Hessischer VGH, Urteil vom 06.02.1989 - 12 UE 2584/85
Fundstelle
openJur 2012, 18710
  • Rkr:
Tatbestand

Der am 1. Januar 1945 - laut Paß in Mardin und laut Nüfus in Nusaybin, Provinz Mardin - geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger syrisch-orthodoxen Glaubens. Er reiste am 12. Januar 1980 - mit dem Flugzeug aus Istanbul kommend - über Frankfurt am Main in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er war im Besitz eines am 28. Dezember 1979 in Mardin ausgestellten und für zwei Jahre gültigen türkischen Nationalpasses. Nach der darin enthaltenen Nüfuseintragung ist der Kläger in dem Dorf Ü., Kreis Nusaybin, Provinz Mardin, registriert. Die am 1. Januar 1950 in N. geborene Ehefrau B. des Klägers sowie ihre gemeinsamen Kinder S. (geb. laut Nüfus am 12. Mai 1966 in N., laut eidesstattlicher Erklärung des Klägers am 8. Februar 1969 in N.-Ü.), A. (geb. am 31. Mai 1971 in Istanbul), B. (geb. am 7. Dezember 1973 in Istanbul), I. (geb. am 10. August 1976 in N.) und B. (geb. am 3. Dezember 1978 in N.) folgten dem Kläger am 26. September 1980. Sie sind rechtskräftig als Asylberechtigte anerkannt (VG Wiesbaden I/2 E 5793/83). Die Ehefrau und - mindestens - der Sohn A. des Klägers sind seit dem 2. April 1987 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, der Kläger selbst seit dem 27. April 1987.

Am 14. April 1980 hatte der Kläger zur Niederschrift der Ausländerbehörde Asyl beantragt. Dabei gab er als Geburtsort "Mardin", als letzte Anschrift im Heimat-/Herkunftsland "Ü." und als letzte dortige Berufstätigkeit "selbständig, Landwirt" an; unter der Rubrik "Sprachkenntnisse" ist "aramäisch" eingetragen. Zur Begründung seines Asylbegehrens führte der Kläger aus: Er fühle sich wegen seines christlichen Glaubens verfolgt. In der Heimat sei ein Freund wegen seines Glaubens ermordet und ihm das Vieh gestohlen worden. Er, der Kläger, sei deshalb aus Angst nach Istanbul gezogen, wo er gearbeitet habe. Eine Tochter seines Onkels, die mit ihm gegangen sei, sei im Frühjahr 1975 von Leuten aus Malatya entführt worden. Die Entführer seien auf seine Anzeige hin festgenommen, jedoch später - da er selbst von Moslems gezwungen worden sei, nicht auszusagen - wieder freigelassen worden. Einen Monat später sei er in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Dort hätten die Leute, die schon seinen Freund ermordet hatten, ihm nach und nach Teile von seinem Traktor gestohlen (wie z.B. Batterie, Auspuff usw.). Außerdem habe er Geld an die Moslems zahlen müssen, um überhaupt in Ruhe arbeiten zu können. Ein anderer Freund, der solche Zahlungen verweigert habe, sei ebenfalls ermordet worden. Die Polizei wisse von den herrschenden Zuständen, unternehme jedoch nichts dagegen. Im Einzelfall könne man sich nicht an die Polizei wenden, weil man für diesen Fall von den Erpressern mit dem Tode bedroht werde. Ende 1979, am Tag seiner Abreise, seien Moslems in die christliche Kirche gekommen und hätten die Bücher gestohlen. Deswegen seien sie bei der Polizei gewesen; dort sei ihnen nur gesagt worden, daß die Polizei nichts tun könne. Ausweislich der Niederschrift wurde die Anhörung des Klägers in deutscher Sprache geführt und ihm die Niederschrift in türkischer Sprache vorgelesen.

Anläßlich seiner in aramäischer Sprache durchgeführten Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 27. Januar 1983 in Nürnberg ergänzte der Kläger zunächst seine Angaben bei der Ausländerbehörde zum Geburtsort in "M./Ü." und zu den Sprachkenntnissen in "aramäisch, wenig türkisch und arabisch". Des weiteren führte der Kläger aus: Er habe keine Schule besucht, könne aber etwas lesen und schreiben. Militärdienst habe er von 1966 bis 1969 geleistet. Vor der Ausreise sei er in der Landwirtschaft tätig gewesen. Er habe, und zwar bis etwa August 1975, ca. fünf Jahre lang - die letzten vier Jahre zusammen mit seiner Familie - in Istanbul gelebt und in einer Kabelfabrik gearbeitet. Die damals etwa 14 bis 15 Jahre alte Tochter seines Bruders habe bei ihnen in Istanbul-Tarlabasi gewohnt. Ca. vier bis sechs Wochen vor der Rückkehr ins Heimatdorf habe er seine Nichte morgens zu ihrer Arbeitsstelle begleitet; da hätten drei unbekannte Moslems - wie er später von einem Arbeitskollegen erfahren habe, aus Malatya - ihm das Mädchen entrissen und entführt. Er sei mit seinem Arbeitgeber, einem Armenier, sofort zur Polizei gegangen; die Beamten hätten aber lediglich nach der Zahl der Entführer gefragt und außerdem geäußert, diese hätten seine Nichte wohl geliebt. Durch Zahlung von Bestechungsgeldern an andere Moslems habe er erfahren, wer die Entführer gewesen seien, nicht aber, wohin man das Mädchen entführt hatte. Erst viel später sei bekannt geworden, daß die Nichte in Istanbul lebe, mittlerweile ein Kind habe und einmal einen erfolglosen Fluchtversuch unternommen habe. Er selbst habe seinerzeit die Entführer in Istanbul-Tarlabasi gestellt, und es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei der ihm zwei Zähne ausgeschlagen worden seien. Deshalb sei er nochmals bei der Polizei gewesen; die Beamten hätten ihm nunmehr gesagt, er solle die Leute selbst auf die Wache bringen. Verhaftet worden sei von den Entführern keiner. Was hierzu in der Niederschrift über seine Anhörung bei der Ausländerbehörde im April 1980 aufgenommen worden sei, treffe nicht zu. Möglicherweise habe der Sprachmittler nicht ausreichend Deutsch gesprochen; auch bei der damaligen Anhörung habe er im übrigen in Aramäisch ausgesagt. Die moslemischen Entführer hätten ihn sodann für den Fall, daß er in Istanbul bleibe, mit dem Tode bedroht. Ausschließlich wegen dieser Bedrohungen habe er Istanbul verlassen; wirtschaftliche Gründe hierfür habe es nicht gegeben, da er damals 6.000,-- TL monatlich verdient habe. Von seinen Ersparnissen habe er sich einen Traktor für 95.000,-- TL gekauft und in Ü. für 75.000,-- TL ein Haus gebaut. Mit dem Traktor habe er Arbeiten in fremden Landwirtschaften erledigt und Transporte ausgeführt; hierbei habe er durchschnittlich 1.500,-- TL täglich verdient. 1977 habe er in seinem Haus auch noch einen Krämerladen eröffnet, den seine Ehefrau und er geführt hätten. Es sei dann immer häufiger zu Überfällen gekommen. Die Leute seien wohl neidisch gewesen, weil er so viel Geld besessen habe; hinzugekommen sei seine Religionszugehörigkeit. Er sei fast zehnmal überfallen worden; meist seien ihm die Täter bekannt gewesen. Einmal sei er deswegen bei der örtlichen Gendarmeriestation gewesen; er habe eine Bestätigung des Überfalls für ein evtl. zivilgerichtliches Verfahren gegen die Täter haben wollen; eine solche sei ihm jedoch versagt worden, weil die Gendarmen gemeint hätten, er wolle damit irgendwo Asyl beantragen. Im Jahre 1977 seien ihm vom Hof Ersatzteile für seinen Traktor gestohlen worden; in diesem Zusammenhang sei er zweimal erfolglos bei der örtlichen Gendarmeriestation gewesen. Später habe er gegen Bezahlung von den Dieben, deren Namen er von einem anderen Christen erfahren hatte, die Teile zurückerhalten; Anzeige gegen die Täter habe er aus Angst nicht erstattet. Zwischen 1977 und 1979 sei er insgesamt mindestens fünfzigmal - er sei unterwegs mit seinem Traktor überfallen worden, es habe Überfälle auf das Haus gegeben - bei der Gendarmeriewache in Ü. gewesen; dreimal habe er sich sogar bei der vorgesetzten Dienststelle in Nusaybin beschwert; infolge einer dieser Beschwerden sei der vorgesetzte Unteroffizier der ca. fünf oder sechs Gendarmen des Dorfes versetzt worden. Zuletzt habe er sich nicht mehr aus dem Haus getraut; außerdem hätten ihn laufend Leute um Beträge in Höhe von 1.000,-- bis 3.000,-- TL erpreßt; so viel Geld habe er nicht aufbringen können. Er habe deshalb Anfang 1979 sein Geschäft schließen und einen Monat vor seiner Ausreise auch den Traktor, mit dem er bis dahin seinen Lebensunterhalt bestritten hatte, verkaufen müssen. Er sei mit dem Traktor nach Nusaybin gefahren, habe diesen dort heimlich - und zwar weit unter Wert - verkauft, sei sodann nach Mardin weitergefahren, wo er sich seinen Paß habe ausstellen lassen, und schließlich - ohne nochmals ins Dorf zurückzukehren - nach Istanbul, von wo er ausgereist sei. Die restlichen landwirtschaftlichen Geräte, Ersatzteile für den Traktor usw. habe seine Ehefrau verkauft, um ihre und der Kinder Ausreise zu finanzieren. Seine Familie habe, wie er aus Briefen erfahren habe, nach seiner Ausreise aus der Türkei keine Ruhe mehr vor den Moslems gehabt; sie seien bedroht und ihr Vieh sei gestohlen worden.

Mit Bescheid vom 25. Februar 1983 - zugestellt am 22. April 1983 - lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es sei nicht ersichtlich, daß die Christen in der Türkei allgemein in asylerheblicher Weise verfolgt wären und daß darüber hinaus im vorliegenden Fall für die Ausreise aus der Türkei politische Verfolgung ursächlich gewesen sei oder daß bei einer Rückkehr mit asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen gerechnet werden müsse. Weder gebe es in der Türkei eine gezielte staatliche Verfolgung von Angehörigen der christlichen Minderheit, noch könne von einer generellen Duldung, Untätigkeit oder gar Unterstützung des türkischen Staates bei Übergriffen Dritter die Rede sein, wenngleich die türkische Regierung nicht in jedem Fall die Sicherheit des einzelnen garantieren könne. Die Folgen der früheren desolaten innenpolitischen Zustände hätten im übrigen nicht nur die christlichen Minderheiten sondern die türkische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit getroffen. Daß vielfach Christen Opfer von Angriffen und Bedrohungen von Privatpersonen wurden, sei nicht in erster Linie auf ihre Volks- bzw. Religionszugehörigkeit, sondern auf ihre relativ bessere wirtschaftliche Situation sowie auf ihre - durch Abwanderung eines großen Teils der arbeits- und verteidigungsfähigen Männer - geschwächte Selbstverteidigungskraft zurückzuführen. Durch den Machtwechsel vom 12. September 1980 habe sich überdies die Sicherheitslage grundlegend gebessert; dies gelte auch für die traditionellen Siedlungsgebiete der Christen. Darüber hinaus ergäben sich aus dem Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte für eine bereits erfolgte oder noch zu befürchtende asylerhebliche Verfolgung. Gegen die vom Kläger geltend gemachten Bedrohungen bzw. Übergriffe von Privatpersonen sei der Schutz des türkischen Staates in Anspruch zu nehmen. Daß dem Kläger gezielt staatlicher Schutz verweigert worden sei, habe er nicht hinreichend substantiiert und glaubhaft gemacht. Vielmehr seien staatliche Stellen von ihm nicht in der erforderlichen intensiven Weise um Schutz gebeten worden. Nach dem vorliegenden Informationsmaterial sei im übrigen davon auszugehen, daß auch Christen bei Anrufung der Gerichte in der Türkei zu ihrem Recht gelangten. Gegen die vom Kläger behauptete Verfolgungsfurcht spreche überdies, daß er seine Familie zunächst allein dort zurückgelassen habe, wo allgemein lebens- bzw. existenzbedrohende Umstände vorliegen sollten. Auch stünden die - lange zurückliegenden - geltend gemachten Ereignisse nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Ausreise. Unabhängig davon sei dem Kläger zumutbar, Istanbul als inländische Fluchtalternative in Anspruch zu nehmen; dort träfen Christen auf bereits vorhandene hilfsbereite und oft wohlhabende christliche Gemeinden, die ihnen zusätzlich Rückhalt und Hilfestellung böten. Auch für vom Lande nach Istanbul ziehende Christen bestehe deshalb die Möglichkeit, sich dort einen Arbeits- und Sozialkreis zu schaffen.

Mit Bescheid vom 20. April 1983 forderte der Landrat des Landkreises Gießen den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm für den Fall, daß er nicht innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit des Bescheids des Bundesamtes und dieses Bescheids den Geltungsbereich des Ausländergesetzes verlassen habe, die Abschiebung an.

Mit Schriftsatz vom 5. Mai 1983, der am folgenden Tage einging, erhob der Kläger gegen Bundesamtsbescheid und Ausreiseaufforderung Klage.

Zur Begründung seiner Klagen nahm er auf sein bisheriges Vorbringen Bezug und bestätigte ausdrücklich die anläßlich der Vorprüfungsanhörung gemachten Angaben, zu denen er nichts zu ergänzen habe. Die Niederschrift über seine persönliche Anhörung vor der Ausländerbehörde sei insofern unrichtig, als es sich bei dem entführten Mädchen um die Tochter seines Bruders gehandelt habe und als die Entführer nicht verhaftet worden seien. Er, der Kläger, wie auch sein moslemischer Informant seien damals - bevor er zum zweiten Male bei der Polizei vorgesprochen habe - für den Fall, daß er sich weiter um die Entführungssache kümmere, mit dem Tode bedroht worden. Die abweichende Darstellung in der Niederschrift sei wohl darauf zurückzuführen, daß der seinerzeitige Sprachmittler - es handele sich um den Sohn des Pfarrers der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Pohlheim-Garbenteich - die deutsche Sprache nur unzureichend beherrscht habe.

Bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 26. September 1985 bekräftigte der Kläger nochmals die Richtigkeit seiner Angaben bei der Vorprüfungsanhörung. Ergänzend führte er aus, daß sein Bruder, der sich seit etwa einer Woche ebenfalls als Asylbewerber im Bundesgebiet aufhalte, erzählt habe, daß Kurden ihm die ganze Ernte - die Felder gehörten ihrer Familie - verbrannt hätten. Im übrigen seien sein, des Klägers, Onkel A. und dessen Familie bereits als asylberechtigt anerkannt.

Der Kläger beantragte,

die Beklagte zu 1) unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. Februar 1983 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, sowie den Bescheid des Landrats des Landkreises Gießen vom 20. April 1983 aufzuheben.

Die Beklagte zu 1) beantragte,

die Klage abzuweisen.

Sie machte geltend: Im Anerkennungsverfahren vor dem Bundesamt sei zutreffend festgestellt worden, daß ein Anspruch auf Asylgewährung nicht bestehe. Von einer Gruppenverfolgung der syrisch-orthodoxen Christen - auch in ihrem Herkunftsgebiet - könne angesichts der allgemeinen Besserung der Sicherheitssituation in der Türkei, die auch den christlichen Minderheiten zugute komme, nicht ausgegangen werden; mindestens stehe Istanbul als Fluchtalternative offen. Das individuelle Vorbringen des Klägers genüge den zu stellenden Anforderungen ebenfalls nicht; er habe es bei ungenauen und pauschalen Angaben sowie "nicht näher verifizierten" Behauptungen belassen.

Auch der Beklagte zu 2) beantragte mit näherer Begründung,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht gab mit Urteil vom 26. September 1985 den Klagen unter Zulassung der Berufung statt und führte zur Begründung aus: Der Kläger sei als Asylberechtigter anzuerkennen, denn er sei politisch Verfolgter i.S. des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Politisch Verfolgter sei ein Ausländer, der in seiner Person liegenden Eigenschaften wegen oder aufgrund seiner Überzeugungen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe seines Heimat- oder Herkunftslandes erlitten oder zu befürchten habe. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger, da er als syrisch-orthodoxer Christ einer Gruppe angehöre, die in jüngster Zeit in asylrechtlich erheblicher Weise verfolgt worden sei. Es erscheine allerdings zweifelhaft, ob von einer religiösen Gruppenverfolgung gesprochen werden könne; die Situation stelle sich eher als eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar, nämlich einer durch das gemeinsame Merkmal des christlichen Glaubens verbundenen Minderheit. Nach 1960 sei die syrisch-orthodoxe Minderheit zunehmend nicht mehr in der Lage gewesen, sich gegen die vornehmlich aus Neid und Feindseligkeit erfolgten Übergriffe türkischer Moslems zu wehren. Staatliche Hilfe hätten die Christen nur in seltenen Fällen zu erlangen vermocht. Insofern treffe die Stellungnahme von Monsignore Wilschowitz vom 9. April 1981 den Kern der Sache, wenn es sich hierbei auch um eine vereinfachende Darstellung der Situation der Christen in der Türkei handele. Die Beklagte zu 1) habe die Lage der Christen in zahlreichen Bescheiden (etwa vom 10.12.1982 - Tür-T-13538 -) ebenfalls zutreffend geschildert. Da der Kläger nach seinen glaubhaften Darlegungen in der Türkei mit feindlich gesinnten Moslems in Berührung gekommen sei, könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß er von der allgemein stattfindenden Gruppenverfolgung der Christen in der Türkei ausgenommen gewesen sei. Zudem müsse er bei einer Rückkehr in die Türkei befürchten, dort in asylrechtlich erheblicher Weise verfolgt zu werden. Zwar habe sich insgesamt gesehen die Sicherheitslage nach dem Militärputsch am 12. September 1980 deutlich verbessert. Dies gelte jedoch - bedingt durch zunehmende Abwanderung - nicht für die christlichen Minderheiten, so daß von einer weiterhin bestehenden Gruppenverfolgung gesprochen werden müsse. Schließlich gebe es keine Möglichkeit, der Gruppenverfolgung innerhalb der Türkei auszuweichen. Die als inländische Fluchtalternative in Betracht kommenden Großstädte Istanbul und Ankara seien nicht in der Lage, die große Zahl der abgewanderten Christen aufzunehmen und ihnen das Existenzminimum zu gewährleisten. Die Rückkehr der Christen würde deshalb voraussichtlich zu Spannungen führen, die sich zu pogromartigen Übergriffen steigern könnten. Letzten Endes könne aber dahinstehen, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Minderheit der Christen in der Türkei verfolgt werde; sie müsse hiermit jedenfalls in absehbarer Zukunft ernsthaft rechnen; denn die weitere Entwicklung lasse sich vor dem Hintergrund der wachsenden Islamisierungstendenzen nicht sicher abschätzen. Nach alledem sei dem Kläger Asyl zu gewähren. Dementsprechend sei auch die Klage begründet, die sich gegen den Bescheid des Beklagten zu 2) richte.

Gegen dieses ihm am 8. November 1985 zugestellte Urteil hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit Schriftsatz vom 5. Dezember 1985 - eingegangen am 6. Dezember 1985 - hinsichtlich des asylrechtlichen Verfahrensteils Berufung eingelegt.

Er macht geltend: Der Kläger habe weder bisher eine asylrechtlich erhebliche Verfolgung erlitten, noch brauche er eine solche für den Fall seiner Rückkehr zu befürchten. Zwar habe in der Zeit vor dem Militärputsch vom 12. September 1980 in abgelegenen Gebieten wie der östlichen Türkei die türkische Regierung nicht in jedem Fall die Sicherheit des Einzelnen garantieren können; davon sei aber nicht nur die christliche Minderheit, sondern die gesamte Bevölkerung betroffen gewesen. Damalige Übergriffe seien Abbild der Gewaltkriminalität gewesen und ohne Rücksicht auf die Religions- und Volkszugehörigkeit der Opfer erfolgt, zumal ihre Häufigkeit nach der Machtübernahme durch die Militärs rapide abgenommen habe. Im übrigen sei der türkische Staat im wesentlichen auch seinerzeit willens und grundsätzlich in der Lage gewesen, der christlichen Minderheit Schutz zu gewähren, so daß die vom Kläger geschilderten Beeinträchtigungen dem Staat asylrechtlich nicht zurechenbar seien. Mindestens hätte eine Inanspruchnahme vorgesetzter Dienststellen oder der Staatsanwaltschaft wahrscheinlich Erfolg gehabt, wenn die örtlichen Stellen untätig geblieben sein sollten. Abgesehen davon sei dem Kläger jedenfalls jetzt eine Rückkehr in sein Heimatland zuzumuten, da mindestens in Istanbul eine inländische Fluchtalternative bestehe; dort sei eine asylerhebliche Verfolgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Auch wenn der Kläger nie in Istanbul gelebt habe, sei es für ihn aufgrund des Zusammenhalts der dortigen christlichen Gemeinden nicht schwieriger als für jeden anderen Türken, sich dort eine Existenzgrundlage zu schaffen.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 26. September 1985 in bezug auf die Beklagte zu 1) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die rechtskräftige Anerkennung seiner Ehefrau und seiner fünf in der Türkei geborenen Kinder als Asylberechtigte sowie - mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 5. Mai 1988 - auf die Erfahrungen einer deutschen Reisegruppe in der Türkei, die zahlreiche Aramäer in Istanbul besucht und befragt habe. Dabei habe sich ergeben, daß derzeit eine große Tendenz zur Abwanderung aus Istanbul bestehe, daß es syrisch-orthodoxen Christen allenfalls zwei Jahre lang gelingen könne, in Istanbul ihre religiöse Identität zu verbergen, und daß sie nach ihrer "Enttarnung" mit erheblichen Verfolgungen und Nachstellungen durch Moslems rechnen müßten. Ein Bericht der betreffenden Reisegruppe, der gegenwärtig erstellt werde, werde dem Senat übersandt, sobald er vorliege.

Die Beklagte zu 1) stellt zu der Berufung keinen Antrag.

Der Senat hat aufgrund des Beschlusses vom 14. Oktober 1988 Beweis erhoben über die Asylgründe des Klägers durch dessen Vernehmung als Beteiligten durch den Berichterstatter als beauftragten Richter. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 25. November 1988 verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von diesen eingereichten Schriftsätze, den einschlägigen Vorgang des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Gesch.-Z.: Tür-S-45571 - und die über den Kläger geführte Ausländerakte des Landrats des Landkreises Gießen - L 3 152-05 - (zwei Hefter) Bezug genommen, ferner auf die über die Ehefrau B. und die Kinder S., A., B., I. und B. geführten Bundesamts- (163/ 73713/80) und Ausländerbehördenakten des Landrats des Landkreises Gießen (L 3 152-05, ein - weiterer - Hefter) sowie auf die über den Bruder M. A. des Klägers geführte Akte des Bundesamtes (163/10802/85) - in Kopie -. Diese sind ebenso Gegenstand der Beratung gewesen wie die nachfolgend aufgeführten Dokumente:

1.  Dez. 1978  Yonan: "Assyrer heute"

2.  11.04.1979  Auswärtiges Amt an Bay. VGH

3.  Mai/Juni  pogrom Nr. 64 ("Verfolgte christliche Minderheiten in der Türkei" u.a.) 1979

4.  07.08.1979  Dr. Harb-Anschütz an Bay. VGH

5.  12.11.1979  pd Dokumentation Nr. 49/79: "Christliche Minderheiten aus der Türkei"

6.  Nov. 1979  Ev. Akademie Bad Boll, Materialdienst 2/80: "Christen aus der Türkei suchen Asyl"

7.  Mai 1980  pogrom Nr. 72/73 ("Zur Lage der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei" u.a.)

8.  20.05.1980  Patriarch Yakup III und Bischof Cicek vor dem VG Gelsenkirchen

9.  15.10.1980  Carragher an Bay. VGH

10.  09.04.1981  Msgr. Wilschowitz: "Die Situation der christlichen Minderheiten in der Türkei"

11.  29.04.1981  Reisebericht einer schwedisch-norwegischen Reisegruppe

12.  02.05.1981  Dr. Hofmann "Zur Lage der Armenier in Istanbul/Konstantinopel"

13.  12.06.1981  Prof. Dr. Kappert vor VG Hamburg

14.  06.07.1981  Staatssekretär von Staden (BT-Drs. 9/650)

15.  20.07.1981  IGFM an VG Wiesbaden

16.  22.07.1981  Vocke an VG Karlsruhe

17.  04.08.1981  Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden

18.  24.11.1981  RA Wiskandt an Bundesamt: "Situation der Christen in der Türkei"

19.  21.01.1982  Schweiz. Ev. Pressedienst Nr. 3

20.  03.02.1982  Auswärtiges Amt an VG Minden

21.  26.03.1982  Auswärtiges Amt an VG Trier

22.  07.04.1982  Pfarrer Diestelmann: "Die Situation der syrisch-orthodoxen Christen ..."

23.  21.04.1982  Carragher zum Gutachten Wiskandt

24.  28.04.1982  Dr. Hofmann zum Gutachten Wiskandt

25.  06.05.1982  Diakonisches Werk EKD zum Gutachten Wiskandt

26.  18.05.1982  Ev. Gemeinde dt. Sprache in der Türkei an EKD

27.  Juni 1982  CCMWE: "The Situation of the Christian Minorities of Turkey ..."

28.  03.07.1982  Anschütz/Harb, Protokoll HR (3. Fernsehprogramm)

29.  26.07.1982  Sürjanni Kadim an VG Minden

30.  17.08.1982  Dr. Harb-Anschütz an VG Minden

31.  1983  Kraft, in "Christ in der Gegenwart": "Fremde und Außenseiter"

32.  28.02.1983  RA Müller: "Zur Lage der Christen in der Türkei"

33.  04.03.1983  Pfarrer Weber: "Christen aus der Türkei suchen Asyl"

34.  Mai 1983  Ev. Akademie Bad Boll, Protokolldienst 27/83: "Studienfahrt in die Türkei"

35.  09.04.1984  Oberkreisdirektor Gütersloh an RP Detmold

36.  25.05.1984  Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe

37.  12.06.1984  epd Dokumentation Nr. 26/84: "Die Lage der christlichen Minderheiten in der Türkei ..."

38.  26.06.1984  Auswärtiges Amt an Bay. VGH

39.  11.09.1984  Auswärtiges Amt an Hess. VGH

40.  14.09.1984  Dr. Oehring an VG Minden

41.  09.11.1984  Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg

42.  03.12.1984  RA Müller, RA Wiskandt, Dr. Oehring und Erzbischof Cicek als sachverständige Zeugen vor dem Bay. VGH

43.  04.02.1985  Dr. Hofmann an VG Stuttgart

44.  17.03.1985  Prof. Dr. Wießner an VG Stuttgart

45.  07.05.1985  Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg

46.  30.05.1985  Dr. Oehring an VG Gelsenkirchen

47.  22.06.1985  RA Müller: "Reisebericht zur Lage der Christen in der Türkei"

48.  07.10.1985  Auswärtiges Amt an VG Ansbach

49.  31.03.1986  Sprenzel: "Situation der aramäisch sprechenden, syrisch-orthodoxen Christen in der (Ost)Türkei"

50.  01.07.1986  EKD an VG Hamburg

51.  14.10.1986  Prof. Dr. Wießner an VG Hamburg

52.  10.11.1986  Auswärtiges Amt an VG Hamburg

53.  03.12.1986  Auswärtiges Amt an VG Köln

54.  06.01.1987  Dr. Tasci vor VG Gelsenkirchen

55.  07.04.1987  Yonan: Gutachten

56.  23.04.1987  Yonan an Bundesamt; Stellungnahme

57.  01.06.1987  Auswärtiges Amt an VG Ansbach

58.  30.06.1987  Ev. Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei an VGH Baden-Württemberg

59.  06.07.1987  Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg

60.  09.10.1987  EKD an RA König

61.  18.12.1987  Auswärtiges Amt an OVG Bremen

62.  15.01.1988  Dr. Oehring an VGH Baden-Württemberg

63.  20.01.1988  Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei -

64.  April 1988  Regine Erichsen: "Die Religionspolitik im türkischen Erziehungswesen von der Atatürk-Ära bis heute" in: Zeitschrift für Kulturaustausch 1988, 234

65.  15.05.1988  Taylan an VG Karlsruhe

66.  25.05.1988  Dr. Oehring an VG Düsseldorf

67.  02.09.1988  Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg

68.  24.09.1988  Dr. Binswanger an VG Karlsruhe

Gründe

In Anbetracht des Einverständnisses der Beteiligten kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1 i.V.m. 101 Abs. 2 VwGO).

