Hessischer VGH, Beschluss vom 19.04.1995 - 1 TG 2801/94
Fundstelle
openJur 2012, 20677
  • Rkr:
Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zum Abschluß eines neu durchzuführenden Auswahlverfahrens zu untersagen, den Beigeladenen bei der Besetzung einer Beförderungsstelle A 9 mit Amtszulage bei der Schutzpolizeiabteilung des Polizeipräsidiums Darmstadt vorzuziehen,

im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Zunächst ist klarzustellen, daß sich das vorliegende Verfahren nur noch auf das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen bei der Vergabe des genannten Beförderungsamtes bezieht. Ursprünglich standen in dem vom Antragsgegner durchgeführten Auswahlverfahren gemäß der nach dem durchschnittlichen Leistungswert erstellten Rangliste der im wesentlichen leistungsgleich bewerteten Bewerber 88 Beamte in Konkurrenz um die Vergabe von 26 Beförderungsstellen der Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage. Zu Unrecht hat es das Verwaltungsgericht gestattet, 25 Bewerbern die Ernennungsurkunden auszuhändigen und nur eine Planstelle bis zum rechtskräftigen Abschluß des vorliegenden Verfahrens freizuhalten, die für den Beigeladenen vorgesehen ist. Das Verwaltungsgericht hätte vielmehr den Antragsgegner veranlassen müssen, nicht lediglich eine Stelle für den Antragsteller freizuhalten, sondern keinen der ausgewählten Bewerber einschließlich des Beigeladenen bis zum rechtskräftigen Abschluß des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu befördern (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO). Dem Antragsteller geht es mit seinem Antrag zwar letztlich nur darum, auf einer der freien Planstellen befördert zu werden. Er macht jedoch seinen Bewerbungsverfahrensanspruch im Konkurrenzverhältnis zu jedem der vom Antragsgegner ausgewählten Beamten geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats hat ein Beamter vor dem Hintergrund des Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 134 Hessische Verfassung grundsätzlich zwar keinen Anspruch auf Beförderung, aber ein grundrechtsgleiches Recht auf (chancengleichen) gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl. zum Inhalt des Bewerbungsverfahrensanspruchs: Senatsbeschluß vom 26.10.1993 - 1 TG 1585/93 -, DVBl. 1994, 593 m.w.N. unter Hinweis auf BVerfG (3. Kammer), Beschluß vom 19.9.1989, DVBl. 1989, 1247 = NJW 1990, 501, und Hess.StGH, Urteil vom 13.5.1992, NVwZ-RR 1993, 201, 202). Die vorläufige Sicherung dieses Bewerbungsverfahrensanspruchs ist den Gerichten bis zum rechtskräftigen Abschluß ihrer Verfahren durch Art. 19 Abs. 4 GG aufgegeben, um einen effektiven Rechtsschutz überhaupt (noch) zu ermöglichen. Diese Bestimmung des Grundgesetzes nimmt aber auch den Antragsgegner in die Pflicht. Er war nicht berechtigt, vor Abschluß des vorliegenden Verfahrens 25 Beamte auf Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage zu befördern. Dieses Verhalten widersprach dem Anspruch des Antragstellers auf Gewährleistung ausreichenden Rechtsschutzes, wie ihn das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 19.9.1989 (a.a.O.; vgl. auch Senatsbeschluß vom 27.11.1990 - 1 TG 2527/89 -, DÖV 1991, 698 = NVwZ 1992, 195) näher umschrieben hat. Danach ist der Dienstherr verpflichtet, vor der Besetzung einer Beförderungsstelle die unterlegenen Bewerber vom Ausgang des Auswahlverfahrens zu informieren, damit diese vor Schaffen endgültiger Verhältnisse zur Sicherung ihrer Rechte gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können. Das bedeutet, daß der Dienstherr in den Fällen, in denen ein übergangener Bewerber einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs bei dem Verwaltungsgericht stellt, vor Aushändigung der Ernennungsurkunde(n) an den/die ausgewählten Mitbewerber den unanfechtbaren Abschluß des Gerichtsverfahrens abwarten muß. Diese Verpflichtung des Dienstherrn ist unabhängig von einer richterlichen Aufforderung bzw. einem richterlichen Hinweis zu beachten. Da die Verpflichtung bis zum unanfechtbaren Abschluß des Auswahlverfahrens bzw. bis zum rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Verfahrens besteht, kann der Dienstherr von ihr auch nicht durch richterliches Einverständnis entbunden werden.

