Der 1946 in Istanbul geborene Kläger und die 1958 im Bezirk Diyarbakir geborene Klägerin sind Eheleute; sie sind türkische Staatsangehörige armenischer Volkszugehörigkeit und christlichen Glaubens. Der Kläger verließ die Türkei am 29. Mai 1978, hielt sich danach einige Zeit in Griechenland auf und reiste am 16. Juni 1978 mit einem bis zum 27. April 1980 gültigen Reisepaß in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Zu seinem Asylantrag erklärte er bei der Anhörung durch die Ausländerbehörde des Lahn-Dill-Kreises am 19. Juli 1978, er sei seit etwa zehn Jahren in Istanbul von Muslimen verfolgt worden, weil er Christ sei. Im Jahre 1968 sei sein Schneidergeschäft von Muslimen niedergebrannt worden; als er zur Polizei gegangen sei, habe man ihn dort rausgeworfen mit der Bemerkung, er habe als Christ nichts in der Türkei zu suchen. Nach dem Wiederaufbau seines Geschäfts sei er etwa 1970 von Muslimen ausgeraubt worden. Einen von drei Dieben habe er festhalten und zur Polizei bringen können. Die Polizei habe den Dieb und ihn geschlagen und den Dieb wieder freigelassen. Dem Dieb hätten die Polizisten Kaffee gegeben, ihm aber nicht. Vor etwa sechs Monaten sei sein Vater in einem Gasthaus von Muslimen mit einem Messer bedroht und verfolgt worden, weil er Christ sei. In seiner christlichen Kirche in Istanbul habe er als Meßdiener des Priesters gedient. Die Kirche habe einen Brief erhalten, in dem für den 28. Mai 1978 ein Bombenattentat angedroht worden sei, falls die Christen nicht die Türkei verließen.
Bei der Anhörung im Vorprüfungsverfahren erklärte der Kläger am 20. Juli 1979, Ende des Jahres 1977 habe seine Gemeinde einen anonymen Brief mit der Androhung eines Bombenattentats für das Weihnachtsfest 1977 erhalten; es sei jedoch nichts passiert. Als der Pfarrer sich an die Polizei gewandt habe, sei er abgewiesen worden. Im Februar 1978 habe er von einem Muslimen eine Maschine für sein Geschäft gekauft. Kurz nach dem Kauf sei die Polizei in seinem Laden erschienen und habe die Maschine mit der Behauptung abgeholt, er habe die Maschine gestohlen. Als er die Kaufbelege (Rechnung und Quittung) vorgelegt habe, seien ihm auch diese abgenommen worden. Daraufhin habe er die Türkei verlassen. Zunächst habe er sich nach Griechenland begeben, wo sich seinerzeit seine Schwester aufgehalten habe, die dort erfolglos um Asyl nachgesucht habe. Seine Ehefrau, die Klägerin, sei ihm zusammen mit der gemeinsamen Tochter am 10. März 1979 ins Bundesgebiet nachgefolgt; ihre Asylgründe entsprächen den seinen; deshalb erübrige sich eine "nochmalige Ladung für sie".
Mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 5. Mai 1980 wurden die Anträge des Klägers und der Klägerin sowie deren gemeinsamer Tochter R. abgelehnt, weil in der Türkei weder von einer steigenden Islamisierung mit der Folge fanatischer Ausschreitungen gegen Andersgläubige noch von einer gezielten staatlichen Verfolgung gegen die Angehörigen religiöser Minderheiten gesprochen werden könne. Gegen gelegentliche Übergriffe der muslimischen Bevölkerung werde den Angehörigen der christlichen Minderheit vor allem in den größeren Städten wie Ankara, Izmir und Istanbul Schutz zuteil. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, daß Angehörigen des christlichen Glaubens in der Türkei allgemein wegen ihrer Religionszugehörigkeit asylerhebliche Verfolgung oder eine Gefährdung oder Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz drohten.
