Hessischer VGH, Urteil vom 04.11.1992 - 14 UE 21/88
Fundstelle
openJur 2012, 19944
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin betreibt ein Speditionsunternehmen.

Der Standort der Spedition befindet sich in einem durch den Bebauungsplan Nr. der Stadt R als Gewerbegebiet mit dem Zusatz "emissionsarm" ausgewiesenen Bereich. Unmittelbar daran angrenzend befindet sich im Westen das durch den o. g. Bebauungsplan festgesetzte allgemeine Wohngebiet "Am D" und östlich ein im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche dargestelltes und tatsächlich auch als solches bebautes Wohngebiet.

Im Jahre 1948 wurde auf das jetzt als Betriebsgrundstück genutzte Grundstück zunächst ein Wohnhaus mit Stallgebäude und Garage errichtet. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Anwesen ohne ausdrückliche baurechtliche Genehmigung zu einem Speditionshof ausgebaut.

Aufgrund von Beschwerden aus der Nachbarschaft über Störungen der Nachtruhe durch den Betrieb der Klägerin führte das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt F des Beklagten in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1984 zunächst Erhebungen über die Häufigkeit der Fahrbewegungen auf dem Betriebsgrundstück der Klägerin durch und ließ sodann am 15. April 1984 zwischen 21.45 Uhr und 22.15 Uhr Geräuschimmissionen auf einem Nachbargrundstück messen. Gestützt auf diese eigenen Lärmmessungen (mehrfach Spitzenwerte bis zu 67 dB(A)) sowie auf das Ergebnis eines von der Klägerin bereits im Jahre 1982 selbst in Auftrag gegebenen Meßgutachtens (Wirkpegel von 51 dB(A), Schallhöchstpegel von 75 dB(A)) traf das Gewerbeaufsichtsamt F am 18. Dezember 1984 die streitbefangene Ordnungsverfügung. Darin wurde der Klägerin sofort vollziehbar aufgegeben, den Nachtfahrbetrieb von und zu ihrem Betriebsgelände sowie den Rangierbetrieb und die sonstigen Arbeiten auf dem Gelände während der Nachtzeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr so zu gestalten, daß der zulässige Immissionsrichtwert von 40 dB(A) während der Nachtzeit für die angrenzenden Wohngebiete eingehalten werde.

In dem dagegen am 24. Dezember 1984 eingelegten Widerspruch bestritt die Klägerin die ihr zur Last gelegten Verstöße gegen die Lärmschutzvorschriften. Auf jeden Fall könne der vom Beklagten festgesetzte Lärmrichtwert von ihr, der Klägerin, dann eingehalten werden, wenn die Lastzüge vom gegenüberliegenden Parkplatz abfahren dürften, dessen Nutzung jedoch bisher nicht genehmigt sei. Dagegen sei der ihr vom Beklagten in der gewerbeaufsichtlichen Verfügung unterbreitete Vorschlag, für die Durchführung ihres Nachtfahrbetriebes auf einen in B gelegenen Speditionshof auszuweichen, unzumutbar.

Das von der Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Kassel angestrengte Eilverfahren -- II/3 H 1601/85 -- endete durch Vergleich, in welchem sich die Klägerin bei gleichzeitiger Aufhebung des angeordneten Sofortvollzugs durch den Beklagten verpflichtete, den Nachtfahrbetrieb einschließlich sonstiger Arbeiten in der Zeit von 0.00 Uhr bis 6.00 Uhr täglich zu unterlassen.

Der Widerspruch blieb ebenso erfolglos wie die anschließende Klage, die die Klägerin über ihr Vorbringen im Vorverfahren hinaus damit begründete, daß ihr Betrieb seit 1948 bestehe und daher situationsbedingt gegenüber der später heranrückenden Wohnbebauung zur Störquelle geworden sei, welche die Nachbarn zudem in voller Kenntnis in Kauf genommen hätten.

