Hessischer VGH, Beschluss vom 02.04.1992 - 3 N 2241/89
Fundstelle
openJur 2012, 19757
  • Rkr:
Tatbestand

Der Antragsteller ist Eigentümer der derzeit mit roten Tonziegeln gedeckten Häuser und in (Lichtbilder Bl. 74 der Akte) am nordöstlichen Rand der Altstadt. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 13 der Antragsgegnerin von 1981. Die Aufstellung des Bebauungsplans erfolgte mit Beschlüssen vom 12.07.1967 und 30.05.1968. Der öffentlichen Auslegung des Entwurfs des Bebauungsplans vom 20.10.1976 bis 22.11.1976 ging die förmliche Festlegung der Altstadt von als Sanierungsgebiet durch Satzungsbeschlüsse nach § 5 StBauFG vom 16.03.1972 und 19.06.1974 voraus. Die Stadtverordnetenversammlung beschloß den Bebauungsplan als Satzung am 27.09.1979, nachdem der Flächennutzungsplan zuvor im Parallelverfahren entsprechend geändert worden war. Die Genehmigung des Bebauungsplans durch den Regierungspräsidenten in vom 19.03.1981 wurde entsprechend § 8 Abs. 1 der Hauptsatzung der Stadt vom 25.07.1977 am 30.04.1981 in der für die Antragsgegnerin zuständigen Ausgabe der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen" öffentlich bekanntgemacht.

Der Bebauungsplan enthält nach einer entsprechenden Forderung des Landesamtes für Denkmalpflege unter Buchstabe A Nr. 11.A Abs. 3 folgende Textfestsetzung:

"Dacheindeckungen sind in naturroten Tonziegeln auszuführen."

In einer Liste des Landesamtes für Denkmalpflege vom 21.06.1983 (Bl. 27 e - g der Akte) mit den dem Denkmalschutz unterliegenden hessischen Gesamtanlagen ist auch die Altstadt der Antragsgegnerin aufgeführt.

Mit Schreiben vom 27.07.1986 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, er beabsichtige, sein Haus mit Betonsteinen (Frankfurter Pfanne) in rotem Farbton neu einzudecken. Die Antragsgegnerin behandelte dieses Schreiben als Bauvoranfrage und leitete es an den Landkreis weiter, der im Hinblick auf die hier streitbefangene Festsetzung des Bebauungsplans eine Dacheindeckung mit naturroten Tonziegeln forderte, woraus sich ein entsprechendes Verwaltungsstreitverfahren entwickelte. Insoweit ist nach klagabweisendem Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 03.09.1990 die Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem Aktenzeichen 3 UE 3078/90 noch anhängig. Das Verwaltungsgericht hatte seine Entscheidung nach einer Ortsbesichtigung und nach Einholung eines Gutachtens vom 08.11.1989 über die Frage getroffen, ob - und falls ja, welche - unterschiedlichen, optisch wahrnehmbaren Verwitterungsprozesse bei Tondachziegeln einerseits und Betondachsteinen andererseits aufträten.

In einem einstweiligen Anordnungsverfahren versuchte der Antragsteller in zwei Rechtszügen erfolglos, eine vorläufige Dacheindeckung mit Betonsteinen durchzusetzen (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 06.09.1989 - 3 TG 2508/89 -).

