Hessischer VGH, Urteil vom 25.07.1996 - 6 UE 1734/95
Fundstelle
openJur 2012, 21060
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe. Unter dem 29. Oktober 1992 beantragte sie bei dem Regierungspräsidium die Zustimmung zur Herstellung der Erschließungsanlage. Ein Bebauungsplan fehle. Der Ausbau der Straße solle noch im Dezember 1992 erfolgen. Daraufhin stimmte das Regierungspräsidium mit Bescheid vom 19. Januar 1993 gemäß § 125 Abs. 2 Baugesetzbuch - BauGB - der Ausbaumaßnahme zu. Zugleich erteilte es im Benehmen mit der oberen Naturschutzbehörde die naturschutzrechtliche Eingriffsgenehmigung unter folgenden Auflagen und Bedingungen:

"1. ....

2. Für den nicht ausgleichbaren Restschaden am Naturhaushalt ist gemäß § 6 Abs. 3 eine Ausgleichsabgabe in Höhe von 2.759,62 DM (in Worten: Zweitausendsiebenhundertneunundfünfzig Deutsche Mark) zu zahlen. Dieser Betrag ist bis zum 01.04.1993 unter der Abgabe des Aktenzeichens zugunsten der Staatskasse Kassel, Kto. Nr. 5009 bei der Kreissparkasse Kassel, BLZ 520 502 52, unter Hinweis auf das Aktenzeichen auf Kap. 09 51 - 111 11 einzuzahlen.

3. Die Ausnutzung dieser Genehmigung ist von der vorherigen Zahlung der in Nr. 2 genannten Ausgleichsabgabe abhängig."

In der Begründung wurde ausgeführt, daß aufgrund des Eingriffsumfanges kein vollständiger Ausgleich des Eingriffs in Natur und Landschaft gegeben sei. Für den nicht ausgleichbaren Restschaden an Natur und Landschaft sei daher gem. § 6 Abs. 3 des Hessischen Naturschutzgesetzes - HENatG - eine Ausgleichsabgabe zu zahlen, die nach den Richtlinien zur Bemessung der Abgabe bei Eingriffen in Natur und Landschaft vom 17. Mai 1992 berechnet worden sei. Dem Bescheid, der am 22. Januar 1993 bei der Klägerin einging, war keine Rechtsbehelfsbelehrung angefügt.

Die Klägerin zahlte die Ausgleichsabgabe nach ihren Angaben am 12. Februar 1993 und ließ die Bauarbeiten von April bis Oktober 1993 ausführen. Am 27. Juli 1993 beantragte sie bei dem Regierungspräsidium das Wiederaufgreifen des Verfahrens und legte gleichzeitig Widerspruch hinsichtlich der gezahlten Ausgleichsabgabe ein mit der Bitte um Erstattung des Zahlungsbetrages. Sie berief sich darauf, daß mit Inkrafttreten des neuen Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes am 1. Mai 1993, wodurch das Bundesnaturschutzgesetz geändert worden war, eine neue Rechtslage eingetreten sei.

Das Regierungspräsidium wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14. September 1993 zurück. Es vertrat die Ansicht, die landesrechtlichen Ausgleichsabgaberegelungen gälten auch nach der Rechtsänderung durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz fort. Da der Gemeinde die Ausgleichsabgabe jetzt jedoch selbst zustehe, könne sie für entsprechende Ausgleichsmaßnahmen zweckgebunden zurückgefordert werden.

Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Nebenbestimmungen in Nr. 2 und 3 des Bescheides des Beklagten vom 19. Januar 1993 wendet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. April 1995 abgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, die Klage sei unzulässig, weil es sich bei den angefochtenen Nebenbestimmungen um eine als Bedingung anzusehende einheitliche Regelung handele, die nicht isoliert anfechtbar sei. Sie sei auch nicht nichtig.

