Hessischer VGH, Beschluss vom 04.11.1991 - 4 TG 1610/91
Fundstelle
openJur 2012, 19621
  • Rkr:
Tatbestand

Die Antragsteller wenden sich als Miteigentümer des u. a. mit einem zweigeschossigen Wohnhaus bebauten Grundstücks Sch - in D -E (Flur Nr.) gegen einen den Beigeladenen mit Bescheiden vom 26.02. und 11.03.1991 auf dem nordöstlich angrenzenden Grundstück H -D (Parzelle Nr.) genehmigten Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit Garagen und Stellplätzen. Auf diesem Grundstück befindet sich neben dem Bauvorhaben in seinem nordöstlichen Bereich ein weiteres Wohngebäude (H -D -Straße).

Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des von der Stadtverordnetenversammlung der Stadt D am 22.01.1976 beschlossenen und vom Regierungspräsidenten in D am 02.07.1976 genehmigten Bebauungsplanes - Villenkolonie E - der Antragsgegnerin.

Gegen die vorgenannte Baugenehmigung erhoben die Antragsteller am 19.03.1991 Widersprüche, über die noch nicht entschieden ist.

Am 15.04.1991 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Sie haben die Auffassung vertreten, die erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze sie in nachbarschützenden Rechten. Das Vorhaben verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen zwingende Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplanes. Auszugehen sei im Hinblick auf die beabsichtigte Begründung von Wohnungseigentum, die sich nicht auf das vorhandene Wohnhaus erstrecken solle, von einer späteren Teilung und Abtrennung einer Grundstücksfläche von ca. 830 qm, auf der das Mehrfamilienwohnhaus errichtet werde. Bezogen auf dieses Teilgrundstück verstoße die Baugenehmigung gegen Nr. 6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes, die die Mindestgröße von Baugrundstücken per Vorhaben mit mehr als zwei Wohneinheiten auf 1.000 qm festsetze. Darüber hinaus würden auch die Festsetzungen hinsichtlich der Grundflächenzahl (GRZ) und Geschoßflächenzahl (GFZ) wesentlich überschritten. Schließlich werde auch die Festsetzung Nr. 11.2, wonach u. a. Stellplätze und Zufahrten nur maximal 25 % der Fläche zwischen Baugrenze und Straße belegen dürften, nicht eingehalten. Von der anzusetzenden Fläche von 230 qm würden ca. 75 qm, mithin mehr als die erlaubten 25 %, von Stellplätzen sowie Zufahrten in Anspruch genommen. Nicht eingehalten werde zudem die Festsetzung in Nr. 5.2 hinsichtlich der Breite der parallel zu den seitlichen Grundstücksgrenzen einzuhaltenden nicht überbaubaren Grundstücksflächen. Während der Bebauungsplan bei mehrgeschossigen Gebäuden diese mit 7,5 m festsetze, halte das Vorhaben der Beigeladenen nur im Keller und im Erdgeschoß 5 m Abstand ein. Die in Nr. 5.1 festgesetzte Baugrenze werde an der nördlichen Seite um ca. 0,5 m überschritten. Gegen die Festsetzungen in Nr. 8.1 werde in zweifacher Hinsicht verstoßen. Zum einen sei die eine Länge von 13,74 m aufweisende Garage im Kellergeschoß mit der dortigen Begrenzung zusammenhängender Garagenfronten auf 10 m unvereinbar. Zum anderen widerspreche die Schaffung der Garage für drei Pkw sowie deren Zufahrt fast an der Grundstücksgrenze der Vorgabe, wonach Stellplätze und Garagen so anzuordnen seien, daß der Charakter des intensiv begrünten Wohngebietes, der Ausblick aus den Wohnungen und die Wohnruhe möglichst wenig beeinträchtigt würden. Die bezeichneten Festsetzungen seien jeweils nachbarschützend, da sie, wie aus dem Textteil des Bebauungsplanes insgesamt entnommen werden müsse, der Sicherung einer aufgelockerten Bauweise und damit dem ungestörten Wohnen dienten. Darüber hinaus verstoße die angegriffene Baugenehmigung auch gegen § 15 Baunutzungsverordnung - BauNVO - sowie hinsichtlich der Garagenanlagen nebst Zufahrt auch gegen Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes.

