OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 07.12.2001 - 24 U 188/99
Fundstelle
openJur 2012, 23194
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 26.08.1999 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.494,49 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 16.10.1998 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte ist mit 11.494,49 DM beschwert.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist begründet. Er kann von der beklagten Bank Auszahlung des umstrittenen Teils aus seinem - früheren - Guthaben verlangen; die beklagte Bank hat die Summen, die im Zeitraum vom 17. bis zum 31.08.1998 an Geldautomaten in Südfrankreich dem äußeren Bilde nach vom Konto des Beklagten abgehoben wurden, zu Unrecht zu dessen Lasten verbucht.

1.

Der den umstrittenen Buchungen zu Grunde liegende Girovertrag ist ein auf Geschäftsbesorgung gerichteter Dienstvertrag; aus ihm kann der Kläger Auszahlung des Guthabens verlangen, wie es sich auf der Grundlage seiner Verfügungen über das Konto darstellt (§§ 667, 675 BGB; BGHZ 121, 106; 145, 339 f). Die Abhebungen, auf deren Grundlage die umstrittenen Buchungen erfolgt sind, waren nicht durch Verfügung - Weisung - des Beklagten gedeckt. Dies ist im Tatsächlichen im Senatstermin vom 07.12.2001 unstreitig geworden; im Rechtlichen folgt daraus, dass die Beklagte wegen ihrer gegenüber den Betreibern der jeweiligen Geldautomaten angefallenen Aufwendungen keinen Ersatz vom Kläger verlangen kann, weil die Abhebungen nicht auf Grund wirksamer Weisungen des Klägers, vielmehr unbefugt erfolgt sind (§§ 670, 675 Abs. 1, 665 BGB; BGHZ 130, 91; 145, 340).

2.

Die Beklagte konnte das, was sie zu Lasten des Girokontos des Klägers verbucht hat, auch nicht dem Werte nach als Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung beanspruchen. Solches würde - auf der Grundlage der vertraglichen Eingrenzung des Verschuldensmaßstabes auf Fälle grober Fahrlässigkeit (Ziffer II 2.4 der Sonderbedingungen für die Bankcard ec der Beklagten) voraussetzen, dass der Kläger grob fahrlässig vertragliche Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten verletzt hätte. Das aber hat sich nicht feststellen lassen; dies muß zu Lasten der beklagten Bank ausschlagen, da sie die Beweislast für den tatsächlichen Eintritt der zitierten Haftungsvoraussetzungen trägt. So ergibt es sich unmittelbar aus der in 2 Ziffer 2.4 ihrer Bedingungen gewählten Formulierung "sofern der Karteninhaber seine ... Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt hat."

3.

Eine Haftung des Klägers ergibt sich nicht aus der Tatsache, dass er seine Scheckkarte in dem von ihm abgestellten Wohnmobil unbeaufsichtigt zurückließ, um mit seiner Familie an den Strand zu gehen. In diesem Vorgehen lag zwar eine objektive Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer II 6.2, III 2.4 der Sonderbedingungen für die Bankcard ec festgehaltenen Verpflichtung, die ec-Karte nicht unbeaufsichtigt im Kraftfahrzeug aufzubewahren. Diese Verpflichtung aber hat der Kläger nicht grob fahrlässig verletzt; ihm ist in dieser Hinsicht nicht einmal der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit zu machen. Der Fahrlässigkeitsvorwurf setzt u.a. voraus, dass der Schuldner - hier also: der Kläger - den Eintritt des schädigenden Erfolges vermeiden konnte und - nach Einschätzung des Verkehrs - mußte (BGHZ 39, 285; Palandt-Heinrichs, BGB 60. Aufl. 2001, Rz 21) steht dem Schuldner aus vernünftiger Sicht keine sicherer Verhaltensalternative als die, die er gewählt hat, offen, dann fehlt es an der Vermeidbarkeit des eingetretenen Schadenserfolges und damit an der Fahrlässigkeit. Der Kläger hatte am Urlaubsort keine feste Unterkunft; er hatte insbesondere keinen Zugriff auf einen Safe, wie er in Urlauberhotels im allgemeinen angeboten wird, denn der Kläger war mit dem Wohnmobil auf Reisen und konnte seine Scheckkarte deshalb nur entweder mit sich tragen oder sie im Wohnmobil zurücklassen. Da er sich - was zweifelsfrei ein sozialübliches Verhalten am Urlaubsort war und sich damit im Rahmen des aus vernünftiger Sicht erlaubten Risikos hielt (vgl. hierzu Hanau in MüKo zum BGB, 3. Aufl. 1992 ff, § 276 Rz 128; Palandt-Heinrichs, § 276 Rz 21) - mit seiner Familie an den Strand begab, stand er vor der Alternative, die Scheckkarte entweder im Wohnmobil einzuschließen oder sie an den Strand mitzunehmen. Unter diesen Möglichkeiten stellte sich sein Entschluß, die Karte lieber im Wohnmobil zu belassen, als Wahl der weit sichereren Verhaltensalternative dar. Das scheint dem Senat schon deshalb auf der Hand zu liegen, weil jedes auch nur annähernd "normale" Verhalten am Strand eine zeitweise Entfernung vom Liegeplatz voraussetzt - mit dem üblichen Strand- und Badevergnügen ist eine dauernde Beobachtung des Liegeplatzes und der dort zurückgelassenen Gegenstände schlechterdings unvereinbar.

