher Begleitung sei sie in der Lage, die Betroffene der notwendigen ärztlichen Behandlung und Überwachung zuzuführen.

Der Vormundschaftsrichter des Amtsgerichts erließ daraufhin unter dem 14. Oktober 2002 einen Beschluss wonach „der Aufgabenkreis “Sorge für die Gesundheit der Betroffenen“ aus aktuellem Anlass dahingehend präzisiert wird, dass er auch die Begleitung der Betroffenen zu notwendigen Arztbesuchen umfasst“.

Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts setzte mit Beschluss vom 13. Dezember 2002 unter Bezugnahme auf diese richterliche Entscheidung die beantragte Vergütung für die Begleitung der Betroffenen zu sämtlichen abgerechneten Arztterminen fest. Hiergegen hat die Beteiligte zu 2) sofortige Beschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde.

Zugleich legte die Beteiligte zu 2) gegen den richterlichen Beschluss vom 14. Oktober 2002 Rechtsmittel ein, soweit damit mittel- oder unmittelbar vergütungsrechtliche Fragen betroffen seien.

Das Amtsgericht beschloss am 31. Januar 2003, der Beschwerde der Beteiligten zu 2) nicht abzuhelfen und legte die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vor.

Nach Anhörung der Betreuerin hob das Landgericht mit Beschluss vom 29. September 2003 den Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 14. Oktober 2002 auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, zwar stehe der Staatskasse gegen den angefochtenen Beschluss, mit welchem der Aufgabenkreis der Betreuerin erweitert worden sei, grundsätzlich kein Beschwerderecht zu. Das Rechtsmittel sei jedoch als außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit ausnahmsweise zulässig.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Betreuerin mit der am 28. Oktober 2003 eingelegten weiteren Beschwerde.

II.

Die weitere Beschwerde ist gemäß §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 4, 21 Abs. 1 und 2 FGG zulässig. Die Beschwerdeberechtigung der Betreuerin ergibt sich aus § 69 g Abs. 2 Satz 1 FGG, da die angefochtene Entscheidung deren Aufgabenkreis betrifft (vgl. Keidel/Kayser, FGG, 15. Aufl., § 69 g Rn. 21; OLG Hamm FGPrax 2000, 192).

Die weitere Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Verwerfung der von der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 14. Oktober 2002 eingelegten außerordentlichen Beschwerde als unzulässig.

Das Landgericht hat das Rechtsmittel der Staatskasse gegen den Beschluss des Vormundschaftsrichters, wonach der Aufgabenkreis der Sorge für die Gesundheit der Betroffenen auch deren Begleitung durch die Betreuerin zu notwendigen Arztbesuchen umfassen soll, als außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit für zulässig erachtet und zur Begründung ausgeführt, eine Begleitung zu Arztbesuchen könne nur in Ausnahmefällen zur rechtlichen Besorgung der rechtlichen Angelegenheiten des Betroffenen im Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge notwendig und deshalb vergütungsfähig sein, wie etwa bei Erstbesuchen oder zur unerlässlichen Unterrichtung des Betreuers über den Gesundheitszustand oder die Therapie. Hiermit sei die Beauftragung der Betreuerin zur Begleitung bei allen für die Betroffene notwendigen Arztbesuchen ohne nähere Differenzierung nicht vereinbar und greifbar gesetzwidrig. Diese Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts im Sinne der §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

Die Entscheidung des Amtsgerichts beinhaltet der Sache nach eine Konkretisierung und Erweiterung des der Betreuerin bisher allgemein übertragenen Aufgabenkreises der Gesundheitsfürsorge auf die Begleitung der Betroffenen zu notwendigen Arztterminen. An der Aufhebung dieser Entscheidung war das Landgericht gehindert, da die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatskasse unzulässig war und dem Beschwerdegericht damit eine Entscheidungskompetenz in der Sache nicht zufiel.

