OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 06.01.2004 - 25 W 78/03
Fundstelle
openJur 2012, 24793
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß der 7. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Kassel vom 13. November 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf bis zu 1.250 € festgesetzt.

Gründe

Der Kläger, vertreten durch seinen in O1 residierenden Anwalt, hat eine vom 5.11.2003 datierende Klage auf Zahlung eines Restkaufpreises von 23.500 € für ein Wohnmobil an das Landgericht Kassel gerichtet und am 5.11.2003 zur Post gegeben. Ausweislich des Posteingangsstempels ging die Klageschrift am 7.11.2003 beim Landgericht Kassel ein. Mit Schreiben vom 11.11.2003, bei Gericht eingegangen am 12.11.2003, nahm der Kläger die Klage zurück. Zu diesem Zeitpunkt war eine Zustellung der Klageschrift noch nicht erfolgt und auch vom Kammervorsitzenden noch nicht verfügt worden. In dem Schriftsatz, in dem der Kläger seine Klage zurücknahm, stellte er den Antrag, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreites nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO aufzuerlegen; der – zuvor mehrfach vergeblich gemahnte – Beklagte habe die Klagesumme am Abend des 5.11.2003 gezahlt, nachdem die Klageschrift bereits zur Post gegeben gewesen sei. Klage, Rücknahmeerklärung und Kostenantrag wurden in der Folge dem Beklagten nicht zugestellt.

Durch Beschluß vom 13.11.2003 hat das Landgericht den Kostenantrag des Klägers zurückgewiesen; die Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO könne auf Fälle der Erledigung vor Anhängigkeit der Klage nicht angewendet werden.

Mit der sofortigen Beschwerde macht der Kläger geltend, die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO müsse zu seinen Gunsten Anwendung finden, da die Klageschrift sich zum Zeitpunkt der Zahlung des Beklagten schon auf dem Transport zum Gericht befunden habe und, unbeeinflußt war durch ihn, alsbald dem Gericht zugegangen sei. Wenn der Normzweck des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO der Gedanke der Prozeßökonomie sei und eine unnötige Befassung des Gerichts und des Gegners mit dem Prozeßstand vermeiden solle, sei die Anwendung der Vorschrift auch auf die Fälle gegeben, bei denen, wie vorliegend, die Erledigung vor Anhängigkeit eintrete.

Die dem Senat nach Nichtabhilfe durch das Landgericht zur Entscheidung vorgelegte sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 269 Abs. 5 ZPO). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

Das Landgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO dem Beklagten aufzubürden. Diese Vorschrift setzt nämlich voraus, daß der Anlaß zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und die Klage unverzüglich zurückgenommen worden ist. Im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und bei sachgerechter Auslegung kann die Vorschrift nur auf den Zeitraum der Erledigung der Klage zwischen der Anhängigkeit bei Gericht und der Rechtshängigkeit der Klage bezogen werden.

Durch die Neuregelung der Kostenfolgen der Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 ZPO in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung der Zivilprozeßordnung sollten insbesondere die Fälle befriedigender gelöst werden, in denen „der Anlaß für die Klageerhebung – etwa durch Zahlung des eingeklagten Betrages - zwischen Einreichung und Zustellung der Klage, mithin vor Rechtshängigkeit weggefallen ist“ (BT-Drucksache 14/4722). In diesen Fällen war nach früherem Recht die Kostenlast für den die Klage zurücknehmenden Kläger zunächst kaum vermeidbar, auch wenn er einen materiellen Kostenerstattungsanspruch (etwa aus Verzug) gegen den Beklagten hatte. Bei dieser Konstellation sollte mit der Gesetzesneufassung „dem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch Rechnung (getragen werden), ohne daß ein neues Verfahren erforderlich“ sei. Allerdings kann auch in diesen Fällen nur die förmliche Zustellung der Klage an den Beklagten entfallen, nicht aber die schlichte Übersendung von Klageschrift, Rücknahmeerklärung und Kostenantrag an den Beklagten, da anderenfalls dem Beklagten das rechtliche Gehör entzogen (zutreffend OLG Dresden, Beschluß vom 17.3.2003, 19 W 50/03 in: Juris KORE 410 342 003) und auch dem Gericht eine zutreffende „Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes“ - wie sie § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO erfordert - nicht möglich wäre.