Am 19.07.1989 hat der Antragsteller einen Normenkontrollantrag gestellt, mit dem er sich gegen das Gebot wendet, Dacheindeckungen in naturroten Tonziegeln auszuführen. Zum Nachteil durch den Bebauungsplan verweist der Antragsteller auf seine abschlägig beschiedene Bauvoranfrage. Im übrigen widerspreche die streitbefangene Festsetzung § 118 Abs. 1 HBO i.V.m. § 9 Abs. 4 BBauG 1979. Die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinde sei hier unter Verstoß gegen die von Art. 14 GG geschützte Baufreiheit überschritten worden. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Anordnung sei verletzt, da eine Dacheindeckung mit Tonziegeln 30 % teurer sei als mit Betondachsteinen. Durchgefärbte Betonsteine würden selbst bei einer Ablösung der obersten Schicht die rote Färbung behalten. Visuell seien auffällige Unterschiede nicht erkennbar. Dachsteine seien mithin ebenso geeignet wie die geforderten roten Tonziegel. Die entsprechende Festsetzung überschreite die Sozialbindung und sei unverhältnismäßig. Die Situationsgebundenheit im Altstadtbereich von reiche zur Begründung nicht aus. Die streitige Festsetzung widerspreche auch dem Gebot einer sachgerechten Abwägung. Im Verhältnis zum Interesse der Allgemeinheit an einem harmonischen Stadtbild seien die privaten Interessen der Hauseigentümer, Art und Weise der Bedachung selbst zu bestimmen, falsch bewertet worden. Den Eigentümern müsse eine Wahlfreiheit für das verwendete Material verbleiben.

Der Antragsteller beantragt,

im Wege der Normenkontrolle festzustellen, daß der Bebauungsplan Nr. 13 der Stadt insoweit nichtig ist, als die Textfestsetzung A Nr. 11.1 vorschreibt, daß Dacheindeckungen in naturroten Tonziegeln auszuführen sind.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Normenkontrollantrag abzulehnen.

Zur Begründung weist sie darauf hin, der den historischen Ortskern von Wolfhagen umfassende Bebauungsplan Nr. 13 diene einer geordneten Altstadtsanierung. Die streitbefangene Festsetzung solle das kulturhistorisch als besonders wertvoll einzustufende Gesamtbild des Stadtkerns auf Dauer erhalten. Zur möglichst getreuen Wiederherstellung des Stadtbildes gehöre die klassische Dacheindeckung mit roten Tonziegeln. Die farblichen Veränderungen im Laufe mehrerer Jahre durch Witterungs- und andere Umwelteinflüsse unterschieden sich wesentlich bei Tonziegeln und Betondachsteinen. Die streitbefangene Festsetzung überschreite die Grenze der Sozialbindung nicht. Sie sei auch nicht unverhältnismäßig. Auch wenn gegenwärtig ein einheitliches Dachbild im historischen Stadtkern nicht vorhanden sei, könne dies aufgrund der streitbefangenen Festsetzung langfristig erreicht werden.

Dem Senat liegt der streitbefangene Bebauungsplan Nr. 13 (Bl. 1 und 2) mit Begründung und zwei Ordnern Aufstellungsunterlagen vor, ebenso ein die Bauvoranfrage des Antragstellers betreffender gehefteter Vorgang, die zweibändige Gerichtsakte des Berufungsverfahrens beim Hess. VGH 3 UE 3078/90, das Gutachten von Professor Dr. vom 08.11.1989 mit mehreren Lichtbildern und ein gehefteter Vorgang über den Schriftwechsel mit den Denkmalschutzbehörden einschließlich eines Merkblatts "Zur Verwendung neu entwickelter Ersatzstoffe bei der Instandsetzung von Baudenkmälern". Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird ebenso wie auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Der Antrag, über den gemäß § 47 Abs. 6 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß entschieden werden kann, ist statthaft, denn der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen eine einzelne Textfestsetzung in einem Bebauungsplan, der nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 1 HessAG VwGO der Überprüfung in einem Normenkontrollverfahren unterliegt. Die Statthaftigkeit des Normenkontrollantrags wird nicht davon berührt, daß er sich ausschließlich gegen eine Festsetzung des Bebauungsplans richtet, die zwar formell nach § 9 Abs. 4 BBauG 1979 als Bebauungsplan erlassen worden ist, deren materielle Rechtsgrundlage aber ausschließlich im Landesrecht zu finden ist, nämlich in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HBO. Danach können die Gemeinden durch Satzung besondere Vorschriften erlassen über besondere Anforderungen an bauliche Anlagen zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Gemeindeteile von geschichtlicher, baugeschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung. Nach § 118 Abs. 4 HBO kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung bestimmen, daß Vorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen und den Schutz und die Erhaltung von Baudenkmälern in Bebauungspläne aufgenommen werden können, was in Hessen durch die Verordnung über die Aufnahme von auf Landesrecht beruhenden Regelungen in den Bebauungsplan vom 28.01.1977 (GVBl. I S. 102) geschehen ist. Die durch Bundesrecht begründete Kompetenz des Verwaltungsgerichtshofs zur Entscheidung über die Gültigkeit eines Bebauungsplans deckt auch die Überprüfung der in den Bebauungsplan als Festsetzungen aufgenommenen, auf Landesrecht beruhenden Regelungen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 19.08.1983 - NVwZ 1984, 595; Bay. VGH, Urteil vom 12.09.1988 - 1 N 84 A.94, 555 und 1657 - BayVBl. 1989, 210 = BRS 48 Nr. 110).