Die Antragsteller haben beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche vom 19. März 1991 gegen die Baugenehmigung vom 26. Februar 1991 in der Fassung vom 11. März 1991 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, die Baugenehmigung sei rechtmäßig. Die Planfestsetzungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung - inklusive Altbau - würden eingehalten. Die Reduzierung der nicht überbaubaren Fläche zur Grenze der Antragsteller von 7,5 m auf 5 m verletze diese nicht in ihren Rechten, da jedenfalls die bauordnungsrechtlichen Anforderungen eingehalten würden. Entgegen der Auffassung der Antragsteller weise das Vorhaben nur zwei Vollgeschosse auf. Nr. 8.1 der Planfestsetzung sei nicht einschlägig, da diese Regelung nur die Anordnung von Garagen und Stellplätzen im Rahmen der Gestaltung der Außenanlage betreffe. Die Zufahrt wahre zudem einen Grenzabstand von 3 m und einen Gebäudeabstand zum Haus der Antragsteller von 8 m. Die übrigen vier Stellplätze seien 12,5 m von der Grenze entfernt und beanspruchten bei einer zugrundezulegenden Vorgartenfläche von insgesamt 340 qm statt der gemäß Nr. 11.2 zulässigen 135 qm (= 25 %) lediglich etwa 80 qm. Ein Verstoß gegen § 15 BauNVO sei ebenso wenig anzunehmen wie eine Verletzung der Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes.

Die mit Beschluß vom 02.05.1991 beigeladenen Bauherren haben unter Hinweis auf die Ausführungen der Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Während eines vom Berichterstatter des erstinstanzlichen Verfahrens durchgeführten Ortstermins haben die Beigeladenen erklärt, das Vorhaben solle nach der Hessischen Bauordnung in der alten Fassung - HBO 1977 - beurteilt werden.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluß vom 20.06.1991 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Das Bauvorhaben verstoße gegen Nr. 5.2 des Bebauungsplanes, da es nur einen seitlichen Abstand von 5 m und nicht den vorgeschriebenen von 7,5 m zur Nachbargrenze einhalte. Die Festsetzung sei aber nach der Begründung zu dem Bebauungsplan nicht nachbarschützend. Zudem sei insoweit keine tatsächliche Beeinträchtigung feststellbar, da ein Gebäudeabstand von 10 m verbleibe, während beide Gebäude nach § 7 HBO 1977 jeweils nur einen Bauwich von 3 m hätten einhalten müssen. Zudem springe das geplante Gebäude im ersten Geschoß 2,5 m zurück. Bei dieser Sachlage sei auch unter Berücksichtigung der genehmigten Höhe des streitbefangenen Gebäudes sowie nach dem Ergebnis der durchgeführten Inaugenscheinnahme, die den Eindruck großzügiger und aufgelockerter und heute nur noch selten antreffbarer Bebauung vermittelt habe, eine wesentliche Beeinträchtigung der Antragsteller in der Belichtung und Belüftung ihres Grundstücks oder in psychischer Hinsicht durch optische Einengung aufgrund einer erdrückenden Wirkung nicht zu erwarten. Ansonsten stehe die Baugenehmigung in Einklang mit den Festsetzungen des Bebauungsplanes. Die Mindestanforderung an die Grundstücksgröße nach Nr. 6 werde erfüllt, da von einem ungeteilten Grundstück auszugehen sei. Diese Planfestsetzung könne durch eine nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BauNVO genehmigungspflichtige und nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 BauNVO nicht genehmigungsfähige Teilung nicht unterlaufen werden. Die Auffassung der Antragsteller, um die Einhaltung der Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung zu sichern, sei die Bildung von Wohnungseigentum der Realteilung gleichzustellen, finde im Gesetz keinen Rückhalt. Da von der Gesamtparzelle auszugehen sei, seien GRZ und GFZ eingehalten. Gegen Nr. 11.2 des Bebauungsplanes werde nicht verstoßen, da von der Gesamtvorgartenfläche von ca. 540 qm durch Stellplätze und Zufahrten lediglich ca. 80 qm und damit weniger als die maximal zulässigen 25 % in Anspruch genommen würden. Auch gegen die Festsetzung Nr. 8.1 werde nicht verstoßen. Diese gelte lediglich für Garagen und Stellplätze im Rahmen der Außenanlagen und nicht für die hier in das Gebäude integrierten Garagenstellplätze; die Zufahrt zur Garage genüge bei einem Grenzabstand von 3 m und vorgesehener Heckenbepflanzung entlang der Grundstücksgrenze dem Gebot, die Wohnruhe möglichst wenig zu beeinträchtigen. Das Bauvorhaben weise lediglich zwei Vollgeschosse auf. Schließlich sei das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt. Insbesondere wirke das Bauvorhaben nicht erdrückend, sondern belasse dem Grundstück der Antragsteller den Charakter der Weitläufigkeit, weshalb der Bauabsicht der Beigeladenen der Vorrang einzuräumen sei. Weder von der eingerichteten Tiefgarage noch von deren Zufahrt und den Stellplätzen, auf die das Bundesimmissionsschutzgesetz nicht anwendbar sei, seien insbesondere wegen der Abstände zum Grundstück der Antragsteller unzumutbare Störungen oder Belästigungen zu erwarten.

