Hessischer VGH, Beschluss vom 04.11.1993 - 4 TH 2109/92
Fundstelle
openJur 2012, 20262
  • Rkr:
Gründe

I.

Der Antragsteller mietete mit Mietvertrag vom 09.07.1982 zum 01.08.1982 die Räume im Erdgeschoß links der Liegenschaft S straße zum Betrieb einer Arztpraxis an. Der Netto- Mietzins (ohne Nebenkosten) beträgt laut Vertrag 875,-- DM monatlich.

Die Rechtsvorgängerin der jetzigen Eigentümerin reichte unter dem 13.05.1957 einen Bauantrag Nr. betreffend den Wiederaufbau eines Mehrfamilienwohnhauses auf dem streitbefangenen Grundstück bei der Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin ein. Der beigefügten Baubeschreibung zufolge waren im Erdgeschoß eine Büroeinheit und eine 3-Zimmer-Wohnung bzw. eine 4-Zimmer-Büroeinheit vorgesehen. In der Bauzeichnung des streitbefangenen Erdgeschosses links sind drei Räume als "Zimmer" und ein Raum als "Küche" bezeichnet. Diese Angaben sind im Aktenexemplar der Bauvorlagen mit Bleistift durchgestrichen und durch die Bezeichnung Büro ersetzt.

Mit Bauschein Nr. 390 vom 02.12.1957 erteilte die Antragsgegnerin der Rechtsvorgängerin der derzeitigen Eigentümerin die Baugenehmigung für "die Errichtung eines Wohnhauses und drei Garagen einschließlich Herstellung der Entwässerungsanlage".

Die Räume im Erdgeschoß des Hauses S straße sind seit dem 01.03.1958 ununterbrochen gewerblich genutzt.

Mit Anerkennungsbescheid gemäß § 82 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes erkannte die Stadt F - Bauverwaltung - unter dem 07.11.1958 die sechs Wohnungen im 1. bis 3. Obergeschoß der Liegenschaft als steuerbegünstigt an und führte aus, daß das Erdgeschoß vollständig gewerblich genutzt werde.

Mit Schreiben vom 13.05.1985 teilte die Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin dem Amt für Wohnungswesen auf Anfrage mit, daß nach Aktenlage für das ganze Erdgeschoß der Liegenschaft S straße Büronutzung genehmigt sei.

Nach Durchführung der 73. Westendkontrolle und Anhörung der Beteiligten gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Verfügung vom 16.06.1992 unter Berufung auf die §§ 3 und 83 HBO auf, innerhalb von 6 Monaten nach Zustellung der Verfügung die ungenehmigte Nutzung zu beenden und die Praxiseinrichtung aus der Wohnung zu entfernen. Zur Durchsetzung der Verfügung drohte sie die kostenpflichtige Zwangsräumung der Räume im Erdgeschoß an. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, bei einer örtlichen Überprüfung sei festgestellt worden, daß die im Erdgeschoß links gelegene 3-Zimmer-Wohnung als psychotherapeutische Praxis genutzt werde. Diese geänderte Nutzung verstoße gegen formelles Baurecht und sei daher unzulässig. Die Antragsgegnerin ordnete zudem die sofortige Vollziehung der Verfügung an und begründete dies mit dem öffentlichen Interesse an dem baurechtlich ordnungsgemäßen Zustand der Liegenschaft. Ohne das sofortige Einschreiten würde die Rechtsordnung denjenigen, der sich über das formelle Baurecht hinwegsetze, nicht zuletzt im Hinblick auf die Dauer der Verwaltungsstreitverfahren mindestens einen zeitweiligen Vorteil gegenüber einem gesetzestreuen Bauantragsteller verschaffen. Abgesehen hiervon ermögliche die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs andernfalls dem Pflichtigen, weiterhin eine Ordnungswidrigkeit zu begehen.

Der Antragsteller hat hiergegen am 22.07.1992 Widerspruch eingelegt, über den bislang noch nicht entschieden worden ist.