Der Normenkontrollantrag ist auch sonst zulässig. Der Antragsteller hat einen Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 VwGO. Als Eigentümer zweier Wohnhäuser im Plangebiet ist er durch das Gebot, bei der Dacheindeckung nur naturrote Tonziegel als Material zu verwenden, an einer anderen und billigeren Gestaltung der Dachhaut gehindert. Diese Beschränkung der individuellen Wahlfreiheit bei der Baugestaltung stellt die Zurücksetzung eines abwägungsbeachtlichen privaten Belangs durch den Inhalt des Bebauungsplans dar (vgl. BVerwGE 59, 87, 99). Hinzukommt die Ablehnung einer Bauvoranfrage zur Dacheindeckung mit Betonsteinen.

Der Normenkontrollantrag richtet sich hier zulässigerweise auf eine Teilnichtigkeitserklärung, weil zwischen der angefochtenen Festsetzung und dem übrigen Teil des auf Landes- und Bundesrecht beruhenden Bebauungsplans kein planerisch untrennbarer Regelungszusammenhang besteht. Das "Tonziegelgebot" beruht auf einer nachträglichen Forderung des Hessischen Landesamtes für Denkmalpflege, so daß davon auszugehen ist, daß die Antragsgegnerin den Bebauungsplan im übrigen auch ohne die streitbefangene Festsetzung erlassen hätte.

Der Normenkontrollantrag ist nicht begründet.

In formeller Hinsicht begegnet der Bebauungsplan Nr. 13 keinen Bedenken. Verfahrens-, insbesondere Bekanntmachungsfehler sind nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Die öffentliche Bekanntmachung der Genehmigung des Bebauungsplans ist in Übereinstimmung mit § 8 Abs. 1 der Hauptsatzung der Stadt vom 25.07.1977 in der die Kommune betreffenden Ausgabe der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen vom 30.04.1981 ordnungsgemäß erfolgt. Bei dem vorausgegangenen Satzungsbeschluß vom 27.09.1979 ist der Stadtverordnungversammlung bekannt und bewußt gewesen, daß sie nicht nur auf Bundesrecht beruhende städtebauliche Festsetzungen beschließt, sondern auch gestalterische Bestimmungen auf landesrechtlicher Grundlage trifft. So ist in den Rechtsgrundlagen des Bebauungsplans die Verordnung über die Aufnahme von auf Landesrecht beruhenden Regelungen in den Bebauungsplan vom 28.01.1977 (GVBl. I S. 102) ausdrücklich genannt worden (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 19.07.1988 - 4 UE 2766/88 - BRS 48 Nr. 112). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Aufnahme von auf landesrechtlicher Grundlage beruhenden Festsetzungen in den Bebauungsplan nicht die Durchführung zweier selbständiger Satzungsverfahren bedeutet (vgl. Gaentzsch, Berliner Kommentar zum BauGB, 1988, § 9 Rdnr. 70).