Das Verwaltungsgericht Kassel wies mit Urteil vom 16. November 1987 die Klage im wesentlichen mit folgender Begründung ab: Die von dem Speditionsbetrieb der Klägerin zur Nachtzeit ausgehenden Lärmimmissionen seien geeignet, erhebliche Belästigungen bei den Anwohnern herbeizuführen. Der Beurteilung der Erheblichkeit seien die in der Technischen Anleitung zum Schutze gegen Lärm -- TA Lärm -- festgelegten Immissionsrichtwerte zugrunde zu legen. Bei den an den Betriebsstandort der Klägerin angrenzenden Gebieten handele es sich um solche, in denen vorwiegend Wohnungen untergebracht und für welche die Immissionsrichtwerte nach der TA Lärm auf tagsüber 55 dB(A) und nachts 40 dB(A) festgesetzt seien. Die Einordnung der angrenzenden Gebiete als Wohngebiete folge für den westlichen Teil "Am D" aus den Festsetzungen des Bebauungsplanes, für den östlichen -- unbeplanten -- Teil sei die durch die Wohnbebauung geprägte tatsächliche Situation maßgebend. Stießen -- wie hier -- Gebiete unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit aufeinander, nämlich auf der einen Seite ein 70 dB(A) zulassendes Gewerbegebiet, auf dem sich der Betrieb der Klägerin befinde, auf der anderen Seite Gebiete mit ausgedehnter Wohnbebauung, so bestehe eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Daraus resultiere einerseits eine besondere Pflichtigkeit desjenigen, der die Belästigungen verbreite und andererseits eine Duldungspflicht für denjenigen, der sich in der Nähe des Betriebes ansiedele und daher Nachteile hinnehmen müsse, die er außerhalb eines derartigen Grenzbereichs nicht hinzunehmen brauchte. Die Festsetzung des für allgemeine Wohngebiete geltenden Immissionsrichtwertes auf 40 dB(A) sei auch unter Beachtung des gegenseitigen Rücksichtnahmegebotes aus folgenden Gründen nicht zu beanstanden: Der erhöhten Duldungspflicht der Nachbarn sei schon dadurch Rechnung getragen worden, daß das Gebiet "Am D" im Hinblick auf das angrenzende Gewerbegebiet nur als allgemeines Wohngebiet im Bebauungsplan ausgewiesen worden sei, obwohl es sich tatsächlich als ein reines Wohngebiet darstelle, in dem nach der TA Lärm nachts nur 35 dB(A) Lärm zulässig seien. Insofern sei durch eine bereits plangegebene Erhöhung der nächtlichen Immissionsrichtwerte für die angrenzenden Nachbarn die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme in den Festsetzungen des Bebauungsplanes konkretisiert worden. Darüber hinaus werde die Pflichtstellung der Klägerin deshalb erhöht, weil ihr Betrieb von zwei Seiten mit einer ausgedehnten Wohnbebauung umgeben sei. Dabei könne sie sich nicht auf eine besondere Situationsberechtigung gegenüber den Anwohnern berufen; denn sie genieße nur einen eingeschränkten Bestandsschutz. Für den Betriebshof und für die Betriebstankstelle könne sie nämlich keine Baugenehmigungen vorlegen. Der Bestandsschutz umfasse deshalb lediglich die ausdrücklich genehmigten Gebäude und Nutzungsarten, nicht aber den eigentlichen Speditionsbetrieb. Die Klägerin sei ferner auch deshalb mit einer besonderen Pflichtstellung belastet, weil sie die Ausbildung der ihr abträglichen baurechtlichen Situation, die mit der Errichtung der Wohngebäude in der Nachbarschaft des Betriebes entstanden sei, nicht zu verhindern versucht habe. Sie sei ferner auch nicht gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes vorgegangen, der für das Gewerbegebiet die Einschränkung "emissionsarm" enthalte. Zudem sei ein baurechtlicher Bestandsschutz durch die Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes eingeschränkt.