Gegen den ihnen am 27.06.1991 zugestellten Beschluß haben die Antragsteller am 10.07.1991 Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung wiederholen sie im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und vertiefen ihre Auffassung, die Festsetzung Nr. 5.2 des Bebauungsplanes über die seitlichen Abstände sei nachbarschützend.

Die Antragsteller beantragen,

in Abänderung des angefochtenen Beschlusses die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller vom 19. März 1991 gegen die von der Antragsgegnerin den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 26. Februar 1991 in der Fassung vom 11. März 1991 anzuordnen,

hilfsweise: die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller anzuordnen nach dem Inhalt ihres Antrags in der Antragsschrift vom 15. April 1991.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Beschluß und führt näher aus, daß die Begründung für den Bebauungsplan nichts dafür hergebe, daß die Festsetzung Nr. 5.2 nachbarschützend sein solle.

Die Beigeladenen beantragen im wesentlichen unter Hinweis auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, einen Hefter mit Behördenvorgängen betreffend das Baugenehmigungsverfahren, einen Hefter betreffend die Aufstellung des Bebauungsplanes E sowie einen Hefter betreffend die Aufstellung des Flächennutzungsplanes Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Beschwerde (§§ 146 ff. VwGO) ist unbegründet.

Der vorläufige Rechtsschutz des Dritten (Grundstücksnachbarn), der gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung einen Rechtsbehelf eingelegt hat, richtet sich seit Inkrafttreten des 4. Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung - 4. VwGOÄndG - vom 17.12.1990 (BGBl. I S. 2809) am 01.01.1991 nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 bis 8 VwGO.

Wenn das Bauvorhaben - wie hier - ausschließlich Wohnzwecken dient, haben Widerspruch und Anfechtungsklage des Dritten nach § 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften vom 17.05.1990 (BGBl. 1990 I S. 926) eingeführten Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch - BauGBMaßnahmenG - i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO auf Antrag Maßnahmen der Behörde nach § 80a Abs. 1 VwGO ändern oder aufheben oder selbst solche Maßnahmen treffen.