Außerdem hat der Antragsteller am 04.09.1992 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und im wesentlichen ausgeführt, daß die beanstandete Nutzung nicht formell illegal sei, da die Baugenehmigung vom 02.12.1957 eine gewerbliche Nutzung der betreffenden Räume vorsehe. Dies ergebe sich aus der dem Baugesuch beigefügten Baubeschreibung. Aus der in der Baugenehmigung enthaltenen Bezeichnung Wohnhaus könne nicht das Gegenteil geschlossen werden. Wegen der handschriftlichen Vermerke in den Bauplänen widersprächen auch die Angaben der Baubeschreibung den Plänen und der Baugenehmigung nicht.

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom22. Juli 1992 gegen die Verfügung der Antragsgegnerinvom 16. Juni 1992 (Az.: 63.821 Ra/Sav 751) wiederherzustellenbzw. anzuordnen.Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.Sie hat im wesentlichen vorgetragen, daß die Baubeschreibung gemäß § 2 Abs. 7 der Baupolizeiverordnung für die Stadt F vom 28.12.1953 nur subsidiär sei, weil in den Bauzeichnungen die Nutzungsart festgeschrieben sei. Im übrigen sei die entsprechende Beschreibung in der Baubeschreibung für sich nicht verständlich.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 05.10.1992 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin wiederhergestellt bzw. hinsichtlich der Androhung der Zwangsräumung angeordnet und zur Begründung ausgeführt, die streitigen Räume seien für eine wohnliche Nutzung genehmigt, da der Bauschein vom 02.12.1957 die Genehmigung für die Errichtung eines Wohnhauses erteile. Den mit dem Bauantrag eingereichten Bauvorlagen komme. keine selbständige Bedeutung zu. Sie könnten trotz baubehördlichen Genehmigungsvermerks eine fehlende Bauerlaubnis nicht ersetzen. Die Nutzung als Arztpraxis sei daher formell illegal. Dies rechtfertige nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich den Erlaß eines sofort vollziehbaren Nutzungsverbotes. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im vorliegenden Fall gleichwohl rechtswidrig, denn es sei kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß der Antragsteller sich bei der Anmietung der strittigen Räumlichkeiten einen gesetzwidrigen Vorteil habe verschaffen wollen. Ferner zeige die dem Antragsteller zur Erfüllung der Verfügung eingeräumte Frist von 6 Monaten, daß kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung vor Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens bestehe.

Die Antragsgegnerin hat gegen den ihr am 15.10.1992 zugestellten Beschluß am 20.10.1992 Beschwerde eingelegt. Sie führt aus, grundsätzlich rechtfertige die formelle Illegalität von Nutzungen baulicher Anlagen die sofortige Vollziehung eines darauf gestützten Nutzungsverbotes. Die Eilbedürftigkeit werde dabei durch die andauernde baurechtlich ungenehmigte Nutzung begründet. Der Verstoß gegen die Ordnungsfunktion des formellen Baurechts reiche für die Begründung des sofortigen Vollzugs des Nutzungsverbotes aus. Auf wirtschaftliche Vorteile des Störers komme es nicht an. Nach diesen Grundsätzen habe sie, die Antragsgegnerin, die sofortige Vollziehung ihres Nutzungsverbots begründet. Sie sei sich dabei des Ausnahmefalles der sofortigen Vollziehung bewußt. Entsprechend sei die Begründung der sofortigen Vollziehung auch auf die konkreten Einzelheiten abgestellt worden. Die Dauer der Frist habe auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine Auswirkung. Die Frist bemesse sich allein danach, in welcher Zeit die Antragsgegnerin es für zumutbar halte, der Verfügung nachzukommen. Für die Räumung einer Arztpraxis einschließlich der Suche nach geeigneten Ersatzräumen sei eine Frist von 6 Monaten angemessen. Es sei nicht sachgerecht, aus der Dauer der Frist abzuleiten, daß der Vollziehungswille der Antragsgegnerin nicht ernsthaft sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Antragabzulehnen.Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.Er macht im wesentlichen geltend, die Nutzung der streitigen Räume als Arztpraxis entspreche der Baugenehmigung.