Da die Nachbarn nach alledem keinen höheren Immissionsrichtwert als 40 dB(A) zur Nachtzeit hinzunehmen brauchten und dieser Immissionsrichtwert ausweislich aller Meßergebnisse überschritten worden sei, sei die angefochtene gewerbeaufsichtliche Ordnungsverfügung zu Recht ergangen. Der Beklagte habe die Schutzwürdigkeit der angrenzenden Gebiete und die sich daraus ergebende Pflichtenstellung erkannt und frei von Fehlern zum Gegenstand seiner Ermessenserwägung gemacht. Die Anordnung sei auch inhaltlich hinreichend bestimmt und, da ein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes nicht zur Verfügung gestanden habe, auch verhältnismäßig und damit insgesamt rechtmäßig.

Gegen das ihr am 25. November 1987 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Dezember 1987 Berufung eingelegt. Sie hält das angegriffene Urteil in mehrfacher Hinsicht für unzutreffend. Sie erfülle ihre aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz folgende Pflicht, die Anlage so zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen verhindert würden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar seien bzw. daß nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt würden, weil ihre Lastzüge dem Stand der Technik entsprächen. Inzwischen seien die Verhältnisse für die zu- und abfahrenden Lastzüge dadurch verbessert worden, daß sie, die Klägerin, von einem Grundstücksnachbarn in nordöstlicher Richtung einen 30 m breiten Grundstücksstreifen hinzu erworben habe.

Abgesehen von der tatsächlichen Veränderung der Verhältnisse könne von der Klägerin die Einhaltung eines Immissionsrichtwertes von 40 dB(A) nicht verlangt werden. Denn -- ebenfalls -- abgesehen davon, daß eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen die Grenze der Zumutbarkeit von Lärmbeeinträchtigungen in allgemeinen Wohngebieten bei Nacht jedenfalls erst oberhalb von 40 dB(A) ziehe, genieße ihr Betrieb unabhängig vom Vorliegen einer bauaufsichtlichen Genehmigung einen uneingeschränkten Bestandsschutz. Auch könne ihr nicht vorgeworfen werden, daß sie seinerzeit nicht versucht habe, die Errichtung von Wohngebäuden in ihrer Nachbarschaft zu verhindern. Vielmehr müsse ein "grober Mißgriff" der Baugenehmigungsbehörden angenommen werden, die die Errichtung der Wohngebäude trotz der ausdrücklichen Bedenken des Gewerbeaufsichtsamtes wegen der Nähe des klägerischen Betriebes baurechtlich genehmigt hätten. Dieser habe jedenfalls zur Folge, daß die Eigentümer und Bewohner dieser Baugebiete eine Einschränkung ihrer Abwehrrechte von vornherein in Kauf genommen hätten. Ebenso unzulässig sei der Vorwurf, die Klägerin sei gegen die Einstufung des Gebietes als "emissionsarmes Gewerbegebiet" nicht vorgegangen.

Schließlich sei die Festsetzung des Immissionsrichtwertes auf 40 dB(A) -- unabhängig davon, daß andere Gerichte für reine Wohngebiete bereits 45 dB(A) in der Nacht als Anhaltspunkte akzeptierten -- deshalb zu niedrig, weil es sich im vorliegenden Fall bei den Nachbargebieten nicht um reine, sondern um allgemeine Wohngebiete handele. Einer durch das Aufeinandertreffen von Gewerbegebiet und allgemeinem Wohngebiet geprägten Gemengelage könne nicht einfach dadurch Rechnung getragen werden, daß der Grenzwert nur um 5 dB(A) -- gemeint ist wohl ausgehend von dem niedrigeren Wert von 35 dB(A) für reine Wohngebiete -- erhöht werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 16. November 1987 sowie die Anordnung des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes F vom 18. Dezember 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums in K vom 31. Mai 1985 aufzuheben und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die gewerbeaufsichtliche Anordnung sei erforderlich, um die von dem Speditionshof ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen auf ein zulässiges Maß zu beschränken. Dabei sei der von den Lastkraftwagen ausgehende Lärm aufgrund deren betriebsbezogenen Einsatzes der Betriebsstätte der Klägerin zuzurechnen. Der als Anhaltspunkt für die Frage der Erheblichkeit des Lärms angenommene Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts unterliege keinen Bedenken. Von der üblicherweise beim Zusammentreffen unterschiedlicher Gebietsqualitäten vorzunehmenden Bildung eines sogenannten Mittelwertes habe abgesehen werden können, weil der Abwägung der gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten schon -- wie das Verwaltungsgericht ausgeführt habe -- durch die für die Klägerin günstigere Festsetzung des Wohngebiets "Am D" als allgemeines anstatt als reines Wohngebiet bereits im Bebauungsplan Rechnung getragen worden sei. Selbst bei der Annahme, daß ein Mittelwert hätte gebildet werden müssen, liege dieser nachts bei 45 dB(A), ein Wert, den die Klägerin ebenfalls erheblich überschritten habe. Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen stünden der hier vorgenommenen Beurteilung der Erheblichkeit der Lärmbeeinträchtigungen nicht entgegen; denn abgesehen davon, daß sie nach der heutigen Rechtslage so nicht mehr ergehen dürften, beträfen sie die Beurteilung von durch Verkehrslärm verursachte Immissionen und nicht -- wie hier -- von anlagebezogenen Lärmimmissionen.