I.

Die auf den asylrechtlichen Verfahrensteil beschränkte Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist frist- und formgerecht eingelegt (§§ 124, 125 VwGO) und auch sonst zulässig. Sie ist nämlich vom Verwaltungsgericht zugelassen worden (§ 32 Abs. 1 AsylVfG), und der Bundesbeauftragte war zur Einlegung der Berufung ungeachtet dessen befugt, daß er sich am erstinstanzlichen Verfahren weder durch einen Antrag noch sonst beteiligt hat (BVerwG, 11.03.1983 - 9 B 2597.82 -, BVerwGE 67, 64 = NVwZ 1983, 413; Hess. VGH, 11.08.1981 - X OE 649/81 -, ESVGH 31, 268).

II.

Die Berufung des Bundesbeauftragten ist auch begründet, denn der Kläger kann nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung die Anerkennung als Asylberechtigter durch die Beklagte zu 1) nicht beanspruchen, weil er nicht politisch verfolgt ist (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG).

Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt; insoweit kommt es entscheidend auf die Motive für die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen an (BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184; BVerwG, 08.11.1983 - 9 C 93.83 -, BVerwGE 68, 171 = EZAR 200 Nr. 9; BVerwG, 26.06.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8; BVerwG, 21.10.1986 - 9 C 28.85 -, BVerwGE 75, 99 = EZAR 200 Nr. 17; BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19; BVerwG, 20.10.1987 - 9 C 277.86 -, EZAR 202 Nr. 11 = NVwZ 1988, 160; BVerwG, 15.03.1988 - 9 C 278.86 -, EZAR 201 Nr. 13 = JZ 1988, 709). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980, a.a.O.; BVerfG, 01.07.1987 -2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 104.85 -, BVerwGE 74, 41; BVerwG, 20.10.1987 - 9 C 42.87 -, InfAuslR 1988, 22). Asylerhebliche Bedeutung haben nicht nur unmittelbare Verfolgungsmaßnahmen des Staats; dieser muß sich vielmehr auch Übergriffe nichtstaatlicher Personen und Gruppen - als mittelbare staatliche Verfolgungsmaßnahmen - zurechnen lassen, wenn er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit den Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, der allerdings nicht lückenlos zu sein braucht (BVerfG, 02.07.1980, a.a.O.; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C 818.81 -, BVerwGE 67, 317 = EZAR 202 Nr. 1; BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 33.85 -, BVerwGE 72, 269 = EZAR 202 Nr. 5; BVerwG, 22.04.1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8; BVerwG, 02.07.1986 - 9 C 2.85 -). Asylrelevante politische Verfolgung - und zwar sowohl unmittelbar staatlicher als auch mittelbar staatlicher Art kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppen von Menschen richten mit der regelmäßigen Folge, daß jedes Gruppenmitglied als von dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980, a.a.O.; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1; BVerwG, 30.10.1984 - 9 C 24.84 -, BVerwGE 70, 232 = EZAR 202 Nr. 3; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7; BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, EZAR 202 Nr. 13). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muß (BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096; BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980, a.a.O.; BVerwG, 27.04.1982 - 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 = EZAR 200 Nr. 7; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1; BVerwG, 15.10.1985 - 9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22; BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, EZAR 202 Nr. 13 = NVwZ 1988, 635). Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36; BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79; BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630 Nr. 25) und insbesondere auch eine politische Motivation der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (BVerwG, 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG; BVerwG, 18.10.1983 - 9 C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, BVerwGE 55, 82 = EZAR 201 Nr. 3; BVerwG, 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 = EZAR 630 Nr. 17; BVerwG, 12.11.1985, a.a.O.).

Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der eigenen Angaben und Aussagen des Klägers, der beigezogenen Akten und der in das Verfahren eingeführten Dokumente zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger nicht kraft innerstaatlich geltender völkerrechtlicher Vereinbarung anzuerkennen ist (1.), daß er vor seiner Ausreise aus der Türkei weder als Mitglied der Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen politisch verfolgt (2.) noch persönlich von Verfolgungsmaßnahmen betroffen war (3.) und daß er auch bei einer Rückkehr in die Türkei weder Gruppenverfolgung zu befürchten hat (4.) noch selbst politischer Verfolgung ausgesetzt sein wird (5.).

1. Der Kläger, an dessen syrisch-orthodoxer Glaubenszugehörigkeit der Senat in Anbetracht seiner eigenen Angaben und wegen der Eintragung "Süryani" bzw. "Süryani kadim" in den Nüfen seiner Ehefrau und seiner Söhne S. und A. (Bl. 31, 34 und 37 der Bundesamtsakte 163/73713/80) keinen Zweifel hat, kann seine Anerkennung nicht (schon) aufgrund des Abkommens über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen zugunsten russischer und armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von Flüchtlingen vom 30. Juni 1928 (abgedruckt in: Societe des Nations, Recueil des Traites, Bd. 89 <1929>, S. 64) erreichen. Da er 1945 geboren ist und erst 1980 die Türkei verlassen hat, kann dieses Abkommen auf ihn ohnehin nicht angewandt werden (ständige und vom BVerwG durch Urteil vom 17.05.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, bestätigte Rechtsprechung des Hess. VGH, vgl. z.B. 11.08.1981 - X OE 649/81 -, ESVGH 31, 268, 07.08.1986 - X OE 189/82 -, 01.02.1988 - 12 OE 419/82 - u. 05.12.1988 - 12 UE 2487/85 u. 12 UE 2569/85 -). Der Senat kann deshalb offenlassen, ob dem durch die genannte Vereinbarung geschützten Personenkreis überhaupt noch ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Asylgewährung in anderer Form zusteht, nachdem § 39 Nr. 4 AsylVfG die bis dahin in § 28 AuslG enthaltene Bezugnahme auf Art. 1 GK und die dort in Abschn. A Nr. 1 enthaltene Verweisung auf die erwähnte Vereinbarung ersatzlos beseitigt hat und eine Asylanerkennung nunmehr allein an die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anknüpft (vgl. dazu auch Berberich, ZAR 1985, 30 ff., Köfner/Nicolaus, ZAR 1986, 11, 15).

2. Der Senat hat auch nicht feststellen können, daß die Angehörigen der syrisch-orthodoxen Minderheit in der Türkei im Gebiet des Tur'Abdin oder in Istanbul bis zur Ausreise des Klägers einer unmittelbaren oder mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt waren.

a) Der Senat legt seiner Beurteilung der Lage der Christen in der Türkei im allgemeinen und der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft im besonderen sowie des Verhältnisses dieser Christen zu anderen dort lebenden religiösen und ethnischen Gruppen die nachfolgend anhand der vorliegenden schriftlichen Unterlagen (im folgenden nur noch mit der entsprechenden Nummer der Liste von S. 11 ff. bezeichnet) auszugsweise dargestellte historische Entwicklung der christlichen Siedlungsgemeinschaften im Nahen Osten zugrunde.

Die Anhänger der syrischen Kirchen siedelten ursprünglich im mesopotamischen Raum, und zwar im Bergland des Tur'Abdin mit dem Zentrum Midyat, im weiter östlich gelegenen Bergland von Bohtan, im alpenähnlichen Hochgebirge Hakkari und weiter südlich in der Mosul-Ebene sowie in der Urmia-Ebene. Nachdem im 7. Jahrhundert im Zuge der Arabisierung die Mehrheit dieser Christen zum Islam übergetreten war und dann mongolische Eindringlinge Ende des 14. Jahrhunderts die syrischen Kirchen bis auf wenige Überreste vernichtet hatten, erlebten sowohl die syrisch-orthodoxen als auch die anderen im Osmanischen Reich lebenden Christen vom Ende des 15. Jahrhunderts an eine vergleichweise friedliche und gesicherte Periode, in der sie als nichtmuslimische Völkerschaften - als millat - auch ihr Personal- und Familienrecht nach eigenem Rechtsstatut regeln konnten. Während der im 19. Jahrhundert zur Bewahrung des Osmanischen Reichs eingeleiteten Reformbewegungen kam es sodann etwa nach der Seeschlacht von Navarino 1827 zu einer Verfolgung der Armenier und 1843 zu einem Massaker der Kurden unter den nestorianischen Bergstämmen im Hakkari. Die abseits in ihren Siedlungsräumen in Ostanatolien lebenden syrischen Christen blieben von derartigen Ereignissen aber weitgehend verschont. Sie waren ähnlich wie die ebenfalls in dieser Region siedelnden Kurden stammesmäßig organisiert und erhielten sich Unabhängigkeit und Schutz durch Selbstverteidigung und durch Tributzahlungen an den Sultan. Nachdem seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine rege Missionstätigkeit christlicher Religionsgesellschaften aus Amerika, England und Frankreich dazu beigetragen hatte, die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung der Christen im Nahen Osten zu heben und gleichzeitig deren politisches Bewußtsein zu fördern, reagierte das Osmanische Reich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auf Unabhängigkeitsbestrebungen der Christen mit dem Einsatz kurdischer Söldnertruppen, und dabei kam es dann häufig zu Morden, Plünderungen und Hungersnöten (1., S. 17 ff.). Schließlich fanden während des Ersten Weltkriegs unter den Christen zahlreiche Massaker statt, die insgesamt über drei Millionen Tote gefordert haben sollen (1., S. 28; 5., S. 14); für sie werden zumindest auch die Allianz der Christen mit England und Rußland und die Kriegserklärung des damaligen Patriarchen Benjamin XXI. an die Türkei im Mai 1915 verantwortlich gemacht. So wurden etwa bis März 1915 im Urmia- und im Salamas-Gebiet über 70 Dörfer von türkischen Truppen und kurdischen Freiwilligen zerstört und geplündert und die christliche Bevölkerung massakriert, und im selben Jahr folgten weitere Massenmorde in der armenischen Stadt Van und im Bohtan-Gebiet (1., S. 29 f.). Bei der Flucht der Bergassyrer nach Salamas und der Urmia-Assyrer nach Hamadan sollen jeweils mehr als 10.000 Menschen umgekommen sein (1., S. 30 ff.). Schließlich siedelten syrische Christen in den Jahren 1922 und 1924 in zwei großen Fluchtbewegungen aus der Türkei in das benachbarte Syrien über (1., S. 110), und im Gefolge des Ersten Weltkriegs und des Friedensvertrags von Lausanne vom 24. Juli 1923 verließen mehr als zwei Millionen Griechen die Türkei (3., S. 41). Damals verlegte der syrisch-orthodoxe Patriarch seinen Sitz vom Kloster Dair Za'faran bei Mardin nach Homes im heutigen Syrien, wo er seit 1954 in Damaskus residiert (5., S. 21; 8., S. 2; 9., S. 2).

Es mag im einzelnen Streit darüber herrschen, welche Bedeutung das christliche Bekenntnis der verschiedenen Gruppen der Christen für ihr jeweiliges Schicksal in der Vergangenheit im einzelnen hatte, welche Rolle politische und militärische Interessen fremder Großmächte gespielt haben und ob und in welchem Maße sich etwa bei Armeniern, Griechen oder Syrisch-Orthodoxen ein eigenes Nationalbewußtsein entwickeln konnte (vgl. dazu: 1., S. 12 ff.; 5., S. 1 ff.; 18., S. 6 ff.). Die Situation der Christen in der Türkei ist jedenfalls seit langem geprägt von ihrer bis in die Anfänge des Christentums zurückreichenden religiösen und kirchlichen Tradition, von den ethnischen und sprachlichen Besonderheiten der einzelnen Gruppen und von einem mehr und mehr hoffnungslos erscheinenden Überlebenskampf in einer mehrheitlich türkischen/muslimischen Umwelt, der angesichts der leidvollen historischen Erfahrungen als besonders bedrückend empfunden wird. Während die Christen Ende des 19. Jahrhunderts noch etwa 30 % der Untertanen des Osmanischen Reichs ausmachten, stellen sie nunmehr in der Türkei mit schätzungsweise kaum noch 100.000 Menschen nur eine äußerst kleine Minderheit der Gesamtbevölkerung von 43 Millionen (zu den Zahlenangaben und im übrigen vgl.: 2.; 5., S. 5; 6., S. 5; 7.; 18., S. 8; 44.). Außer den Armeniern und den Griechen sind zahlenmäßig vor allem die Syrer von Bedeutung, denen aber im Unterschied zu den Armeniern, Griechen und Juden ein Schutz als nichtmuslimische Minderheit aufgrund des Lausanner Vertrags von 1923 nicht zugestanden wird. Die syrischen Christen bestehen in der Türkei im wesentlichen aus Syrisch-Katholischen und Nestorianern sowie aus Syrisch-Orthodoxen (Jakobiten) unter dem Patriarchat von Antiochia und dem gesamten Osten, deren Patriarch Mar Ignazius Yakup III. seinen Sitz jetzt in Damaskus hat. Die Syrisch-Orthodoxen berufen sich auf eine Abstammung von Noah und eine Bekehrung in unmittelbarer Beziehung zu Christus, bedienen sich einer altsyrischen Liturgiesprache und heben sich durch verschiedene Dialekte der neuaramäischen Umgangssprache (im Tur'Abdin: turoyo) von den muslimischen Türken und Kurden sowie von den Yeziden ab. Während bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Gebiet der heutigen Türkei noch etwa eine Million Jakobiten und Nestorianer gelebt haben sollen und 1927 immerhin noch insgesamt 257.000 (1., S. 46, 110), beträgt die Zahl der Syrisch-Orthodoxen in der Türkei neueren Schätzungen zufolge nur noch etwa 45.000 (1., S. 111; 5., S. 20), 35.000 (1., S. 46), 20.000 bis 35.000 (6., S. 17), 20.000 (8., S. 2) oder sogar nur 10.000 bis 15.000 (2.). Im Gebiet des Tur'Abdin (Berg der Gottesknechte), wo vor 25 Jahren noch 70.000 Syrisch-Orthodoxe lebten, sollen es 1967/68 noch 20.000 gewesen sein (4., S. 2) und 1980 noch 25.000 (5., S. 29) oder zumindest annähernd 40.000 (27., S. 18; 37., S. 17), während ihre Zahl in Istanbul im selben Zeitraum von einigen Hundert auf 15.000 oder gar auf 17.000 angestiegen sein soll (5., S. 46; 9., S. 7; 21.; 26.; 29.; für die Zeit nach 1982 vgl. auch 40. und 42., S. 11). In der Kreisstadt Midyat sollen im Jahr 1978 von den ursprünglich 3.000 syrischen Familien infolge einer seit 1960 anhaltenden starken Abwanderung in türkische Großstädte und ins Ausland noch 1.000 Familien gewohnt haben (1., S. 117). Aus dem Dorf Kefrezi sind die Christen, die 1970 dort noch 90 Familien zählten, inzwischen vollständig vertrieben (8.). Das Dorf Arbey war vor 20 Jahren von 100 christlichen Familien bewohnt; schon 1979 waren davon 65 dem Druck der umliegenden muslimischen Dörfer gewichen und geflohen (22., S. 15).

b) Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung kann nicht festgestellt werden, daß die christliche Bevölkerung in der Türkei und insbesondere im Gebiet des Tur'Abdin in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise des Klägers aus der Türkei im Januar 1980 unter einer religiös motivierten Gruppenverfolgung zu leiden hatte; dies gilt sowohl hinsichtlich einer unmittelbaren staatlichen Verfolgung als auch hinsichtlich einer vom türkischen Staat gebilligten oder geduldeten Verfolgung durch andere Bevölkerungsgruppen (ebenso schon der früher für Asylverfahren allein zuständige 10. Senat des Hess. VGH in st. Rspr., zuletzt 30.05.1985 - 10 OE 35/83 -, und jetzt der 12. Senat, 22.02.1988 - 12 UE 1071/84 -, NVwZ-RR 1988, 48, - 1587/84 und 2585/85 -, 16.05.1988 - 12 UE 2571/85 -, 30.05.1988 - 12 UE 2500/85 u. 2514/85 -, 13.06.1988 - 12 OE 94/83 -, 27.06.1988 - 12 UE 2438/85 -, 04.07.1988 - 12 UE 2573/85 u. 12 UE 25/86 -, 17.10.1988 - 12 UE 2601/84, 12 UE 767/85, 12 UE 2497/85 u. 12 UE 2813/86 - sowie 05.12.1988 - 12 UE 2487/85 u. 12 UE 2569/85 -; ähnlich VGH Baden-Württemberg, 25.07.1985 - A 12 S 573/81 -, und OVG Lüneburg, 25.08.1986 - 11 OVG A 263/85 -; a.A. Bay. VGH, 19.03.1981 - 12.B/5047/79 -, InfAuslR 1981, 219, VGH Baden-Württemberg, 09.02.1987 - A 13 S 709/86 -, und OVG Nordrhein-Westfalen, 23.04.1985 - 18 A 10237/84 -, sowie OVG Rheinland- Pfalz, 10.12.1986 - 11 A 131/86 -). Bei der Frage nach einer religiösen oder religiös motivierten Gruppenverfolgung ist allgemein zu beachten, daß eine aus Gründen der Religion stattfindende Verfolgung nur dann asylerheblich ist, wenn die Beeinträchtigungen der Freiheit der religiösen Betätigung nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 <357> = EZAR 200 Nr. 1). Es muß sich um Maßnahmen handeln, die den Gläubigen als religiös geprägte Persönlichkeit ähnlich schwer treffen wie bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische Freiheit (BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7), indem sie ihn physisch vernichten, mit vergleichbar schweren Sanktionen bedrohen, seiner religiösen Identität berauben oder daran hindern, seinen Glauben im privaten Bereich und durch Gebet und Gottesdienst zu bekennen (BVerfG, 01.07.1987 - BvR 472/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20).

aa) Aus den in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünften und anderen Erkenntnismitteln ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, daß der türkische Staat die syrisch-orthodoxen Christen in diesem Sinne in dem hier maßgeblichen Zeitraum unmittelbar aus religiösen Gründen verfolgt hat.

Die syrisch-orthodoxen Christen waren - und sind - von Verfassungs wegen ebenso wie die Angehörigen anderer muslimischer und nichtmuslimischer Glaubensgemeinschaften gegen Eingriffe in die Religionsfreiheit und gegen Diskriminierungen aus religiösen Gründen geschützt (Art. 19 d. türk. Verf. v. 1961, Art. 24 Abs. 1 d. Verf. vom 07.11.1982; 1., S. 2; 18., S. 23). Sie sind in den durch Art. 14 der Verfassung von 1982 gezogenen Grenzen frei, Gottesdienste, religiöse Zeremonien und Feiern abzuhalten (Art. 24 Abs. 2 dieser Verfassung). Sie werden jedoch seit jeher anders als die Armenier, Griechen und Juden in der Staatspraxis nicht zu den nichtmuslimischen Minderheiten gerechnet, denen aufgrund der Art. 38 ff. des Friedensvertrags von Lausanne vom 24. Juli 1923 besondere Minderheitenrechte gewährleistet sind, so u.a. gemäß Art. 40 das Recht, auf eigene Kosten jegliche karitative, religiöse und soziale Institutionen, Schulen und andere Einrichtungen für Lehre und Erziehung mit dem Recht auf Gebrauch ihrer eigenen Sprache und freie Religionsausübung zu errichten, zu betreiben und zu kontrollieren (1., S. 112; 5., S. 57 f.; 8., S. 3 f.; 9., S. 15 f.; 13.; 45.). Während die in Istanbul lebenden etwa 80.000 Armenier dazu imstande sind, ungefähr 40 Kirchen und 30 Schulen, mindestens ein Krankenhaus und 12 Jugendclubs zu unterhalten (12., 53.), verfügen die etwa 15.000 Syrisch-Orthodoxen in Istanbul lediglich über ein eigenes Kirchenzentrum und sind in fünf weiteren Kirchen zu Gast (26., 29.), sie dürfen aber keine Schulen und keine Sozialeinrichtungen betreiben. Die syrisch-orthodoxen Christen werden allerdings ebensowenig wie andere christliche Glaubensgemeinschaften staatlicherseits unmittelbar an der Ausübung ihrer Religion gehindert. Sie können sowohl im Gebiet des Tur'Abdin als auch in Istanbul in den ihnen verbliebenen Kirchen Gottesdienst nach ihrer Liturgie feiern und ihren Glauben praktizieren.

Obwohl die Religionsausübung nach außen hin - weder in der Vergangenheit noch jetzt - offen behindert oder gar untersagt ist, sind dennoch zahlreiche administrative Schwierigkeiten festzustellen, die die Syrisch-Orthodoxen bei der Ausübung ihres Glaubens und der Pflege ihres Brauchtums empfindlich stören und auf Dauer gesehen das kirchliche und religiöse Leben beeinträchtigen und schließlich zum Erliegen bringen können. So ist beispielsweise die Ausbildung der Priester zwar von Staats wegen nicht verboten und auch nicht erkennbar restriktiv reglementiert. Tatsächlich gibt es aber seit geraumer Zeit in der Türkei weder einen syrisch-orthodoxen Bischof noch Priesterseminare (8., S. 4; 19., S. 16), und deshalb können neue Priester, die die türkische Staatsangehörigkeit besitzen müssen, nur im Ausland ausgebildet und geweiht werden (9., S. 5). Die seelsorgerische Betreuung der noch in den ehemals syrisch-orthodoxen Siedlungsgebieten verbliebenen Gläubigen ist auch dadurch erschwert, daß viele Priester ihre Gemeinden gegen den Willen der Kirchenleitung verlassen haben und im Zuge der Anwerbung von Arbeitnehmern durch die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Staaten ins Ausland abgewandert sind (44., S. 3; 51., S. 3). Die ehemals zahlreichen Klöster im Tur'Abdin sind jetzt nur noch von wenigen Mönchen oder Nonnen bewohnt und im übrigen verlassen (5., S. 21). Die Klosterschule in Dair Za'faran wurde zudem mehrmals zumindest zeitweilig geschlossen, weil der türkische Staat das Schulprogramm mit syrisch-aramäischem Sprachunterricht und christlichem Religionsunterricht für illegal erachtete (5., S. 28; 6., S. 18; 37., S. 18; 51., S. 5). Der Bau und die Errichtung von Kirchen sind, nachdem das Eigentum an dem Besitz der "frommen Stiftungen" im Jahre 1965 auf den Staat übertragen worden ist, nur noch mit vorheriger staatlichen Genehmigung zulässig (9., S. 17). Die Tatsache, daß in den vergangenen Jahren keine neue syrisch-orthodoxe Kirche gebaut worden ist, während in der ganzen Türkei zahlreiche neue Moscheen entstanden sind (47., S. 3 f.; 50., S. 3; 51., S. 4), kann allerdings darauf zurückzuführen sein, daß Geld für einen derartigen Kirchenbau nicht vorhanden war (30.). Trotz dieser faktischen Behinderungen im administrativen Bereich läßt sich daraus eine unmittelbare staatliche Beeinträchtigung der Religionsfreiheit für die Zeit bis zur Ausreise des Klägers aus der Türkei nicht herleiten.

Ebenso verhält es sich mit der Gestaltung des Religionsunterrichts an den staatlichen Schulen (vgl. 64.). Insoweit neigt der Senat allerdings grundsätzlich zu einer anderen Betrachtung als das Bundesverwaltungsgericht, das annimmt, ein islamischer Pflichtunterricht beeinträchtige die Religionsfreiheit andersgläubiger Kinder nicht (BVerwG, 14.05.1987 - 9 B 149.87 -, EZAR 202 Nr. 9 = DVBl. 1987, 1113). Religionsunterricht, der gegen den Willen der Kinder oder der insoweit erziehungsberechtigten Eltern erteilt wird, kann den Beginn einer Zwangsbekehrung bedeuten, stellt doch die religiöse Unterweisung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen unverzichtbaren, weil lebenswichtigen Teil der Religionsfreiheit dar. Denn ohne die Weitergabe religiösen Wissens und religiöser Überzeugungen vermag weder der einzelne Gläubige noch die Glaubensgemeinschaft auf Dauer zu bestehen. Neben der Verkündigung des Glaubens während des kirchlichen Gottesdienstes spielt hierbei vor allem der Religionsunterricht für Kinder eine ausschlaggebende Rolle. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß die Vorschriften des Art. 24 der türkischen Verfassung von 1982 vorsehen, daß niemand gezwungen werden darf, an Gottesdiensten, religiösen Zeremonien und Feiern teilzunehmen oder seine religiöse Anschauung und seine religiösen Überzeugungen zu offenbaren (Abs. 3), und daß die Religions- und Sittenerziehung und -lehre unter der Aufsicht und Kontrolle des Staats durchgeführt wird und religiöse Kultur und Sittenlehre in den Grund- und Mittelschulanstalten zu den Pflichtfächern gehören (Abs. 4). Auf der Grundlage dieser Verfassungsbestimmung ist in den letzten Jahren der Religionsunterricht als Pflichtfach an türkischen Schulen eingeführt worden (64.); ob und in welcher Weise daraufhin christliche Schüler zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht gezwungen worden sind, war anfangs zweifelhaft, ist aber inzwischen aufgeklärt. Das Auswärtige Amt hat zunächst berichtet, christliche Schüler nähmen nicht am islamischen Religionsunterricht teil, sondern erhielten eine christliche Unterweisung; in Einzelfällen hätten Schulleiter allerdings gegen einen entsprechenden Runderlaß des Erziehungsministeriums verstoßen (39.). Nunmehr hat das Auswärtige Amt unter Bezugnahme auf einen Erlaß des Ministeriums für nationale Erziehung, Jugend und Sport vom 20. Oktober 1986 Nr. 2219 die Auskunft erteilt, daß christliche Schüler im Fach "Religionslehre und Grundsätze der Ethik" nicht dazu verpflichtet seien, das islamische Glaubensbekenntnis, die islamische Einleitungsformel Amentü, die Koranverse und das islamische Ritualgebet Namaz zu lernen und Kenntnisse über Namaz, Ramadan, die Regeln der islamischen Jahresspenden und das Pilgern nach Mekka zu erwerben; allerdings habe man Kenntnis erlangt von Diskriminierungen in der Praxis und davon, daß manche Schüler lieber an den islamischen Gebeten teilnähmen, bevor sie dauernd einer demütigenden Behandlung ausgesetzt seien (57.; ähnlich 66.). Anderen Auskünften zufolge soll der sog. Ethik- und Moralunterricht in den früheren 70er Jahren weitgehend laizistisch und wertneutral gewesen sein, inzwischen aber immer mehr islamisiert und zu einem Neben-Religionsunterricht ausgebaut worden sein (40.). Die jetzige Ausgestaltung des staatlichen Religions- und Ethikunterrichts führe insofern zu einer Benachteiligung der christlichen Minderheiten, als ein Äquivalent für die nichtmuslimischen Schüler nicht angeboten werde (50.). Die Annahme, es sei nunmehr ein islamischer Religionsunterricht als Pflichtfach eingeführt und damit auch für christliche Schüler verbindlich (50., 51.), erscheint indes nicht gerechtfertigt. Die in deutscher Übersetzung vorliegenden Richtlinien (Anlage zu 57.) bestimmen eindeutig, daß der Grundsatz des Laizismus während des Ausbildungsprogramms "Religionslehre und Grundsätze der Ethik" immer zu beachten und zu schützen ist und niemand zu religiösen Handlungen gezwungen werden darf. Außerdem ist bestimmt, daß, wenn den Kindern die "nationale Moral gelehrt wird", nicht unter den Religionen unterschieden wird, um den Kindern später die Anpassung an die Gesellschaft zu erleichtern. Insgesamt kommt zwar in den Richtlinien deutlich zum Ausdruck, daß der Islam die Religion der Türkei und Mohammed ein Vorbild für die Türken sein soll. Die nach dem Verfassungsgrundsatz des Laizismus (vgl. hierzu 64.) gebotene Distanz des türkischen Staats gegenüber der islamischen Religion äußert sich allerdings darin, daß Namaz, Suren und Gebete im staatlichen Unterricht nicht in arabischer Sprache gelehrt werden dürfen. Nach alledem bieten die gesetzlichen und die verwaltungsinternen Vorschriften für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen keine Veranlassung für die Annahme, der türkische Staat greife unmittelbar in die Freiheit der religiösen Betätigung der Syrisch-Orthodoxen in einer Art und Weise ein, die die Menschenwürde oder das sogenannte religiöse Existenzminimum antastet. Dies gilt auch und erst recht für die Zeit vor Inkrafttreten der Verfassung von 1982 und vor der Machtübernahme durch das Militär im September 1980. Auch wenn berücksichtigt ist, daß ein christlicher Religionsunterricht an staatlichen Schulen nicht angeboten wird und es bei der praktischen Handhabung der Unterscheidung zwischen ethischen und allgemein-religiösen Lehrinhalten einerseits und islamischen Glaubenslehren andererseits im Unterricht leicht zu Benachteiligungen und Beeinträchtigungen der Glaubensüberzeugungen christlicher Schüler kommen könnte (66.), kann darin insgesamt ein asylrelevanter Eingriff nicht gesehen werden. Denn abgesehen von der fehlenden Intensität mangelt es insoweit auch an der erforderlichen staatlichen Motivation und an der Zurechenbarkeit. Die Einführung des staatlichen Pflichtunterrichts in Ethik und Religion verfolgt das Ziel einer Eindämmung des Einflusses der privaten Koranschulen (20.; 66.) und läßt deshalb für sich noch keinen Rückschluß auf eine im Jahre 1986 oder schon früher vorhandene Neigung staatlicher Stellen zur gezielten Beeinträchtigung nichtmuslimischer Religionen zu. Schließlich wären gelegentliche Übergriffe einzelner Lehrer, die die Anweisungen zur Achtung der Religion nichtmuslimischer Schüler mißachten, dem türkischen Staat asylrechtlich schwerlich zuzurechnen, weil Anhaltspunkte dafür, daß die Verantwortlichen derartige dienstliche Verfehlungen förderten oder zumindest duldeten, nicht bekannt sind.