Gegen diesen dem Kläger am 17. Februar 1981 persönlich ausgehändigten Bescheid erhoben der Kläger und die Klägerin am 18. Februar 1981 Klage und machten dazu geltend, in der Türkei finde eine Kollektivverfolgung assyrischer Christen statt. Bei der informatorischen Anhörung durch das Verwaltungsgericht erklärte der Kläger zusätzlich, er habe inzwischen erfahren, daß sein Vater im Juli 1979 in Istanbul von Muslimen getötet worden sei. Sein Vater sei auf dem Bürgersteig von einem Linienbus angefahren worden und dort vier oder fünf Stunden liegengeblieben; als ihn sein Cousin später in einem Krankenhaus wiedergefunden habe, habe er bereits im Koma gelegen. Das Schneidergeschäft habe praktisch noch bis zum Tode des Vaters bestanden, es habe aber niemand mehr etwas mit dem Geschäft anfangen können. Es sei alles gestohlen worden. Seine Mutter lebe noch in Istanbul und bestreite ihren Lebensunterhalt aus den Mieteinnahmen eines dreistöckigen Hauses. Bei seinem Vater sei ein Unfall nur vorgetäuscht worden; er sei ja schließlich auf dem Bürgersteig gegangen, und außerdem sei der Busfahrer nicht bestraft worden. Schon während seiner Militärzeit in der Zeit zwischen 1966 und 1968 habe er daran gedacht, die Türkei zu verlassen. Nach seinem Militärdienst habe er sich in der armenischen Kirche in Istanbul etwa acht oder zehn Jahre lang als Meßdiener betätigt. Beim Militär habe er aus Angst nicht seinen christlichen Vornamen O. genannt, sondern den türkischen Vornamen O. angegeben. Er selbst habe sieben Jahre lang die Grundschule und anschließend ein Jahr lang die Berufsschule besucht. Bei der Grundschule habe es sich um eine katholische Privatschule mit ausschließlich christlichen Schülern und Lehrern gehandelt. In der türkischen Berufsschule sei er einmal durchgefallen, weil er Christ sei. Die Klägerin erklärte, sie sei mit ihrer Familie im Alter von etwa 14 oder 15 Jahren aus dem Bezirk Diyarbakir nach Istanbul gezogen, weil sie dort Verfolgungen ausgesetzt gewesen seien. Sie sei Analphabetin; eine Schule habe sie nicht besucht, weil sie das als Christin nicht gedurft habe. In Istanbul habe sie den Kläger kennengelernt und ihrer Erinnerung nach im Jahre 1974 geheiratet. Sie sei zunächst allein nach Istanbul zu einem Onkel gereist, der ihr eine Stelle als Arbeiterin in einer Fabrik besorgt habe. Ihre Geschwister seien später nachgefolgt. Ihre Eltern lebten noch in ihrem Heimatort in Ostanatolien. Die dort herrschenden Agas erlaubten ihren Eltern nicht die Ausreise. In Istanbul habe sie immer in Begleitung eines Sohnes ihres Onkels zur Arbeit gehen müssen; sie habe sich nicht allein auf die Straße getraut.
Die Kläger beantragten,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 5. Mai 1980 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte unter Bezugnahme auf die Begründung des angegriffenen Bescheids,
die Klagen abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht gab den Klagen mit Urteil vom 19. November 1984 statt und verpflichtete die Beklagte zur Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte, weil diese politisch Verfolgte im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG seien. Die Kläger gehörten als Armenier und Mitglieder der armenisch-apostolischen Kirche einer in der Türkei verfolgten religiösen und ethnischen Minderheit an und seien vor ihrer Ausreise selbst konkret Opfer von Verfolgungsmaßnahmen geworden, so daß ihnen eine Rückkehr in ihre Heimat nicht zugemutet werden könne. Die Armenier genössen zwar im Gegensatz zu den syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei gewisse Minderheitenrechte; die Praxis des türkischen Staates solle aber darauf abzielen, diese ohnehin schmalen Minderheitenrechte mehr und mehr auszuhöhlen und zu unterlaufen. Trotz einiger Zweifel sei die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß die Kläger ihre Heimat hätten verlassen müssen, weil sie dort als Armenier apostolischen Glaubens verfolgt worden seien. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei ihnen eine Rückkehr in ihre Heimat nicht zuzumuten, da eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat gegen dieses ihm am 4. Februar 1985 zugestellte Urteil am 28. Februar 1985 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, armenische Christen seien in Istanbul schon in der Zeit vor dem Militärputsch keiner asylrechtlich relevanten Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen und die Kläger seien auch nicht aufgrund glaubhafter individueller Verfolgung als Vorverfolgte anzusehen. Für die Zukunft hätten sie keine Verfolgung zu befürchten, da sich die allgemeine Sicherheitslage seit September 1980 erheblich verbessert habe und dies auch den christlichen Minderheiten in Istanbul zugute komme.
