Hessischer VGH, Beschluss vom 01.11.1991 - 5 TH 1431/89
Fundstelle
openJur 2012, 19637
  • Rkr:
Gründe

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Widersprüche gegen die Haftungsbescheide und Leistungsgebote -- Heranziehungsbescheide -- der Antragsgegnerin vom 25. Juli 1988 und 6. Oktober 1988 wegen der Entrichtung von Kurbeiträgen anzuordnen, stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Denn an der Rechtmäßigkeit der haftungsrechtlichen Heranziehung des Antragstellers zu Kurbeiträgen bestehen ernstliche Zweifel, die es nach der im gerichtlichen Aussetzungsverfahren entsprechend anzuwendenden Bestimmung des § 80 Abs.4 Satz 3 VwGO rechtfertigen, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen.

Rechtsgrundlage für die hier streitigen Heranziehungsbescheide ist § 14 Abs.2 der Kurtaxensatzung der Antragsgegnerin vom 29. Februar 1988 -- KurTS --, rückwirkend am 1. Januar 1988 in Kraft getreten, in Verbindung mit den §§ 13 Abs.3 Satz 2, 4 Abs.1 Nr.2 b), Nr.4 b) und Nr.5 a) KAG, 43, 44, 191 und 219 AO 1977. Danach haften u.a. die Betreiber von Beherbergungsstätten als sogenannte Beitragsentrichtungspflichtige für die rechtzeitige Einziehung und vollständige Abführung des Kurbeitrages, den die an sich beitragspflichtigen Beherbergungsgäste -- ortsfremde Personen im Sinne des § 13 Abs.2 KAG in Verbindung mit §§ 4 ff KurTS -- zu erbringen haben. Voraussetzung für den Erlaß eines rechtmäßigen Haftungsbescheides ist demzufolge das Vorhandensein einer akzessorischen Haftungsschuld. Bereits daran dürfte es hier mangeln. Denn bei der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung spricht viel dafür, daß auf Grund einer ungültigen Satzungsregelung der größte Teil der Übernachtungsgäste des Antragstellers nicht kurbeitragspflichtig ist.