Eine Duldungspflicht der Wohnnachbarschaft ergebe sich auch nicht aus Gründen des Bestandsschutzes; denn die Nutzung der einzelnen Bauwerke als Speditionshof sei von den einzeln erteilten Genehmigungen nicht mit umfaßt gewesen. Selbst wenn jedoch der Speditionsbetrieb baurechtlichen Bestandsschutz genießen würde, wären grundsätzlich Anordnungen der angegriffenen Art zur Vermeidung von erheblichen Lärmbelästigungen zulässig. Schließlich könne sich die Klägerin gegen die gewerbeaufsichtliche Anordnung nicht mit dem Einwand wehren, die westlich und östlich des Betriebes gelegenen Grundstücke seien in Kenntnis der Lärmimmissionen bebaut worden. Der Betrieb habe nämlich von Anbeginn an die latente Gefahr in sich getragen, bei einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere bei der Entstehung einer Wohnnachbarschaft, als erheblich belästigend angesehen werden zu müssen. Die Klägerin hätte daher ihren Betrieb den neuen Verhältnissen anpassen und die nicht mehr zumutbaren Lärmbelästigungen unterlassen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozeßakte, der das Eilverfahren betreffenden gerichtlichen Verfahrensakte des VG Kassel -- II/3 H 1601/85 -- sowie auf die die Klägerin betreffenden Behördenakten des Regierungspräsidiums in K (1 Hefter), des Bauamtes des Landkreises H -R (23 Hefter) und auf den Bebauungsplan der Stadt R- verwiesen.

Gründe

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO -- ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zum Teil begründet; denn das Verwaltungsgericht hätte die Klage nicht in vollem Umfang abweisen dürfen, sondern ihr in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattgeben müssen.

Die der Klägerin aufgegebene Einhaltung von Immissionsrichtwerten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit die von ihrem immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftigen Betrieb ausgehenden Geräuscheinwirkungen auf die angrenzenden Wohngebiete weniger als 45 dB (A) betragen sollen.

Rechtsgrundlage für die angegriffene Anordnung des Beklagten ist § 24 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes -- BImSchG --. Danach kann die zuständige Behörde im Einzelfall die zur Durchführung des § 22 und der auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz gestützten Rechtsverordnungen erforderlichen Anordnungen treffen. Mit der angegriffenen Verfügung verfolgt der Beklagte das Ziel, die Klägerin dazu anzuhalten, ihre Grundpflichten als Anlagenbetreiberin gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG zu erfüllen, nämlich ihre nicht genehmigungsbedürftige Anlage so zu errichten und zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieser Regelung sind gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind. Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Welche Beeinträchtigungen als erheblich einzustufen sind, bemißt sich danach, was die Betroffenen an Immissionen nicht mehr hinzunehmen brauchen, weil es unzumutbar ist. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist auf die konkrete Betroffenheit abzustellen, die freilich insofern umgebungsabhängig ist, als nach der gesetzlichen Konzeption nicht die Erwartungen des einzelnen, sondern die Verhältnisse in der Nachbarschaft, das heißt im Einwirkungsbereich der Anlage, als Maßstab dienen.