Gegen das am 28. April 1995 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26. Mai 1995 Berufung eingelegt. Sie hält die angefochtene Nebenbestimmung Nr. 2 für eine isoliert anfechtbare Auflage. Aber selbst wenn es sich um eine Bedingung handele, sei diese nach heute überwiegender Auffassung isoliert anfechtbar, weil die Genehmigung, der sie als Nebenbestimmung angefügt worden sei, bestehen bleiben könne, ohne der Rechtsordnung zu widersprechen. Infolge der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz sei § 6 HENatG a.F. die Rechtsgrundlage entzogen worden, so daß die Zustimmung des Regierungspräsidiums ohne Nebenbestimmungen rechtmäßig gewesen sei. Hinsichtlich der Nebenbestimmung unter Nr. 3 ergebe sich das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung daraus, daß die Ausnutzung der Genehmigung nach § 125 BauGB grundsätzlich nicht unter dem Vorbehalt der vorherigen Zahlung der naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe gestellt werden dürfe. Diese rechtswidrige Regelung verletze die Klägerin in ihren Rechten, denn der Fälligkeitstermin sei in der Nebenbestimmung Nr. 2 auf den 1. April 1993 festgelegt worden.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 03.04.1995 - Az.: 2 E 4463/93 (2) - den Bescheid des Beklagten vom 19.01.1993, Az.: 34/5 - Flieden 125 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.09.1993, Az.: 35-A 4-10/93 hinsichtlich der Nebenbestimmung zu Ziff. 2 und 3 aufzuheben,

hilfsweise

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel 03.04.1995 - Az.: 2 E 4463/93 (2) - festzustellen, daß der Bescheid des Beklagten vom 19.01.1993, Az.: 34/5 - Flieden 125 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.09.1993, Az.: 35-A 4-10/93 hinsichtlich der Ziffern 2 und 3 nichtig sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er geht davon aus, daß die Nebenbestimmungen durch die bis zum 1. Mai 1993 geltenden Bestimmungen gerechtfertigt gewesen seien, § 6 HENatG a.F. im Umfang der Ermächtigung des § 8 b Abs. 2 BNatSchG n.F. weitergegolten habe und eine restriktive Auslegung des § 8 b BNatG im Sinne einer bloßen Ermächtigung für die Zukunft weder gewollt noch richtig sein könne, weil die Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes so kurzfristig erfolgt sei, daß den Ländern keine Zeit geblieben sei, ihr Landesrecht vorher anzupassen.

Dem Senat liegt ein Heft Verwaltungsvorgänge vor. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Soweit die Klägerin die Nebenbestimmung Nr. 3 anficht, hatte sich diese Nebenbestimmung in der Hauptsache schon vor Klageerhebung erledigt, denn die Klägerin hatte die Ausgleichsabgabe gezahlt und die Bauarbeiten begonnen und weitgehend fortgeführt, wenn nicht sogar schon beendet. Irgendwelche Auswirkungen konnte die Nebenbestimmung für sie nicht mehr haben.

Darüberhinaus ist sogar zweifelhaft, ob die Klägerin durch die Nebenbestimmung Nr. 3 tatsächlich beschwert worden war. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung hat sie mit den Bauarbeiten im April 1993 begonnen. Aufgrund der Nebenbestimmung Nr. 3 mußte sie die Ausgleichsabgabe danach nicht vor der in der Nebenbestimmung Nr. 2 festgelegten Zahlungsfrist bis zum 1. April 1993 leisten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage daher hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 3 zu Recht als unzulässig abgewiesen.

2. Auch hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 2 hat die Klage keinen Erfolg. Hier kann der Senat offenlassen, ob die Klage schon mangels isolierter Anfechtbarkeit dieser Nebenbestimmung unzulässig ist. Sie wäre auch erfolglos, wenn die Ansicht der Klägerin zutrifft, daß eine nach § 6 Abs. 3 und 4 des Hessischen Naturschutzgesetzes in der Fassung vom 19. September 1980 (GVBl. I Seite 309) - HENatG a.F. - mit einer naturschutzrechtlichen Eingriffsgenehmigung und einer baurechtlichen Zulassung (hier Zustimmung nach § 125 Baugesetzbuch) verknüpfte Ausgleichsabgabe isoliert anfechtbar ist.