Die von der Gesetzgebungsgeschichte nahe gelegte Beschränkung des Anwendungsbereiches der neuen Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf den Zeitraum zwischen der Einreichung der Klage bei Gericht („Anhängigkeit“, vgl. Zöller-Greger, ZPO, 24. Aufl., § 253 Rdn. 4) und Zustellung der Klageschrift an den Beklagten („Rechtshängigkeit“, § 253 Abs. 1 ZPO) ist auch von der Sache her angemessen, weil es gerechter erscheint, die Kostenfolgen der Risiken der Verzögerung der Zustellung nach Anhängigkeit, soweit der Kläger auf diese Verzögerung keinen Einfluß hat (wenn die Klage also trotz Vorliegens aller Zustellungsvoraussetzungen nicht sogleich zugesellte wird), gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO entsprechend dem materiellen Sach- und Streitstand zu verteilen. Demgegenüber liegt es für die Zeit vor der Anhängigkeit der Sache bei Gericht grundsätzlich in der Entscheidung des Klägers selbst, ob, wann und wie er die Sache anhängig macht. Will er das Risiko einer Erledigung der Klage während der Postlaufzeit seiner zur Post gegebenen Klage bis zum Eingang bei Gericht vermeiden, kann er seine Klage persönlich bei Gericht einreichen. Jedenfalls erscheint es nicht unbillig, das Risiko der Erledigung der Sache bis zum Eingang der Klageschrift bei Gericht allein dem Kläger aufzubürden, von dessen Willen die Einreichung und ihre Modalitäten allein abhängen.

Hinsichtlich des auf die Postlaufzeit von in der Regel allenfalls zwei Tagen begrenzten Restrisikos der Erledigung der Klage zwischen Aufgabe zur Post und Eingang bei Gericht ist der Kläger daher auf die Geltendmachung materiell rechtlicher Kostenerstattungsansprüche außerhalb des anhängigen Verfahrens zu verweisen.

Soweit gelegentlich die Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch auf die Zeit vor der Anhängigkeit der Sache erstreckt wird, vermag der Senat dem aus den dargestellten Gründen nicht zu folgen. Wenn Foerste (Musielak, ZPO, 3. Aufl., Rdn. 13 zu § 269; dem folgend: Zöller-Greger, ZPO, 24. Aufl., Rdn. 8 a zu § 269) argumentiert, der Normzweck verlange diese Analogie, weil es Erledigungen vor Anhängigkeit geben könne, die dem Kläger „damals“ (bei Eintritt der Anhängigkeit) nicht erkennbar waren, führt dieses Argument jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zur Anwendbarkeit der Vorschrift. Da es für die Anhängigkeit der Klage nicht auf die Aufgabe der Klageschrift zur Post, sondern auf ihren Eingang bei Gericht ankommt – dieser Zeitpunkt fiel hier auf den 7.11.2003 - wurde die Klage tatsächlich erst anhängig, als der Kläger bereits Kenntnis von der Erledigung durch Erfüllung hatte, denn der Beklagte erfüllte vorliegend unstreitig am Abend des 5.11. 2003.

Soweit das Landgericht Düsseldorf (NJW-RR 2003, 213, 214) Foerstes Ansatz folgend darauf abstellen will, ob „der Kläger schon vor Anhängigkeit klaglos gestellt ist, dies aber ohne sein Verschulden nicht weiß und deshalb Klage erhebt“, begründet dies vorliegend ebenfalls nicht die Anwendbarkeit der Vorschrift. Der Kläger wußte nämlich am 5.11.2003, also vor Anhängigkeit (eingetreten am 7.11.2003), daß erfüllt worden war; erhoben wurde die Klage vorliegend ohnehin niemals.

Der zur Rechtfertigung der Vorverlegung der Anwendbarkeit des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf die Zeit vor Anhängigkeit von Foerste und dem Landgericht Düsseldorf (jeweils a.a.O.) angeführte Grund, dem Gericht wie dem Gegner solle „unnötige Befassung“ mit der Sache erspart bleiben, überzeugt von vornherein nicht. Denn eine von der Regel des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO - wonach die Klagerücknahme regelmäßig zur Kostenlast des Klägers führt - § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO setzt immer rechtliches Gehör des Beklagten - also jedenfalls die Mitteilung der Schriftsätze des Klägers und die Eröffnung der Möglichkeit einer Reaktion des Beklagten hierauf- sowie eine Prüfung des Sach- und Streitstandes des Gerichts im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung voraus.

Nach alledem ist für eine Entscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO Raum, wenn die Erledigung im Zeitraum zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit liegt (vgl. OLG Dresden, Beschluß vom 17.3-2003, 19 W 50/03, Juris: KORE 410 342 003; OLG Brandenburg MDR 2003, 951, 952; LG Bremen, Beschluß vom 21.3.2003, 1 T 166/03 , Juris: KORE 428 292 003; vgl. auch OLG Koblenz in NJW 2003, 3281), nicht aber, wenn – wie hier - die Erledigung bereits vor Anhängigkeit der Sache bei Gericht eingetreten ist.

Da der Kläger mit seinem Rechtsmittel ohne Erfolg bleibt, hat er dessen Kosten nach § 97 ZPO zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist gemäß § 3 ZPO festgesetzt worden.