VG Gießen, Beschluss vom 07.12.1998 - 1 G 2001/98
Fundstelle
openJur 2012, 21899
  • Rkr:
Tatbestand

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks ... in der Gemarkung ... , das mit einem von ihnen bewohnten dreistöckigen Wohnhaus bebaut ist.

Die Gesellschafter der Beigeladenen sind Eigentümer der teilweise aneinander grenzenden Grundstücke ... und ... . Auf diesen Grundstücken wurde bis kürzlich über Jahrzehnte in zwei von der ... erschlossenen Hallen (Verkaufshalle und Pkw-Aufbereitungshalle) eine Kfz-Betriebsstätte (Autohaus ... ) unterhalten.

Mit Bauantrag vom 23.12.1997 beantragte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die Erteilung der Baugenehmigung für "Umbau und Umnutzung eines Gewerbebetriebes mit Ausstellungshalle in einen Lebensmittelmarkt und einer Pkw-Aufbereitungshalle in eine offene Mittelgarage, Stillegung einer Tankanlage ... .

Unter dem 26.05.1998 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die Baugenehmigung und einen Befreiungsbescheid hinsichtlich der Neigung der Rampe. Die Baugenehmigung wurde nachträglich unter dem 22.06.1998 ergänzt.

Zwischenzeitlich wurden antragsgemäß die Grundstücke Flur ... , Flurstücke ... und ... unter der Flurstücksbezeichnung ... miteinander verschmolzen und für das Grundstück Flur ..., Flurstück ... die Teilung genehmigt, wodurch ein unbebautes, ca. 26 m tiefes Grundstück an der ... entstanden ist.

Gegen die Baugenehmigung legten der Antragsteller zu 2. mit Schreiben vom 03.06.1998 und die Antragstellerin zu 1. mit Schreiben vom 18.06.1998 Widerspruch ein, dem die Antragsgegnerin nicht abgeholfen und über den die Widerspruchsbehörde noch nicht entschieden hat.

Mit Schriftsatz vom 18. 06. 1998 suchten die Antragsteller um Eilrechtsschutz nach. Mit Beschluß vom 28.07.1998 - 1 G 1114/98 - ordnete das erkennende Gericht die aufschiebende Wirkung der vorgenannten Widersprüche gegen die Baugenehmigung vom 26.05.1998/22.06.1998 an.

Mit bei der Antragsgegnerin am 09.09.1998 eingegangenem Bauantrag vom 11.08.1998 beantragte die Beigeladene unter Hinweis auf den genehmigten Bauantrag vom 09.12.1997 die Baugenehmigung für "Umnutzung eines Gewerbebetriebes mit Ausstellungshalle in einen Lebensmittelmarkt und einer Pkw-Aufbereitungshalle in eine Stellplatzanlage, ... . Danach soll in dem ... hin gelegenen Gebäude die Verkaufsfläche (gerundet) 722 qm betragen (Bl. 209 bis 214 der Behördenakte). Im Kellergeschoß dieses Gebäudes sollen 25 Pkw-Stellplätze mit Zufahrt von der ... aus errichtet werden; die Anlieferung soll ebenfalls von der ... aus erfolgen (Bl. 221 der Behördenakte). Die Geschoßfläche dieses Gebäudes ... soll 1209,22 qm betragen (Bl. 244 der Behördenakte). In dem bis auf die Ein- und Ausfahrt geschlossen bleibenden Richtung ... gelegenen Gebäude sollen weitere 25 Pkw-Stellplätze (14 Besucherplätze, 11 Bedienstetenplätze) mit Zufahrt mit Schallschutzwand (teilweise) über eine zweispurige Rampe von der ... aus entstehen. (Bl. 230 bis 232 der Behördenakte).

Unter dem 28.10.1998 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen auf den letztgenannten Bauantrag hin die Baugenehmigung, die den Bevollmächtigten der Antragsteller am 02.11.1998 zugestellt wurde. Die Antragsteller legten dagegen bei der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30.10.1998 Widerspruch ein; zugleich beantragten sie die Aussetzung der Baugenehmigung. Eine Entscheidung dazu erfolgte - soweit ersichtlich - bisher nicht.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.11.1998 haben die Antragsteller um Eilrechtsschutz nachgesucht.

Zur Begründung wird mit diesem Schreiben sowie mit den weiteren anwaltlichen Schreiben vom 13.11.1998 und vom 03.12.1998, auf die Bezug genommen wird, unter näherer Darlegung im wesentlichen vorgetragen, daß die Verkaufsfläche zu groß sei und daß mit erheblichen Verkehrsstörungen zu rechnen sei.

Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die

Baugenehmigung anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt mit Schreiben vom 20.11.1998, auf das Bezug genommen wird,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt mit anwaltlichem Schreiben vom 11.11.1998, auf das Bezug genommen wird,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie macht mit dem weiteren anwaltlichen Schreiben vom 30.11.1998, auf das Bezug genommen wird, weitere Ausführungen zur Sache.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte 1 G 1114/98 und der Behördenakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

Gründe

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung ist zulässig und begründet.

Der vorläufige Rechtsschutz des Nachbarn, der gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung einen Rechtsbehelf - hier Widerspruch - eingelegt hat, richtet sich nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 bis 8 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -. Dieses Antragsverfahren ist kein Rechtsmittelverfahren gegen eine behördliche Entscheidung; vielmehr trifft das Gericht eine eigene selbständige Entscheidung.

Nach § 212 a Abs. 1 Baugesetzbuch - BauGB - hat der Widerspruch der Antragsteller gegen die bauaufsichtliche Genehmigung (Baugenehmigung) keine aufschiebende Wirkung; diese Vorschrift i.S.v. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO verdrängt § 80 Abs. 1 VwGO.

In diesen Fällen kann die (Bauaufsichts-)Behörde nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten, z.B. die Stillegung der Bauarbeiten, treffen. Das Gericht kann nach § 80 a Abs. 3 S. 1 VwGO auf Antrag des Dritten u.a. Maßnahmen der Behörde nach § 80 a Abs. 1 VwGO ändern oder aufheben oder selbst solche Maßnahmen treffen.

Der Antrag des Dritten auf gerichtlichen Rechtsschutz setzt nicht generell voraus, daß zuvor erfolglos ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Behörde gestellt worden ist (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780 m.w.N.). Ein solcher Antrag wurde hier bisher ohne Erfolg gestellt.

Voraussetzung für den Erfolg eines Antrages auf gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 VwGO ist zunächst, daß die erstrebte Maßnahme (noch) notwendig ist, um mögliche Rechte des Dritten zu sichern (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780). Dies ist hier noch möglich.

Einem solchen Antrag eines Dritten auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 VwGO ist stattzugeben, wenn die Baugenehmigung offensichtlich dessen Rechte verletzt. Denn in diesem Fall kann ein überwiegendes Interesse des Bauherrn oder der Öffentlichkeit an einer sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung nicht bestehen. Umgekehrt ist dieser Antrag des Dritten abzulehnen, wenn die Baugenehmigung ihn offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens über den Rechtsbehelf des Dritten offen, hat das Gericht eine Abwägung der beteiligten privaten und öffentlichen Interessen vorzunehmen, die für oder gegen eine sofortige Ausnutzung der Baugenehmigung sprechen. Bei dieser Abwägung hat das Gericht zum einen das Gewicht der beteiligten Interessen und das konkrete Ausmaß ihrer Betroffenheit zu berücksichtigen. Zum anderen hat es zu würdigen, ob der Rechtsbehelf des Dritten - auch unter Berücksichtigung des von ihm eventuell glaubhaft gemachten Tatsachenvorbringens - wahrscheinlich Erfolg haben wird (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780).

Ein Abwehrrecht des Dritten gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung besteht nur, wenn ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt und die Voraussetzungen für eine Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen und die verletzten Vorschriften auch zum Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt, also nachbarschützend sind und durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschriften geschützten nachbarlichen Belange eintritt (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780; Beschluß vom 01.08.1991 - 4 TG 1244/91 -, HSGZ 1993, 22 m.w.N.).

Ein derartiges Abwehrrecht steht den Antragstellern nicht zur Seite.

Wird - wie hier - eine bauliche Anlage i.S.v. § 29 S. 1 BauGB geändert, so ist Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Prüfung das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1993 - BVerwG 4 C 17.91 -, NVwZ 1994, 294). Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich, da hier kein Bebauungsplan existiert (§ 30 BauGB) und da das Baugrundstück im unbeplanten Innenbereich liegt, nach § 34 BauGB.

Gemäß § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.