In materieller Hinsicht hält die streitbefangene Festsetzung ebenfalls einer rechtlichen Überprüfung stand. Sie findet in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HBO ihre Ermächtigungsgrundlage. Nach dieser Bestimmung können die Gemeinden u. a. Vorschriften über besondere Anforderungen an bauliche Anlagen zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Gemeindeteile von geschichtlicher, baugeschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung erlassen. Die Festlegung bestimmter Gemeindeteile ist hier durch den Geltungsbereich des Bebauungsplans erfolgt, der die historische Altstadt von umfaßt. Bei der Altstadt von handelt es sich um ein Kulturdenkmal als Gesamtanlage i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Hessischen Denkmalschutzgesetz - HDSchG -, dessen Straßen- und Ortsbilder aus geschichtlichen, insbesondere stadtbaugeschichtlichen Gründen im öffentlichen Interesse zu erhalten sind. Hierzu hat der Landkreis im Einvernehmen mit dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen im Berufungsverfahren 3 UE 3078/90 mit Schriftsatz vom 30.09.1991 (dort Bl. 295 der Akte) ohne Widerspruch des Antragstellers in der Sache vertiefende Ausführungen gemacht. Danach handelt es sich bei der Altstadt um einen noch fast vollständig ablesbaren historischen Altstadtkern innerhalb einer mittelalterlichen Befestigung. sei ein klassisches Ackerbürgerstädtchen mit völlig intakter, auf das Mittelalter zurückgehender Wege- und Parzellenstruktur. Die Gegenüberstellung der Übersichtskarte des Bebauungsplans Nr. 13 für das Altstadtgebiet mit dem Grundriß der Stadt nach einem Stadtplan von 1770 zeige die fast identische Struktur der deutlich durch die mittelalterliche Stadtbefestigung geprägten Stadtgestalt. Diese Aussagen werden gestützt durch die Vielzahl der im Bebauungsplan verzeichneten denkmalgeschützten oder nach § 10 Abs. 1 StBauFG a.F. zu erhaltenden Baulichkeiten, wozu auch Teile der ehemaligen Stadtmauer und sonstiger Mauern zählen. Die Gebäude des Antragstellers in der traße und liegen innerhalb dieses schützenswerten Bereichs in der Nähe der nordöstlich verlaufenden Stadtmauer. Dabei ist für den neuzeitlichen Anbau der Nr. 9 a an das erhaltenswerte Fachwerkgebäude Nr. 9 darauf hinzuweisen, daß es nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 HDSchG nicht erforderlich ist, daß jeder einzelne Teil der Gesamtanlage ein Kulturdenkmal darstellt.

Bei den besonderen Anforderungen an die baulichen Anlagen im Plangebiet, hier die Dacheindeckung mit roten Tonziegeln, handelt es sich um eine planerische Maßnahme, durch die Inhalt und Schranken des Eigentums i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt werden, so daß wie bei jeder planerischen Entscheidung die Grundsätze des Abwägungsgebots zu beachten sind. Gleichwohl ist für auf § 118 Abs. 1 HBO beruhende Bestimmungen von Bedeutung, daß sie mangels ausdrücklicher gesetzlicher Vorgaben keine ausdrückliche Begründung enthalten und die Satzungsunterlagen auch nicht im einzelnen Aufschluß über den Abwägungsvorgang geben müssen, weshalb sich die gerichtliche Überprüfung im allgemeinen auf das Abwägungsergebnis beschränkt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 12.02.1982 - 1 A 231/80 - BauR 1982, 368; Hess. VGH, Urteil vom 30.06.1987 - 3 OE 168/82 - BRS 47 Nr. 121).

