Hessischer VGH, Beschluss vom 06.04.1995 - 1 TG 431/95
Fundstelle
openJur 2012, 20671
  • Rkr:
Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner mit dem angefochtenen Beschluß zu Recht vorläufig bis zu einer neu zu treffenden Auswahlentscheidung untersagt, die Stelle einer Oberstudienrätin/eines Oberstudienrates an der -Schule in zu besetzen und dem Beigeladenen die Urkunde über die Beförderung zum Oberstudienrat auszuhändigen. Das vom Antragsgegner durchgeführte Auswahlverfahren verletzt den Antragsteller in seinem vom Senat in ständiger Rechtsprechung als Bewerbungsverfahrensanspruch bezeichneten, grundrechtsgleichen Recht auf faire und (chancen-)gleiche, verfahrens- und beurteilungsfehlerfreie Behandlung seiner Bewerbung (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 12. Januar 1988 - 1 TG 2675/88 -, ZBR 1988, 291, 292 sowie vom 26. Oktober 1993 - 1 TG 1585/93 -, DVBl. 1994, 593).

Das Auswahlverfahren leidet an einem grundlegenden formalen Mangel, der auch im Laufe des Verwaltungsstreitverfahrens bis zur Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren nicht behoben worden ist. Die Auswahlentscheidung ist von einer hierfür sachlich nicht zuständigen Stelle, im vorliegenden Fall: dem Staatlichen Schulamt für den Landkreis, getroffen und vom Regierungspräsidium als zuständiger Stelle weder ausdrücklich und mit eigenen Erwägungen gebilligt noch nachgeholt worden.

Die Sachentscheidungsbefugnis bei Personalauswahlentscheidungen ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners unmittelbar aus § 12 Abs. 1 HBG. Aus dem Wortlaut der Vorschrift, in der die Befugnis zur "Ernennung" der Landesbeamten geregelt ist (vgl. auch Art. 108 HV), läßt sich eine Trennung der Befugnis zur Auswahlentscheidung einerseits und zu der einen beamtenrechtlichen Status begründenden oder verändernden Ernennung andererseits nicht herleiten.

Der Begriff der Ernennung ergibt sich aus § 9 HBG. Danach sind Ernennungen die in § 9 Abs. 1 HBG aufgeführten dienstrechtlichen Hoheitsakte, die nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde erfolgen. Letzteres ist ein rein formaler, an die Formvorschriften des § 9 Abs. 2 Satz 2 HBG gebundener Vollzugsakt, auf den - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt hat - die allgemeinen Bestimmungen über die Vertretung des Landes Hessen anzuwenden sind (Art. 103 HV). Demgegenüber gelten für die Ernennung die besonderen Zuständigkeitsregelungen nach Art. 108 HV, § 12 Abs. 1 HBG, die auch anzuwenden sind, soweit die Ernennung im Einzelfall eine Personalauswahlentscheidung voraussetzt. Die vom Antragsgegner postulierte Trennung zwischen Auswahl- und Ernennungskompetenz ist mit § 12 Abs. 1 HBG nicht vereinbar.

§ 12 Abs. 1 HBG ist vielmehr im Lichte des § 8 Abs. 1 Satz 1 HBG zu sehen. Dort heißt es ausdrücklich, daß die Auslese der Bewerber u n d  die Ernennung der Beamten (§ 9 HBG) nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen sind. Auslese und Ernennung bilden eine einheitliche Sachentscheidung, für die auch eine einheitliche Zuständigkeit bestimmt ist. Dem Antragsgegner steht insoweit kein organisatorisches Ermessen zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1990, NVwZ-RR 1990, 619, 620 = ZBR 1990, 301, 302).

Eine Übertragung der Sachentscheidungsbefugnis in Stellenbesetzungsangelegenheiten auf die Staatlichen Schulämter kommt nicht in Betracht. § 12 Abs. 1 Satz 3 HBG ermächtigt den Minister lediglich zur Übertragung der Befugnis zu Personalauswahlentscheidungen auf unmittelbar nachgeordnete Behörden; nichts anderes ergibt sich aus § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Verordnung über die Zuständigkeiten bei der Ernennung, Abordnung und Versetzung der Beamten des Landes Hessen und der Beendigung des Beamtenverhältnisses (Ernennungsverordnung) vom 22. Januar 1991 (GVBl. I S. 25, zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. Januar 1993, GVBl. I S. 25).