Schließlich können Anzeichen für eine gegen Christen gerichtete Gruppenverfolgung auch nicht in der Art und Weise festgestellt werden, wie christliche Wehrpflichtige in der türkischen Armee behandelt werden. Insoweit liegen allerdings unterschiedliche Auskünfte und Stellungnahmen vor. So hat das Auswärtige Amt im Juni und November 1984 berichtet, Christen hätten in der türkischen Armee nach allen bisherigen Erkenntnissen in aller Regel weder seitens ihrer Vorgesetzten noch seitens ihrer Kameraden mit diskriminierenden Handlungen zu rechnen; wenn ein Christ allerdings die Tatsache seines Glaubens demonstrativ deutlich mache, seien Sticheleien und gelegentliche Übergriffe seiner Kameraden nicht auszuschließen (38., 41.). Im Oktober 1985 hat das Auswärtige Amt darüber hinausgehend berichtet, daß zuverlässigen Angaben zufolge regelmäßig beim ersten Gesundheitsappell nach der Einberufung von Vorgesetzten im Unteroffiziersrang hämische Bemerkungen über die "dreckigen Christenschweine" gemacht würden, die noch nicht einmal eine so elementare hygienische Maßnahme wie die Beschneidung durchführen ließen; einfache Rekruten in normalen Einheiten sähen sich leicht infolge der Schikanen der Unteroffiziere und der Kameraden einem zumindest subjektiv als unwiderstehlich empfundenen Druck ausgesetzt, der viele veranlasse, den geforderten Eingriff "freiwillig" vornehmen zu lassen (48.). Im Dezember 1987 hat das Auswärtige Amt wiederum die Auskunft gegeben, es sei von gezielten Schikanen gegen Christen während des Wehrdienstes nichts bekannt geworden; außerdem hat es berichtet, es seien keine Fälle von Zwangsbeschneidungen mehr bekannt geworden (61.). Dagegen sprechen andere Quellen teilweise in pauschaler Form, teilweise aber auch sehr dezidiert von Zwangsbeschneidungen christlicher Wehrpflichtiger in der Türkei. Die Sachverständige Dr. Hofmann (43.) berichtet aufgrund zahlreicher Gespräche mit Betroffenen, die Diskriminierungen reichten von der verbalen Beleidigung ("schmutziges Christenschwein", "Gavur") bis hin zur schweren Körperverletzung, an denen Kameraden und Vorgesetzte beteiligt seien; bis in die Gegenwart (Februar 1985) würden christlichen Soldaten Gewalt und Zwangsbeschneidung zumindest angedroht, die Androhung der Zwangsbeschneidung begleite die männlichen Christen durch alle Lebensabschnitte, sei aber während des Militärdienstes besonders virulent. Dem Sachverständigen Prof. Wiesner (44.) sind Versuche der zwangsweisen Bekehrung und der Zwangsbeschneidung während des Militärdienstes dagegen nicht bekannt geworden; er hält derartige Angaben von Asylbewerbern für Greuelmärchen und begründet im einzelnen seine Bedenken gegen die Wahrheit entsprechender Erzählungen. Auch der Sachverständige Dr. Binswanger (45.; ähnlich 68.) gibt an, Fälle von Zwangsbeschneidungen christlicher Soldaten während ihrer Militärdienstzeit seien unbekannt, ein offenes Geheimnis sei hingegen die körperliche Mißhandlung durch sadistische Unteroffiziere, deren Haltung in seltenen Fällen auch muslimische Wehrpflichtige treffe; diskriminiert würden die Christen insofern, als Wehrpflichtige mit Abitur nicht wie sonst in der Regel als Offiziersanwärter rekrutiert würden. Der Sachverständige Dr. Oehring (46.) hat noch im Frühjahr 1985 erfahren, daß christliche Soldaten generell mit den unangenehmsten Aufgaben betraut werden und Pöbeleien an der Tagesordnung und Übergriffe nicht ausgeschlossen seien; Zwangsbeschneidungen oder zumindest entsprechende Drohungen kämen vor, allerdings "nicht überall und nicht immer". Demgegenüber hat ein Zeuge in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nähere Angaben über einzelne Fälle von Zwangsbeschneidungen gemacht (54.). Er ist 16 Monate lang bis Juli 1985 Militärarzt in der Osttürkei gewesen und hat während seiner Dienstzeit etwa 90 christliche Rekruten kennengelernt. Seinen Angaben zufolge kann er nicht als Augenzeuge bestätigen, daß jemand beim Militär einer gewaltsamen Zwangsbeschneidung unterzogen worden ist; er hat allerdings glaubhaft bezeugt, daß man auf andere Weise Personen gezwungen hat, sich beschneiden zu lassen. Er selbst habe die Beschneidung einiger Soldaten, die zu ihm zur Zwangsbeschneidung geschickt worden seien, abgelehnt. Er habe aber mit eigenen Augen gesehen, daß man in dem Militärkrankenhaus von Agri einen christlichen Soldaten beschnitten habe, der bei einem späteren Gespräch offenbart habe, daß er nur unter Zwang die Beschneidung habe vornehmen lassen; er sei nämlich nach seiner anfänglichen Weigerung "vom Schreibdienst zum Toilettenplatz degradiert" und dann auch noch wiederholt geschlagen worden. Er wisse, daß 30 bis 40 christliche Soldaten der Beschneidung im Krankenhaus unterzogen worden seien; er habe diese Soldaten aus den üblichen Generaluntersuchungen, die alle drei Monate stattfänden, gekannt, und alle hätten ihm unter vier Augen bedeutet, sie seien auf keinen Fall zur Beschneidung bereit gewesen. Wenn nach alledem auch nicht auszuschließen ist, daß christliche Wehrpflichtige von Kameraden und auch von Vorgesetzten mit mehr oder weniger Druck gezwungen worden sind - und weiterhin gezwungen werden -, sich beschneiden zu lassen, so kann doch andererseits nicht festgestellt werden, daß christliche Wehrpflichtige allgemein mit einer derartigen Behandlung im Militär in dem Sinne zu rechnen hatten oder haben, daß daraus auf eine direkte Kollektivverfolgung aller Christen oder zumindest aller christlichen Wehrpflichtigen geschlossen werden kann. Anhaltspunkte dafür, daß die militärische Führung derartige Übergriffe duldet oder gar fördert, bestehen nämlich nicht (vgl. aber 65.; 68.). Selbst wenn angesichts der straffen Disziplin in den türkischen Streitkräften unterstellt wird, daß die Beschwerde eines Soldaten zumindest in den unteren Rängen nicht akzeptiert würde und die Folgen für den Soldaten eher negativ wären, besteht schon im Hinblick auf die geringe Anzahl nachgewiesener Fälle wirklicher Zwangsbeschneidungen und die fehlende Förderung oder zumindest Duldung durch nicht nur untergeordnete Stellen im türkischen Militär kein genügender Anhalt für eine asylrechtliche Zurechenbarkeit derartiger Vorfälle (vgl. Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13; ähnlich auch VGH Baden-Württemberg, 23.07.1984 - A 13 S 267/84 -, bestätigt durch BVerwG, 22.04.1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8), geschweige denn für eine unmittelbare Verantwortlichkeit des türkischen Staats.

bb) Darüber hinaus waren die Christen in der Türkei, insbesondere in der Südosttürkei in dem hier maßgeblichen Zeitraum auch keiner mittelbaren staatlichen Kollektivverfolgung in der Weise ausgesetzt, daß sie von anderen Bevölkerungsgruppen ihrer Religion und ihres christlichen Bekenntnisses wegen verfolgt wurden und hiergegen staatlichen Schutz nicht erhalten konnten.

In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, die Ursachen der oben (unter II. 2. a) dargestellten Abwanderungsbewegungen aus den ursprünglich ausschließlich oder zumindest überwiegend christlichen Dörfern nach Mardin und Midyat und vor allem nach Istanbul und von dort aus ins Ausland im einzelnen zu ermitteln. Tatsächlich sind die Christen den Anwerbeaktionen der westeuropäischen Wirtschaft seit Beginn der 60er Jahre wohl dank ihrer besseren Ausbildung und ihrer größeren Flexibilität eher gefolgt als die in der Südosttürkei lebenden Kurden und haben dann nach und nach ihre Familien in die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Länder nachgeholt. Eine gewisse Rolle mag anfangs auch die allgemein in der Türkei zu beobachtende Landflucht gespielt haben, die die Einwohnerzahl von Istanbul auf jetzt acht bis zehn Millionen hat anwachsen lassen (1., S. 111; 18., S. 20). Wie bereits oben (unter II. 2. b aa) festgestellt, haben zudem viele Priester im Zuge der Gastarbeiterwanderung ihre syrisch-orthodoxen Gemeinden im Tur'Abdin verlassen und sind gegen den Willen der Kirchenleitung nach Europa und nach Übersee ausgewandert (50., S. 3), was zusätzlich zu einer Destabilisierung der gewachsenen Siedlungsstrukturen der Christen in der Südosttürkei beigetragen hat. Schließlich haben auch die Ereignisse um Zypern, im Libanon und im Iran sowie allenthalben feststellbare Islamisierungstendenzen zu einer Verhärtung des Verhältnisses zwischen Christen und muslimischen Kurden im Tur'Abdin beigetragen. Ungeachtet der im einzelnen maßgeblichen Gründe für die Bevölkerungsbewegungen, die durchaus umstritten sein mögen, wurde aber seit Mitte der 70er Jahre aus dem Gebiet um Midyat über eine auffällige Zunahme schwerer Übergriffe der muslimischen Mehrheit (meist Kurden) gegen Christen berichtet, und zwar über Morde, Mordversuche, Entführungen, Zwangsbeschneidungen, Viehdiebstähle, Landnahme, Sachbeschädigungen und Plünderungen (vgl. dazu etwa: Schreiben eines syrisch-orthodoxen Ortsvorstehers an den türkischen Staatspräsidenten vom März 1976, zitiert in 1., S. 112 f.; 3., S. 46 f.; Schilderungen in der Zeitschrift "Egartho", zitiert in 1., S. 115 f.; 5., S. 32 ff. und 106 ff.; 8., S. 5; 14.; 16.; 37., S. 17 ff.). Gleichzeitig wurde allgemein beanstandet, daß staatliche Stellen, wenn sie um Hilfe angegangen wurden, entweder überhaupt nicht tätig geworden sind oder aber sogar offen zum Ausdruck gebracht haben, sie lehnten es ab, Christen Schutz zu gewähren (vgl. etwa: 4., S. 3, 5; 5., S. 34; 15.). Außerdem wurde betont, ähnliche Gewalttaten Syrisch-Orthodoxer seien, wenn sie vereinzelt vorgekommen seien, auch verfolgt worden (9., S. 21). Für die zahlreichen Übergriffe gegenüber syrisch-orthodoxen Christen seien beispielhaft folgende Ereignisse erwähnt: Raubüberfall auf einen Priester auf der Fahrt zwischen Ado und Midyat Anfang 1978 (1., S. 115); Überfall auf einen Pfarrer in Gölgöze am 30. April 1978, dabei zwei Verwandte erschossen (1., S. 116); Entführung eines christlichen Mädchens einen Tag vor der Hochzeit, Anrufung der Gerichte blieb ohne Erfolg (5., S. 34 f.); Entführung eines 13jährigen Mädchens am 19. Februar 1979 durch drei Kurden, trotz Gerichtsentscheidung keine polizeilichen Maßnahmen wie Festnahme der Entführer und Vorführung des Mädchens bei Gericht (5., S. 36; ähnliche Fälle in 11., S. 7, 9); Landwegnahme 1948, vor Gericht erfolgreicher Christ anschließend ermordet, 1958 Mord an zehn Christen, die ebenfalls gerichtliche Verfahren zur Wiedererlangung ihres Besitzes angestrengt hatten (5., S. 37 f.); Mord an dem letzten in Kerburan verbliebenen Christenführer am 29. Oktober 1978 nach Ermordung und allmählicher Verdrängung der ursprünglich mehrheitlich christlichen Bevölkerung (3., S. 50; 5., S. 40; vgl. dazu auch 11., S. 5).