Der Senat hält an dieser Rechtsprechung auch im Hinblick auf die Kritik von Wittkowski (NVwZ 1995, 345, 346) nach wie vor fest. Die Notwendigkeit, bei mehreren freien Stellen bis zum rechtskräftigen Abschluß des Konkurrentenverfahrens keine Beförderung auf diesen Stellen vorzunehmen, zeigt in aller Deutlichkeit der vorliegende Fall. Ob die 25 beförderten Beamten - gemessen am Leistungsgrundsatz - auf der Rangliste des Antragsgegners zu Recht vor dem Antragsteller und dem Beigeladenen eingestuft worden sind, worauf noch einzugehen sein wird, ist eine Frage, die von den Gerichten bei der hier angewandten Verfahrensweise nicht überprüft werden kann. Das wäre nur dann möglich gewesen, wenn die Auswahlentscheidung zugunsten der 25 beförderten Beamten wie die zugunsten des Beigeladenen ebenfalls vorläufig nicht vollzogen worden wäre. Der vermeintliche Nachteil eines "Beförderungsstops", der allein dem nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Rechtsschutz des unterlegenen Bewerbers dient, wird für die Behörde und die ausgewählten Bewerber solange hinzunehmen sein, wie die Auswahlentscheidung durch eine Begründung für den erfolglosen Konkurrenten nachvollziehbar gemacht wird, die es ihm - gegebenenfalls nach zusätzlicher Akteneinsicht - ermöglicht, seinen Bewerbungsverfahrensanspruch entweder gegen alle Mitkonkurrenten oder nur gegen bestimmte Konkurrenten geltend zu machen. Allerdings wird auch in derartigen Fällen zu berücksichtigen sein, daß der Dienstherr nach der ständigen Rechtsprechung des Senats Auswahlerwägungen nachschieben kann, d.h. letztendlich auch eine Begründung für die getroffene Auswahlentscheidung ändern kann.

Zu Unrecht sind daher das Verwaltungsgericht und der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren davon ausgegangen, daß der Antragsgegner zugunsten des Antragstellers lediglich eine Planstelle freizuhalten habe. Wie bereits dargelegt, hat der Antragsteller seinen Bewerbungsverfahrensanspruch im Konkurrenzverhältnis zu jedem der für eine Beförderung ausgewählten Beamten geltend gemacht, auch wenn er im Ergebnis nur einmal auf einer Stelle befördert werden will (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 25.2.1991 - 1 TG 3453/90 -).