Zur Beantwortung der Frage, ob sich das Vorhaben in die nähere Umgebung einfügt, ist diese zunächst zu ermitteln. Wie weit der Bereich der für eine Beurteilung maßgeblichen näheren Umgebung zu ziehen ist, richtet sich jeweils nach dem Einwirkungsbereich des Vorhabens auf seine Umgebung (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 - BVerwG IV C 9.77 -, BVerwGE 55, 369 = NJW 1978, 2564). Dazu ist von der Umgebung des im Mittelpunkt liegenden Baugrundstücks auszugehen, und es werden im Idealfall konzentrische Kreise gebildet, wobei nach den Besonderheiten des Einzelfalles Abweichungen geboten sein können, die das Ergebnis einer nicht schematischen, sondern wertenden Betrachtung sind (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 17.12.1984 - 4 TG 2545/84 -, BRS 42 Nr. 77 = ESVGH 35, 126; Urteil vom 04.09.1987 - 4 UE 1048/85 -, HessVGRspr. 1988, 12; Beschluß vom 24.03.1994 - 3 TH 156/94).

Im vorliegenden Fall kommt das Gericht bei der gebotenen wertenden Betrachtung aufgrund eigener Ortskenntnis und aufgrund der Eintragungen in dem Lageplan Bl. 302 der Behördenakte wie bereits in seinem Beschluß vom 28.07.1998 - 1 G 1114/98 - (s.o.) zu der Feststellung, daß zur näheren Umgebung des Baugrundstücks - dies ist das neu entstandene und nicht mehr an die ... heranreichende Grundstück Flur ..., Flurstück ... - folgende Grundstücke zählen: ... mit der gewerblichen Nutzung eines Handels mit Teppichen, Gardinen und Teppichböden (Firma ...) in zwei Gebäuden sowie eines Frisiersalons und mit ca. 18 Stellplätzen straßenseitig und im Hofbereich...mit der Nutzung durch die Universität (...) in zwei Gebäuden; ... mit der Nutzung von Grundstück und Gebäude durch ein Architektur- und Ingenieurbüro (8 Stellplätze im Hof); ... mit einer Beratungsstelle und Wohnnutzung im Obergeschoß; ... mit Arztpraxen; ... mit der Nutzung des Gebäudes durch die Universität (...); ... mit einem für betreutes Wohnen genutztem Gebäude; ... mit jeweils Wohnnutzung in den Gebäuden; ... mit der Nutzung des Gebäudes durch die Universität (Institut für Veterinärmedizin); ... mit einem Wohnhaus; ... mit einer Arztpraxis und mit Wohnnutzung, ... mit einem Wohnhaus; das durch Teilung entstandene Grundstück Flurstück ... ... (s.o.); ... zwei Wohnblocks. Die Grundstücke auf der westlichen Seite der ... zählen, da das Baugrundstück nicht bis zur ... reicht, nach dem Vorstehenden nicht mehr zur näheren Umgebung. Diese nähere Umgebung wird geprägt durch die gewerbliche Nutzung insbesondere in und in nächster Nähe der ... und durch eine vornehmlich vorhandene Wohnnutzung in dem übrigen Bereich. Diese Mischform von Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben ist als Mischgebiet im Sinne von § 6 Baunutzungsverordnung - BauNVO - zu qualifizieren.

Da somit die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der BauNVO bezeichneten Baugebiete entspricht, beurteilt sich nach § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre.

Nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO sind im dem Mischgebiet Einzelhandelsbetriebe - der Lebensmittelmarkt ist ein solcher - grundsätzlich zulässig. Eine Einschränkung erfährt die Vorschrift jedoch durch § 11 BauNVO. Nach § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauNVO sind bestimmte großflächige Einzelhandelsbetriebe außer in den Kerngebieten nur in den für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Um einen solchen großflächigen Einzelhandelsbetrieb handelt es sich hier nicht.

Der Begriff der Großflächigkeit in dieser Vorschrift ist mit Hilfe der Größe der Verkaufsfläche zu bestimmen, denn durch die Vorschrift sollen Betriebe mit einem Warenangebot auf großer Fläche erfaßt werden, weil solche Betriebe im allgemeinen auch einen großen Einzugsbereich haben und städtebaulich nachteilige Auswirkungen gewärtigen lassen. Da sich die BauNVO bei der Definition von Baugebieten und von Nutzungsarten in Baugebieten durchweg typisierender Merkmale, die einen von den jeweiligen örtlichen Verhältnissen unabhängigen Begriffsinhalt haben, bedient, kommt es auf die hier vorhandenen örtlichen Verhältnisse nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. 05. 1987 - BVerwG 4 C 19.85 -, BauR 1987, 528). Insbesondere spielt es daher keine Rolle, daß der Betreiber des im Streit befindlichen (Edeka-)Lebensmittelmarktes zwei in der Nähe befindliche kleinere Edeka-Märkte schließen will.