Die die Liegenschaft S straße betreffenden Bauakten, ein einschlägiges Fallheft und der zugehörige Widerspruchsvorgang liegen vor und waren Gegenstand der Beratung.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

Widerspruch und Anfechtungsklage haben, soweit sie sich nicht gegen Verwaltungsakte in der Vollstreckung richten, regelmäßig aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO). Die Behörde kann jedoch ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage dadurch beseitigen, daß sie nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung dieser Verfügung anordnet. Sie ist zu einer solchen Anordnung aber nur berechtigt, wenn die sofortige Vollziehung der Verfügung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten erscheint. Die Behörde muß also vor Erlaß der Anordnung einerseits die Interessen der Öffentlichkeit und eines etwaigen Beteiligten an einer sofortigen Durchführung der Maßnahme sowie andererseits die entgegenstehenden Interessen des Betroffenen an dem Bestand der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs gegeneinander abwägen. Eine ähnliche Prüfung hat das Gericht anzustellen, wenn es gemäß § 80 Abs. 5 VwGO um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes angegangen wird. Dem sogenannten Stoppantrag ist stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt, gegen den Widerspruch erhoben ist, offensichtlich rechtswidrig ist; in diesem Fall kann kein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, seine Anfechtung auch nicht etwa wegen eigenen Ermessens der Widerspruchsbehörde aussichtsreich und seine Vollziehung eilbedürftig ist. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung des Sachverhalts eine reine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Auf die Eilbedürftigkeit der Vollziehung wegen der besonderen Wichtigkeit und Dringlichkeit einer sofortigen Vollziehung, die auch falltypisch gegeben sein kann, kann nicht allein wegen der Belange des Betroffenen, sondern schon wegen der Wahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Absätze 1 und 2 des § 80 VwGO nicht verzichtet werden. Die Regel bleibt, daß sich die Vollstreckung eines Verwaltungsaktes, gegen den Widerspruch erhoben wird, an ein abgeschlossenes Hauptsacheverfahren anschließt.

Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen das Nutzungsverbot begründet.

Allerdings ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht deshalb rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin dem Antragsteller zur Erfüllung der Verfügung eine Frist von 6 Monaten eingeräumt hat. Es muß der Behörde regelmäßig möglich sein, auch einen bereits lange andauernden baurechtswidrigen Zustand in einem überschaubaren Zeitraum nach Ergehen der behördlichen Entscheidung tatsächlich zu beenden. Der Umstand, daß die illegale Nutzung mit Wissen der Behörde schon längere Zeit andauert und der Nutzer, der sich darauf eingerichtet hat, etwas Zeit zur Umstellung braucht, kann zur Folge haben, daß die zur Beendigung der illegalen Nutzung zu setzende Frist eher großzügig bemessen werden sollte. Diesem Gesichtspunkt hat die Antragsgegnerin hier durch Einräumung einer sechsmonatigen Frist ausreichend Rechnung getragen; die Bestimmung einer wesentlich kürzeren Frist wäre in der vorliegenden Situation ermessensfehlerhaft gewesen. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, daß die Einräumung einer Frist von 6 Monaten zeige, daß kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung der Verfügung vor Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens bestehe. Vielmehr ist es in Fällen der vorliegenden Art wünschenswert und sinnvoll, daß dem Pflichtigen einerseits eine großzügige Frist für die Beendigung der formell illegalen Nutzung und die Verlegung seiner beruflichen Tätigkeit an einen anderen Ort gesetzt wird, daß dann aber ohne weitere Verzögerung die Vollziehung und notfalls die Vollstreckung der offensichtlich rechtmäßigen Verfügung auch schon vor Eintritt ihrer Bestandskraft möglich wird.