Der Antragsgegner hat das Bewerbungsverfahrensrecht des Antragstellers im Verhältnis zu dem Beigeladenen nicht verletzt, wenn auch die von ihm angewandte "Dienstanweisung für die Vollzugspolizei beim Polizeipräsidium Darmstadt zur Beförderungs-Auswahl" vom 27.12.1990 und das Verfahren bei der Auswahl der 26 Beamten, denen ein Beförderungsamt der Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage übertragen werden sollte, in mehrfacher Hinsicht gegen den Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG und des § 8 HBG verstoßen, wie noch darzulegen sein wird.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa Senatsbeschluß vom 26.10.1993 - 1 TG 1585/93 -, DVBl. 1994, 593 m.w.N. = ZBR 1994, 347 = HessVGRspr. 1994, 34) besagt der Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 HV, § 8 HBG, daß die Auswahl der Bewerber um einen höherwertigen Dienstposten oder eine Beförderungsstelle im Bereich des öffentlichen Dienstes ausschließlich nach den Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung vorzunehmen ist. Diese materiellen Auswahlkriterien sind dem Dienstherrn mit bindender Wirkung unmittelbar durch die Verfassung vorgegeben. Für die Auswahlentscheidung kommen neben dem Inhalt der Personalakten den letzten, aktuellen Beurteilungen der Beamten wesentliche Bedeutung zu, weil sie über deren bisherige Eignung und Leistung Aufschluß geben und eine Prognose ermöglichen sollen, ob der einzelne Beamte den Aufgaben eines höherwertigen Dienstpostens gewachsen ist. Erzielen mehrere Beamte - wie im vorliegenden Fall - in ihren Beurteilungen einen Beurteilungspunktwert, der sich bei Berechnung auf zwei Dezimalstellen im Rahmen eines Punktes bewegt, können diese Beamten als im wesentlichen gleich geeignet angesehen werden, so daß der Dienstherr auf das Datum der I. Fachprüfung als Hilfskriterium abstellen kann (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 8.1.1991 - 1 TG 3452/90 -, DÖD 1992, 210). Geht man mit dem Antragsgegner von dem Leistungswert gemäß Nr. 3.1 der Dienstanweisung vom 27.12.1990 aus, so bewegen sich die Punktzahlen des Antragstellers (11,65) und des Beigeladenen (12,0) im Rahmen des Wertes eines Punktes, der im vorliegenden Fall zwischen den Punktzahlen 12,58 und 11,58 liegt. Danach konnte der Antragsgegner den Antragsteller und den Beigeladenen als "im wesentlichen gleich" geeignet ansehen. Aber auch wenn man vergleichsweise von den Punktwerten in den aktuellen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen ausgeht, liegen diese ebenfalls in der "1-Punkt-Breite", die zwischen 13,13 und 12,13 liegt. Nach diesen Beurteilungspunkten hat der Antragsteller 12,19 Punkte und der Beigeladene 12,50 Punkte erreicht. Unter diesen Gegebenheiten konnte der Antragsgegner zugunsten des Beigeladenen auf das Datum der I. Fachprüfung abstellen, die der Beigeladene am 18.10.1974, der Antragsteller am 14.10.1977 abgelegt hat.

Zwar fällt auf, daß die Zahl der "im wesentlichen gleich" geeigneten Beamten sehr groß ist, nach dem durchschnittlichen Leistungswert liegen 88 von ihnen im Rahmen einer Punktzahl von 12,58 bis 11,58 und nach den aktuellen Beurteilungswerten 72 im Rahmen eines Punktwertes von 13,13 bis 12,13. Dieses Ergebnis legt die Vermutung nahe, daß in der Beurteilungspraxis des Antragsgegners in den weit überwiegenden Fällen nur die beiden besten Noten, nämlich 13 bis 11 Punkte = gut (2) und 15 bis 14 Punkte = sehr gut (1) vergeben werden. Eine derartige Beurteilungspraxis, nur die beiden höchsten Noten zu vergeben, die dem Senat auch aus anderen Bereichen bekannt ist, käme geradezu einem Differenzierungsverbot gleich, so daß eine Auslese des fachlich und persönlich am besten geeigneten Bewerbers aus Anlaß der Vergabe einer Beförderungsstelle nicht mehr sichergestellt wäre (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 19.11.1993 - 1 TG 1465/93 -, HessVGRspr. 1994, 27 = DVBl. 1994, 557-L-). Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß der Antragsteller bei differenzierender Beurteilung einen Punktwert erreicht hätte, der ihn im Verhältnis zum Beigeladenen nicht nur als "im wesentlichen gleich", sondern "als besser" geeignet erscheinen lassen würde. Das hat der Antragsteller selbst weder behauptet noch glaubhaft gemacht. Hiergegen spricht, daß der Beigeladene in den Beurteilungen über ihn seit 1990 (11,13 - 11,63 - 12,00 - 12,50) eine Leistungssteigerung um 1,37 Punkte erreicht hat, während der Antragsteller im selben Zeitraum mit seinen Punktwerten (11,25 - 11,38 - 11,88 - 12,19) eine geringere Leistungssteigerung von 0,94 Punkten gezeigt hat.

Soweit der Antragsteller auf seine praktischen Berufungserfahrungen vor Eintritt in den Polizeidienst als Meß- und Regeltechniker sowie als Zeitsoldat, auf seine jahrelange Tätigkeit in einem Überfallkommando der Einsatzbereitschaft beim Polizeipräsidenten in Kassel, auf seinen jahrelangen Wechselschichtdienst in einem Innenstadtrevier in Kassel und auf seine Mitgliedschaft in einem speziellen Einsatzkommando (SEK) in Kassel verweist, brauchten diese Umstände vom Antragsgegner nicht als Hilfskriterien für seine Auswahlentscheidung berücksichtigt zu werden. Es ist davon auszugehen, daß der Antragsteller diese Berufserfahrungen und Persönlichkeitserfahrungen in seine Dienstleistungen eingebracht hat, so daß sie auch in den Beurteilungen über ihn zum Ausdruck gekommen sind.