Die Großflächigkeit läßt sich nicht dadurch bestimmen, daß man ausgehend von der Regelvermutung des § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO für städtebaulich nachteilige Auswirkungen bei einer Geschoßfläche von über 1200 qm unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Verkaufsfläche gegenwärtig bei solchen Einzelhandelsbetrieben ca. 25 % kleiner als die Geschoßfläche ist, entsprechend reduziert (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 7. Aufl., § 11 BauNVO Rn. 16.2 m.w.N.), mithin ab ca. 900 qm Verkaufsfläche annimmt. Bei dem Merkmal der Großflächigkeit unterscheidet die BauNVO Einzelhandelsbetriebe, die wegen ihres angestrebten größeren Einzugsbereichs - wenn nicht in Sondergebiete - in Kerngebiete gehören und typischerweise auch dort zu finden sind, von den Läden und Einzelhandelsbetrieben der wohnungsnahen Versorgung der Bevölkerung, die in ausschließlich, überwiegend oder zumindest auch dem Wohnen dienende Gebiete gehören (vgl. die §§ 2 Abs. 2 Nr. 2, 3 Abs. 3 Nr. 1, 4 Abs. 2 Nr. 2, 4a Abs. 2 Nr. 2, 5 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO) und dort typischerweise auch zu finden sind. Folglich beginnt die Großflächigkeit dort, wo üblicherweise die Obergrenze solcher "Nachbarschaftsläden endet. Andererseits will § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO mit der Regelvermutung ab einer Geschoßfläche von über 1200 qm gerade, wie § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO zeigt, nicht ausschließen, daß auch Einzelhandelsbetriebe mit weniger als 1200 qm Geschoßfläche und ca. 900 qm Verkaufsfläche (s.o.) nur in Kern- und Sondergebieten zulässig sind, wenn nämlich nachteilige städtebauliche Auswirkungen der in § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S 2 BauNVO genannten Art zu erwarten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. 05. 1987, a.a.O.). Demzufolge ist die Großflächigkeit bei einer Verkaufsfläche von deutlich unter 900 qm anzusiedeln. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 22.05.1987, a.a.O.; Urteil vom 17.06.1993, a.a.O.) sieht die Verkaufsflächen-Obergrenze für Einzelhandelsbetriebe der wohnungsnahen Versorgung im Bereich von 700 qm ("nicht wesentlich unter 700 qm, aber auch nicht wesentlich darüber) und verneint diese bei einer Verkaufsfläche von 838 qm. Dem hat sich - soweit ersichtlich - die übrige Rechtsprechung angeschlossen (vgl. z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.06.1991 - 11 A 728/88 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.10.1996 - 3 S 193/96 -, VBlBW 1997, 309). In dem Erlaß des Hessischen Ministeriums des Innern vom 08.01.1991 (StAnz. 1991, 228) wird dieser Grenzwert von ca. 700 qm Verkaufsfläche übernommen. Das erkennende Gericht folgt dieser Rechtsprechung, hält jedoch, da es sich um keinen gesetzlichen Grenzwert handelt und da auch das Bundesverwaltungsgericht keine starre Grenzziehung vornimmt, im Einzelfall etwa bei atypischem Sortiment einen Toleranzrahmen von ca. 10 % für zulässig (vgl. VG Gießen, Beschluß vom 28.07.1998 - 1 G 1114/98 - <s.o.>).

Das Vorhaben mit einer genehmigten Verkaufsfläche von 722 qm - die Verkaufsflächen des Lotto- und des Back-Shops wurden einbezogen, da diese Betriebe mit dem Lebensmittelmarkt durch ein gemeinsames Nutzungskonzept verbunden sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 22.01.1996 - 8 S 2964/95 -, VBlBW 1996, 301) - ist nach dem Vorstehenden kein großflächiger Einzelhandelsbetrieb i.S.v. § 11 BauNVO. Die genehmigte Verkaufsfläche liegt nicht wesentlich über dem vorgenannten Richtwert von 700 qm.

Die Ausführungen der Antragsteller zu der Frage der Ermittlung der Verkaufsfläche gehen fehl. Mittels des Kriteriums der Verkaufsfläche sollen großflächige Einzelhandelsbetriebe mit einem großen Einzugsbereich von solchen der wohnungsnahen Versorgung abgegrenzt werden. Der große Einzugsbereich wird durch das größere Warenangebot erreicht. Mithin kann Verkaufsfläche nur die Fläche sein, auf der dieses größere Warenangebot für den Kunden zugänglich präsentiert wird. Nichts anderes wird in der von den Antragstellern angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - BVerwG 4 C 36.97 -, BauR 1990, 569) mit der Formulierung "auch bei sog. integrierter Lagerhaltung alle dem Verkauf dienenden und den Kunden zu Verkaufszwecken zugänglichen Flächen'' ausgeführt. Deshalb zählen nicht der Vorraum, die Spielecke für Kinder, das Vordach zur ... zur Verkaufsfläche, denn dort werden keine Waren präsentiert. Gleiches gilt für das Getränkelager, da es den Kunden nicht zugänglich und mithin keine integrierte Lagerfläche ist.

