Hessischer VGH, Beschluss vom 28.08.1995 - 1 TG 1608/95
Fundstelle
openJur 2012, 20779
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Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Antragstellers die von ihm begehrte einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu erlassen.

Der Antragsteller ist durch die Art und Weise des vom Antragsgegner durchgeführten Auswahlverfahrens in seinem von Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 134 HV gewährleisteten grundrechtsgleichen Recht auf faire und (chancen-)gleiche, verfahrens- und beurteilungsfehlerfreie Behandlung seiner Bewerbung verletzt (vgl. zum Inhalt des Bewerbungsverfahrensanspruchs: BVerfG, Beschluß vom 19. September 1989, DVBl. 1989, 1247; Hess.StGH, Urteil vom 13. Mai 1992, NVwZ-RR 1993, 201, 202; Beschluß des Senats vom 26. Oktober 1993 - 1 TG 1585/93 -, DVBl. 1994, 593).

Die vom Senat in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Bewerbungsverfahrensanspruch sind auf die im vorliegenden Fall in Streit stehende Übertragung des Dienstpostens eines Referatsgruppenleiters (bis Besoldungsgruppe B 2 Bundesbesoldungsgesetz - BBesG -) in vollem Umfang anzuwenden; denn der Antragsgegner hat nach öffentlicher Ausschreibung des Dienstpostens ein Personalauswahlverfahren mit dem Ziel der Bestenauslese durchgeführt. In der Auswahlentscheidung über die Besetzung des Dienstpostens liegt mithin eine vorweggenommene Beförderungsentscheidung, da der ausgewählte Bewerber nach einer angemessenen Zeit der Bewährung (vgl. § 11 Bundeslaufbahnverordnung - BLV -) auf dem Dienstposten ohne erneutes Auswahlverfahren befördert werden wird (vgl. dazu Beschluß des Senats vom 13. August 1992 - 1 TG 924/92 -, HessVGRspr. 1993, 29).

Das Auswahlverfahren leidet an einem grundlegenden formalen Mangel. Die Auswahlentscheidung ist von einer hierfür sachlich nicht zuständigen Stelle, im vorliegenden Fall: dem Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, getroffen worden. Der Staatssekretär war zu der von ihm am 28. März 1994 getroffenen Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen sachlich nicht befugt. Die Sachentscheidungsbefugnis bei Personalauswahlentscheidungen ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners unmittelbar aus § 12 Abs. 1 Satz 1 HBG. Aus dem Wortlaut der Vorschrift, in der die Befugnis zur "Ernennung" der Landesbeamten geregelt ist (vgl. auch Art. 108 HV), läßt sich eine Trennung der Befugnis zur Auswahlentscheidung einerseits und zu der einen beamtenrechtlichen Status begründenden oder verändernden Ernennung andererseits nicht herleiten, und zwar weder im Wege einer Auslegung des Begriffes der Ernennung noch aufgrund des gesetzlich verankerten Vorschlagsrechts des zuständigen Ministers.

Zur Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 1 HBG hat der Senat in seinem Beschluß vom 6. April 1995 - 1 TG 431/95 - grundsätzlich folgendes ausgeführt:

"Der Begriff der Ernennung ergibt sich aus § 9 HBG. Danach sind Ernennungen die in § 9 Abs. 1 HBG aufgeführten dienstrechtlichen Hoheitsakte, die nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde erfolgen. Letzteres ist ein rein formaler, an die Formvorschriften des § 9 Abs. 2 Satz 2 HBG gebundener Vollzugsakt, auf den (...) die allgemeinen Bestimmungen über die Vertretung des Landes Hessen anzuwenden sind (Art. 103 HV). Demgegenüber gelten für die Ernennung die besonderen Zuständigkeitsregelungen nach Art. 108 HV, § 12 Abs. 1 HBG, die auch anzuwenden sind, soweit die Ernennung im Einzelfall eine Personalauswahlentscheidung voraussetzt. Die vom Antragsgegner postulierte Trennung zwischen Auswahl- und Ernennungskompetenz ist mit § 12 Abs. 1 HBG nicht vereinbar.

§ 12 Abs. 1 HBG ist vielmehr im Lichte des § 8 Abs. 1 Satz 1 HBG zu sehen. Dort heißt es ausdrücklich, daß die Auslese der Bewerber  u n d  die Ernennung der Beamten (§ 9 HBG) nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen sind. Auslese und Ernennung bilden eine einheitliche Sachentscheidung, für die auch eine einheitliche Zuständigkeit bestimmt ist. Dem Antragsgegner steht insoweit kein organisatorisches Ermessen zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1990, NVwZ-RR 1990, 619, 620 = ZBR 1990, 301, 302)." (a.a.O., S. 3, Absatz 1 und 2 des Abdrucks)