Zu Recht ist der Beklagte davon ausgegangen, den auf dem Betriebsgrundstück der Klägerin durch Motorengeräusche ihrer Lastkraftwagen verursachten Lärm der gewerblichen Betriebsstätte zuzurechnen, in deren funktionalem Zusammenhang sie stehen. Der von ihrem Betriebsgrundstück ausgehende Einsatz der Kraftfahrzeuge der Klägerin stellt einen integralen Bestandteil ihrer betrieblichen Betätigung dar. Unabhängig von der für Kraftfahrzeuge maßgeblichen Spezialregelung des § 38 BImSchG, der auch die Fahrzeuge der Klägerin unterliegen, soweit ihre Beschaffenheit und ihr Einsatz außerhalb des Betriebsgrundstückes betroffen sind, sind die von ihnen auf dem Betriebsgelände verursachten Geräuschimmissionen ausschließlich betriebsbezogen und deshalb der Betriebsstätte der Klägerin als Anlage im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG zuzuordnen (so Hess. VGH, U. v. 13. Januar 1986 -- VIII OE 90/80 -- UPR 1987, S. 73).

Der Beklagte hat die Frage, ob die Geräusche, die -- wie soeben ausgeführt -- von den der Anlage der Klägerin zuzurechnenden Lastkraftwagen ausgehen, geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen, auch zulässigerweise auf der Grundlage der Technischen Anleitung zum Schutze gegen Lärm -- TA Lärm -- beurteilt.

Zu Unrecht hat der Beklagte jedoch den Grenzwert für nächtliche Geräuschimmissionen, die der hier betroffenen Nachbarschaft zumutbar sind, auf 40 dB (A) festgesetzt. Zwar ist bei der Beantwortung der Frage, was der Umgebung an Lärmbelästigungen zugemutet werden darf, von dem Grundsatz auszugehen, daß Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der im Einwirkungsbereich einer lärmemittierenden Anlage liegenden Grundstücke und ihrer Bewohner maßgeblich von der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation abhängen -- hiervon geht auch die TA Lärm aus, wenn sie in Nr. 2.321 das Maß der Zumutbarkeit von Lärmbelästigungen nach der Gebietsart im Einwirkungsbereich der Anlage stuft --, aber die im vorliegenden Fall zu beurteilende Situation ist durch ein nicht vorbeugend vermiedenes Nebeneinander von sich grundsätzlich ausschließenden Nutzungen geprägt. Für die Lösung solcher Konflikte ist von der Rechtsprechung seit langem anerkannt, daß in Bereichen, in denen Gebiete von unterschiedlicher Qualität und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet ist (so schon BVerwG, U. v. 12. Dezember 1975 -- IV C 71.73 -- E 50, 49, 55). Dieser auch und gerade im Immissionsschutzrecht geltende Zwang zur gegenseitigen Rücksichtnahme führt schon generell dazu, daß die Bewohner eines bestimmten Gebietstyps, die an der Grenze zu einem weniger schützenswerten Gebiet liegen, mehr an Geräuschen hinnehmen müssen, als die Bewohner von gleichartig genutzten Gebieten, die nicht im Grenzbereich zu Gebieten liegen, in denen die Grenze der Zumutbarkeit durch Festsetzung höherer Immissionsrichtwerte gezogen ist. Dieser erhöhten Duldungspflicht des Nachbarn korrespondiert die Einschränkung des Rechts eines Anlagenbetreibers, aus Rücksicht auf den Gebietscharakter der Umgebung nicht mehr soviel Lärm erzeugen zu dürfen, wie der Charakter des Gebietes zuläßt, in dem sich die Anlage befindet.

