FG Kassel, Urteil vom 02.04.2003 - 11 K 4715/00
Fundstelle
openJur 2012, 24166
  • Rkr:
Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger mit den von ihm erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensteuer zu veranlagen ist, obwohl die Einkommensteuererklärung 1997 erst nach Ablauf der Frist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG bei dem beklagten Finanzamt einging.

Der Kläger ist als Rechtsanwalt im Angestelltenverhältnis auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes tätig. Für die Vorjahre (1994 - 1996) erfolgten zur Berücksichtigung von Verlusten aus Kapitalvermögen und selbstständiger Arbeit (1994 u. 1995) auf jeweils fristgerechten Antrag Veranlagungen nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG. Für das Streitjahr 1997 wurden dem Kläger im Rahmen der allgemeinen Versendung von Erklärungsvordrucken die Vordrucke für die Einkommensteuer übersandt. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1996 kam es zu einem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten. Auf Anfrage des Finanzamtes erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Februar 1999, dass er weder in 1997, noch in 1998 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit bezogen habe. Am 23.03.1999 drohte das beklagte Finanzamt zur Abgabe der Einkommenssteuer- und Umsatzsteuererklärung 1997 ein Zwangsgeld an.

Am 6.03.2000 ging beim Finanzamt die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1997 ein. Diesen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG lehnte das beklagte Finanzamt am 15.03.2000 mit der Begründung ab, dass er nicht innerhalb der Zweijahresfrist, die mit Ablauf des 31.12.1999 endete (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG), gestellt wurde. Hiergegen hat der Kläger am 7.04.2000 -erfolglos- Einspruch eingelegt und wegen der Versäumnis der Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt.

Der Kläger ist der Auffassung, er sei ohne Verschulden gehindert gewesen, den Antrag auf Veranlagung fristgerecht zu stellen, da ihm die Antragsfrist unbekannt gewesen sei und er aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des Finanzamtes keinen Anlass gesehen habe, sich über den Lauf irgendwelcher Fristen, soweit sie von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich erwähnt wurden, zu informieren. In der Zwangsgeldandrohung seien als mögliche Konsequenzen nur die Festsetzung des Zwangsgeldes und die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen genannt. Das Finanzamt habe das Zwangsgeldverfahren stillschweigend eingestellt, nachdem es erfahren hatte, dass der Kläger keine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit erzielt hatte. Der Kläger hätte hierüber in Kenntnis gesetzt und über die laufende Ausschlussfrist informiert werden müssen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides und der Einspruchsentscheidung dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren und zur Einkommensteuer 1997 zu veranlagen.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es ist der Auffassung, der Kläger habe die Antragsfrist schuldhaft versäumt. Eine Wiedereinsetzung sei damit ausgeschlossen. Bei berufsmäßigen Vertretern begründe die mangelnde Kenntnis über verfahrensrechtliche Fristen grundsätzlich einen Verschuldensvorwurf. Bei Übersendung der Lohnsteuerkarte und der Erklärungsvordrucke werde in den beiliegenden Broschüren und Anleitungen auf die Ausschlussfrist hingewiesen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat die im Streitfall am 31.12.1999 abgelaufene Ausschlussfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG für die Abgabe seiner Einkommensteuererklärung 1997 zur Überzeugung des Senats schuldlos versäumt. Der Beklagte hat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und ist verpflichtet, die Einkommensteuer-Veranlagung für 1997 durchzuführen.

Ab dem Veranlagungszeitraum 1996 sind die die Durchführung eines Veranlagungsverfahrens zur Einkommensteuer auslösenden Einkommensgrenzen des § 46 Abs. 2 EStG 1995 als entbehrlich angesehen worden und durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11.10.1995 (BStBl I 1995, 438) entfallen. Es besteht ab diesem Zeitpunkt nur noch die 800,- DM - Einkunftsgrenze nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG 1996. Sind die Voraussetzungen einer "Amtsveranlagung" nach dieser Vorschrift nicht erfüllt, findet eine Veranlagung nur auf Antrag statt (46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 EStG). Der Antrag ist bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen.