An dieser Auslegung ist festzuhalten. Ihre Richtigkeit wird bestätigt durch die auch für das Landesrecht verbindliche rahmenrechtliche Regelung des § 7 Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG -, nach der die in § 5 Abs. 1 BRRG aufgeführten Ernennungsakte nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen sind.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners begründet das Vorschlagsrecht des Ministers nach § 12 Abs. 1 Satz 1 HBG nicht dessen sachliche Zuständigkeit für die dem eigentlichen Akt der Ernennung vorangehende Personalauswahlentscheidung. Wie sich bereits aus dem Begriff des Vorschlags ergibt, handelt es sich gerade nicht um eine Entscheidungskompetenz, sondern um ein Mitwirkungsrecht des Fachministers bei Personalentscheidungen seines Ressorts. Eine vergleichbare Regelung findet sich für das Verfahren bei der Ernennung von Richtern in § 3 Abs. 1 Hessisches Richtergesetz - HRiG -. Danach hat der Fachminister, zu dessen Geschäftsbereich der Gerichtszweig des zu ernennenden Richters gehört, das Vorschlagsrecht, der Minister der Justiz jedoch das Recht zur Ernennung. Das Vorschlagsrecht des Fachministers ist zwar an das Leistungsprinzip gebunden, stellt aber der Sache nach lediglich eine Vorstufe der Personalauswahl und nicht die endgültige Auswahlentscheidung dar.

Auch die Zuständigkeitsregelung in § 6 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Hessischen Landesregierung - GOL - vom 10. Februar 1995 (GVBl. I S. 114) stützt die Auffassung des Antragsgegners nicht; denn sie ist lediglich Ausdruck des Ressortprinzips und Grundlage der Geschäftsverteilung innerhalb der Landesregierung.

Die alleinige Zuständigkeit für die Ernennung von Landesbeamten und damit auch zur Personalauswahlentscheidung liegt nach § 12 Abs. 1 Satz 1 HBG bei der Landesregierung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Es hätte somit der ausdrücklichen Übertragung dieser Befugnis bedurft, um die Zuständigkeit der Ministerin bzw. des Staatssekretärs als ihres ständigen Vertreters zu begründen. Dazu hat der Gesetzgeber die Landesregierung in § 12 Abs. 1 Satz 2 HBG ermächtigt. Von dieser Ermächtigung hat die Landesregierung jedoch jedenfalls hinsichtlich der Ernennung und damit auch der Personalauswahl unter Beamten zur Vergabe von Ämtern der Besoldungsgruppe B 2 BBesG keinen Gebrauch gemacht; insbesondere enthält § 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten bei der Ernennung, Abordnung und Versetzung der Beamten des Landes Hessen und der Beendigung des Beamtenverhältnisses (Ernennungsverordnung) vom 22. Januar 1991 (GVBl. I S. 25, geändert durch Verordnung vom 6. Januar 1993, GVBl. I S. 25) keine entsprechende Übertragung auf die zuständige Ministerin; darauf hat der Senat im übrigen bereits in seinem Beschluß vom 16. Mai 1995 - 1 TG 916/95 - ausdrücklich hingewiesen (S. 3 des Abdrucks).

Der Senat bekräftigt diese Rechtsauffassung in Kenntnis des vom Antragsgegner hervorgehobenen Umstandes, daß in seiner bisherigen Rechtsprechung die Sachentscheidungsbefugnis des jeweils zuständigen Ministers/der Ministerin bzw. des Staatssekretärs/ der Staatssekretärin bei Personalauswahlentscheidungen entweder nicht beanstandet oder nicht problematisiert worden ist (vgl. zuletzt Beschlüsse des Senats vom 3. November 1994 - 1 TG 2378/94 -, vom 17. Januar 1995 - 1 TG 1832/94 - sowie vom 28. März 1995 - 1 TG 2329/94 -). Die neuere, durch den Beschluß vom 6. April 1995 (a.a.O.) eingeleitete Rechtsprechung entspricht allein der durch §§ 7 BRRG, 8 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 HBG gekennzeichneten Rechtslage. Die kürzlich ergangene Entscheidung vom 13. Juli 1995 - 1 TG 89/95 - stellt keine Änderung dieser neueren Rechtsprechung dar. Die früher in dem Beschluß vom 3. August 1990 - 1 TG 1740/90 - vertretene, weite Auslegung des Vorschlagsrechts des zuständigen Ministers nach § 12 Abs. 1 Satz 1 HBG kann nicht aufrechterhalten werden.