Der angeordnete Sofortvollzug des Nutzungsverbots ist jedoch aus anderen Gründen ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. Die Antragsgegnerin ist nämlich wegen der außergewöhnlichen näheren Umstände des vorliegenden Falls gehindert, dem Antragsteller ein sofort vollziehbares Verbot der Nutzung der Räume im Erdgeschoß links der Liegenschaft S straße aufzuerlegen, obgleich die gegenwärtige Nutzung als Arztpraxis formell illegal ist. Der Senat hält nach wie vor an der Rechtsprechung fest, daß die Bauaufsichtsbehörden berechtigt sind, im Falle formeller Illegalität Nutzungsverbote auszusprechen; die Bauaufsicht ist nicht darauf beschränkt, dem Eigentümer aufzugeben, Bauvorlagen einzureichen. Nur durch die Möglichkeit, formell illegale Nutzungen zu verbieten, und zwar ohne Rücksicht auf eine etwaige materielle Legalität, ist die Bauaufsicht in der Lage, das System des präventiven Bau- und Nutzungsverbotes in Verbindung mit der Genehmigungspflicht von Bauvorhaben zu sichern. Im vorliegenden Fall muß ausnahmsweise etwas anderes gelten. Hauseigentümer und Nutzer haben aus ihrer Sicht rechtzeitig alles unternommen und erreicht, um die streitigen Räume formell legal der Nutzung als Arztpraxis zuzuführen, und konkrete Sicherheitsbedenken bestehen wegen der gegenwärtigen Nutzung nicht. Entgegen der rechtlichen Wertung der Antragsgegnerin, auf Grund deren sie ihr Ermessen ausgeübt hat, liegt für die streitigen Räume auch keine Wohnnutzungsgenehmigung und somit keine Nutzungsänderung vor; denn die Baugenehmigung vom 02.12.1957 ist, soweit sie die Nutzungsgenehmigung des Erdgeschosses links im Gebäude S straße betrifft, in sich widersprüchlich und daher nichtig.

Durch die im Bauschein aufgeführte Bezeichnung "Wohnhaus" werden weder die Einzelheiten der baulichen Gestaltung des Gebäudes noch seiner Nutzung abschließend geregelt. Die Regelung dieses Bauscheins kann nur im Zusammenhang mit detaillierten Angaben der Bauvorlagen und Baubeschreibung verständlich und ausreichend bestimmt sein. Anders als in den Fällen, die den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Entscheidungen des OVG Lüneburg (Beschluß vom 09.10.1973, BRS 27 Nr. 147) und des OVG Nordrhein- Westfalen (Urteil vom 06.10.1982, BRS 39 Nr. 152) zugrundelagen, enthält der hier maßgebliche Bauschein vom 02.12.1957 selbst gerade keine detaillierten Angaben über die räumliche Ausgestaltung und die Nutzung, die nicht weiter erläuterungsfähig oder ergänzungsbedürftig wären und deshalb auch nicht von Bauvorlagen oder Baubeschreibungen näher konkretisiert oder ausgefüllt werden könnten. Im vorliegenden Fall wird erst durch die Bauzeichnungen z. B. erkennbar, daß das genehmigte Gebäude vier Vollgeschosse und ein Dachgeschoß erhalten und daß in den drei Obergeschossen je zwei Wohnungen eingerichtet werden sollen. So wie diese Einzelheiten der Anzahl von Wohnungen und ihrer Anordnung erst aus den Bauunterlagen hinreichend deutlich werden, so werden auch die Einzelheiten der Nutzungsart erst durch diese Unterlagen konkretisiert. Die im Bauschein verwendete Bezeichnung "Wohnhaus" schließt dabei nicht aus, daß in dem Gebäude neben der überwiegenden Wohnnutzung in untergeordnetem Umfang auch gewerbliche Nutzung, insbesondere solche mit eher wohnartigem Charakter untergebracht werden kann. Die erforderliche Konkretisierung zur Nutzungsart wird für das Erdgeschoß links durch die vorliegende Bauzeichnung jedoch nicht erbracht. Die ursprünglich verwendeten Bezeichnungen "Zimmer" und "Küche" lassen offen, ob es sich um wohnliche oder geschäftliche Nutzung handelt. Denn es bleibt unentschieden, ob es sich um Wohn-, Eß- und Schlafzimmer oder um Arbeits-, Besprechung- und Wartezimmer handeln soll. Auch die Bezeichnung "Küche" zwingt nicht zur Annahme, daß es sich insgesamt um Wohnraum handeln muß, da Teeküchen im Zusammenhang mit Büroräumen nicht ungewöhnlich sind. Den Bleistifteintragungen "Büro" vermag der Senat keine maßgebliche Bedeutung beizumessen, da weder der Urheber dieser Eintragungen noch das Datum erkennbar sind. Es mag sein, daß es im Rahmen der Schlußabnahme zu diesen Eintragungen gekommen ist. Da es sich nicht um sogenannte Grüneintragungen handelt, können diese Angaben nicht als Inhalt der Genehmigung angesehen werden. Weil die Bauzeichnung die genehmigte Nutzungsart des Erdgeschosses links nicht bestimmt, ist im vorliegenden Fall die Baubeschreibung von entscheidender Bedeutung. Diese läßt die Nutzungsart des Erdgeschosses links aber gerade offen, weil sie sowohl eine 3-Zimmer-Wohnung als auch eine 4-Zimmer-Büroeinheit ermöglicht. Eine solche alternative Genehmigung von Wohn- und Büronutzung ist jedoch nicht zulässig, sondern widersprüchlich und daher nichtig (heute: § 37 Abs. 1, § 44 Abs. 1 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes).