Daß die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft ist, weil der Antragsgegner die Regelungen des Polizeibeamtenüberleitungsabschlußgesetzes nicht als "quasi vorrangige Hilfskriterien in Gestalt des Lebenszeitfaktors" angewandt habe, hat das Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung (S. 5 Absatz 1 bis S. 6 Absatz 1 am Ende des Beschlußabdrucks) dargelegt, auf die der Senat Bezug nimmt.

Hat demnach der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsanspruch im Verhältnis zum Beigeladenen nicht glaubhaft zu machen vermocht, so konnte seine Beschwerde keinen Erfolg haben.

Ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch für den Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung auch im Verhältnis zu (den im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens beförderten) Mitbewerbern um die Vergabe der Planstellen nach der Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage glaubhaft gemacht hat, vermag der Senat nicht (mehr) zu überprüfen, weil sich das Verfahren insoweit mit der Aushändigung der Ernennungsurkunden an die übrigen 25 Beamten erledigt hat. Der Senat sieht sich jedoch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit und ihrer erheblichen Breitenwirkung - jedenfalls im Bereich des Polizeipräsidiums Darmstadt - veranlaßt, zu der "Dienstanweisung für die Vollzugspolizei beim Polizeipräsidium Darmstadt zur Beförderungs-Auswahl "vom 27.12.1990 (im folgenden: Dienstanweisung) Stellung zu nehmen, weil sie dort mit erheblichen Auswirkungen für die Zukunft (vgl. Nr. 4 der Dienstanweisung) praktiziert wird.

Nach der Rechtsprechung des Senats steht dem Dienstherrn bei der Ausgestaltung des Verfahrens für die Besetzung von Beförderungsdienstposten ein Freiraum zu, den er in gerichtlich nicht angreifbarer Weise ausfüllen kann, sofern er dabei den in Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 HV und § 8 Abs. 1 HBG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Bestenauslese nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Rechnung trägt. Ob die gewählte Art des Auswahlverfahrens die zweckmäßigste ist oder ob ein besseres Auswahlverfahren denkbar erscheint, ist unerheblich. Die Dienstanweisung wird aber dem Leistungsgrundsatz in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht, der bei jeder Auswahlentscheidung zu beachten ist. Im einzelnen ist auf folgendes hinzuweisen:

Wenn unter Ziffer 1. der Dienstanweisung ausgeführt wird, daß eine gerechte, nachvollziehbare Auswahl für Beförderungen eine wichtige Voraussetzung zur "Erhaltung des sozialen Friedens auf der Dienststelle" ist, so kann diese Vorgabe mit dem Leistungsgrundsatz dann nicht in Einklang gebracht werden, wenn sie so zu verstehen sein sollte, daß jeder Beamte zu gegebener Zeit das Spitzenamt seiner Laufbahn erreichen soll, auch wenn er hierfür möglicherweise aufgrund seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung nicht qualifiziert ist. Dieses Bestreben wird auch in Nr. 3.4 deutlich, die vom Antragsgegner als sog. Sozialbeförderung bezeichnet wird. Ein Beamter, der im Verhältnis zu anderen Mitbewerbern einen ausreichenden Leistungswert und Punktwert nicht erreicht, kann unter der Geltung des Leistungsgrundsatzes auch bei uneingeschränkter persönlicher und fachlicher Eignung gerade nicht zum Zuge kommen, selbst wenn hierüber Einverständnis zwischen Behörde und Personalrat besteht. Eine derartige "Sozialbeförderung" ist auch im Rahmen der Vergabe der 26 Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage vorgenommen worden; die Auswahlentscheidung zugunsten dieses Beamten erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil sie dem Leistungsgrundsatz widerspricht.