Steht danach fest, daß weder die Klägerin die für sie ohne das Bestehen einer Rücksichtnahmepflicht günstigen Immissionsrichtwerte der TA Lärm Nr. 2.321 Buchstabe a) (70 dB (A) ohne weitere nächtliche Einschränkung) oder Buchstabe b) (nachts 50 dB (A)) noch der Beklagte die für die Nachbarn günstigsten Werte des Buchstaben e) (nachts 35 dB (A)) reklamieren können, so ist ein "Mittel- oder Zwischenwert" zu bilden. Dabei wird eine rein rechnerische, von abstrakten Gebietsrichtwerten ausgehende Mittelwertbildung den Anforderungen des gegenseitigen Gebots der Rücksichtnahme nicht gerecht. Die vom erkennenden Senat bei 45 dB (A) angenommene Grenze für die den Nachbarn zumutbaren nächtlichen Geräuschimmissionen ist das Ergebnis einer tatrichterlichen Beurteilung, der im zu entscheidenden Einzelfall folgende Überlegungen zugrunde gelegen haben: Die Lärmbelastung von 45 dB (A) nachts geht nicht über das in einem Misch- oder Dorfgebiet zulässige Maß hinaus; auch diese Gebiete dienen aber dem Wohnen (vgl. §§ 6 Abs. 1 und 5 Abs. 1 der Baunutzungsverordnung -- BauNVO --) und entsprechen den in der TA Lärm unter Nr. 2.321 Buchstabe c) genannten Gebieten mit gewerblichen Anlagen und Wohnungen, in denen weder vorwiegend gewerbliche Anlagen noch vorwiegend Wohnungen untergebracht sind, und für die der Immissionsrichtwert nachts auf 45 dB (A) festgesetzt ist. Einen darüber hinausgehenden Schutz verdienen diejenigen Nachbarn, die an die Grenze zu dem Speditionshof der Klägerin herangerückt sind, nicht; ihre Schutzbedürftigkeit ist bei der im vorliegenden Fall anzustellenden Betrachtungsweise der von Bewohnern eines Mischgebietes vergleichbar.

Die nachträgliche Lösung von auch als "Gemengelage" bezeichneten Konfliktsituationen (zu dieser Bezeichnung "Neue Hinweise zur Beurteilung von Freizeitlärm", in: NVwZ 1988, S. 135, 136, dort unter Nr. 2.3.2), in denen unterschiedlich genutzte Gebiete aneinandergrenzen, hängt nach Auffassung des erkennenden Senats auch davon ab, ob der emittierende Betrieb an ein bereits vorhandenes Wohngebiet heranrückt, sich beide Gebiete zeitgleich entwickeln oder ob -- wie hier -- Wohngebiete an ein bereits vorhandenes Gewerbe- bzw. sogar Industriegebiet heranrücken.

Selbst wenn mit dem Beklagten und dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen wird, daß sich das westlich an den Betriebsstandort der Klägerin angrenzende Gebiet "Am D" abweichend vom Bebauungsplan tatsächlich als reines Wohngebiet im Sinne des § 3 BauNVO darstellt, in dem gemäß Nr. 2.321 e) die Immissionsrichtwerte nachts auf 35 dB (A) festgesetzt sind, muß sich dieses Wohngebiet -- jedenfalls an der von den Geräuscheinwirkungen am meisten betroffenen Grenzregion -- mehr an "Rücksichtnahme aufbürden lassen" als die Anhebung der Zumutbarkeitsschwelle durch Herabstufung der Schutzwürdigkeit um eine Gebietsqualität im Sinne der Immissionsrichtwertfestsetzung der TA Lärm (hier Buchstabe d) anstatt Buchstabe e)). Das gilt auch für das östlich an die Betriebsstätte angrenzende Wohngebiet, für dessen Qualifizierung als "allgemeines" oder "reines" Wohngebiet Tatsachen fehlen, die aufzuklären das Gericht jedoch für entbehrlich hält, weil selbst die Charakterisierung als reines Wohngebiet der vom beschließenden Senat angenommenen Zumutbarkeitsschwelle von 45 dB (A) nicht entgegensteht. Der in den technischen Regelwerken -- neben der hier herangezogenen TA Lärm ist auch auf die VDI-Richtlinie 2058 Blatt 1 oder die LAI hinzuweisen -- enthaltene regelmäßige Abstufungswert von 5 dB (A) zwischen den jeweils nächst schutzwürdigen Gebietskategorien wird in der Praxis nicht selten schon dann als Herabstufung der Zumutbarkeitsschwelle herangezogen, wenn der Anlagenbetreiber an die Grenze zum benachbarten Wohngebiet heranrückt (dazu etwa Bay. VGH, U. v. 24. September 1984 -- 22 B 82 A 436 -- GewA 1985, S. 101, 102), während hier, wie schon hervorgehoben, die Wohngebiete an das vorhandene Gewerbegebiet herangerückt sind. Daß die Schwelle der Zumutbarkeit -- gemeint ist dabei offensichtlich der Richtwert -- noch höher liegen kann, wenn Wohn- und Anlagennutzung etwa gleichzeitig entstehen oder wenn gar ein Wohngebiet an eine bereits bestehende Anlage heranrückt, wird auch vom Bundesverwaltungsgericht für möglich gehalten (siehe etwa U. v. 19. Januar 1989 -- 7 C 77.87 -- E 81, 197, 206; B. v. 7. August 1991 -- 7 B 48.91 -- BayVBl. 1992, S. 58; so auch Hess. VGH, U. v. 17. Juni 1992 -- 14 UE 2977/86 -- S. 11 des Entscheidungsabdrucks).