Dem Antrag eines Dritten auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80a Abs. 3 VwGO ist stattzugeben, wenn die Baugenehmigung offensichtlich dessen Rechte verletzt. Denn in diesem Fall kann ein überwiegendes Interesse des Bauherrn oder der Öffentlichkeit an einer sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung nicht bestehen.

Umgekehrt ist dieser Antrag des Dritten abzulehnen, wenn die Baugenehmigung ihn offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt.

Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens über den Rechtsbehelf des Dritten offen, hat das Gericht eine Abwägung der beteiligten privaten und öffentlichen Interessen vorzunehmen, die für oder gegen eine sofortige Ausnutzung der Baugenehmigung sprechen. Bei dieser Abwägung hat das Gericht zum einen das Gewicht der beteiligten Interessen und das konkrete Ausmaß ihrer Betroffenheit zu berücksichtigen. Zum anderen hat es zu würdigen, ob der Rechtsbehelf des Dritten - auch unter Berücksichtigung des von ihm eventuell glaubhaft gemachten Tatsachenvorbringens - wahrscheinlich Erfolg haben wird.

Führt diese Abwägung dazu, daß den widerstreitenden Interessen etwa gleich großes Gewicht beizumessen ist, verbleibt es bei der gesetzlichen Ausgangslage.

Ein Abwehrrecht des Dritten gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung besteht nur, wenn

ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt und die Voraussetzungen für eine Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen.

und

die verletzten Vorschriften auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt, also nachbarschützend sind

und

durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschriften geschützten nachbarlichen Belange eintritt (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 01.08.1991 - 4 TG 1244/91 -).

Nach dem Vorstehenden ist die Beschwerde sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag zurückzuweisen, da die Antragsteller durch die Baugenehmigung offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt werden.

Dahingestellt bleiben kann, ob der Bebauungsplan E deshalb unwirksam ist, weil er nicht gemäß § 8 Abs. 2 Baugesetzbuch - BauGB - aus dem Flächennutzungsplan entwickelt worden ist, der nach § 8 Abs. 4 Satz 2 Hessisches Aufbaugesetz wegen einer Beanstandung durch den Hessischen Innenminister mit Erlaß vom 07.04.1961 ungültig ist und möglicherweise nicht übergeleitet werden konnte (vgl. zu den Einzelheiten Hess. VGH, Urteil vom 02.11.1984 - IV OE 31/82 -, HessVGRspr 1985, 50).

Geht man von der Gültigkeit des Bebauungsplanes aus, so beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitbefangenen Bauvorhabens nach § 30 BauGB, d. h. danach, ob die Baugenehmigung mit den Festsetzungen dieses Bebauungsplanes in Einklang steht.

Die Festsetzung Nr. 3.1 des Bebauungsplanes, nach der höchstens zwei Vollgeschosse zugelassen sind, ist entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht verletzt. Nach § 20 Abs. 1 BauNVO gelten als Vollgeschosse Geschosse, die nach landesrechtlichen Vorschriften Vollgeschosse sind oder auf ihre Zahl angerechnet werden. Anzuwendende landesrechtliche Vorschrift ist vorliegend die Hessische Bauordnung in der Fassung vom 25.03.1986 - HBO 1977 - (GVBl. 1986 I S. 102) und nicht die Neufassung dieses Gesetzes vom 12.07.1990 - HBO 1990 - (GVBl. 1990 I S. 395). Da die streitgegenständliche Baugenehmigung aufgrund der Widersprüche der Antragsteller noch nicht unanfechtbar geworden ist (§ 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO), konnten die Beigeladenen noch von der durch das Gesetz zur Ergänzung des Änderungsgesetzes zur Hessischen Bauordnung vom 11.11.1990 (GVBl. 1990 I S. 538), geändert durch 2. Gesetz zur Änderung des Änderungsgesetzes der Hessischen Bauordnung vom 26.06.1991 (GVBl. 1991 I S. 209), eingeführten befristeten Wahlmöglichkeit Gebrauch machen und sich für die Anwendung der HBO 1977 entscheiden (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 01.08.1991 - 4 TG 1159/91 -). Maßgeblich zur Bestimmung von Vollgeschossen ist somit § 2 Abs. 4 HBO 1977. Nach der von den Antragstellern nicht substantiiert angegriffenen, in der Bauakte befindlichen "Ermittlung der Geschossigkeit KG" ragt die mittlere Deckenoberkante nicht mehr als 1,355 m über die Geländeoberfläche hinaus und ist somit nach § 2 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 HBO 1977 kein Vollgeschoß. Nach der ebenfalls von den Antragstellern nicht substantiiert angegriffenen, in der Bauakte befindlichen "Ermittlung der Geschossigkeit DG" ist das Dachgeschoß über einer Fläche von 104,77 qm im Lichten mindestens 2,3 m hoch und ist diese Fläche kleiner als zwei Drittel der Grundfläche des Dachgeschosses. Daher ist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 HBO auch das Dachgeschoß kein Vollgeschoß. Vollgeschosse sind lediglich das Erdgeschoß und das Obergeschoß. Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist somit zweigeschossig und steht in Einklang mit Nr. 3.1 des Bebauungsplanes.