Bei der Frage nach den Ursachen für die danach seit Mitte der 70er Jahre vermehrt feststellbaren Beeinträchtigungen der Christen durch die muslimische Bevölkerung im Tur'Abdin werden teils die Auswirkungen der Verfolgung weniger schwerwiegend dargestellt, teils die religionsbezogene Motivation der Verfolger bezweifelt und teils die Einstellung der staatlichen Stellen zu diesen Maßnahmen der andersgläubigen Mitbürger nicht so gewertet und eingeschätzt, daß den Christen der erforderliche staatliche Schutz gegen private Übergriffe ihrer Religion wegen verwehrt wurde. So bestätigen etwa auch andere als die bereits erwähnten Quellen gewalttätige Auseinandersetzungen und existenzbedrohende Übergriffe im Südosten der Türkei (2., S. 2; 17.) und die Gefahr administrativer Schikanen sowie die Schutzlosigkeit gegenüber gesetzlosen Zuständen vor der Machtübernahme durch das Militär im September 1980 (15.). Andererseits wird aber darauf hingewiesen, daß unter schwierigen Lebensverhältnissen und der gesetzlosen Lage vor September 1980 auch die übrige Bevölkerung zu leiden gehabt habe, die Abwanderung aus dem Tur'Abdin vorwiegend wirtschaftliche und soziale Gründe habe und die Wanderungsbewegung bei den Christen nicht stärker sei als bei der übrigen Bevölkerung (vgl. vor allem 18., S. 23 ff., 31. ff.). Während das Auswärtige Amt als Ursachen für die Abwanderung neben religiösen Spannungen sowohl wirtschaftliche Schwierigkeiten als auch die in Gewalttätigkeiten ausufernden Streitigkeiten aus sprachlichen, sozialen und ethnischen Motiven nennt, räumt es doch gleichzeitig ein, Christen hätten teilweise existenzbedrohende Benachteiligungen erlitten und seien gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt gewesen, gegen die ausreichender staatlicher Schutz besonders in schwer zugänglichen ländlichen Gebieten häufig nicht habe gewährt werden können, so daß praktisch die christliche Minderheit oftmals gewalttätigen Übergriffen schutzlos preisgegeben gewesen sei (2., S. 2). Wenn Wiskandt bezweifelt, daß Christen aus dem Tur'Abdin in wesentlich größerem Ausmaß als Kurden abgewandert sind (18., S. 23 ff., besonders S. 28), so fällt auf, daß er die Anzahl der in der Provinz Mardin lebenden Syrisch-Orthodoxen aus einer offiziellen Einwohnerstatistik und eigenen Berechnungen ableitet, während die oben (unter II. 2. a) erwähnten Zahlenangaben anderer Autoren zwar vorwiegend auf Schätzungen beruhen, aber insgesamt zutreffender erscheinen, weil dort der Bevölkerungsrückgang bei den Christen zum größten Teil durch die Nennung von Ortsnamen und exakten Einwohnerzahlen belegt ist. Es mag zutreffen, daß die historischen Fakten in den epd-Dokumentationen (5. und 37.) nicht immer neutral dargestellt sind und die religiösen Bezüge dort ebenso einseitig in den Vordergrund gestellt werden wie von Yonan (1.) der Prozeß der Entwicklung einer assyrischen Nation. Abgesehen aber davon, daß Wiskandt seine Befragungen offenbar ohne die in solchen Situationen wichtige Vertrauensbasis zu den befragten Personen und ohne Bekanntgabe seines Auftrags durchgeführt hat, ist in seinem Gutachten an zahlreichen Stellen nachzuweisen, daß seine Ausführungen nicht völlig frei sind von Vorverständnissen und festliegenden persönlichen Positionen, die die Beantwortung der ihm gestellten Fragen teilweise beeinflußt haben könnten (vgl. dazu im einzelnen 23., 24., 25.). So wirft er der ersten epd-Dokumentation offen bewußte Zahlenmanipulation vor (S. 27, 29), polemisiert gegen die "hiesige Lobby der Sürjannis" (S. 65) und beschreibt die "Erfolge" der Militärregierung ohne jede Einschränkung (S. 20 ff.), obwohl Vorbehalte gegen die Politik der Militärregierung angesichts zahlreicher Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zumindest erwähnenswert gewesen wären.

Nach alledem vermag der Senat nicht festzustellen, daß die Christen in der Türkei - und zwar auch im Tur'Abdin - in ihrer Gesamtheit im Zeitraum von etwa 1973 bis etwa 1980 in der Weise mittelbar aus religiösen Gründen verfolgt worden sind, daß sie als Angehörige der christlichen Minderheit gewalttätigen Übergriffen mit Gefahren für Leib und Leben und die persönliche Freiheit durch die muslimische Bevölkerung ausgesetzt waren und der türkische Staat diese Verfolgungsmaßnahmen entweder gebilligt oder zumindest tatenlos hingenommen und damit den Christen den erforderlichen staatlichen Schutz versagt hat. Die dargelegten Verhältnisse stellen sich allerdings so dar, daß in zahlreichen Einzelfällen tatsächlich syrisch-orthodoxe Bewohner des Tur'Abdin von muslimischen Mitbürgern umgebracht, verletzt, entführt oder beraubt worden sind, ohne daß die zuständigen staatlichen Behörden hiergegen eingeschritten sind, obwohl ihnen dies möglich gewesen wäre (vgl. z.B. die Fälle in den vom 10. Senat des Hess. VGH entschiedenen Verfahren X OE 847/81 und X OE 1131/81).

Wenn das Verwaltungsgericht demgegenüber in dem angegriffenen Urteil angenommen hat, der Kläger sei von einer mittelbaren Gruppenverfolgung aller Syrisch-Orthodoxen in der Türkei betroffen worden, die allerdings nach dem Militärputsch vom September 1980 nicht mehr andauere, dann beruht dies auf einer nicht gerechtfertigten Auswertung des Inhalts der in diesem Urteil zitierten Gerichtsentscheidungen und Erkenntnisquellen. So beruft sich das Verwaltungsgericht zu Unrecht zum Nachweis dafür, daß die Syrisch-Orthodoxen zumindest vor September 1980 im Tur'Abdin wegen ihres Glaubens verfolgt worden seien, u.a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. August 1983 - 9 C 599.81 - (BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1). In dieser Entscheidung mußte das Bundesverwaltungsgericht wie auch in anderen Verfahren aufgrund seiner Bindung an Tatsachenfeststellungen in dem zugrundeliegenden Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) davon ausgehen, daß existenzbedrohende Benachteiligungen und gewalttätige Übergriffe um das Jahr 1976 so zugenommen hatten, daß die Auswanderung der Christen aus dieser Region zunehmend Fluchtcharakter annahm und ihre Zahl von ursprünglich 70.000 auf einen Bruchteil dessen absank und daß die Sachwalter des türkischen Staats das Vorgehen der Muslime aufgrund der weitgehend von feudalen Stammes- und Religionsführern bestimmten Machtstrukturen in der Region nicht oder völlig unzureichend ahndeten. Wenn das Revisionsgericht daraufhin ausgeführt hat, das Berufungsgericht habe diesen Sachverhalt zu Recht dahin gewürdigt, daß zu der in dem dortigen Verfahren maßgeblichen Zeit die syrisch-orthodoxen Christen in einer dem türkischen Staat zuzurechnenden Weise als Gruppe asylrechtlich verfolgt worden sind, dann bedeutete dies nicht, daß diese Frage seitdem letztverbindlich entschieden war. Deshalb blieb auch die Revision eines syrisch-orthodoxen Christen erfolglos, in dessen Verfahren der 10. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs eine dem türkischen Staat zurechenbare allgemeine Gruppenverfolgung syrisch-orthodoxer Christen im Tur'Abdin verneint hatte (27.05.1982 - X OE 727/81 -); das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ausdrücklich ausgeführt, ein Asylbewerber könne tatsächliche Feststellungen der Tatsachengerichte zur Gruppenverfolgung im Revisionsverfahren nicht erfolgreich damit angreifen, daß andere Tatsachengerichte dieselbe Situation anders beurteilten (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36). Dieselben Überlegungen gelten im übrigen für die Frage, ob politisch motivierte Übergriffe von Vorgesetzten und Kameraden auf syrisch-orthodoxe Wehrpflichtige in der Türkei asylerheblich sind oder zumindest als Indiz für eine Kollektivverfolgung gewertet werden können. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht zwar aufgrund entsprechender bindender Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg entschieden, daß derartige Übergriffe dem türkischen Staat nicht zuzurechnen sind, weil die Militärführung eine religiös motivierte Verfolgung von Christen in der Armee nicht nur mißbilligt, sondern auch nach Kräften zu verhindern trachtet (BVerwG, 22.04.1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8); damit ist aber noch nicht ausgeschlossen, daß ein Gericht aufgrund anderer tatsächlicher Erkenntnisse zu anderen Schlußfolgerungen gelangt. Schließlich gibt es auch keine verbindliche Revisionsentscheidung über die asylrechtliche Bedeutung der Pflicht christlicher Schüler zur Teilnahme am staatlichen Religionsunterricht in der Türkei. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht anläßlich der Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde ausgeführt, die Pflicht zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht in staatlichen Schulen der Türkei stelle für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften für sich allein keine asylerhebliche Beeinträchtigung der Religionsausübung dar (BVerwG, 14.05.1987 - 9 B 149.87 -, EZAR 202 Nr. 9 = DVBl. 1987, 1113). Es können durchaus Bedenken bestehen gegen die Meinung, es sei offensichtlich, daß durch die "bloße Teilnahmepflicht am islamischen Religionsunterricht" das religiöse Existenzminimum unberührt bleibe, und die Pflicht zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht könne keinesfalls mit der Pflicht, sich zum Islam zu bekennen, gleichgesetzt werden. Zudem ist zu berücksichtigen, daß die Verpflichtung zur Teilnahme an diesem Religionsunterricht in tatsächlicher Hinsicht bereits differenzierter gesehen werden muß, als dies das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in dem der Beschwerdeentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrundeliegenden Urteil angenommen hat, und gerade nicht die Pflicht zum Erlernen islamischer Gebete und islamischer Glaubenssätze mitumfaßt (vgl. dazu oben

S. 24 ff.).

3. Es kann auch nicht festgestellt werden, daß der Kläger persönlich bereits vor seiner Ausreise aus der Türkei in seinem Heimatdorf (a bzw. c) oder in Istanbul (b) von religiös motivierten Übergriffen muslimischer Mitbürger betroffen war und dagegen staatlichen Schutz nicht in Anspruch nehmen konnte. Ebensowenig kann angenommen werden, daß der Kläger damals schon in seiner persönlichen Freiheit, in seiner körperlichen Unversehrtheit oder in seiner Religionsfreiheit so konkret bedroht war, daß ein asylrelevanter Eingriff unmittelbar bevorstand und er deshalb als vorverfolgt anzusehen ist. Seine Angaben zu seinem Lebensschicksal und zu den Gründen und Umständen seiner Ausreise sind allerdings im wesentlichen glaubhaft.