Der Bundesbeauftragte beantragt,
die Klagen unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zu der Berufung keinen Antrag gestellt.
Aufgrund des Beschlusses des Senats vom 22. Februar 1988 ist über die Asylgründe der Kläger Beweis erhoben worden durch deren Vernehmung als Beteiligte; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über den Termin zur Beweisaufnahme vor dem Vorsitzenden als Berichterstatter vom 8. März 1988 verwiesen.
Alle Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt, der die Kläger und die Mutter des Klägers betreffenden Gerichtsakten (VG Wiesbaden X/1 E 5765/81 = Hess. VGH 12 UE 433/85 und VG Wiesbaden VIII E 5249/86) und Behördenakten der Beklagten (Tür-U-3415 und 163-12695-86) sowie der nachfolgend aufgeführten Gutachten, Auskünfte und anderen Unterlagen über die Lage der armenischen Christen in der Türkei, die den Beteiligten mit Schreiben vom 10. März und 4. Oktober 1988 zur Kenntnis gegeben worden sind.
1. April 1978 mrg-report: "The Armenians"
2. Dez. 1978 Yonan: "Assyrer heute"
3. 11.04.1979 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
4. Mai/Juni pogrom Nr. 64: "Verfolgte christliche Minderheiten in der Türkei" u.a. 1979
5. 07.08.1979 Dr. Harb-Anschütz an Bay. VGH
6. 12.11.1979 epd-Dokumentation Nr. 49/79: "Christliche Minderheiten aus der Türkei"
7. Nov. 1979 Ev. Akademie Bad Boll, Materialdienst 2/80: "Christen aus der Türkei suchen Asyl"
8. Mai 1980 pogrom Nr. 72/73: "Armenier geraten zwischen die Fronten" u.a.
9. 31.07.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
10. 15.10.1980 Carragher an Bay. VGH
11. 09.04.1981 Msgr. Wilschowitz: "Die Situation der christlichen Minderheiten in der Türkei"
12. 29.04.1981 Reisebericht einer schwedisch-norwegischen Reisegruppe
13. 02.05.1981 Dr. Hofmann: "Zur Lage der Armenier in Istanbul/Konstantinopel"
14. 06.07.1981 Staatssekretär von Staden (BT-Drs. 9/650)
15. 20.07.1981 Int. Gesellschaft für Menschenrecht - IGFM - an VG Wiesbaden
16. 22.07.1981 Vocke an VG Karlsruhe
17. 04.08.1981 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
18. 24.09.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
19. Okt./Nov. pogrom Nr. 85, S. 23 ff. 1981
20. 24.11.1981 RA Wiskandt an Bundesamt: "Situation der Christen in der Türkei"
21. 03.02.1982 Auswärtiges Amt an VG Minden
22. 06.02.1982 Höhler in FR: "Blutspur durch ein ganzes Jahrhundert"
23. 26.03.1982 Auswärtiges Amt an VG Trier
24. 19.04.1982 Carragher zum Gutachten Wiskandt
25. 28.04.1982 Dr. Hofmann zum Gutachten Wiskandt
26. 06.05.1982 Diakonisches Werk EKD zum Gutachten Wiskandt
27. Juni 1982 CCMWE: "The Situation of the Christian Minorities of Turkey ... "
28. 26.07.1982 Sürjanni Kadim an VG Minden
29. 17.08.1982 Dr. Harb-Anschütz an VG Minden
30. 18.10.1982 Auswärtiges Amt an VG Stade
31. 1983 Kraft in "Christ in der Gegenwart": "Fremde und Außenseiter"
32. 28.02.1983 RA Müller: "Zur Lage der Christen in der Türkei"
33. 04.03.1983 Pfarrer Weber: "Christen aus der Türkei suchen Asyl"
34. Mai 1983 Ev. Akademie Bad Boll, Protokolldienst 27/83: "Studienfahrt in die Türkei"
35. 12.12.1983 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
36. 12.06.1984 epd Dokumentation Nr. 26/84: "Die Lage der christlichen Minderheiten in der Türkei..."