Das Gebot, bei der Dacheindeckung naturrote Tonziegel zu verwenden, verletzt nicht die Anforderungen an das Abwägungsgebot. Auf der einen Seite waren im vorliegenden Fall die privaten Interessen der Grundstückseigentümer an einer möglichst kostengünstigen und ihrem freien Belieben unterliegenden Dacheindeckung zu berücksichtigen. Geht man davon aus, wie dies der Senat in seinem Eilbeschluß vom 06.09.1989 - 3 TG 2508/89 - getan hat, daß der Preisunterschied zwischen Betondachsteinen und den teureren Tonziegeln nach den gegenwärtigen Marktpreisen bei gut 10,-- DM pro Quadratmeter liegt, können sich bei nicht untypischen Dachflächen zwischen 150 und 200 qm Preisunterschiede von 1.500,-- DM bis 2.000,-- DM bei der Dacheindeckung eines Wohnhauses ergeben. Daraus ergeben sich nicht unerhebliche zusätzliche Kosten, die bei der Erhaltung oder gar Erneuerung der Dacheindeckung ins Gewicht fallen.

Welches Gewicht privaten Belangen im Einzelfall zukommt, hängt von der Situation des Grundstücks ab, in die es hineingestellt ist und die das Grundeigentum prägt. Die Situationsgebundenheit der Grundstücke des Antragstellers ist hier von besonderer Bedeutung, wo ein historischer Altstadtkern vorliegt und der vorfindliche Bestand als Kulturdenkmal in der Form einer Gesamtanlage gesetzlich geschützt ist. Die Begründung zum Bebauungsplan weist darauf hin, daß eine solche fast vollständig erhaltene mittelalterliche Stadtanlage in ihrer Geschlossenheit heute nur noch selten anzutreffen sei. So wie die Bewahrung historischer Stadtbilder ein wichtiges Gemeinschaftsgut ist (vgl. Bay. VGH, Entsch. vom 27.09.1985 - V F. 20-VII-84 - BayVBl. 1986, 14), kann dazu auch die traditionelle Dachlandschaft gehören. Dabei ist von Bedeutung, daß die Altstadt von in einer Liste des Landesamts für Denkmalpflege Hessen vom 21.06.1983 über Gesamtanlagen enthalten ist, die nach Auffassung der zuständigen Fachbehörde grundsätzlich von Ersatzmaterialien freigehalten werden sollen. Nach Auffassung der Denkmalpfleger sind die historischen Dächer möglichst zu bewahren. Soweit ihre Konservierung bzw. Reparatur unvertretbar werde, sei eine in Form, Material, Farbe und Verlegungsart dem historischen Vorbild entsprechende Dachdeckung zu wählen. Damit wird eine weitgehende Originaltreue bei der Dacheindeckung gefordert, die auf mehrfaches Drängen des Landesamts schließlich Inhalt des Bebauungsplans in der Weise geworden ist, daß nur naturrote Tonziegel bei der Dacheindeckung zu verwenden sind.