Danach steht fest, daß der Kläger in dem 18 km südöstlich von Midyat gelegenen Dorf Ü. - das seinen Angaben bei der Vernehmung durch den Berichterstatter des Senats am 25. November 1988 zufolge früher H. hieß (vgl. zu weiteren Bezeichnungen 1., S. 118 <unter Ziff. 5>, sowie Anschütz, Die syrischen Christen vom Tur'Abdin, Würzburg 1985, S. 78) - geboren wurde. Dies ergibt sich aus der anläßlich der Vorprüfungsanhörung erfolgten Ergänzung der Niederschrift zu seinem Asylbegehren (BI. 30 i.V.m. 4 der Bundesamtsakte Tür-S-45571) und insbesondere aus den insoweit eindeutigen und zweifelfreien Bekundungen des Klägers bei seiner Vernehmung am 25. November 1985. Den hiervon abweichenden Eintragungen in den Personalpapieren des Klägers, in denen "Mardin" bzw. "Nusaybin" als Geburtsort angeführt sind, kommt demgegenüber keine maßgebende Bedeutung zu, weil es sich hierbei um die Provinz- bzw. Bezirkshauptstadt handelt und weil dem Senat aus seiner Praxis bekannt ist, daß die türkischen Behörden häufig derartige Städte als Geburtsort in die Personalpapiere eintragen. Der Senat geht ferner davon aus, daß Ü. ein rein christliches Dorf mit eigener Kirche ("Mar Afrem") war und ist, in dem - gemäß der Erinnerung des Klägers - zunächst etwa 60 Familien wohnten, deren Zahl sich bis zum Jahre 1978 auf ungefähr 150 - so der Kläger bei seiner Vernehmung am 25. November 1988 - erhöhte und alsdann durch Abwanderung über etwa 100 im Jahre 1980 (Anschütz, a.a.O.; S. 78; vgl. auch 1., S. 118 : 130) auf heute ca. 30 zurückging. Hinzu kommen derzeit den Angaben des Klägers zufolge ungefähr 200 im Dorf stationierte muslimische Gendarmen (vgl. schon die im wesentlichen übereinstimmenden Feststellungen zu demselben Dorf im Urteil des 10. Senats vom 30.05.1985 - 10 OE 35/83 -, Abdruck S. 2 u. 22 f.). Der Senat ist des weiteren zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger in Ü. aufgewachsen ist, alsdann von 1966 bis Anfang 1969 in den Provinzen Erzincan und Erzurum seinen Militärdienst abgeleistet hat und anschließend in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist, wo er sich etwa ein Jahr lang aufgehalten hat, um danach für ca. fünf Jahre in Istanbul Wohnung zu nehmen und schließlich erneut - bis zu seiner Ausreise aus der Türkei - ins Dorf zurückzukehren.

a) Vor seiner Übersiedlung nach Istanbul hat der Kläger asylerhebliche Verfolgungen in Ü. nicht erlitten. Für die Zeit vor Ableistung seines Militärdienstes hat er hierzu ohnehin nichts vorgetragen. Soweit er bei seiner Anhörung durch die Ausländerbehörde am 14. April 1980 und bei seiner Vernehmung am 25. November 1988 angegeben hat, sein Freund I. C. sei wegen seines Glaubens beim Viehhüten umgebracht worden, während er, der Kläger, seinen Militärdienst abgeleistet habe, hat er weder konkrete Anhaltspunkte für die religiöse Motivation der Täter mitgeteilt, noch hat er auf Befragen darlegen können, inwiefern dieser Vorfall für ihn persönlich von asylerheblicher Bedeutung gewesen sei. Ansonsten hat der Kläger für die kurze, nur ca. ein Jahr währende damalige Zeit seines Aufenthalts im Dorf bei seiner Vernehmung am 25. November 1988 lediglich angegeben, daß die Muslime Vieh und Erntegut gestohlen hätten; er hat aber versäumt, hierbei deutlich zu machen, ob und in welchem Umfang er und seine Familie von solchen Diebstählen betroffen waren, woraus sich ggfs. eine politische - und nicht nur kriminelle - Motivation der Diebe entnehmen ließ und ob überhaupt der Versuch unternommen wurde, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

b) Der Senat vermag auch nicht festzustellen, daß der Kläger während seines Aufenthalts in Istanbul politisch verfolgt worden ist. Wie aus seinen Bekundungen und denjenigen seiner Ehefrau in deren Asylverfahren (Bl. 41 der Bundesamtsakte 163/73713/80) hervorgeht, ist der Kläger im Jahre 1970 nach Istanbul übergesiedelt, hat dort innerhalb etwa eines Monats Arbeit in einer Kabelfabrik gefunden und alsdann (es mag noch im Jahre 1970 oder schon im Jahre 1971 gewesen sein) seine Familie nachziehen lassen. Der Kläger lebte dort in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen und verdiente zuletzt 6.000,-- TL monatlich, so daß er erhebliche Beträge sparen konnte, die er später zum Kauf eines Traktors und zum Bau eines Hauses in Ü. verwendete. Von asylerheblichen Beeinträchtigungen in bezug auf seine eigene Person und seine Familie während der Zeit ihres Aufenthalts in Istanbul hat der Kläger nichts berichtet. Soweit er aus der Entführung seiner Nichte im Frühjahr 1975 einen eigenen Asylgrund herzuleiten versucht, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Allerdings kann dem Kläger - auch unter Berücksichtigung der Angaben seines Bruders M. in dessen Asylverfahren (vgl. Bl. 11 der in Kopie vorliegenden Bundesamtsakte 163/ 10802/85) - geglaubt werden, daß die damals zwischen 14 und 17 Jahre alte Tochter Y. des Bruders seinerzeit bei ihm in Istanbul in seinem Haushalt lebte, daß er sie jeweils morgens zu ihrer Arbeitsstelle begleitete, daß sie bei dieser Gelegenheit eines Tages von Muslimen entführt worden ist und daß auch die Einschaltung der Polizei letztlich erfolglos blieb. Indessen stellt sich die Entführung der Nichte nicht als asylerheblicher Eingriff in ein Rechtsgut des Klägers selbst dar; insbesondere hat er bei der Entführung als solcher - da ihm seine Nichte von mehreren Männern entrissen wurde - am eigenen Körper keine Verletzungen davongetragen. Auch soweit der Kläger geltend macht, es sei einige Monate später zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und den Entführern gekommen, bei der ihm zwei Zähne ausgeschlagen worden seien, kann der Senat eine politische Verfolgung nicht feststellen. Gewisse Zweifel bestehen schon hinsichtlich der Glaubhaftigkeit des diesbezüglichen Vorbringens, denn bei der Ausländerbehörde hatte der Kläger hiervon nichts gesagt, und bei der Vorprüfungsanhörung und bei seiner Vernehmung am 25. November 1988 hat er insoweit keine in sich geschlossene Darstellung gegeben und Widersprüche nicht gänzlich ausräumen können. So hat er bei der Vernehmung erst auf nachdrückliches Befragen und auf Vorhalt seiner Angaben vor dem Bundesamt die handgreifliche Auseinandersetzung überhaupt erwähnt; und einmal hat er den Vorfall in seinem eigenen Wohnbezirk Istanbul-Tarlabasi, das andere Mal in demjenigen der Entführer angesiedelt. Einer abschließenden Stellungnahme zur Glaubhaftigkeit bedarf es indessen ebensowenig wie dazu, ob die Körperverletzung des Klägers seitens der Entführer - sofern sie tatsächlich erfolgte - und deren angebliche Todesdrohungen gegenüber dem Kläger für den Fall, daß er Istanbul nicht unverzüglich verlasse, deshalb als religiös motiviert anzusehen sind, weil sie zur Aufrechterhaltung der ihrerseits religiös motivierten Entführung seiner Nichte dienten; denn jedenfalls wären die betreffenden Übergriffe dem türkischen Staat nicht im asylrechtlichen Sinne zurechenbar. Zwar hat der Kläger angegeben, auch nach der Schlägerei nochmals bei der Polizei gewesen zu sein, die (wieder) nichts unternommen habe. Er konnte jedoch - wie er bei seiner Vernehmung am 25. November 1988 eingeräumt hat - die Namen der Täter nicht angeben, so daß das Untätigbleiben der Polizei darin begründet sein dürfte, daß Ermittlungen keine sonderliche Aussicht auf Erfolg versprachen.

c) Schließlich kann der Senat nicht feststellen, daß der Kläger nach seiner Rückkehr aus Istanbul in Ü. asylerheblicher Verfolgung ausgesetzt war. Soweit er von einer Vielzahl von Überfällen auf sich und sein Geschäft berichtet hat, ist sein Vorbringen nicht in jeder Hinsicht stimmig und deshalb nicht ohne weiteres glaubhaft. Das gilt insbesondere bezüglich der Gesamtzahl der angeblichen Überfälle, bezüglich des jeweiligen Tatortes und bezüglich des Umfangs der jeweils erzielten Beute. So war vor der Ausländerbehörde von derartigen Überfällen überhaupt nicht die Rede, sondern nur davon, daß Teile seines Traktors demontiert und gestohlen worden seien. Bei der Vorprüfungsanhörung sprach der Kläger dann von fast zehn Überfällen auf ihn selbst während Fahrten mit seinem Traktor und auf sein Haus, derentwegen er insgesamt mindestens fünfzigmal bei der örtlichen Gendarmeriewache gewesen sei; außerdem habe er dort zweimal im Zusammenhang mit dem Diebstahl von Traktorersatzteilen vorgesprochen. Bei der Vernehmung am 25. November 1988 gab der Kläger, der nachdrücklich und durch substantiierte Fragestellungen um Konkretisierung gebeten worden war, lediglich an, insgesamt etwa zwanzigmal überfallen worden zu sein, wobei möglicherweise einige Tiere, insbesondere aber vor dem Haus befindliche Teile des Traktors mitgenommen worden seien. Der Senat hält die diesbezüglichen Bekundungen nur hinsichtlich der Art, nicht aber hinsichtlich des Umfangs der erfolgten Übergriffe für glaubhaft und geht im übrigen davon aus, daß der Kläger - bewußt oder (infolge der zwischenzeitlich vergangenen Zeit) möglicherweise auch unbewußt - die betreffenden Vorfälle als solche und nach ihrer Anzahl aufgebauscht hat. Indessen kommt es hierauf nicht entscheidend an, weil jedenfalls nichts dafür ersichtlich ist, daß die jeweiligen Übergriffe seitens der Täter religiös motiviert waren; vielmehr hat der Kläger bei der Vorprüfungsanhörung selbst ausgeführt, die Leute seien wohl vor allem wegen seiner guten wirtschaftlichen Verhältnisse auf ihn neidisch gewesen. Gleiches gilt hinsichtlich der vom Kläger geschilderten und bis zur Ausreise immer häufigeren Erpressungen von Geldern durch Muslime, mit denen er sich seinen Angaben zufolge erkaufen mußte, nicht getötet zu werden und in Ruhe arbeiten zu können, sowie hinsichtlich der erstmals bei der Vernehmung am 25. November 1988 mitgeteilten Raubüberfälle beim Verlassen eines Bankgebäudes (angebliche Beute: 45.000,-- TL) und auf dem Weg nach Nusaybin (angebliche Beute : 18.000,-- TL) und auch hinsichtlich des - vom Kläger selbst nicht, wohl aber von seiner Ehefrau berichteten (vgl. Bl. 41 der Bundesamtsakte 163/73713/80) weiteren Raubüberfalls, als sich der Kläger mit einem in fremder Landwirtschaft erworbenen Verdienst von mehr als zwei Monaten auf dem Nachhauseweg befunden haben soll. Kann in allen diesen Fällen mithin die asylrechtlich erforderliche Motivation der Täter nicht festgestellt werden, so kann offenbleiben, ob die betreffenden Übergriffe jeweils dem türkischen Staat zugerechnet werden könnten. Hieran bestehen deshalb erhebliche Zweifel, weil der Kläger die Täter zwar häufig gekannt haben will, sie aber im Einzelfall der Polizei seinen Angaben zufolge aus Angst meist - abgesehen von dem Raubüberfall auf dem Weg nach Nusaybin - nicht namhaft gemacht hat, so daß erfolgversprechende Ermittlungen in aller Regel kaum möglich gewesen sein dürften, und weil es im übrigen auf Beschwerden des Klägers immerhin zur Versetzung eines Gendarmerieunteroffiziers gekommen sein soll, die türkischen Behörden also durchaus zugunsten des Klägers tätig geworden sind. Soweit der Kläger schließlich bei der Ausländerbehörde einen Bücherdiebstahl durch Muslime in der christlichen Dorfkirche am Tag seiner Abreise erwähnt hat, scheitert eine asylrechtliche Zurechenbarkeit jedenfalls daran, daß der Polizei die Namen der Täter offenbar nicht bekannt waren; außerdem dürfte der Kläger selbst allein aus dem Diebstahl nicht näher bezeichneter kirchlicher Bücher noch keinen asylrechtlich bedeutsamen Eingriff in seine Religionsfreiheit herleiten können. Letzteres gilt auch für die bei der Vernehmung am 25. November 1988 erstmals mitgeteilte Polizeirazzia während des Gottesdienstes, zumal dieser nach den Angaben des Klägers keine religiösen Motive zugrunde lagen, sondern die Absicht, versteckte Waffen aufzuspüren. Was Vorfälle angeht, die der Familie des Klägers erst nach seiner Ausreise widerfahren sein sollen, so sind sie jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang ohne rechtliche Bedeutung, denn ein Vorfluchttatbestand politischer Verfolgung des Klägers ergibt sich hieraus - wie regelmäßig - nicht. Es bestehen ferner keine Anhaltspunkte dafür, daß die muslimischen Einwohner der umliegenden Dörfer sich die zwangsweise Bekehrung der Einwohner des Dorfes Ü. zum Ziel gesetzt hatten. Eine Erklärung dafür, daß die Mehrzahl der christlichen Familien den Ort zwischenzeitlich verlassen hat, kann ebensogut darin gefunden werden, daß es früher zu Übergriffen gekommen ist und es sich dabei um gewöhnliche Straftaten handelte, bei denen es die Täter in der Hauptsache auf den Besitz der Christen, insbesondere auf deren Viehherden und Erntegut sowie unter Umständen auch auf deren Felder und Weinberge abgesehen hatten. Die Vorfälle, die die christlichen Bewohner von Ü. zur allmählichen Abwanderung bewogen haben, stehen demnach zwar in Beziehung zu ihrer Religionszugehörigkeit und zu ihrer Eigenschaft als Bewohner eines christlichen Dorfes in einer weitgehend muslimischen Umgebung. Sie erlauben damit aber noch nicht - weder für sich genommen noch im Zusammenhang gesehen - den Schluß, daß der Kläger zu den Christen gehörte, in deren Person sich der oben beschriebene Zustand einer latenten allgemeinen Gefährdung und Verdrängung der Christen aus der Osttürkei zu einer individuellen Verfolgung oder unmittelbaren Verfolgungsgefahr verdichtet hatte.

4. War demnach der Kläger vor seiner Ausreise aus der Türkei nicht politisch verfolgt und legt man demzufolge den "normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstab an (vgl. BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096; BVerwG, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12; BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760), so kann auch nicht festgestellt werden, daß ihm bei einer Rückkehr im jetzigen Zeitpunkt als Angehörigen einer kollektiv verfolgten Gruppe politische Verfolgungsmaßnahmen drohen.