Nicht im Verfahren nach § 80 a Abs. 3 VwGO, sondern in einem Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO könnte geltend gemacht werden, daß das Bauwerk die nördliche Baugrenze nach Nr. 5.1 der textlichen Festsetzung des Bebauungsplanes um ca. 0,5 m überschreite. Nach dem Lageplan, der Bestandteil der Baugenehmigung ist, hält das Bauvorhaben die nach Nr. 5.1 festgesetzten Baugrenzen ein.

Weitere Verstöße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes, ausgenommen den gegen Nr. 5.2, hat das Verwaltungsgericht, auf dessen Ausführungen verwiesen wird, zutreffend verneint.

Die Baugenehmigung ist unter Verstoß gegen Nr. 5.2 des Bebauungsplanes, wonach parallel zu den seitlichen Grundstücksgrenzen bei mehrgeschossigen Gebäuden eine nicht überbaubare Grundstücksfläche von 7,5 m Breite festgesetzt ist, erteilt worden. Diese Festsetzung ist jedoch nicht nachbarschützend. Anders als Festsetzungen unterschiedlicher Nutzungsarten, die wegen ihrer spezifischen Interessenverflechtung und der mit einer Durchbrechung dieser Festsetzungen zu Tage tretenden Unverträglichkeit unterschiedlicher Nutzung in der Regel als nachbarschützend angesehen werden, kann bei der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche nachbarschützende Wirkung nur im Einzelfall vornehmlich aus den Planungsabsichten im Zusammenhang mit den örtlichen Gegebenheiten geschlossen werden, weil diese Festsetzungen in der Regel nicht zu einer besonderen "bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft" (Austauschverhältnis) der Planbetroffenen beitragen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 15.03.1979 - I A 178/76 -, BRS 35 Nr. 194). Wird ein wesentlich breiterer als der landesrechtlich vorgeschriebene Grenzabstand festgesetzt, verletzt dessen Überschreitung bis zur Grenze der landesrechtlich zulässigen seitlichen Abstandsfläche grundsätzlich den Nachbarn nicht in seinen Rechten (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 23 Rdnr. 7.1, die dies generell verneinen). Gegenteiliges läßt sich dem Bebauungsplan E selbst nicht entnehmen. Dessen Festsetzungen als reines Wohngebiet (Nr. 2), über das Maß der baulichen Nutzung (Nr. 3), der grundsätzlich offenen Bauweise (Nr. 4), über die überbaubaren Grundstücksflächen (Nr. 5) sowie über die Mindestgröße (Nr. 6), die Bepflanzung (Nr. 11) die Gestaltung von Stellplätzen und Garagen als Außenanlagen (Nr. 8) dienen dem städtebaulichen Konzept der weitgehenden Erhaltung des Villencharakters des Gebietes, wie es bereits in der Bezeichnung des Bebauungsplanes E mit "Villenkolonie E" zum Ausdruck kommt. Sie haben dadurch für die Grundstückseigentümer eine positive Nebenfolge im Hinblick auf angenehmes und weitgehend störungsfreies Wohnen und eine angemessene Wertentwicklung des eigenen Grundstücks. Diese Festsetzungen bringen lediglich das städtebauliche Konzept zum Ausdruck, daß maximal zweigeschossige Gebäude in offener Bauweise nur im straßennahen Bereich (Blockrandbebauung) errichtet werden sollen, daß der