Diese seit 35 Jahren bestehende Nichtigkeit hat in erster Linie die Antragsgegnerin zu verantworten. Es wäre nämlich ihre Sache gewesen, auf eindeutige Bauvorlagen hinzuwirken und eine Genehmigung mit eindeutigem Inhalt zu erteilen. Wegen der gleichwohl erteilten Baugenehmigung konnten der Hauseigentümer und der Antragsteller annehmen, die gewerbliche Nutzung sei von der Genehmigung erfaßt. Dementsprechend ging auch die Baubehörde, die mehrfach mit der Liegenschaft S straße dienstlich befaßt war, mindestens bis 1985 davon aus, daß Büronutzung genehmigt sei. In dieser Lage, in der wegen der im wesentlichen durch die Antragsgegnerin verursachten Nichtigkeit der Nutzungsgenehmigung für das Erdgeschoß links weder eine gewerbliche Nutzung noch eine Wohnnutzung formell legal und die materielle Legalität der bestehenden Nutzung zumindest unter dem Gesichtspunkt möglichen Bestandsschutzes nicht geprüft ist, ist es der Bauaufsicht verwehrt, dem Antragsteller die Nutzung für eine Arztpraxis allein gestützt auf die formelle Illegalität, aber, wie das Anhörungsschreiben erkennen läßt, in der Einschätzung, daß eine Genehmigung ausscheidet, mit dem erkennbaren Ziel der Umwandlung der Praxisräume in Wohnraum zu versagen. Auch eine Wohnnutzung wäre formell illegal. Nachdem nunmehr die Nichtigkeit der in der Baugenehmigung vom 02.12.1957 enthaltenen Nutzungsgenehmigung erkannt ist, ist es Sache der Antragsgegnerin, beim Hauseigentümer auf die Stellung eines korrekten Antrags auf Erteilung einer Nutzungsgenehmigung hinzuwirken. Erst wenn etwa geklärt ist, daß die gegenwärtige Nutzung durch den Antragsteller nicht genehmigungsfähig ist, oder wenn der Hauseigentümer nicht in angemessener Frist prüffähige Unterlagen vorlegt, ist die Antragsgegnerin berechtigt, ein - auch sofort vollziehbares - Nutzungsverbot zu erlassen.

Wegen der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen das vorläufige Nutzungsverbot entfällt dessen Vollstreckbarkeit. Deshalb ist auch das angedrohte Zwangsmittel nicht mehr vollstreckbar. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht insoweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet.

Zitate0
Referenzen0
Schlagworte