Unmittelbar nachgeordnete Behörde des Kultusministers ist das Regierungspräsidium als Behörde der allgemeinen Landesverwaltung in der Mittelstufe (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Mittelstufe der Verwaltung und den Landeswohlfahrtsverband Hessen vom 7. Mai 1953, GVBl. I S. 93, zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 1992, GVBl. I S. 655). Eine darüber hinausgehende Delegation der Sachentscheidungskompetenz auf untergeordnete Behörden ist mit der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar. Ihr steht der klare Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 3 HBG entgegen ("unmittelbar nachgeordnete Behörden"). Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmung ist bereits aus diesem Grunde, aber auch unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte und des dort dokumentierten Willens des Gesetzgebers ausgeschlossen.

Die historische Auslegung des § 12 Abs. 1 HBG (vgl. zum folgenden: v. Roetteken, in: Maneck/Schirrmacher, Hessisches Bedienstetenrecht, 7. Auflage, § 12 HBG Rdnrn. 13 ff.) ergibt, daß die Beschränkung der Übertragungsmöglichkeit auf unmittelbar nachgeordnete Behörden dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 3 HBG wurde durch Art. I Nr. 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 21. Dezember 1988 (GVBl. I S. 409) neu gefaßt, und zwar mit dem Ziel, zu verdeutlichen, daß die nach Satz 2 der Vorschrift kraft Übertragung durch die Landesregierung zuständigen Stellen ihrerseits nicht befugt sein sollen, die ihnen übertragene Sachkompetenz in Personalauswahlangelegenheiten weiter zu übertragen (vgl. Hessischer Landtag, 12. Wahlperiode, Drucksache 2185, S. 16); es sei denn, daß die Landesregierung sie hierzu ausdrücklich ermächtigt hat. Dies aber kommt nach § 12 Abs. 1 Satz 3 HBG nur in den Fällen der Übertragung der Sachkompetenz auf den zuständigen Minister in Betracht, der seinerseits nur zur Weiterübertragung auf unmittelbar nachgeordnete Behörden ermächtigt werden kann. Eine Ausnahme bildet - wiederum nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers - die in Satz 4 der Vorschrift geregelte Ermächtigung des Ministers des Innern, seine Befugnis auch auf die Polizeipräsidenten als untere Polizeibehörden (vgl. § 91 Abs. 3 Nr. 4 b HSOG) weiter zu übertragen; eine Regelung, die den organisatorischen Besonderheiten der Polizeiverwaltung Rechnung trägt.

Der Kultusminister hat die ihm in § 1 Abs. 1 Nr. 4 Ernennungsverordnung übertragene Befugnis, Lehrkräfte der Besoldungsgruppe A 14 BBesG zu ernennen, aufgrund der Ermächtigung in § 1 Abs. 3 Satz 2 Ernennungsverordnung durch § 1 Nr. 1 der Anordnung über Zuständigkeiten in Personalangelegenheiten der Beamten im Geschäftsbereich des Hessischen Kultusministeriums vom 29. Februar 1988 (GVBl. I S. 82) auf die Regierungspräsidenten übertragen. Diese Übertragung entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Die Anordnung vom 29. Februar 1988 ist weder insgesamt noch in Teilen außer Kraft gesetzt worden. Soweit nunmehr aus Ziffer I 1, 4 Abs. 1 des Erlasses betreffend die Beförderung von Studienrätinnen zu Oberstudienrätinnen und Studienräten zu Oberstudienräten vom 21. Juni 1994 (ABl. S. 952) zu entnehmen ist, daß das zuständige Staatliche Schulamt über die Auswahl der geeigneten Bewerberinnen und Bewerber für eine Beförderung zum Oberstudienrat/zur Oberstudienrätin "entscheidet", ist dies mit der gesetzlichen Regelung in §§ 12 Abs. 1 Satz 3 HBG, 1 Abs. 3 Satz 2 Ernennungsverordnung unvereinbar. Die Staatlichen Schulämter können die eigentliche Auswahlentscheidung nicht selbst treffen, sondern allenfalls durch Zusammenstellung entscheidungserheblicher Unterlagen, Würdigungsberichte und Auswahlvermerke vorbereiten, wie es weithin auch geschieht.

Im übrigen steht der Erlaß vom 21. Juni 1994, in dem eine Rechtsgrundlage nicht genannt ist, auch zu § 4 Nr. 1 der Anordnung vom 29. Februar 1988 in Widerspruch; denn dort wird dem Staatlichen Schulämtern lediglich die Befugnis zur Abordnung und Versetzung von Lehrkräften bis zur Besoldungsgruppe A 14 BBesG (ohne Funktionsamt) übertragen, nicht jedoch die Ernennungsbefugnis.