rückwärtige Bereich von Bebauung freigehalten werden soll und daß die Grundstücke intensiv begrünt werden sollen, lassen jedoch nicht erkennen, daß mit ihnen ein wechselseitiges Austauschverhältnis begründet werden soll (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 13.04.1972 - IV TG 25/72 -, BRS 25 Nr. 188 zur Festsetzung der offenen Bauweise). Jedenfalls hinsichtlich der seitlich festgesetzten nicht überbaubaren Grundstücksflächen (Nr. 5.2) erlauben auch die Begründungen zu den Bebauungsplanentwürfen nicht zwingend einen derartigen Schluß. In Nr. 3 der Begründung der Antragsgegnerin vom 17.10.1973 zu dem ursprünglichen Bebauungsplanentwurf heißt es: "Anlaß zum Entwurf des Bebauungsplanes E waren drei einander ausschließende Möglichkeiten zur zukünftigen Entwicklung der Villenkolonie. Die Wünsche einiger Grundstückseigentümer, die heute freien Blockinnenbereiche mit Einfamilienhäusern zu bebauen und große Grundstücke zu teilen. Andere Eigentümer wünschten die Umstrukturierung der Villenkolonie in ein anspruchsvolles Mehrfamilienhausgebiet, was sich aufgrund der Lagequalität anböte. Die dritte Gruppe der Grundstückseigentümer wünschte dagegen den großzügigen Villencharakter des Gebiets zu wahren. Der Planentwurf versucht einen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen herzustellen." Dieser Planentwurf wurde jedoch nicht realisiert, da sich eine Vielzahl von Grundstückseigentümern für die dritte Variante entschied. In der geänderten Begründung zum Bebauungsplanentwurf vom 23.04.1975 heißt es dann aber:

"Anlaß und Ziele der Planung

Anlaß zum Entwurf des Bebauungsplans E waren drei einander ausschließende Möglichkeiten zur zukünftigen Entwicklung der Villenkolonie: Von 1970 bis April 1975 wurden ca. 25 Bauvoranfragen bzw. Bau- oder Teilungsanträge gestellt mit dem Ziel, große Grundstücke zu teilen und die bisher freien Blockinnenbereiche mit Einfamilienhäusern zu bebauen. Andere Eigentümer strebten die Umstrukturierung der Villenkolonie in ein anspruchsvolles Mehrfamilienhausgebiet an, was sich aufgrund der Lagequalität anböte. Die dritte Gruppe der Grundstückseigentümer wünschte dagegen den großzügigen Villencharakter des Gebiets zu bewahren. Der Planentwurf vom 17.10.1973 versuchte einen städtebaulich ausgewogenen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen herzustellen. Nach dem eindeutigen Votum der während der Auslegung im Sommer 1974 vorgebrachten Bedenken und Anregungen soll in der Neufassung des Entwurfs vom 23.4.1975 der Sicherung des derzeitigen Bestandes der Vorrang gegeben werden.

Grundzüge der Planung

Den guten Lage- und Wohnbedingungen entsprechend wird das Gebiet als reines Wohngebiet festgesetzt. Die Blockrandbebauung ist für 2-geschossige Ein- und Mehrfamilienhäuser bestimmt. Um den die derzeitige Wohnqualität prägenden Freiraum im Blockinneren weitgehend zu erhalten, wird eine weitere Bebauung im Blockinneren durch rückwärtige Baugrenzen ausgeschlossen und die Bepflanzung durch besondere Festsetzungen gesichert."