Wie sich aus §§ 69 g Abs. 1 Satz 1, 69 i Abs. 1 FGG ergibt, steht der Staatskasse eine generelle Beschwerdeberechtigung zur Anfechtung der Betreuerbestellung und der Erweiterung der Aufgabenkreise nicht zu. Ein Beschwerderecht wird dem Vertreter der Staatskasse nach § 69 g Abs. 1 Satz 2 FGG nur für den Sonderfall zugebilligt, dass er geltend macht, die Betreuung könne statt durch einen Berufsbetreuer durch eine oder mehrere andere geeignete ehrenamtliche Betreuer erfolgen. Ein darüber hinausgehendes Beschwerderecht, das sich auf die Auswahl oder Erweiterung der Aufgabenkreise des Betreuers bezieht, wird der Staatskasse im Rahmen der betreuungsrechtlichen Vorschriften nicht eingeräumt. Es ergibt sich auch nicht aus der allgemeinen Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 FGG. Zwar wirkt sich im Falle der Mittellosigkeit des Betroffenen die Erweiterung des Aufgabenkreises eines Berufsbetreuers auf die Höhe der von der Staatskasse zu tragenden Vergütung aus. Hierbei handelt es sich aber lediglich um die allgemeine Aufgabenerfüllung des Staates, die sich als Folge der gerichtlichen Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers und den Umfang der ihm zugewiesenen Aufgabenkreise aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt. Die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen der Staatskasse unter diesem Gesichtspunkt kann in Übereinstimmung mit der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, BtPrax 2001, 261; BayObLG BtPrax 2001, 204) nicht als ausreichend für eine Rechtsbeeinträchtigung im Sinne des § 20 Abs. 1 FGG angesehen werden. Dies steht auch im Einklang mit der Intention des Gesetzgebers, der ersichtlich nicht von einem Beschwerderecht der Staatskasse gegen sämtliche Entscheidungen im materiellen Betreuungsrecht mit vergütungsrechtlichen Folgen ausging, sondern – wie in § 69 g Abs. 1 Satz 2 FGG - der Staatskasse ein eigenes Beschwerderecht nur unter bestimmten und gesetzlich näher konkretisierten Voraussetzungen einräumen wollte (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 50, 57). Somit steht ein Beschwerderecht gegen die Entscheidung des Amtsgerichts über die Erweiterung des Aufgabenkreises zwar gemäß § 20 Abs. 1 FGG der rechtlich unmittelbar Betroffenen und aufgrund der gesetzlich ausdrücklich eingeräumten Befugnis gemäß § 69 g Abs. 2 Satz 1 FGG der Betreuerin zu, mangels eigener Rechtsbeeinträchtigung aber nicht der Staatskasse.

Über deren fehlende Beschwerdeberechtigung durfte sich das Landgericht auch nicht unter Rückgriffe auf die Grundsätze der außerordentlichen Beschwerde hinwegsetzen. Zwar war bis zum Inkrafttreten der Zivilprozessreform nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass unanfechtbare Entscheidungen dann ausnahmsweise mit einer im Gesetz nicht vorgesehenen außerordentlichen Beschwerde angegriffen werden können, wenn eine greifbare Gesetzwidrigkeit gegeben ist (vgl. BGHZ 109, 41/43 = NJW 1990, 840; BGHZ 119, 372 = NJW 1993, 135; BayObLG NJW-RR 1998, 1047; OLG Frankfurt am Main FGPrax 1997, 200).

Nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes hat der BGH im Zivilprozess eine derartige außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit nicht mehr für statthaft erachtet (vgl. BGH MDR 2002, 901), weil der Gesetzgeber sich in Kenntnis der bisherigen Problematik auf die Schaffung einer Abhilfemöglichkeit für das entscheidende Gericht selbst durch § 321 a ZPO entschieden und bewusst davon abgesehen habe, eine dem Revisionsrecht vergleichbare Korrektur für derartige Fehler zu schaffen. Für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist das Bundesverwaltungsgericht dieser Auffassung des BGH gefolgt (vgl. BVerwG NJW 2002, 2657).