4.

Dem in der mündlichen Verhandlung eingenommenen Standpunkt der Beklagten, es sei schon an sich grob fahrlässig, eine eurocheque-Karte in den Urlaub nach Südfrankreich mitzunehmen, dies jedenfalls dann, wenn man dort Campingurlaub mache, kann der Senat nicht folgen. Ein Urlaub im Süden gehört - wie aus der Sicht des Senats keinerlei Begründung bedarf - in den Kreis sozialadäquaten Verhaltens; die mit ihm notwendigerweise verbundenen Risiken sind "erlaubte" Risiken. So gilt es nicht nur für den Urlaub im Hotel verbunden mit der - aus lebenstatsächlicher Sicht ihrerseits beschränkten - Möglichkeit, Wertgegenstände im Hotelsafe einzuschließen; es gilt in gleicher Weise für den Urlaub auf dem Campingplatz und den dort naturgemäß eingeschränkten Möglichkeiten, Wertgegenstände und so auch Scheck- oder Kreditkarten gegen den Zugriff von Dieben zu sichern. Es ist der geradezu erklärte Zweck von Scheck- und Kreditkarten, dem Urlauber am Urlaubsort Zugriff auf Bargeld zu ermöglichen und das Risiko zu vermindern, das damit verbunden wäre, würde er gezwungen, das gesamte Geld, das er im Urlaub benötigen könnte, in bar mit sich zu führen.

5.

Der Kläger haftet der Beklagten auch nicht deshalb, weil er die persönliche Geheimzahl auf der ec-Karte vermerkt oder zusammen mit der ec-Karte verwahrt hätte III 2.4 der Sonderbedingungen für die Bankcard ec). Denn ein derartiges sicherlich grobes - Fehlverhalten des Klägers hat sich nicht feststellen lassen. Konkretes in dieser Hinsicht hat der Kläger nicht eingeräumt; der Senat ist vielmehr geneigt, der vom Kläger im Verlaufe der mündlichen Verhandlung abgegebenen Versicherung Glauben zu schenken, er habe seine Geheimnummer stets im Kopf gehabt und habe sie weder auf der Scheckkarte selbst noch auf einem ihr beigegebenen Zettel vermerkt. Das mag aber im Ergebnis dahingestellt bleiben; denn aus dem Vortrag der Beklagten und/oder dem unstreitigen Sachverhalt ergibt sich nichts, was die Feststellung eines Fehlverhaltens wie des umschriebenen tragen könnte. Konkrete, von dem Vortrag des Klägers abweichende Erkenntnisse über seinen Umgang mit der Geheimnummer konnte die Beklagte - naturgemäß - nicht anbieten. Was verbleibt, ist die Frage danach, ob die "erfolgreiche" Nutzung einer Scheckkarte durch einen Unbefugten den Beweis des ersten Anscheins dafür stützt, dass der Karteninhaber die PIN auf der Karte oder einem ihr beigegebenen Schriftstück vermerkt habe. Diese Frage verneint der Senat. Die Problematik des Anscheinsbeweises bei mißbräuchlicher, erfolgreicher Verwendung einer Scheckkarte ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten. Der Bundesgerichtshof hat sie in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung (BGHZ 145, 342) ausdrücklich offen gelassen. Für die Annahme eines Anscheinsbeweises in derartigen Fällen haben sich beispielsweise ausgesprochen LG Frankfurt am Main WM 1999, 1930; LG Stuttgart WM 1999, 1934; LG Darmstadt WM 2000, 911; Palandt-Brau, § 676 hRz 14; Werner, WM 1997, 1519). Demgegenüber haben sich gegen die Annahme eines Anscheinsbeweises ausgesprochen das OLG Hamm, NJW 1997, 1712 f, das AG Darmstadt WM 1990, 543 (vgl. auch Strube WM 1998, 1210).