37. 26.06.1984 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
38. 11.09.1984 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
39. 14.09.1984 Dr. Oehring an VG Minden
40. 09.11.1984 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
41. 03.12.1984 RA. Müller, RA. Wiskandt, Dr. Oehring und Erzbischof Cicek als sachverständige Zeugen vor dem Bay. VGH
42. 04.02.1985 Dr. Hofmann an VG Stuttgart
43. 17.03.1985 Prof. Dr. Wießner an VG Stuttgart
44. 12.04.1985 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
45. 07.05.1985 Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg
46. 30.05.1985 Dr. Oehring an VG Gelsenkirchen
47. 22.06.1985 RA. Müller: "Reisebericht zur Lage der Christen in der Türkei"
48. 07.10.1985 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
49. März 1986 Schraps: "Auf der Suche nach dem verschwundenen Volk", GEO Nr. 3/1986, S. 112 ff.
50. 01.07.1986 EKD an VG Hamburg
51. 09.09.1986 Auswärtiges Amt an den Kreis Lippe
52. 14.10.1986 Prof. Dr. Wießner an VG Hamburg
53. 03.11.1986 amnesty international an VG Ansbach
54. 10.11.1986 Auswärtiges Amt an VG Hamburg
55. 03.12.1986 Auswärtiges Amt an VG Köln
56. 06.01.1987 Dr. Tasci vor VG Gelsenkirchen
57. 12.01.1987 Dr. Franz an VG Köln
58. 17.01.1987 Dr. Hofmann an VG Köln
59. 19.01.1987 Schraps an VG Köln
60. 27.03.1987 Dr. Oehring an VG Köln
61. 01.06.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
62. 24.06.1987 FR: "Türken, Kurden und Armenier"
63. 09.10.1987 EKD an RA. König
64. 18.12.1987 Auswärtiges Amt an OVG Bremen
65. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, Bd. 2, 1981, S. 606 ff.: "Armenien" u.a.
I. Über die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO).
II.
Die Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 124, 125 VwGO). und auch sonst zulässig. Sie ist nämlich vom Verwaltungsgericht zugelassen worden (§ 32 Abs. 1 AsylVfG und der Bundesbeauftragte war zur Einlegung der Berufung ungeachtet dessen befugt, daß er sich am erstinstanzlichen Verfahren weder durch einen Antrag noch sonst beteiligt hatte (§ 5 Abs. 2 AsylVfG BVerwG, 11.3.1983 - 9 B 2597.82 -, BVerwGE 67, 64 = NVwZ 1983, 413; Hess. VGH, 11.8.1981 - X OE 649/81 -, ESVGH 31, 268).
III.
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Asylverpflichtungsklagen des Klägers und der Klägerin zu Unrecht stattgegeben. Die Klagen waren zwar zulässig, und mit der wirksamen Klageerhebung durch die Klägerin war auch von ihr wirksam die Asylanerkennung beantragt, obwohl sie zuvor einen dahingehenden förmlichen Antrag nicht gestellt hatte (vgl. dazu Hess. VGH, 4.7.1988 - 12 UE 25/86 -). Die Kläger können aber von der Beklagten die Anerkennung als Asylberechtigte nach der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung maßgeblichen Rechts- und Sachlage nicht beanspruchen, weil sie keine politisch Verfolgten sind (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG).