Aus dem Umstand, daß der Sicherung des damals vorhandenen Bestandes der Vorrang gegeben wurde und daß der damals die Wohnqualität prägende Freiraum im Blockinneren nach der vorstehend wiedergegebenen Begründung vom 23.03.1975 durch rückwärtige Baugrenzen von weiterer Bebauung ausgeschlossen werden sollte, wird möglicherweise - worauf es hier nicht ankommt - der hinteren Baulinie nachbarschützende Wirkung zukommen. Hinsichtlich der nach Nr. 5.2 einzuhaltenden seitlichen Abstandsflächen ist eine entsprechende Hervorhebung in der Begründung nicht enthalten. Zudem waren anders als bei den Blockinnenbereichen die seitlichen Abstände im Plangebiet bei Planaufstellung in den Jahren 1973 bis 1976 höchst unterschiedlich. Überwiegend war damals der gesetzliche Abstand nach § 25 Hessische Bauordnung vom 06.07.1957 (GVBl. 1957 I S. 101) - HBO 1957 - eingehalten, teilweise bestanden größere seitliche Abstände und teilweise war Grenzbebauung vorhanden. Dies ergibt sich aus der Katastergrundlage des ersten Bebauungsplanentwurfs vom 17.10.1973. Demgegenüber sieht die Festsetzung einer nicht bebaubaren seitlichen Abstandsfläche bei eingeschossigen Gebäuden von 5 m und bei mehrgeschossigen Gebäuden von 7,5 m in Nr. 5.2 des Bebauungsplanes eine zumeist großzügigere Gestaltung vor, wodurch ein Großteil der Grundstückseigentümer eine Vergünstigung erhält. Dies spricht entscheidend dagegen, daß durch diese Festsetzung ein Austauschverhältnis begründet werden sollte. Zusammenfassend ist festzustellen, daß nicht eindeutig erkennbar ist, daß die Festsetzung Nr. 5.2 des Bebauungsplanes nachbarschützend sein soll, und daß es daher bei dem vorgenannten Grundsatz, daß derartige Festsetzungen nicht nachbarschützend sind, bleibt.