Trotz einer Geschoßfläche von hier 1209 qm greift die bei einer Geschoßfläche von 1200 qm ansetzende Regelvermutung des § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO nach dem Vorstehenden nicht.

Das Vorhaben ist mithin als sich nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung, die sich als Mischgebiet darstellt (s.o.), einfügender Einzelhandelsbetrieb zu qualifizieren.

§ 34 BauGB ist insgesamt nicht nachbarschützend. Nur das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme (entsprechend § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO) ist nachbarschützend. Es ist verletzt, wenn durch das Vorhaben unzumutbare Auswirkungen, besonders Geräusch- und Geruchsimmissionen oder ähnliche Belästigungen, zu befürchten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. 03. 1981 - 4 C 1.78 -, DVBl. 1981, 928 = DÖV 1981, 672; Urteil vom 13. 02. 1981 - 4 B 14.81 -, BRS 38 Nr. 82 = NJW 1981, 1973; Beschluß vom 20. 09. 1984 - 4 B 181.84 -, NVwZ 1985, 37; Urteil vom 28. 10. 1993, UPR 1994, 148 = NVwZ 1994, 686 = BauR 1994, 354). Zu berücksichtigen ist, daß der Nachbarschutz im nicht geplanten Innenbereich nicht weiter gehen kann als im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Soweit sich ein Vorhaben deswegen nicht in die nähere Umgebung einfügt, weil es eine andere Art der baulichen Nutzung darstellt, ist eine Verletzung von Rechten des Nachbarn grundsätzlich zu bejahen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. 01. 1993 - 4 C 19.90 -, DVBl. 1993, 652). Nach dem Vorstehenden ist das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt.

Gleiches gilt hinsichtlich des aufgeworfenen Problems der Verkehrsbelastungen insbesondere in der ... Insoweit ist ein nachbarlicher Abwehranspruch aus dem Gebot der Rücksichtnahme (s.o.) und aus der nachbarschützenden Vorschrift des § 50 Abs. 3 S. 1 Hessische Bauordnung - HBO -, wonach Stellplätze und Garagen so angeordnet und ausgeführt werden müssen, daß ihre Benutzung die Gesundheit nicht schädigt sowie das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in dem Umgebung durch Lärm und Gerüche nicht über das zumutbare Maß stört (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 24. 03. 1994, a.a.O.; Beschluß vom 10. 06. 1997 - 4 TG 301/97) aufgrund der Umplanungen zu verneinen. Das Vorhaben ist nach der Art der Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig (s.o.). Für diese Nutzung untypische Immissionen sind nicht ersichtlich. Die erforderliche Zahl von Stellplätzen ist vorhanden (s. Bl. 241, 242 der Bauakte). Die ursprünglich vorgesehene Ampelregelung wurde zugunsten einer zweispurig befahrbaren und mit 4 m hinreichend breiten Rampe aufgegeben, weshalb Rückstaus in die ... (vgl. den Beschluß vom 28.07.1998 - 1 G 1114/98) nicht mehr zu befürchten sind. Zu dem Nachbargrundstück hin wird eine Schallschutzwand errichtet. Das Gebot der Rücksichtnahme und die vorgenannte bauordnungsrechtliche Vorschrift werden mithin nicht verletzt.

Auf das Gutachten der Gesellschaft für Schalltechnik und Arbeitsschutz mbH Limburg (Bl. 114 bis 199 der Behördenakte), das Gegenstand der bauaufsichtsbehördlichen Prüfung war, kommt es nach dem Vorstehenden nicht an. Im übrigen werden nach diesem Gutachten die Immissionsrichtwerte nach der TA Lärm für Mischgebiete eingehalten. In Bezug auf das Grundstück der Antragsteller werden sogar die Werte für allgemeine Wohngebiete eingehalten.

Die Kosten des Verfahrens haben nach § 154 Abs. 1 VwGO die Antragsteller zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach

§ 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, da sie einen Antrag gestellt und somit nach § 154 Abs. 3 VwGO am Kostenrisiko teilgenommen hat, da sie das Verfahren gefördert hat und da sie eine aufgrund summarischer Prüfung rechtmäßige Baugenehmigung ausnutzen will.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG (wie Beschluß vom 28.07.1998 - 1 G 1114/98).