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt; insoweit kommt es entscheidend auf die Motive für die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen an (BVerwG, 17.5.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5; BVerwG, 17.5. 1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184; BVerwG, 8.11.1983 - 9 C 93.83 -, BVerwGE 67, 171 = EZAR 200 Nr. 9; BVerwG, 26.6.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8; BVerwG, 15.3. 1988 - 9 C 278.86 -, EZAR 201 Nr. 13 = JZ 1988, 709). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 2.7.1980, a.a.O.; BVerfG, 1.7.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 18.2.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Asylerhebliche Bedeutung haben nicht nur unmittelbare Verfolgungsmaßnahmen des Staats; dieser muß sich vielmehr auch Übergriffe nichtstaatlicher Personen und Gruppen - als mittelbare staatliche Verfolgungsmaßnahmen - zurechnen lassen, wenn er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit den Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, der allerdings nicht lückenlos zu sein braucht (BVerfG, 2.7.1980, a.a.O.; BVerwG, 2.8.1983 - 9 C 818.81 -, BVerwGE 67, 317 = EZAR 202 Nr. 1; BVerwG, 3.12.1985 - 9 C 33.85 -, BVerwGE 72, 269 = EZAR 202 Nr. 5; BVerwG, 22.4.1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8). Asylrelevante politische Verfolgung - und zwar sowohl unmittelbar staatlicher als auch mittelbar staatlicher Art - kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppen von Menschen richten mit der regelmäßigen Folge, daß jedes Gruppenmitglied als von dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 2.7.1980, a.a.O.; BVerwG, 2.8.1983 - 9 C 818.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1; BVerwG, 30.10.1984 - 9 C 24.84 -, BVerwGE 70, 323 = EZAR 202 Nr. 3; BVerwG 18.2. 1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7; BVerwG, 23.2. 1988 - 9 C 85.87 -, EZAR 202 Nr. 13). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muß (BVerwG, 31.3.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl 1981, 1096; BVerwG, 3.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 2.7.1980, a.a.O.; BVerwG, 27.4.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250 = EZAR 200 Nr. 7).
Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen (BVerwG, 8.5. 1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36; BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79; BVerwG, 23.2.1988 - 9 C 23.87 -, EZAR 630 Nr. 25) und insbesondere auch eine politische Motivation der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (BVerwG, 22.3.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG; BVerwG, 18.10.1983 - 9 C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, BVerwGE 55, 82 = EZAR 201 Nr. 3; BVerwG, 16.4.1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 = EZAR 630 Nr. 17; BVerwG, 12.11.1985, a.a.O.).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der Angaben und Aussagen des Klägers und der Klägerin sowie des Inhalts der beigezogenen Akten und der in das Verfahren eingeführten schriftlichen Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, daß die Kläger nicht schon aufgrund innerstaatlich geltender völkerrechtlicher Vereinbarungen als Asylberechtigte anzuerkennen sind (1.), daß sie vor ihrer Ausreise aus der Türkei weder als Mitglied der Gruppe der armenischen Christen (3.) noch persönlich (4.) von politischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren und daß sie auch bei einer Rückkehr eine derartige Verfolgung nicht zu befürchten haben (5. und 6.).
1. Die Kläger sind zwar ihren glaubhaften Angaben zufolge armenische Christen; sie können aber ihre Anerkennung als Asylberechtigte nicht schon aufgrund des Arrangements zugunsten armenischer Flüchtlinge vom 12. Mai 1926 (zit. nach Kimminich, Der internationale Rechtsstatus des Flüchtlings, 1962, S. 220 f.) erreichen. Da der Kläger 1946 und die Klägerin 1958 geboren sind und sie erst im Jahre 1978 bzw. 1979 die Türkei verlassen haben, kann nämlich die genannte Vereinbarung auf sie nicht angewandt werden. Deshalb kann hier wie in anderen Fällen offengelassen werden, ob dem durch die genannte Vereinbarung geschützten Personenkreis überhaupt noch ein Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Asylgewährung in anderer Form zusteht, nachdem das Asylverfahrensgesetz die in § 28 AuslG enthaltene Bezugnahme auf Art. 1 GK und die dort in Abschnitt A Nr. 1 enthaltene Verweisung auf die erwähnte Vereinbarung ersatzlos beseitigt hat und eine Asylanerkennung nunmehr allein an die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG knüpft (BVerwG, 17.5.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5; Hess. VGH, ständige Rechtsprechung seit 11.8.1981, a.a.O.; vgl. dazu auch Berberich, ZAR 1985, 30, und Köfner/Nicolaus, ZAR 1986, 11).