Der Senat verkennt nicht die vom Antragsgegner dargelegten, erheblichen praktischen Auswirkungen seiner Rechtsprechung auf die Personalauswahlverfahren des Antragsgegners. Diese Auswirkungen ergeben sich jedoch letztlich aus der gesetzlichen Regelung und aus der Tatsache, daß eine Delegationsnorm zur Übertragung der Sachentscheidungsbefugnis auf die zuständige Ministerin bisher fehlt. Es ist nunmehr Aufgabe der Landesregierung, darüber zu entscheiden, ob und inwieweit sie sich die Befugnis zur Personalauswahlentscheidung nach den Grundsätzen der §§ 8 Abs. 1, 9 HBG selbst vorbehalten oder durch Änderung bzw. Ergänzung der Ernennungsverordnung ganz oder teilweise für die Ämter bestimmter Besoldungsgruppen auf die zuständige Ministerin delegieren will, ggfs. auch mit der Möglichkeit weiterer Übertragung auf nachgeordnete Behörden. Die notwendige Entscheidung der Landesregierung dürfte insbesondere dann, wenn sie auf eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis gerichtet ist, in Anbetracht der rechtlichen Folgen von Verstößen gegen die sachliche Zuständigkeit für Personalauswahlentscheidungen (vgl. §§ 8 Abs. 1 Satz 1 BRRG, 13 Abs. 1 Nr. 1 HBG) besonders dringlich sein, zumal nicht auszuschließen ist, daß die Rechtsprechung des Senats sich auf bereits getroffene oder bevorstehende Personalauswahlentscheidungen auswirken wird. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß ein derartiger Verfahrensmangel auch nicht während des Verwaltungsstreitverfahrens behebbar ist. Verstöße gegen Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit können weder nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 HVwVfG geheilt werden noch sind sie nach § 46 HVwVfG unbeachtlich, zumal in der Regel nicht auszuschließen sein wird, daß die sachlich zuständige Stelle zu einer anderen Personalauswahlentscheidung gelangt (vgl. Beschluß des Senats vom 16. Mai 1995 - 1 TG 916/95 -, a.a.O.).

Wird aber die Sachentscheidungsbefugnis in Personalangelegenheiten insgesamt oder zum Teil von der Ebene der Landesregierung durch entsprechende Delegation auf die ministerielle Ebene oder auf nachgeordnete Behörden verlagert, so würden sich auch diejenigen praktischen Probleme nicht mehr stellen, die der Antragsgegner anknüpfend an §§ 18 Abs. 3 Hessisches Gleichberechtigungsgesetz - HGlG -, 69 Abs. 2 Hessisches Personalvertretungsgesetz - HPVG - für die Durchführung der entsprechenden Beteiligungsverfahren dargelegt hat.

Der Antragsgegner wird nach derzeitiger Rechtslage nunmehr eine Personalauswahlentscheidung der sachlich zuständigen Landesregierung herbeizuführen haben. Diese ist nach dem Inhalt des Auswahlvorgangs zu keinem Zeitpunkt beteiligt worden. Es kann keine Rede davon sein, daß die Landesregierung mit Beschluß vom 28. Juni 1993 die Übertragung der Funktion des Referatsgruppenleiters K II auf den Beigeladenen inzidenter gebilligt habe. Gegenstand der Beschlußfassung war lediglich die Ernennung des Beigeladenen zum Regierungsdirektor z.A. während die eigentliche Personalauswahlentscheidung des Staatssekretärs vom 28. März 1994 datiert. Ein rechtsfehlerfreies Auswahlverfahren setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats insbesondere voraus, daß das für die Personalauswahlentscheidung zuständige Organ durch entsprechende Erkenntnisgrundlagen in die Lage versetzt wird, in materieller Hinsicht eine selbständige Eignungsbeurteilung der für die Besetzung des höherwertigen Dienstpostens in Betracht kommenden Beamten vorzunehmen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 13. August 1992 - 1 TG 294/92 -, ZBR 1993, 338 sowie vom 11. April 1995 - 1 TG 2665/94 -, jeweils m.w.N.; ebenso OVG SH, Beschluß vom 20. Januar 1994, NVwZ-RR 1994, 527).

Aus gegebenen Anlaß weist der Senat im Interesse der Vermeidung eines weiteren Verwaltungsstreitverfahrens darauf hin, daß die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen inhaltlich aus den im angefochtenen Beschluß des Verwaltungsgerichts ausführlich dargelegten Gründen gerichtlich nicht zu beanstanden sein dürfte.

Als unterliegender Teil hat der Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Zu einer Billigkeitsentscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO besteht kein Anlaß, da dieser keine eigenen Anträge gestellt und damit kein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 14 Abs. 1 - entsprechend -, 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Gerichtskostengesetz - GKG - in der seit dem 1. Juli 1994 geltenden Fassung des Gesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1325), da die Beschwerde am 21. April 1995 bei Gericht eingegangen ist. Danach beträgt der Auffangstreitwert, den der Senat ebenso wie das Verwaltungsgericht in Eilverfahren betreffend die Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens ohne gleichzeitige Beförderung zur Hälfte ansetzt, 8.000,00 DM.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).