Bei der Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG handelt es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, die nicht nach behördlichem Ermessen verlängerbar ist. Geht die Einkommensteuererklärung nicht in der vorgeschriebenen Form fristgerecht beim Finanzamt ein, kann sie nur noch berücksichtigt werden, wenn dem Steuerpflichtigen gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, weil er ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten.

Im Streitfall hat der Kläger für den Senat glaubhaft versichert, die Frist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG nicht gekannt zu haben. Er hat sich damit in einem Irrtum über die Ausschlussfrist selbst befunden. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum über eine Ausschlussfrist selbst ist, anders als ein Irrtum über das Wesen einer Ausschlussfrist oder über materielles Recht, einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugänglich (BFH-Urteil vom 3.7.1986 IV R 133/84 in BFH/NV 1986, 717 und Verfügung der OFD Frankfurt/M. vom 5.4.2000 in DStZ 2000, 573).

Es kann dahingestellt bleiben, ob bei der Prüfung der Frage, ob der Steuerpflichtige die Antragsfrist nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG unverschuldet versäumt hat, im Hinblick auf die "Anleitung zur ESt-Erklärung" ein strenger Maßstab anzulegen ist ( so OFD Frankfurt/M. a.a.O., anders FG Köln Urteil vom 24. Oktober 2000 8 K 1839/00, EFG 2001, 755). Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls ist die eingetretene Fristversäumnis jedenfalls als unverschuldet zu bewerten.

Dabei gereicht es dem Kläger nicht zum Nachteil, dass er Volljurist ist. Bei einem "Berufsjuristen" (so BFH-Urteil vom 22.5.1992 VI R 17/91 in BStBl II 1993, 80 m.w.N.) kann nicht von vornherein unterstellt werden, dass er insbes. steuerliche Vorschriften betr. materielles und formelles Recht zu kennen bzw. sich entsprechend zu informieren hat. Dies gilt nur bei auf dem Gebiete des Steuerrechts tätigen berufsmäßigen Vertretern (BFH-Urteil vom 10. August 1988, IX R 219/84, BStBl. II 1989, 131). Zu diesem Personenkreis zählt der auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes tätige Kläger jedoch nicht.

Für die Frage des Verschuldens kommt indes dem Verhalten des Finanzamtes bis zum Ablauf der Frist eine entscheidende Bedeutung zu. Wegen der Veranlagung für die Vorjahre standen der Kläger und das Finanzamt im Schriftverkehr, wobei der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Februar 1999 mitteilte, dass er weder in 1997, noch in 1998 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit bezogen habe. Damit stand fest, dass kein Grund mehr für eine Amtsveranlagung bestand. Dennoch drohte das beklagte Finanzamt am 23.03.1999 zur Abgabe der Einkommenssteuer- und Umsatzsteuererklärung 1997 ein Zwangsgeld an. In dieser Verfügung wird die Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung ausdrücklich hervorgehoben. Als Sanktion werden die Festsetzung eines Zwangsgeldes und die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, nicht aber ein Ausschluss vom Veranlagungsverfahren angedroht. Selbst wenn also der Kläger die Anleitung zur Steuererklärung zur Kenntnis genommen hätte, so wären doch die dortigen allgemein gehaltenen Ausführungen aus der Sicht des Klägers überlagert durch das Verhalten des Finanzamtes im Einzelfall unter Kenntnis der maßgeblichen Verhältnisse.

Die Zwangsgeldandrohung führt also im Streitfall zu dem Ergebnis, dass die Fristversäumnis als unverschuldet anzusehen und daher dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Finanzgerichtsordnung ( FGO ).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der dem Finanzamt auferlegten Kosten folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. § 155 FGO, §§ 708 Nr.10, 711 Zivilprozessordnung.