2. Der Senat legt bei seiner Entscheidung der Beurteilung der Lage der Christen in der Türkei im allgemeinen und der armenischen Glaubensgemeinschaften im besonderen sowie des Verhältnisses dieser Christen zu anderen dort lebenden religiösen und ethnischen Gruppen die nachfolgend anhand der ihm vorliegenden schriftlichen Unterlagen (im folgenden nur noch mit der entsprechenden Nummer der Liste von S. 7 ff. bezeichnet) auszugsweise dargestellte historische Entwicklung der christlichen Siedlungsgemeinschaften im Nahen Osten zugrunde (vgl. allgemein zur Geschichte die Unterlagen 49. und 65. sowie Kimminich, a.a.O.; S. 206 ff.).
Während die Anhänger der syrischen Kirchen ursprünglich im mesopotamischen Raum siedelten, stammen die Armenier, ein thrakophrygisches Volk, aus dem Kaukasus. Im 7. Jh. v. Chr. wanderten sie von Westen her in das Hochland von Armenien ein, das heute zur Türkei, zum Iran und zur UdSSR gehört. Das von ihnen gebildete Reich blieb unter medischer und persischer Oberhoheit und geriet später zunächst unter griechischen und dann unter römischen Einfluß. Im Jahre 387 wurde es zwischen Rom und Persien geteilt und geriet schließlich nach einer wechselvollen Geschichte zwischen Unabhängigkeit, Unterwerfung und Zerfall Ende des 14. Jh. an das Osmanische Reich. Nachdem schon im 18. Jh. Teile Armeniens von Rußland und Persien besetzt worden waren, fielen im 19. Jh. nacheinander verschiedene persische und türkische Gebiete Armeniens (u. a. Jerewan, Karabach, Kars und Ardahan) an Rußland. Die im Mai 1918 proklamierte unabhängige Republik Armenien mit der Hauptstadt Eriwan sollte nach dem am 10. August 1920 unterzeichneten Friedensvertrag von Sevres mit dem türkischen Teil Armeniens vereinigt werden, wurde aber bereits 1920 von sowjetischen und türkischen Truppen besetzt und fand seitdem auch keine Unterstützung mehr durch den Völkerbund. Aufgrund des Friedensvertrags von Lausanne von 1923 fielen die Gebiete um Kars und Ardahan an die Türkei und das übrige Armenien an die Sowjetunion.
Die christliche Religion der Armenier geht nach deren Überlieferung auf die Apostel Thaddäus und Bartholomäus zurück. Nachdem König Tiridates III. Ende des 3. Jh. von Gregor dem Erleuchteten zum Christentum bekehrt worden war, wurde der christliche Glaube zur Staatsreligion Armeniens erhoben. Nach dem Konzil von Chalkedon im Jahre 451 kam es mit einer größeren zeitlichen Verzögerung zum Bruch mit der römischen Kirche, da die armenische Kirche die monophysitische Lehre beibehielt. Im Jahre 1439 kam es zu einer Union eines Teils der armenischen Christen mit Rom, und 1830 konnte Rom ein armenisches Patriarchat errichten, dessen Sitz sich heute in Beirut befindet. In Istanbul gibt es jetzt ein armenisch-katholisches Erzbistum. Die zahlenmäßig weitaus stärkeren orthodoxen Armenier besitzen ein allein für die Türkei zuständiges armenisch-apostolisches Patriarchat in Istanbul, das 1461 gegründet wurde, und außerdem seit 1311 ein Patriarchat in Jerusalem. Schließlich existiert in der Türkei eine kleine armenisch-protestantische Gemeinde, die erst im 19. Jh. unter dem Einfluß der amerikanischen Mission entstanden ist.
Die armenische Sprache ist indogermanischen Ursprungs. Im Jahre 407 wurde erstmals ein altarmenisches Alphabet geschaffen, und im 19. Jh. entwickelten sich die beiden Schriftsprachen des Westarmenischen, das auf den Dialekt von Konstantinopel zurückgeht, und des Ostarmenischen, das auf dem Araratdialekt beruht und vor allem in der Sowjetunion, im Iran und in Indien gesprochen wird.