Im Hinblick auf die Beschwerdebegründung vom 7. März 1995 weist der Senat darauf hin, daß der Erlaß vom 21. Juni 1994 weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem erkennbaren Sinn den Schluß zuläßt, daß Auswahlentscheidungen der Schulämter grundsätzlich als solche des Regierungspräsidenten gelten sollen. Aber selbst wenn dies beabsichtigt gewesen sein sollte, wäre der Erlaß insoweit gleichwohl rechtswidrig. Die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, daß die sachlich zuständige Stelle sich die "Auswahlentscheidung" einer nachgeordneten Behörde ohne eigene Prüfung anhand des gesamten, für die Entscheidung wesentlichen Inhalts der Personalakten und ohne eigene nachvollziehbare Auswahlerwägungen zu eigen macht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 7. Februar 1995 - 1 TG 2371/94 - sowie vom 28. Februar 1995 - 1 TG 429/94 -).

Auch aus §§ 88 Abs. 4 Satz 1, 91 Abs. 1 Hessisches Schulgesetz - SchulG - vom 17. Juni 1992 (GVBl. I S. 233, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. November 1994, GVBl. I S. 695) ergibt sich, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat, keine Ermächtigung des Kultusministers zur Übertragung der Sachentscheidungsbefugnis auf die Staatlichen Schulämter. Der in diesen Vorschriften enthaltene Begriff der "zuständigen" Schulaufsichtsbehörde, die durch Anordnung des Kultusministers nach § 185 Abs. 1 SchulG festgelegt werden und die Entscheidung unter den vorgeschlagenen Bewerbern um die Stelle eines Schulleiters treffen soll, ist ausfüllungsbedürftig. Da nicht geregelt ist, welche Schulaufsichtsbehörde zuständig ist, ist die Vorschrift in praktischer Konkordanz zu den Zuständigkeitsregelungen in § 12 Abs. 1 Satz 3 HBG, 1 Abs. 3 Satz 2 Ernennungsverordnung auszulegen. Es handelt sich mithin nicht um eine Ermächtigungsgrundlage für die Staatlichen Schulämter, sondern lediglich um eine organisationsrechtliche Vorgabe, die der Kultusminister gesetzeskonform umzusetzen hat. Die von ihm gemäß §§ 91 Abs. 1, 185 Abs. 1 SchulG zu bestimmende organisatorische Zuständigkeit der Schulaufsichtsbehörde muß der materiell-rechtlich vorgegebenen Entscheidungskompetenz in der Sache folgen. Diese ergibt sich zwingend aus § 12 Abs. 1 Satz 3 HBG i.V.m. der Anordnung über Zuständigkeiten in Personalangelegenheiten vom 29. Februar 1988 und kann daher nur bei den Regierungspräsidenten liegen.

Der Senat teilt aus den dargelegten Gründen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß die Regelung in § 3 der Anordnung über die Zuständigkeit für die Bestellung (Auswahl und Beauftragung) von Bewerberinnen und Bewerbern zur Besetzung von Funktionsstellen in Schulen im Geschäftsbereich des Hessischen Kultusministeriums vom 24. August 1993 (ABl. S. 242) hinsichtlich der Auswahl von Schulleitern (Nr. 1) und Funktionsstelleninhabern (Nr. 2) mit dem Gesetz nicht vereinbar ist. Die Anordnung vom 24. August 1993 ist im vorliegenden Fall ohnehin nicht unmittelbar anwendbar, da es sich bei der zu besetzenden Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 (Oberstudienrätin/Oberstudienrat) nicht um eine Funktionsstelle im Sinne von § 91 SchulG handelt.

Da die Beschwerde erfolglos bleibt, hat der Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Zu einer Billigkeitsentscheidung hinsichtlich außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO besteht kein Anlaß, da dieser keinen Antrag gestellt und somit kein eigenes Kostenrisiko übernommen hat.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 14 Abs. 1 - entsprechend -, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sätze 1 a und 2 Gerichtskostengesetz - GKG - in der Fassung des Kostenrechtsänderungsgesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1325). Auszugehen ist gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 a GKG vom 13-fachen Betrag des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 14 BBesG, und zwar ohne Ortszuschlag (vgl. § 1 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 BBesG), der gemäß Satz 2 der Vorschrift zu halbieren ist, da das Verfahren die Verleihung eines anderen Amtes betrifft. Das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 14 beläuft sich ab 1. Oktober 1994 auf 6.176,38 DM (vgl. BGBl. 1994, 2232). Der resultierende Betrag (6,5 x 6.176,38 DM = 40.146,47 DM) ist nach der ständigen Praxis des Senats im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs zu 3/8 anzusetzen, da ein entsprechendes Hauptsacheverfahren nur auf die Verpflichtung zu einer erneuten Auswahlentscheidung gerichtet sein könnte. Daraus ergibt sich der aus der Beschlußformel ersichtliche Streitwert. Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).