Ein Abwehrrecht erwächst den Antragstellern auch nicht daraus, daß die Baugenehmigung ohne Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von Nr. 5.2 des Bebauungsplanes erteilt wurde. Zwar hat § 31 Abs. 2 BauGB mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen drittschützende Wirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.09.1986 - 4 C 8.84 -, BRS 46 Nr. 123; Hess. VGH, Beschluß vom 18.09.1989 - 4 TG 2262/89 -, BRS 49 Nr. 189). § 31 Abs. 2 BauGB erfaßt jedoch direkt nur den Fall, daß eine Befreiung tatsächlich erteilt wurde. Weicht ein Vorhaben von den Festsetzungen des Bebauungsplanes ab, so ist es, wenn keine Befreiung erteilt ist, schon nach § 30 BauGB unzulässig. Da der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß Baugenehmigungen im Geltungsbereich von Bebauungsplänen nur dann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 30 BauGB vorliegen, und keine Regelungen für den vorliegenden Fall der Erteilung der Baugenehmigung ohne eine erforderliche Befreiung getroffen hat, ist diese Lücke durch eine entsprechende Anwendung von § 31 Abs. 2 BauGB und § 15 Abs. 1 BauNVO zu schließen, da bereits gegenüber einer in Übereinstimmung mit einem Bebauungsplan erteilten Baugenehmigung eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots geltend gemacht werden kann. Etwas anderes kann auch nicht im Falle der Erteilung einer Baugenehmigung ohne eine erforderliche Befreiung gelten. Daher kann bei einer unter Verstoß gegen nicht nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplans erteilten Baugenehmigung Nachbarschutz in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 1 BauNVO unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2 BauGB gegeben seien. Dem in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerten Rücksichtnahmegebot kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich in individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist, was nur für Ausnahmefälle anzuerkennen ist (so BVerwG, Urteil vom 06.10.1989 - 4 C 14.87 -, BRS 49 Nr. 188). Von einem solchen Ausnahmefall kann dann ausgegangen werden, wenn der betroffene Belang im Rahmen der Bauleitplanung beachtlich ist, wenn er durch die Festsetzung, von der befreit werden soll, mindestens reflexartig objektivrechtlich geschützt ist und wenn er von solchem Gewicht ist, daß er sich bei gerechter Abwägung, bei der auch Interessen anderer Nachbarn und der Allgemeinheit zu berücksichtigen sein können, gegen das Interesse des Bauinteressenten durchsetzen muß (Hess. VGH, Beschluß vom 18.09.1989 - 4 TG 2261/89 -, BRS 49 Nr. 189; vgl. auch Bay. VGH, Urteil vom 20.12.1990 - 1 B 89.3453 -, BRS 50 Nr. 182). Zwar können durch die Festsetzung einer seitlichen Abstandsfläche grundsätzlich die nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 u. Nr. 4 BauGB im Rahmen der Bauleitplanung beachtlichen Belange der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse und der Erhaltung vorhandener Ortsteile berührt sein, auch ein Grundeigentümerinteresse an der Wahrung der gewachsenen Eigenart einer großzügigen und aufgelockerten Bebauung. Auch wird der benachbarte Grundstückseigentümer zumindest reflexartig durch die seitliche Abstandsfläche, von der hätte befreit werden müssen, objektivrechtlich geschützt. Jedoch sind die vorgenannten Belange nicht von solchem Gewicht, daß sie sich bei gerechter Abwägung gegen die Interessen der Beigeladenen hätten durchsetzen müssen. Den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse ist bereits durch die hier eingehaltenen Anforderungen nach § 7 Abs. 1 u. 3 HBO 1977 an den Bauwich und nach § 8 Abs. 1 u. 2 HBO 1977 an Abstände und Abstandsflächen, insbesondere für eine ausreichende Belichtung, in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Hinsichtlich des Belanges der Erhaltung vorhandener Ortsteile sprechen bereits die vorstehenden Ausführungen zur Frage, ob die festgesetzte seitliche Abstandsfläche nachbarschützend ist, dafür, daß sich eine über die landesrechtliche Abstandsflächenregelung hinausgehende Festsetzung der Abstandsfläche auch im vorliegenden Einzelfall zugunsten der Antragsteller und gegen die Interessen der Beigeladenen nicht hätte durchsetzen müssen. Dafür ist ferner wesentlich, daß dem Grundstück der Antragsteller durch das Bauvorhaben der Beigeladenen nicht sein wesentlicher Reiz genommen wird und keine wesentliche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Dazu hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluß unwidersprochen ausgeführt: "Dem entspricht auch das Ergebnis der durchgeführten Inaugenscheinnahme. Der Bereich zwischen den beiden Gebäuden vermittelt trotz des nicht geringen Umfangs des Beigeladenenvorhabens sowie des zu diesem hin leicht ansteigenden Geländes den Eindruck großzügiger und aufgelockerter Bebauung, wie sie heute nur noch selten angetroffen werden kann. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Antragsteller in der Belichtung und Belüftung oder gar eine solche in psychischer Hinsicht durch optische Einengung ihres Grundstücks aufgrund einer erdrückenden Wirkung des Vorhabens ist nach Auffassung der Kammer danach ausgeschlossen." Dies wird belegt durch die bei dem Ortstermin durch den Berichterstatter des Verwaltungsgerichts gefertigten Lichtbilder.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, daß - sofern der Bebauungsplan ungültig sein sollte - sich das Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfügt und deshalb keine Nachbarrechte verletzt sind.