Ist nach dem zuvor Gesagten bei der Festlegung der Erheblichkeitsschwelle auch der zeitliche Ablauf für das Entstehen eines Nebeneinanders von sich grundsätzlich ausschließenden Nutzungen zugunsten der Klägerin mitzuberücksichtigen, so durfte diese nicht -- wie vom Verwaltungsgericht -- auch noch deshalb mit einer besonderen Pflichtstellung belastet werden, weil sie die Ausbildung der ihr abträglichen baurechtlichen Situation, die mit der Errichtung der Wohngebäude in der Nachbarschaft des Betriebes entstanden ist, nicht zu verhindern versucht hat. Die Tatsache, daß die Klägerin es unterlassen hat, einen "störungspräventiven" Abwehranspruch (zu diesem Begriff siehe Bartelsperger, Subjektives öffentliches Recht und störungspräventive Baunachbarklage, DVBl. 1971, S. 723) geltend zu machen, führt doch bereits dazu, daß sie als Anlagenbetreiberin weniger Lärm verbreiten kann, als ihr der Charakter des Gebietes, in dem ihre Betriebsstätte angesiedelt ist, nach der TA Lärm zuließe, wenn sie nicht von Wohngebieten umgeben wäre. Die "klaglose" Duldung einer heranrückenden Wohnbebauung hat damit zur Folge, daß der emittierende Anlagenbetreiber ohnehin eine "gewissermaßen abfallende fremde Gebietstendenz hinnehmen muß" (dazu BVerwG, U. v. 16. April 1971 -- IX C 2.79 -- Buchholz 406, 11 § 19 BBauG Nr. 26); daß er darüber hinaus "stets als Verlierer weichen müßte", kann nicht verlangt werden (dazu Sendler, Abschied vom "latenten" Störer?, WuV 1977, S. 94, 108 unter Hinweis auf BVerwG, U. v. 12. Dezember 1975 -- VI C 71.73 -- a.a.O., zitiert vom Hess. VGH, U. v. 17. Juni 1992 -- 14 UE 2977/86 -- S. 9 des Entscheidungsabdrucks).

Schließlich ist es für die Beantwortung der Frage, wann die Geräuschbelästigungen des Betriebes der Klägerin ein "erhebliches" Ausmaß erreichen und demzufolge als schädliche Umwelteinwirkungen zu gelten haben, weder von Bedeutung, ob einzelne Betriebseinheiten der Anlage baurechtlich nicht genehmigt worden sind; noch kommt es darauf an, um wieviel dB (A) der der Klägerin vom Beklagten als einzuhalten aufgegebenen Richtwert bei den Lärmmessungen überschritten worden ist. Einer vermeintlich baurechtlich formellen Illegalität hätten die zuständigen Behörden zum Beispiel durch Verhängung eines Nutzungs (änderungs)verbots begegnen können; der -- vom Beklagten zuletzt vorgebrachte -- Einwand, die für die Nachtzeit geltenden Immissionsrichtwerte könnten im Falle eines Nachtfahrbetriebes gar nicht eingehalten werden, berührt nicht die Frage nach der rechtsfehlerfreien Festlegung einer Zumutbarkeitsschwelle, sondern vielmehr die Geeignetheit der vom Beklagten selbst erlassenen Anordnung. Sollte sich herausstellen, daß der vom Senat festgesetzte Grenzwert von 45 dB (A) von der Klägerin nicht eingehalten werden kann und damit schädliche Umwelteinwirkungen durch die von den Lastkraftwagen oder von den anderen Nachtarbeiten ausgehenden Geräusche nach dem Stand der Technik nicht vermeidbar sind, so wird der Beklagte andere Mittel erwägen müssen, um die nach dem Stand der Technik unvermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß zu beschränken (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG).