Die Dienstanweisung sieht zwar in Ziffer 2.1 vor, daß alle Leistungsbewertungen im 0-15 Punkte-System vorgenommen werden. Wie bereits erwähnt, erweckt die große Zahl der mit den beiden obersten Notenstufen bewerteten Leistungen in den Beurteilungen von 88 Beamten, die für eine Beförderung in Frage kamen, den Eindruck, daß dieses Notensystem nicht voll ausgeschöpft wird. Eine derartige Beurteilungspraxis würde geradezu einer vom Leistungsgrundsatz gebotenen Differenzierung widersprechen mit der Folge, daß eine Auslese des fachlich und persönlich am besten geeigneten Bewerbers aus Anlaß der Vergabe einer Beförderungsstelle nicht sichergestellt wäre. Wie der Senat in diesem Zusammenhang in seinem Beschluß vom 19.11.1993 - 1 TG 1465/93 - (a.a.O.) ausgeführt hat, können die mit dem Erstellen dienstlicher Beurteilungen verfolgten Zwecke nur dann erreicht werden, wenn in Beurteilungen hinreichend differenziert wird. Die dienstlichen Beurteilungen sollen eine strikt am Leistungsprinzip orientierte Personalauslese ermöglichen und zugleich den Interessen der Beamten dienen, unter Wahrung des Leistungsgrundsatzes und des Gleichbehandlungsgebotes im Rahmen der dienstrechtlichen und haushaltsrechtlichen Beförderungsmöglichkeiten angemessen in höhere Ämter aufzusteigen. Darüber hinaus liefern die dienstlichen Beurteilungen dem Dienstherrn eine unentbehrliche Grundlage für den bestmöglichen Personaleinsatz seiner Beamten. Das vorliegende Auswahlverfahren verdeutlicht die Folgen der beanstandeten Beurteilungspraxis. Für die Vergabe der 26 Beförderungsstellen sind nach dem vom Antragsgegner gemäß Nr. 3.1 der Dienstanweisung ermittelten Leistungswert 88 Beamte als "im wesentlichen gleich" geeignet beurteilt worden. Anders ausgedrückt: das Beurteilungssystem des Antragsgegners führt zu einem Aufblähen des Bewerberkreises, das es ihm ermöglicht, das - vom Senat grundsätzlich anerkannte - Hilfskriterium des Zeitpunktes der I. Fachprüfung als entscheidendes Auswahlmerkmal heranzuziehen, um die - gemessen an diesem Datum - älteren Beamten vor an sich leistungsstärkeren Beamten befördern zu können. So steht in der Rangliste der leistungsgleichen Bewerber, geordnet nach Fachprüfungsdaten ein Bewerber mit 11,66 Leistungswertpunkten an erster Stelle, weil er seine I. Fachprüfung am 29.6.1972 abgelegt hat, während ein Beamter mit dem Spitzenleistungswert von 12,58 Punkten an 19. Stelle dieser Liste steht, weil er seine I. Fachprüfung erst am 30.3.1974 abgelegt hat. Vergleicht man die Rangliste der leistungsgleichen Bewerber, geordnet nach Fachprüfungsdaten, mit dem Ergebnis der aktuellen Beurteilungen der Beamten, so befindet sich der mit 13,13 Punkten am besten bewertete Beamte an 16. Stelle, weil er seine I. Fachprüfung am 30.3.1974 abgelegt hat. Der nächstbeste Beamte mit 13,07 Punkten, der seine I. Fachprüfung ebenfalls am 30.3.1974 abgelegt hat, befindet sich auf Platz 19. Die Plätze 17 und 18 werden von Beamten desselben Fachprüfungsdatums mit 12,38 Punkten belegt. Aus diesen Angaben wird deutlich, daß das vom Antragsgegner praktizierte Auswahlverfahren nicht dem Leistungsgrundsatz entspricht, sondern sich in erster Linie am Datum der I. Fachprüfung orientiert, das damit nicht mehr Hilfskriterium ist, sondern zum entscheidenden Auswahlmaßstab wird.