Geht man von der isolierten Anfechtbarkeit der Festsetzung der Ausgleichsabgabe in der Nebenbestimmung Nr. 2 aus, wäre die Klage insoweit zwar nicht unzulässig, aber unbegründet. In diesem Fall wäre über die Zulässigkeit der Herstellung der Straße nach § 125 Abs. 2 BauGB und die dafür nach § 6 Abs. 1 HENatG a.F. erforderliche Eingriffsgenehmigung vor dem 1. Mai 1993 entschieden worden. Die Entscheidung über das Vorhaben selbst wäre auch vor diesem Zeitpunkt unanfechtbar geworden. Infolgedessen wäre § 8 a Abs. 2 bis 7 des Bundesnaturschutzgesetzes in der Fassung des Art. 5 Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. April 1993 (BGBl. I Seite 466) - BNatSchG n.F. - gemäß § 8 c dieses Gesetzes nicht anwendbar gewesen.

"Noch nicht unanfechtbar geworden" (§ 8 c Nr. 2 BNatSchG n.F.) ist eine Verwaltungsentscheidung, wenn ihre Anfechtung zulässig bzw. noch zulässig ist. Das ergibt sich daraus, daß sich nicht darauf abstellen läßt, ob  t a t s ä c h l i c h  noch eine Anfechtungserklärung abgegeben werden kann. Dies ist regelmäßig möglich. Deswegen kann nur erheblich sein, ob Anfechtungen mit förmlichen Rechtsbehelfen  z u l ä s s i g  erfolgen können. Dies entspricht auch dem Sinn des § 8 c BNatSchG n.F., der als "Überleitungsvorschrift" für Vorhaben, "über deren Zulässigkeit ... unanfechtbar" vor dem 1. Mai 1993 entschieden worden war, eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung ausschließen wollte. Entgegen der von der Klägerin vorgetragenen Ansicht kommt es nicht allein darauf an, ob eine etwaige Rechtsmittelfrist oder die Frist nach § 58 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - bereits abgelaufen ist. Unanfechtbar ist ein Verwaltungsakt auch dann, wenn er mangels Rechtsschutzbedürfnis oder Anfechtungsbefugnis überhaupt nicht zulässig angefochten werden kann. Insoweit gelten gemäß § 79 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz - HessVwVfG - die Verwaltungsgerichtsordnung und die danach geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen, soweit sie sich auf das Widerspruchsverfahren übertragen lassen (vgl. Kopp, VwVfG, 6. Auflage 1996, § 79 Rdnr. 1 f.).

Für die Anfechtung der beantragten Zustimmung nach § 125 Abs. 2 BauGB und die naturschutzrechtliche Eingriffsgenehmigung, die der Klägerin den Straßenbau ermöglichten, fehlte ihr jedenfalls die Anfechtungsbefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO), denn diese Teile des Verwaltungsakts belasteten die Klägerin nicht, sondern begünstigten sie. Geht man von der isolierten Anfechtbarkeit der Nebenbestimmungen aus, dann waren die beantragte Zustimmung und die naturschutzrechtliche Eingriffsgenehmigung nicht anfechtbar, d.h. "unanfechtbar". Danach galt für die der Klägerin erteilte Eingriffsgenehmigung entgegen ihrer Ansicht unter anderem § 6 Abs. 3 Satz 1 HENatG a.F., so daß für den nicht ausgeglichenen Teil des Eingriffs eine Abgabe in Höhe der ersparten Rekultivierungskosten festgesetzt werden konnte. Hinsichtlich der Höhe hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben.

Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg, denn für die Nichtigkeit der Nebenbestimmung Nr. 2 sind keine Gründe erkennbar.

Unter den gegebenen Umständen kann offenbleiben, ob die Klägerin gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen hat, indem sie zu einer Zeit, als § 6 HENatG in der alten Fassung noch galt, von der Zulassung zum Straßenbau, der sich nicht ohne weiteres rückgängig machen läßt, Gebrauch gemacht und die Ausgleichsabgabe vorbehaltlos gezahlt hat, die Abgabenfestsetzung jedoch erst nach sechs Monaten angegriffen und sich im Klageverfahren darauf berufen hat, daß die mangels Rechtsmittelbelehrung geltende Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO noch nicht abgelaufen war.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil ihre Berufung erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10; 711 Zivilprozeßordnung in entsprechender Anwendung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.