Ist nach alledem der Richtwert für nächtliche Geräuschimmissionen -- nur diese Frage bildet den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens -- um 5 dB (A) zu niedrig angesetzt, so ist der Verwaltungsakt auch nur in diesem rechtswidrigen und die Klägerin in ihren Rechten verletzenden Umfang aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dagegen ist die Verfügung nicht -- wie von der Klägerin begehrt -- in vollem Umfang aufzuheben. Mit der Aufrechterhaltung des bei Festlegung des Richtwertes auf 45 dB (A) im übrigen rechtmäßigen Teils der behördlichen Anordnung trifft der Senat nicht eine Ermessensentscheidung, die der Behörde vorbehalten ist. Er beseitigt vielmehr lediglich den rechtswidrigen Teil einer behördlichen Ermessensentscheidung, läßt aber den rechtmäßigen Teil unberührt, ohne selbst Ermessenserwägungen anzustellen. Die Behörde hat nach ihrem Ermessen entschieden, daß sie gegen die Lärmbelästigungen durch Erlaß einer Lärmschutzverfügung einschreiten will, wie sie die Nachbarn vor weiteren Lärmbelästigungen schützen will (nämlich durch Festlegung eines Immissionsrichtwertes für die Nachtzeit) und welchen Maßstab sie bei der Festlegung des Richtwertes anwenden will (nämlich den in der TA Lärm vorgesehenen). Alle diese Ermessenserwägungen bleiben unangetastet; geändert wird lediglich die fehlerhafte Bewertung des gesetzlich unbestimmten Rechtsbegriffs "schädliche Umwelteinwirkungen", die keinen Akt der Ermessensausübung darstellt und somit gerichtlich voll überprüfbar ist.

Die Aufrechterhaltung der angefochtenen gewerbeaufsichtlichen Verfügung in dem angegebenen Umfang ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin -- wie von ihr behauptet -- die nunmehr zu fordernden Lärmrichtwerte nie überschritten hätte oder infolge der -- wiederum von ihr behaupteten -- zwischenzeitlich durchgeführten Maßnahmen einhielte. Denn eine immissonsschutzrechtliche Anordnung, die allein auf die Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte abzielt, ohne zugleich aus der -- bestrittenen -- Überschreitung dieser Werte weitere für den Betreiber nachteilige Folgerungen zu ziehen (z.B. Stillegung) oder ihm bestimmte Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels aufzugeben (z.B. Anbringung von Schallschutzplatten oder ähnlichem), verliert ihre Rechtfertigung nicht dadurch, daß der Betreiber ihr nachkommt. Würden solche "Zielanordnungen" im Hinblick darauf, daß der Adressat ihnen nachkommt, mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben, so könnten die Betreiber alsbald von deren Einhaltung Abstand nehmen. In Fällen, in denen sowohl durch Beschwerden von Nachbarn als auch durch anschließende behördliche Messungen Anlaß dafür besteht, auf die Einhaltung der für die Nachbarschaft zumutbaren Geräuschbelastungen hinzuwirken, erscheint gerade die in der bloßen Festsetzung von Immissionsrichtwerten zu erblickende Zielanordnung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit (geeignet und verhältnismäßig) als auch unter dem der Bestimmtheit rechtmäßig.

In diesem Umfang ist die Klage zu Recht abgewiesen worden und mußte die Berufung zurückgewiesen werden.