Nimmt man bei einer denkmalgeschützten Gesamtanlage die grundsätzliche Schutzwürdigkeit der historischen Dachlandschaft als eines für das Erscheinungsbild und den historischen Beleg wichtigen Teils des Kulturdenkmals in den Blick, ist nach Ansicht des Senats die streitbefangene Festsetzung hier auch im Hinblick auf die Geeignetheit der Maßnahme und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Der naturrote Tonziegel ist ein in der Altstadt von noch immer vorfindliches traditionelles Mittel der Dacheindeckung im Stadtkern. Im Hinblick auf die den Gemeinden eingeräumte Gestaltungsfreiheit bei der Festsetzung von Bestimmungen nach § 118 Abs. 1 HBO fällt es nicht entscheidend ins Gewicht, daß in der näheren Umgebung wie auch im übrigen Altstadtbereich naturrote Tonziegel nicht durchgängig vorhanden sind. So ist bei der Ortsbesichtigung vom 03.09.1990 im ersten Rechtszug des Bauvoranfrageverfahrens ausweislich der Verhandlungsniederschrift (vgl. dort Bl. 132 der Akte) festgestellt worden, daß in der näheren Umgebung der Grundstücke des Antragstellers neben einer deutlichen Überzahl von mit roten Tonziegeln gedeckten Häusern auch einige andere Dacheindeckungen vorhanden sind, etwa braune Betondachsteine mit 5 Glasziegeln auf dem Haus Torstraße 7, eine Wellasbestdacheindeckung traße braune engobierte Ziegel straße mindestens zwei Häuser mit Dachsteinen in der straße und das südöstlich gelegene ehemalige Internatsgebäude mit braunen Betondachsteinen. Gerade wenn über einen längeren Zeitraum hinweg entsprechende vereinheitlichende Vorschriften über die bei der Dacheindeckung zu verwendenden Materialien gefehlt haben, stellt sich mit der Zeit eine gewisse Uneinheitlichkeit im optischen Erscheinungsbild einer historischen Dachlandschaft dar. Dies ändert nichts daran, daß die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall an einen überwiegend vorfindlichen Bestand an naturroten Tonziegeln angeknüpft hat, so daß die Situationsgebundenheit der Grundstücke hier noch immer eine Legitimation zur Bindung des Eigentums durch denkmalfachlich gestützte gestalterische Anforderungen darstellt. Die streitbefangene Festsetzung will weitere Durchbrechungen des traditionellen Erscheinungsbilds der historischen Dachlandschaft gerade vermeiden und ist im Zuge des zeitlich gestaffelten Erneuerungsbedarfs darüber hinaus geeignet, durch die Forderung nach originalgetreuen Ersatzmaterialien wieder eine zunehmende Vereinheitlichung des Ortsbilds im Dachbereich herbeizuführen (vgl. Simon, BayBauO, Komm., Stand: 8/1991, Art. 91 Rdnr. 6). Dies korrespondiert mit dem denkmalschutzrechtlichen Erhaltungsgebot, wie es in § 1 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 HDSchG niedergelegt ist. Der vorliegende Sachverhalt ist damit deutlich anders gelagert als in den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 12.09.1988 (Az. 1 N 84 A.94, 555 und 1657 - BayVBl. 1989, 210 = BRS 48 Nr. 110) entschiedenen Fällen, wo naturfarbene Ziegel für die Dacheindeckung unzulässigerweise in einem Neubaugebiet verlangt worden waren.

Unabhängig von der Frage der denkmalfachlich einforderbaren Originaltreue von Ersatzmaterialien bei der Erhaltung von Kulturdenkmälern ist auch von materialbedingten optischen Unterschieden aufgrund des nicht einheitlichen Alterungs- und Patinierungsverhaltens von Betondachsteinen und Tonziegeln auszugehen, die das Gebot, bei der Dacheindeckung im Plangebiet nur naturrote Tonziegel zu verwenden, nicht als sachwidrig erscheinen lassen. Dabei bedeutet ein naturfarbener, gebrannter roter Tonziegel, dessen Brennfarbe von hellrot bis dunkelrot reichen kann, daß er unbeschichtet ist, womit engobierte oder glasierte Ziegel ausgeschlossen sind. Diese Unterscheidungen sind in dem im Klageverfahren vom Verwaltungsgericht Kassel eingeholten Gutachten vom 08.11.1989 nebeneinander aufgeführt und näher beschrieben und finden sich zudem im vorliegenden Prospektmaterial einschlägiger Lieferfirmen, so daß insoweit von einer entsprechenden Verkehrsauffassung auszugehen ist. Die gegenteilige Auslegung des Gutachters für den Begriff des "naturroten" Tonziegels teilt der Senat nicht. Wird für einen gebrannten Dachziegel die Farbe "naturrot" ohne Zusätze genannt oder verlangt, bedeutet dies insbesondere im denkmalpflegerischen Zusammenhang, daß es sich um einen unbeschichteten, naturfarbenen roten Tonziegel handelt, der zwar unterschiedliche Rottöne von hellrot bis dunkelrot aufweisen kann, an seiner Oberfläche aber weder glasiert noch engobiert ist. Diese Auslegung wird auch vom Sinn und Zweck der streitbefangenen Festsetzung gestützt, der denkmalfachlich veranlaßt dahin geht, das historische Erscheinungsbild der Dachlandschaft in der Altstadt von Wolfhagen dadurch zu erhalten, daß als Ersatzmaterialien die traditionellen, herkömmlich verwendeten unbeschichteten Tonziegel eingesetzt werden.