Entsprechend den bisherigen Erkenntnissen, das heißt vorbehaltlich einer weiteren Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren, ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, daß die Gäste, die im Hotel des Antragstellers übernachten, überwiegend Messe-, Kongreß- und Ausstellungsbesucher sowie Geschäftsreisende sind, die sich berufsbedingt den ganzen Tag über vor allem in Frankfurt am Main bzw. im Rhein-Main-Gebiet aufhalten. Nach § 4 Abs.5 KurTS sollen auch diese Personen, "die sich, lediglich beruflich veranlaßt, wegen der Teilnahme an einer Tagung, einem Seminar, einem Lehrgang, gewerblichen Ausstellungen und Messen, Kongressen oder vergleichbaren Veranstaltungen, im Erhebungsgebiet aufhalten" der Kurbeitragspflicht unterfallen. Es bestehen aber bereits erhebliche Bedenken, ob diese Satzungsbestimmung mit dem höherrangigen § 13 Abs.2 KAG vereinbar ist. Denn nach der gesetzlichen Regelung, die den Kreis der Beitragspflichtigen abschließend bestimmt (Senatsbeschluß vom 25. Februar 1986 -- HessVGRspr. 1986,45 (46)), sind nur die ortsfremden Personen kurbeitragspflichtig, die sich nicht zur Ausübung ihres Berufes in der Gemeinde aufhalten, und denen die Möglichkeit geboten wird, die Einrichtungen in Anspruch zu nehmen oder an den Veranstaltungen teilzunehmen. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Eilbeschluß (Bl.5 f) insbesondere im Hinblick auf die Funktion des § 13 Abs.2 KAG mit beachtlichen Erwägungen dargelegt, daß die genannte Satzungsbestimmung mit der vom Landesgesetzgeber geschaffenen Regelung nicht in Einklang steht; darauf wird Bezug genommen. Das vom Antragsteller vorgelegte Privatgutachten, erstellt vom Seminar für Finanz- und Steuerrecht der Universität Hamburg, kommt ebenfalls -- nachvollziehbar -- zum Ergebnis, daß § 4 Abs.5 KurTS ungültig ist, weil für den dort umschriebenen Personenkreis von einer verallgemeinerungsfähigen Vermutung einer tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich der Kureinrichtungen und Kurveranstaltungen nicht gesprochen werden kann; auf die gutachtlichen Ausführungen (Seite 9 ff) wird verwiesen. Deshalb wird auch in der Literatur (vgl. Bauer/Hub, Kommunale Abgaben in Bayern, 1983, S. 292; Faiß, Kommunalabgabengesetz Baden-Württemberg, Stand 1990, § 11 Rdnr.9; Schieder/Angerer/Moezer, Bayerisches Kommunalabgabengesetz, 1975, Art.7 Anm.6.1; Schieder/Happ, Bayerisches Kommunalabgabengesetz, Stand 1990, Art.7 Anm.6.1; vgl. auch Ermel, Gesetz über Kommunale Abgaben in Hessen, 2.Aufl., § 13 Rdnr.18) die Auffassung vertreten, daß die sogenannten Übernachtungspassanten keinen Kurbeitrag entrichten müssen, weil sie in der Regel außerstande sind, die Kureinrichtungen zu nutzen (vgl. dazu grundsätzlich OVG Lüneburg, Urteil vom 16. Dezember 1965 -- KStZ 1966,145 (146)) und Urteil vom 9. Mai 1984 -- ZKF 1985,65). Dies gilt außer für Geschäftsreisende insbesondere für Besucher von Tagungen, Lehrgängen, Messen und Kongressen, auch wenn die Veranstaltung nicht am Kurort stattfindet (vgl. Benne, ZKF 1987,149 (150, 152); Lankau, Gemeindetag 1975,230 (235)). Dementsprechend sind gemäß § 3 Abs.1 der auf § 20 HVwKostG beruhenden Kurbeitragsordnung für die Hessischen Staatsbäder vom 7. Januar 1988, GVBl.I S.56, zuletzt geändert durch Verordnung vom 15. Oktober 1991, GVBl.I S.313, von der Entrichtung eines Kurbeitrages u.a. befreit: Teilnehmer an Tagungen, Lehrgängen und Kursen; ortsfremde Personen, soweit sie sich nicht länger als drei Tage im Erhebungsgebiet aufhalten (Passanten); Personen, die sich nur zur Ausübung ihres Berufes oder zu Ausbildungszwecken im Erhebungsgebiet aufhalten.

Letztlich kann hier aber offenbleiben, ob § 4 Abs.5 KurTS mit § 13 Abs.2 KAG vereinbar ist -- die Frage wird im Normenkontrollverfahren 5 N 2973/88 endgültig zu klären sein --, denn auch im Falle der Gültigkeit der Satzungsbestimmung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Haftungsbescheide. Die Antragsgegnerin ist nämlich bei Anwendung ihrer Kurtaxensatzung davon ausgegangen, daß alle Beherbergungsgäste des Antragstellers im hier streitigen Zeitraum von Januar bis Juni 1988 kurbeitragspflichtig waren und deshalb eine Haftung auslösten. Das ist rechtlich nicht haltbar.

Nach § 13 Abs.2 KAG sind von der Beitragspflicht ausgenommen diejenigen ortsfremden Personen, die sich zur Ausübung ihres Berufes in der Gemeinde aufhalten. Diese Regelung ist auch in die hier streitige Kurtaxensatzung sinngemäß übernommen worden (vgl. die §§ 4 Abs.1, 13 Abs.2 KurTS). Gleichwohl hat die Antragsgegnerin die Gesamtzahl der Übernachtungen im Hotel des Antragstellers von Januar bis Juni 1988 als kurbeitragspflichtig angesehen und den Antragsteller insoweit als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Das ergibt sich aus einem Vergleich der von der Antragsgegnerin im Außenprüfungstermin vom 13. Juli 1988 ermittelten Gesamtübernachtungszahl mit den in den Haftungsbescheiden als beitragspflichtig zugrundegelegten Übernachtungszahlen, die identisch sind. Berufsbedingte Übernachtungen haben demzufolge im Hotel des Antragstellers nicht stattgefunden. Zur Begründung ist in beiden Haftungsbescheiden diesbezüglich ausgeführt:

"Im Hinblick darauf, daß Sie in der Vergangenheit die Einziehung des Kurbeitrages abgelehnt haben und im Hinblick darauf, daß Sie Passanten, die die Zahlung des Passantenkurbeitrages verweigert haben, nicht unverzüglich gemeldet haben, sehen wir uns nunmehr gezwungen, Sie gemäß § 191 Abs.1 Abgabenordnung 1977 in Verbindung mit § 4 Abs.1 Ziff.4 b Kommunalabgabengesetz durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen."