Die von der Rechtsprechung entwickelte Regel, Beurteilungsnoten in einem 15-Punkte-System dann als "im wesentlichen gleich" zu bewerten, wenn sie sich innerhalb der Bandbreite eines Punktes bewegen, setzt voraus, daß die Beurteilungen hinreichend differenziert sind. Mit ihr sollten mögliche unterschiedliche individuelle Sichtweisen und Bewertungsmaßstäbe der verschiedenen Beurteiler ausgeglichen werden. Sie darf aber keinesfalls zum "Gleichmachen" führen, um einem Hilfskriterium Tür und Tor zu öffnen, das von dem Leistungsgrundsatz nicht mehr erfaßt ist. Wenn auch der Senat in seiner Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluß vom 19.11.1993 - 1 TG 1465/93 -, a.a.O. m.w.N.) ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 25.8.1988, BVerwGE 80, 123, 126) es für rechtlich unbedenklich gehalten hat, bei "im wesentlichen gleich" beurteilten Bewerbern auf Hilfskriterien, wie z.B. auch auf Dienstalter oder Lebensalter oder auf das Datum der letzten Fachprüfung zurückzugreifen, um auf diese Weise überhaupt eine Auswahlentscheidung zu ermöglichen, so muß das Abstellen auf Hilfskriterien jedoch die Ausnahme bleiben, wenn diese leistungsfremder Natur sind. Kommt bei Beförderungen einem Hilfskriterium, wie hier dem Datum der I. Fachprüfung, in der Verwaltungspraxis ausschlaggebende Bedeutung zu, so ist dies mit dem Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 HV und § 8 Abs. 1 HBG nicht zu vereinbaren. Voraussetzung ist daher, daß der Dienstherr sich zuvor bemüht hat, mit Hilfe hinreichend differenzierender Beurteilungen anhand der rechtlich gebotenen Leistungskriterien eine Bestenauslese vorzunehmen. Bleiben gleichwohl zwei oder mehrere fachlich und persönlich gleich gut geeignete Bewerber übrig, so kann er in diesem Ausnahmefall auf Aspekte wie Dienstalter oder Lebensalter bzw. den Zeitpunkt des Ablegens der letzten Fachprüfung zurückgreifen, ohne gegen das Prinzip der Bestenauslese zu verstoßen. Das Differenzierungsgebot beansprucht um so mehr Geltung, je mehr Beamte in das Auswahlverfahren eingezogen werden. Läßt dagegen schon die Struktur des Auswahlverfahrens und die ihm zugrundeliegende Beurteilungspraxis erkennen, daß das Regel-Ausnahme-Prinzip bei dem Rückgriff auf Hilfskriterien wie Dienstalter, Lebensalter usw. in sein Gegenteil verkehrt wird, wofür das Auswahlverfahren des Antragsgegners - wie dargelegt - hinreichend Anschauungsmaterial liefert, sind die auf dieser Grundlage getroffenen Auswahlentscheidungen des Antragsgegners zugunsten der beförderten Beamten mit Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 HV und § 8 Abs. 1 HBG unvereinbar und von der ihm erteilten Beurteilungsermächtigung für die Auswahlentscheidung nicht mehr gedeckt.

Schließlich weist der Senat darauf hin, daß der verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich verankerte Leistungsgrundsatz allgemein Geltung beansprucht. Eine Einschränkung des Grundsatzes der Bestenauslese für den Bereich des mittleren Polizeivollzugsdienstes kann wegen der Bindung der Verwaltung und der Gerichte an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) auch nicht durch verwaltungspraktische Schwierigkeiten, wie etwa die große Bewerberzahl, gerechtfertigt werden; das in Art. 33 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete grundrechtsgleiche Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung steht allen Beamten unabhängig von ihrer Laufbahn bzw. Besoldungsgruppe zu.

Der Antragsteller hat die Kosten des erfolglosen Beschwerdeverfahrens nach § 154 Abs. 2 VwGO einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren nach §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO zu tragen. Der Beigeladene hat sich mit einem eigenen Antrag am Beschwerdeverfahren beteiligt und damit ein eigenes Kostenrisiko übernommen.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 13 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 - Buchstabe a -, 14 - entsprechend -, 20 Abs. 3 GKG. Seine Höhe entspricht dem Betrag der Hälfte des jährlichen Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 9 zuzüglich der Amtszulage, den der Senat wegen der im Ergebnis begehrten Neubescheidung und der Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes mit 3/8 multipliziert.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 VwGO).