Bei der vorliegend vorgenommenen Auslegung des Begriffs des "naturroten" Tonziegels handelt es sich um eine in Abweichung von der Auffassung des Gutachters entschiedene Rechtsfrage, die das Einholen eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht erfordert, zumal rechtliche Ausführungen nicht Gegenstand eines vom Gericht einzuholenden Gutachtens sind. Daß der Senat für die streitbefangene Festsetzung zu anderen rechtlichen Schluß-folgerungen kommt, stellt die tatsächlichen Ausführungen des Sachverständigen nicht in Frage.

Soweit das Gutachten vom 8.11.1989 im übrigen das unterschiedliche Verwitterungs- und Patinierungsverhalten von Betondachsteinen und Tonziegeln insbesondere in farblicher und optischer Hinsicht näher darstellt, sind die Unterschiede bei nur oberflächlich eingefärbten Betondachsteinen am größten. So kann eine im Gegensatz zur Durchfärbung nur oberflächlich in den im wesentlichen aus Quarzsand und Zementstein bestehenden Betondachstein eingebrachte Farbschicht schon nach wenigen Jahren abwittern, womit die rote Färbung verlorengeht. Im Laufe der Zeit entsteht dann das Aussehen eines algen- und flechtenverwachsenen, nicht eingefärbten Betondachsteins.

Diese Umstände haben dazu geführt, daß ausweislich des Gutachtens durchgefärbte und mit einer pigmentierten Dispersion beschichtete Betondachsteine zum Stand der Technik der Dachsteinproduktion in der Bundesrepublik Deutschland geworden sind. Die pigmentierte Beschichtung verhindere für die Zeit ihrer Lebensdauer Ausblühungen und halte je nach Güte und Dicke 10 bis 15 Jahre. Ohne die Dispersionsbeschichtung erfolgen die Kalkausblühungen, die sich auf farbigen Betondachsteinen stärker bemerkbar machten als auf ungefärbtem Beton, früher und werden beim durchgefärbten Betonstein als weißer Schleier auf der Oberfläche sichtbar. Das Gutachten führt weiter aus, daß die Ausblühungen nach etwa 2 Jahren wieder verschwunden seien, wonach eine langsame Abwitterung der obersten Zementhaut auf den Betondachsteinen beginne. Diese sogenannte Kreidungsphase schreite fort und führe schließlich zu einer Freilegung von Zuschlagkörnern in der Oberfläche. Es entstehe eine Struktur, die man als Mikrowaschbetonstruktur bezeichnen könne. Auf der dann rauhen Oberfläche könne sich Schmutz ansammeln, in dem sich Flechten und Algen ansiedelten, was in unserem Klima etwa nach 10 Jahren beginne.

Nimmt man demgegenüber in den Blick, daß sich herstellungsbedingt, auch wenn der Tonziegel heute wie der Betondachstein als Industrieprodukt anzusprechen ist, bei der Tonziegelproduktion beträchtliche Schwankungen und somit Unterschiede in der Qualität der Endprodukte nicht vermeiden lassen, sich überdies bei den einzelnen Ziegeln Unterschiede in der oberflächlichen Rauhigkeit und Porosität ergeben, werden verschiedene Patinierungsgeschwindigkeiten und somit farbliche Differenzierungen der einzelnen Tonziegel verständlich. Infolge der Porosität der Ziegel und der größeren Wasseraufnahme als bei Betonsteinen steht dem Ziegel auch nach einem Regen ein Feuchtigkeitsreservoir zur Verfügung, das die zur Patina führende Kalkversinterung der durch Flugstaub geförderten Schmutzkruste verstärkt. Diese führt insbesondere, wie im vorliegenden Fall, außerhalb großstädtischer und industrieller Bereiche als echte Patinierung zu einer einheitlichen Kruste am jeweiligen Ziegel, die nach dem Gutachten durch die Versinterung zudem ein samtiges Aussehen erreicht.