Demgegenüber hat der Antragsteller ständig glaubhaft vorgetragen, nahezu alle Gäste hätten aus beruflichen Gründen in seinem Hotel übernachtet; Kurgäste kämen schon deshalb nicht, weil ihnen die Übernachtungspreise zu hoch seien. Diese Tatsache wird von der Antragsgegnerin indirekt eingeräumt und dürfte letztlich sogar mitursächlich für die Einführung des Passantenkurbeitrages gewesen sein. Es spricht daher derzeit alles dafür, daß sich die Annahme der Antragsgegnerin, im Hotel des Antragstellers hätten im Zeitraum Januar bis Juni 1988 keine beruflich oder geschäftlich bedingten Übernachtungen stattgefunden, als falsch herausstellen wird und sich jedenfalls ein Teil der Beherbergungsgäste des Antragstellers in jener Zeit "aus beruflichen Gründen" (vgl. die amtliche Begründung zu § 13 Abs.2 KAG in der Landtagsdrucksache 6. Wahlperiode Nr.2067 S.23) dort aufgehalten hat und folglich nicht kurbeitragspflichtig war. Nur die übrigen Übernachtungsgäste hätten entweder mit dem vollen oder dem ermäßigten Kurbeitrag berücksichtigt werden dürfen. Diese Übernachtungszahlen hätte die Antragsgegnerin feststellen müssen, ggfls. durch Schätzung (vgl. § 4 Abs.1 Nr.4 b) KAG in Verbindung mit § 162 AO 1977; vgl. zur Schätzung der Bemessungsgrundlagen der Fremdenverkehrsabgabe, OVG Koblenz, Urteil vom 24. Juni 1968 -- KStZ 1968,244). Dies hat die Antragsgegnerin unterlassen. Für eine Kurbeitragspflicht aller Beherbergungsgäste beruft sich die Antragsgegnerin zu Unrecht auf das Verhalten des Antragstellers -- Weigerung der Einziehung des Beitrags und der Meldung der Verweigerer --, das eine Verletzung der in den §§ 13 und 14 der Satzung aufgestellten Pflichten darstelle. Denn eine entsprechende Pflichtverletzung führt allenfalls zu einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit gemäß § 16 KurTS, nicht aber -- quasi als "Strafe" -- zu einer zusätzlichen beitragsrechtlichen Haftung (vgl. OVG Lüneburg, Beschluß vom 28. September 1990 -- 14 M 60/90). -- Der Senat ist schließlich auch nicht berechtigt, anstelle der Antragsgegnerin eine eigene Schätzung der Bemessungsgrundlagen vorzunehmen und die rechtswidrigen Haftungsbescheide zumindest teilweise zu heilen, weil ihm hierzu die Befugnis fehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. August 1985 -- DVBl. 1986,345 (346 ff) und Urteil vom 15. November 1985 -- NVwZ 1986,299 (302), wonach § 287 Abs.2 ZPO nicht anwendbar ist, wenn der Behörde eine entsprechende Schätzungsbefugnis zusteht; im übrigen fehlt für den Verwaltungsprozeß eine auf § 162 AO 1977 verweisende Regelung wie in § 96 Abs.1 Satz 1 FGO).

Nach alledem hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers zu Recht angeordnet, denn die Haftungsbescheide sind aus den dargelegten Gründen fehlerhaft -- diese Mängel ergreifen auch die Leistungsgebote, die vom Bestand der Haftungsbescheide abhängen (vgl. dazu § 4 Abs.1 Nr.5 a) KAG in Verbindung mit § 218 Abs.1 AO 1977) --, ohne daß noch darauf eingegangen werden muß, ob die Bescheide auf weiteren Fehlern (z.B. bezüglich der in § 18 Abs.1 KurTS angeordneten rückwirkenden Haftung und der Ausübung des Auswahlermessens, vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluß vom 28. September 1990 -- 14 M 60/90) beruhen.