Für die Frage, ob der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten hat, ist zu unterstellen, daß er allein dorthin zurückkehrt. Insoweit kann nur fiktiv auf eine Rückkehr und außerdem auf die tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt der Prognose und in einer absehbaren Zeit danach abgestellt werden und nicht darauf, daß der Kläger - der im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist - aus asylverfahrensunabhängigen Gründen zum weiteren Verbleib im Bundesgebiet berechtigt ist und ob etwa einer seiner Verwandten dazu bereit oder familienrechtlich verpflichtet wäre, ihm bei einer Rückkehr in die Heimat zu folgen. Ebensowenig wie ihm ein Rechtsschutzbedürfnis an der Weiterverfolgung seiner Asylverpflichtungsklage mit dem Hinweis auf die Asylanerkennung von Verwandten abgesprochen werden kann (vgl. BVerwG, 13.01.1987 - 9 C 50.86 -, EZAR 204 Nr. 3; Hess. VGH, st. Rspr., vgl. etwa 13.11.1986 - 10 OE 108/83 - m.w.N.), kann umgekehrt bei der Verfolgungsprognose auf die Schutz- und Aufnahmebereitschaft von Verwandten abgestellt werden, die sich im Entscheidungszeitpunkt außerhalb des gemeinsamen Heimatlands aufhalten und nicht bereit sind, dorthin zurückzukehren.

Die Gefahr einer Gruppenverfolgung Syrisch-Orthodoxer in der Türkei vermag der Senat auch für die Zukunft nicht festzustellen. Wie schon oben (unter II. 2. b) ausgeführt, hatten die syrisch-orthodoxen Christen bis zur Ausreise des Klägers aus der Türkei allgemein in der Türkei und insbesondere auch in Istanbul eine derartige politische Verfolgung nicht zu befürchten. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage nach der Machtübernahme durch die Militärs im September 1980 allgemein erheblich verbessert, und dies hat sich nach allgemeiner Einschätzung auch zugunsten der syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul wie in anderen Landesteilen ausgewirkt (vgl. dazu etwa: 18., S. 34; 21.; 26.; 29.; 30.; 38.; 40.; 42.). Das Auswärtige Amt hat dazu nach eingehenden Gesprächen mit syrisch-orthodoxen Geistlichen unter Bezugnahme auf einen deutschsprachigen Bericht in dem Organ der Erzdiözese der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Europa vom Dezember 1982/Januar 1983 einen zunehmenden staatlichen Schutz für die syrisch-orthodoxen Christen nach der Machtübernahme durch die Militärs festgestellt (38.). Die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei berichtet davon, daß von der Geistlichkeit und von einzelnen Gemeindemitgliedern immer wieder festgestellt werde, daß sich die Verhältnisse nach dem 12. September 1980 gebessert hätten (26.). Die Sürjanni Kadim berichtet, ihre Mitglieder befänden sich wie jeder anderer türkische Bürger nach dem 12. September 1980 "in Ruhe und in Sicherheit" (29.). Nach Auskunft der Sachverständigen Dr. Harb-Anschütz hat sich nach dem 12. September 1980 auch in Istanbul die Lage der syrisch-orthodoxen Christen wesentlich verbessert (30.). Zu demselben Ergebnis gelangten die Teilnehmer einer von der Evangelischen Akademie Bad Boll im Mai 1983 veranstalteten Studienfahrt in die Türkei (34., S. 7, 18). Soweit - wie vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil - eine Verbesserung der Sicherheitslage mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Situation der Syrisch-Orthodoxen in Istanbul bezweifelt wird (37., S. 17 ff.), fehlt es an konkreten Hinweisen darauf, daß sich tatsächlich entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung die in der Türkei in den letzten Jahren zu beobachtende Verbesserung der Sicherheitslage nicht auch zugunsten der christlichen Bevölkerung ausgewirkt haben könnte (so auch: Bay. VGH, 29.11.1985 - 11 B 85 C 35 -; VGH Baden-Württemberg, 20.06.1985 - A 13 S 221/84 -, bestätigt durch BVerwG, 16.10.1986 - 9 C 320.85 -; VGH Baden-Württemberg, 09.02.1987 - A 13 S 709/86 -; OVG Bremen, 14.04.1987 - 2 BA 28/85 u. 32/85 -; OVG Hamburg, 10.06.1987 - Bf V 21/86 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 19.02.1987 - 18 A 10315/86 -; Hess. VGH, 30.08.1984 - X OE 306/82 -, 22.02.1988 - 12 UE 1071/84, 1587/84 u. 2585/85 -, 16.05.1988 - 12 UE 2571/88 -, 30.05.1988 - 12 UE 2500/85 u. 2514/85 -, 13.06.1988 - 12 OE 94/83 -, 27.06.1988 - 12 UE 2438/85 -, 04.07.1988 - 12 UE 2573/85 u. 12 UE 25/86 -, 17.10.1988 - 12 UE 2601/84, 12 UE 767/85, 12 UE 2497/85 u. 12 UE 2813/86 - sowie 05.12.1988 - 12 UE 2487/85 u. 12 UE 2569/85 -; a.A. OVG Rheinland-Pfalz, 10.12.1986 - 11 A 131/86 -, aufgehoben durch BVerwG, 06.10.1987 - 9 C 13.87 -, EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57). Die demgegenüber in dem angegriffenen Urteil geäußerten Zweifel an der Dauerhaftigkeit der nach dem Militärputsch erreichten Stabilisierung der Sicherheitslage haben sich nicht bewahrheitet. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, auf dessen Urteil vom 23. April 1983 - 18 A 10237/84 - sich das Verwaltungsgericht insoweit beruft, ohne die zugrundeliegenden Prognosetatsachen zu nennen, hält an seiner damals geäußerten Auffassung ersichtlich nicht mehr fest (vgl. 19.02.1987 - 18 A 10315/86 -).

5. Ferner kann für den Kläger - mangels einer Änderung der hierfür in Betracht zu ziehenden Prognosetatsachen - nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, daß gerade ihm bei einer Rückkehr in seine Heimat im derzeitigen Zeitpunkt politisch motivierte (Einzel-)Verfolgung droht.

Ob ein Asylbewerber in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, ohne dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein, ist für das gesamte Territorium des Heimatstaats zu beantworten; eine Beschränkung auf etwa den Geburtsort oder den letzten Aufenthaltsort ist weder geboten noch statthaft. Droht einem Asylbewerber nämlich eine Verfolgung in Teilen seines Heimatlandes erstmals oder wiederholt, dann kann er darauf verwiesen werden, dort Aufenthalt zu nehmen, wo er innerhalb seines Heimatstaats ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben kann (sog. interne Fluchtalternative; vgl. BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 <359 ff.> = EZAR 200 Nr. 1, sowie BVerwG, 02.08.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, 15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, EZAR 203 Nr. 2 = DVBl. 1984, 570, 02.07.1985 - 9 C 58.84 -, EZAR 203 Nr. 3 = NVwZ 1986, 485, 06.10.1987 - 9 C 13.87 -, EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57, 09.02.1988 - 9 C 55.87 - u. 16.06.1988 - 9 C 1.88 -).

Es spricht viel dafür, daß sich der Kläger wieder in Ü. niederlassen kann, wo er geboren ist und wo er den größten Teil seines Lebens verbracht hat. Dort wohnen den Angaben des Klägers bei seiner Vernehmung am 25. November 1988 zufolge immer noch etwa 30 christliche Familien und - abgesehen von den Gendarmen - keine Muslime. Durch die große Zahl der dort stationierten Gendarme dürfte die Sicherheitslage sich übrigens im Vergleich zu anderen Gegenden überproportional verbessert haben. Da die Mutter des Klägers nach wie vor in dem von ihm nach der Rückkehr aus Istanbul erbauten Haus lebt und auch der Grundbesitz der Familie noch vorhanden ist und teilweise gegen Abgabe eines Teils des Ernteguts von Dritten bewirtschaftet wird, dürfte für den Kläger eine ausreichende Lebensgrundlage in Ü. vorhanden sein, die er in Anspruch nehmen könnte. Weitere familiäre Anknüpfpunkte würde er in Gestalt der beiden Onkel L. und M. K. seiner Ehefrau vorfinden, die nach Wissen des Klägers ebenfalls noch im Dorf leben, sowie möglicherweise in Gestalt einer in dem - eine Autostunde entfernt gelegenen Dorf Gundek Sikro verheirateten Schwester seiner Ehefrau. Soweit der Kläger und seine Ehefrau in deren Asylverfahren (Bl. 7 u. 42 der Bundesamtsakte 163/73713/80) über Vorfälle berichtet haben, die der Familie und weiteren Verwandten nach der Ausreise des Klägers widerfahren sind - u.a. Überfälle auf das Haus in der Zeit von Januar bis September 1980, wobei der Onkel E. Ö. und der Cousin S. Ö. sowie die Schwägerin B. K. getötet bzw. schwer verletzt wurden -, liegen diese weit zurück. Sie ereigneten sich in der Zeit unmittelbar vor dem Militärputsch, als die Sicherheitslage desolat war; im Rückkehrfall hätte der Kläger daher - zumal bei der gegenwärtigen Präsenz von Gendarmen in Ü. - nichts dergleichen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Soweit der Kläger geltend macht und dies von seinem Bruder M. in dessen Asylverfahren bestätigt worden ist (Bl. 9 der in Kopie vorliegenden Bundesamtsakte 163/10802/85), daß die gesamte Ernte von Kurden verbrannt worden sei, muß dies 1985 oder früher geschehen sein und ist für eine dem zugrundeliegende religiöse Motivation der Täter und eine asylrechtliche Verantwortlichkeit des türkischen Staats nichts dargetan. Außerdem kann nicht festgestellt werden, daß dem Kläger im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ähnliches drohte.

Unabhängig hiervon kann der Kläger jedenfalls in Istanbul, wo er - was der Bundesbeauftragte übersehen zu haben scheint (vgl. S. 3, vorl. Abs., der Berufungsbegründung) - etwa fünf Jahre lang mit seiner Familie gewohnt und gearbeitet hat, ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben. Denn wie oben (unter II. 4.) dargelegt, hat sich die Verbesserung der Sicherheitslage nach der Machtübernahme durch die Militärs im September 1980 auch zugunsten der syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul in der Weise ausgewirkt, daß nicht angenommen werden kann, dort seien Männer im Alter des Klägers von religiös motivierten Übergriffen muslimischer Türken betroffen und diesen Verfolgungsmaßnahmen schutzlos ausgesetzt. Der Kläger hat zwar in Istanbul keinen verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkt mehr, nachdem ein früher dort lebender Bruder seiner Ehefrau nach Norwegen ausgereist ist. Er verfügt aber - wie sich seinerzeit gezeigt hat - jedenfalls über ausreichende türkische Sprachkenntnisse, um sich in Istanbul zurechtzufinden. Außerdem ist er nach seinem Alter und seinem Gesundheitszustand arbeitsfähig und - mangels gegenteiliger Anhaltspunkte - offenbar auch arbeitswillig. Es ist überdies nicht auszuschließen, daß er erneut in der Kabelfabrik wird Arbeit finden können, in der er bereits von 1970 bis 1975 beschäftigt war, zumal er damals offenbar auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist und zumal er ersichtlich guten Kontakt zu seinem armenischen Arbeitgeber hatte, der ihm anläßlich der seinerzeitigen Entführung seiner Nichte Unterstützung zuteil werden ließ. Selbst wenn der Kläger nicht an seiner früheren Arbeitsstelle sollte unterkommen können, fehlen Anzeichen dafür, daß es ihm nicht wie anderen Rückkehrern oder Zuwanderern aus dem Tur'Abdin gelingen sollte, sich vor möglichen Übergriffen Andersgläubiger in Istanbul hinreichend zu schützen und insbesondere auch eine Beschäftigung zu finden, die es ihm ermöglicht, seinen Unterhaltsbedarf zu befriedigen. Er hat schließlich schon einmal über lange Zeit in Istanbul gelebt und gearbeitet und kann deshalb nicht als so unerfahren und ortsunkundig angesehen werden wie andere Christen, die unmittelbar aus dem Tur'Abdin nach Istanbul ziehen. Offenbar gibt es aus jüngerer Zeit keine Bezugsfälle, in denen männliche Christen in Istanbul ernsthaft an der Ausübung ihrer Religion gehindert worden sind oder aber eine ausreichende materielle Lebensgrundlage nicht erlangen konnten; jedenfalls sind die unsicheren Verhältnisse vor September 1980, die den Kläger letztlich zum Verlassen der Türkei bewogen haben, inzwischen so weit verbessert, daß für ihn nicht nur ein Leben "am Rande des Verderbens" (vgl. dazu BVerwG, 06.10.1987 - 9 C 13.87 -, EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57, u. Hess. VGH, 16.05.1988

- 12 UE 2571/85 -) gewährleistet ist. Den in Aussicht gestellten Bericht einer deutschen Reisegruppe, aus dem sich hiervon abweichende Erfahrungen ergeben sollten, hat der Kläger bis heute nicht vorgelegt. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger etwa jetzt noch Nachstellungen der Entführer seiner Nichte zu erwarten hätte, gegen die er staatlichen Schutz nicht in Anspruch nehmen könnte, sind nicht ersichtlich, zumal die Entführung nunmehr ca. 14 Jahre zurückliegt und die Nichte zwischenzeitlich ein Kind geboren und sich offenbar mit ihrem Schicksal abgefunden hat.

III.

Die Entscheidungen über die Kosten des Verfahrens und über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 Satz 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor; insbesondere rechtfertigt es nicht die Zulassung der Revision, daß der Senat von den Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtshöfe) abweicht, soweit er keine kollektive Verfolgung der christlichen Minderheit im Tur'Abdin für die Zeit vor 1980 verneint.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung angefochten werden. Die Beschwerde ist durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule einzulegen. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von der die Entscheidung abweicht, oder ein Verfahrensmangel bezeichnet werden, auf dem das Urteil beruhen kann (vgl. § 132 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und § 18 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968

- BGBl. I S. 661).

Die Revision ist auch ohne Zulassung statthaft, wenn einer der in § 133 VwGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird. In diesem Fall ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Revision muß die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Die Revisionsbegründung oder die Revision muß einen bestimmten Antrag enthalten, ferner die verletzte Rechtsnorm und die Tatsachen bezeichnen, die den gerügten Verfahrensmangel ergeben.

Beschwerde und Revision sind einzulegen bei dem

Hessischen Verwaltungsgerichtshof

Brüder-Grimm-Platz 1

3500 Kassel