Insgesamt ist davon auszugehen, daß die größeren Produktschwankungen bei Tonziegeln und die unterschiedlichen Patinierungsgeschwindigkeiten regelmäßig zu einem bunteren, beweglicheren optischen Erscheinungsbild der Dachlandschaft führen und damit das denkmalpflegerische Ziel der Bewahrung des von traditionellen Materialien geprägten historischen Dächer-bildes besser erreichen, während Betondachsteine wegen der gleichartigen Ausgangsstoffe bei ihrer Herstellung ein einheitlicheres Farblichkeitsverhalten u Alterungsverhalten aufweisen. Ein Tonziegeldach wird mit zunehmendem Alter eine besondere Scheckigkeit und größere Bandbreite der farblichen Erscheinungsformen und Patinierungen aufweisen. Im übrigen ist von Bedeutung, daß gerade in ländlichen Gebieten wie mit eher geringerer Luftverschmutzung als in Großstadt- und Industriezonen mit längerdauernden Kalkausblühungen bei durchgefärbten Betonsteinen zu rechnen wäre, so daß auch dieser Gesichtspunkt unabhängig von der möglichst weitgehenden Originaltreue von Ersatzmaterialien und der größeren Lebendigkeit der Dachfläche für die streitbefangene Planfestsetzung spricht, was das gemeindliche Abwägungsergebnis alles in allem rechtfertigt.

Die gegenteilige Auffassung des Gutachters, er vermöge wegen des weiten Spektrums von Erscheinungsbildern bei abgewitterten Tonziegeln nicht zu erkennen, welche spezifischen Eigenschaften der im Bebauungsplan Nr. 13 geforderten Tondachsteine der Zulassung von Betondachsteinen entgegenstünden, beruht auf der vom Senat abgelehnten Auslegung, daß die geforderten naturroten Tonziegel auch glasierte, engobierte oder anderweitig beschichtete Ziegel einschließen. Das zugelassene Spektrum für mögliche und erwartbare Abwitterungs- und Patinabildungsprozesse ist hier aber enger gefaßt und beschränkt sich auf unbeschichtete, naturfarbene rote Tonziegel. Für diesen Fall ist den tatsächlichen Ausführungen des Gutachtens mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß durchgefärbte Betondachsteine in das Erscheinungsspektrum unbeschichteter, naturfarbener Tonziegel nicht mehr vergleichbar einzuordnen sind. Daß der Gutachter zu einer von ihm nicht geforderten und von ihm nicht abschließend vorzunehmenden Auslegung der streitbefangenen Festsetzung gekommen ist, ändert nichts daran, daß der Senat die sachlichen Feststellungen des Gutachtens aufnimmt und seiner Entscheidung zugrundelegt. Insoweit entfällt auch hier die Erforderlichkeit einer weiteren sachverständigen Begutachtung.

Die zu Lasten der privaten Interessen des Antragstellers und anderer an den billigeren Betondachsteinen interessierter Grundstückseigentümer getroffene Tonziegelfestsetzung ist hier nicht unverhältnismäßig. Die zusätzlichen Dacheindeckungskosten, die bei einem durchschnittlichen Wohnhaus im Altstadtbereich von Wolfhagen zwischen 1.500,-- DM und 2000,-- DM geschätzt werden können, sind nicht so hoch, daß sie einem der Sozialbindung unterliegenden Grundstückseigentümer nicht zugemutet werden könnten. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, daß diese Beträge nicht aus dem laufenden Nutzungsertrag gedeckt werden könnten oder in einem krassen Mißverhältnis zum Wohnwert des Anwesens stünden. Dabei ist von Bedeutung, daß eine Dacheindeckung allenfalls erst nach Jahrzehnten zu erneuern ist, so daß sich in der zeitlichen Erstreckung aus dem "Tonziegelgebot" verhältnismäßig geringfügige finanzielle Durchschnittsbelastungen ergeben.