Sowohl diese neue Gesetzeslage, als auch Gründe der Vergleichbarkeit und Praktikabilität sprechen dafür, diese Grundsätze auch auf die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu übertragen (so auch BayObLG FGPrax 2002, 218 und 271; OLG Köln NJW-RR 2003, 374 und OLG Report Köln 2003, 228). Dies kann für den vorliegenden Fall jedoch dahingestellt bleiben. Denn auch nach den vor dem Inkrafttreten der Zivilprozessreform geltenden Grundsätzen erweist sich die außerordentliche Beschwerde hier als unstatthaft.

Zum einen war es Sinn und Zweck der außerordentlichen Beschwerde, dem durch eine mit der Rechtsordnung unvereinbare Entscheidung nachteilig Betroffenen die Korrektur durch das übergeordnete Instanzgericht zu eröffnen und damit das Vertrauen rechtssuchender Bürger in die Rechtsprechung und deren grundgesetzliche Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG zu schützen. Deshalb war anerkannt, dass verfahrensrechtliche Voraussetzung der außerordentlichen Beschwerde eine Rechtsbeeinträchtigung des Beschwerdeführers sein muß (vgl. Keidel/Kahl, FGG, 15. Aufl., § 19 Rn. 39). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, in welchem eine Beschwerdeberechtigung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zwar für die übrigen Verfahrensbeteiligten, mangels eigener Rechtsbeeinträchtigung aber der Staatskasse gerade nicht eingeräumt ist.

Zum anderen liegt auch eine greifbare Gesetzwidrigkeit im Sinne der bisherigen Rechtsprechung und Literatur nicht vor. Hierzu genügt nicht ein Verstoß gegen eindeutiges materielles Recht oder die Verfahrensvorschriften. Vielmehr war Voraussetzung für eine solche greifbare Gesetzwidrigkeit, dass die Entscheidung jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd also schlechthin unvereinbar mit der geltenden Rechtsordnung ist. Dabei handelte es sich um Ausnahmefälle, in denen es darum ging, eine Entscheidung zu beseitigen, die mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, so dass die Zulassung des Rechtsmittels erforderlich war, um krasses Unrecht zu beseitigen (vg. BGH NJW-RR 1986, 1263; BVerfG FamRZ 1991, 295; BayObLG NJW-RR 1998, 1007, 1047; OLG Frankfurt am Main, FGPrax 1997, 200). Hiernach kann von einer greifbaren Gesetzwidrigkeit des von der Beteiligten zu 2) mit der außerordentlichen Beschwerde angegriffenen Beschlusses nicht ausgegangen werden. Zwar ist dieser Beschluss bereits in verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlerhaft, weil er als unwesentliche Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuerin ohne die gemäß § 69 i Abs. 1 Satz 2 FGG erforderliche vorherige Anhörung der Betroffenen erging. Auch in materieller Hinsicht erscheint es bedenklich, durch Einbeziehung in den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge über die Notwendigkeit der Begleitung durch die Betreuerin zu sämtlichen Arztterminen, die sich an dem Kriterium der rechtlichen Besorgung der Angelegenheiten der Betroffenen zu orientieren hat, vorab pauschal zu entscheiden. Allerdings bleibt es dem Vormundschaftsrichter vorbehalten, wie konkret er die einzelnen Aufgabenkreise des Betreuers bezogen auf den jeweiligen Betreuungsfall abfassen will. Die Frage der Erforderlichkeit der Begleitung eines Betroffenen zu Arztbesuchen durch den Betreuer lässt sich nicht generell oder nach schematischen Vorgaben beantworten, sondern bedarf einer Entscheidung, die an den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles auszurichten ist. Bereits hieraus ergibt sich, dass es nicht als greifbar gesetzwidrige Entscheidung eingestuft werden kann, wenn der Vormundschaftsrichter einem Betreuer für einen bestimmten Betroffenen die Aufgabe der Begleitung zu Arztbesuchen konkret zuweist.