Ein Beweis des ersten Anscheins greift bei einem verlaufstypischen Geschehen, welches nach der Lebenserfahrung nur auf eine bestimmte Ursache oder einen Ablauf hinweist (BGH NJW 1997, 529; Hartmann in Baumbach-Lauterbach-Albers- Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001 Anh. § 286 Rz 16). Stehen mehrere Möglichkeiten im Raum, dann kommt - gleichviel, ob die eine deutlich wahrscheinlicher ist als die andere oder nicht - ein Anscheinsbeweis nicht in Betracht (BGH RR 1988, 790; OLG Düsseldorf VersR 1995, 724; Hartmann a.a.O. Rz 25). Auf dieser Grundlage setzt die Annahme eines Anscheinsbeweises gesicherte Lebens-Erfahrungstatsachen voraus. Solange Gerichte nach Anhörung fachkundiger Gutachter - so das OLG Hamm und das AG Darmstadt in den beiden erwähnten Fällen - von der "Berechenbarkeit" der PIN in überschaubarer Zeit ausgehen, kann von einer gesicherten Lebenserfahrung im Sinne einer Nicht-Berechenbarkeit nicht ausgegangen werden. Raum für die Annahme eines Anscheinsbeweises besteht nicht.

Nur am Rande fügt der Senat deshalb an, dass der äußere Ablauf des Geschehens dafür spricht, dass die Scheckkarte von EDV-technisch versierten Dieben gestohlen wurde. Mit dem gewöhnlichen Gebrauch einer Scheckkarte - bei Kenntnis der PIN - läßt es sich nur sehr schwer erklären, dass Abhebungen zum Teil im 20-Sekunden- Takt vorgenommen wurden, dass auch innerhalb derselben Minute von Automaten verschiedener Bankinstitute abgehoben wurde.

6.

Der Kläger haftet auch nicht unter dem Gesichtspunkt grob fahrlässiger Verletzung von Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten deshalb, weil er den Verlust der Karte erst nach zwei Wochen meldete. Unstreitig ist, dass der Kläger bis zum Tage der Meldung von dem Diebstahl nichts wußte. Von daher wäre ein Vorwurf nur im Blick darauf eröffnet, dass er von dem Diebstahl hätte wissen können, hätte er wenigstens die gröbsten Sorgfaltsanforderungen beachtet. Dieser Vorwurf aber ist nicht gerechtfertigt. Wie von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird, nutzte der Kläger die Karte nicht alltäglich; er hatte sie nur gleichsam für den Notfall mitgenommen, da er auch über ein Konto bei einem französischen Kreditinstitut verfügt. Im Urlaubsalltag ergab sich damit gar keine Notwendigkeit, auf die Karte zuzugreifen. Der Vorwurf grob fahrlässiger Mißachtung von Sorgfaltspflichten könnte auf dieser Grundlage nur daran anknüpfen, dass sich dem Kläger konkrete Anzeichen dafür eröffnet hätten, dass er bestohlen worden war, dass also Einbrecher in sein Wohnmobil eingedrungen waren.

Solche Hinweise gab es in objektiver Hinsicht; als der Kläger nämlich nach dem Strandaufenthalt - und damit aller Wahrscheinlichkeit nach dem Einbruch - zu seinem Wohnmobil zurückkam, fand er die Eingangstür zum Wohnmobil schwergängig vor. Wenn er dies auf Hitzeeinwirkungen zurückführte und dem Verdacht, es sei eingebrochen worden, keinen Raum gewährte, so rechtfertigt dies nicht den Vorwurf der Fahrlässigkeit, schon gar nicht den der groben Fahrlässigkeit: Denn die Annahme, die Tür habe sich durch Hitzeeinwirkung verzogen, lag angesichts der klimatischen Verhältnisse - Hochsommer in Südfrankreich - nicht gerade fern. Umgekehrt ließ schon der erste Blick in das Wohnmobil aus lebenspraktischer Sicht jeden etwa aufkeimenden Einbruchsverdacht sofort wieder zurücktreten; offen auf dem Tisch zurückgelassene Wertgegenstände - Laptop und Fotoausrüstung - lagen nach wie vor dort, wo der Kläger sie zurückgelassen hatte.

7

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 284, 291 BGB, 91, 92 Abs. 2, 708 Ziffer 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.