Allgemein erlebten die christlichen Kirchen im Osmanischen Reich vom Ende des 15. Jh. an eine vergleichsweise friedliche und gesicherte Periode, in der sie als nichtmuslimische Völkerschaften - als Millat - auch ihr Personal- und Familienrecht nach eigenem Rechtsstatut regeln konnten. Zu Beginn des 19. Jh. lebten Armenier außer in Rußland (vor allem im Gebiet der heutigen Armenischen Sowjetrepublik) im gesamten Gebiet der heutigen Türkei und bildeten dort eine Minderheit angesehener Mittelschichtbürger mit deutlich überdurchschnittlichem Lebensstandard. Während der im 19. Jh. zur Stabilisierung des Osmanischen Reichs eingeleiteten Reformbewegungen kam es aber sodann etwa nach der Seeschlacht von Navarino 1827 zu einer Verfolgung von Armeniern. Nachdem seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine rege Missionstätigkeit christlicher Religionsgesellschaften aus Amerika, England und Frankreich dazu beigetragen hatte, die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung der Christen im Nahen Osten zu heben und gleichzeitig deren politisches Bewußtsein zu fördern, reagierte das Osmanische Reich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auf Unabhängigkeitsbestrebungen der Christen mit dem Einsatz kurdischer Söldnertruppen, und dabei kam es dann häufig zu Morden, Plünderungen und Hungersnöten (2., Seite 17 f.). Für das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich war oft bestimmend, daß sie sich bei ihrem Kampf um die Bewahrung ihrer Identität um die Unterstützung ausländischer Mächte bemühten, so etwa um die Rußlands. Als zwischen 1894 und 1896 unter der Herrschaft des Sultans Abdul Hamid etwa 300.000 Armenier (1., S. 6; 8. S. 10, 22.; die Angabe von 20.000 in 6., S. 14, beruht wohl auf einem Schreibfehler) umgebracht wurden, griffen die Großmächte Großbritannien und Frankreich trotz einer auf dem Berliner Kongreß von 1878 ausgesprochenen Schutzverpflichtung im Hinblick auf die Alliance der Armenier mit Rußland nicht ein. Im Zuge der Machtübernahme durch die Jungtürken wurden im Jahr 1909 etwa 20.000 bis 30.000 Armenier in Adana getötet (1., S. 7; 6., S. 14; 8., S. 11). Schließlich fanden während des Ersten Weltkriegs unter den Christen zahlreiche Massaker statt, die insgesamt über drei Millionen Tote gefordert haben sollen, davon über 1,5 Millionen Armenier (1., S. 8; 6., S. 14 f.; 8., S. 11 f.; 22.); für sie werden zumindest auch die Alliance der Christen mit England und Rußland und die Kriegserklärung des damaligen Patriarchen Benjamin XXI. an die Türkei im Mai 1915 verantwortlich gemacht. Zwischen Februar und November 1915 sollen 600.000 bis 1 Million Menschen niedergemetzelt und ebensoviele vertrieben worden sein mit der Folge, daß auch von ihnen nur wenige Folter, Vergewaltigungen, Hunger und Krankheit überlebt haben dürften (6., S. 14 f.; 8., S. 11 f.).
Die gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jh. gegen die Armenier gerichteten Verfolgungsmaßnahmen sind nach Ursachen und Ausmaß im einzelnen umstritten, die Tatsache der Verfolgung ist aber letztlich durch die oben genannte Vereinbarung vom 12. Mai 1926 bestätigt worden, die internationale Hilfsmaßnahmen zugunsten armenischer Flüchtlinge vorsah. Es mag im einzelnen Streit darüber herrschen, welche Bedeutung das christliche Bekenntnis der verschiedenen Gruppen der Christen für ihr jeweiliges Schicksal in der Vergangenheit im einzelnen hatte, welche Rolle politische und militärische Interessen fremder Großmächte gespielt haben und ob und in welchem Maße sich etwa bei Armeniern, Griechen oder Syrisch-Orthodoxen ein eigenes Nationalbewußtsein entwickeln konnte (vgl. dazu: 1., S. 3 f.; 2. S. 12 ff.; 6., S. 1 ff.; 20., S. 6 ff.). Die Situation der Christen in der Türkei ist jedenfalls seit langem geprägt von ihrer bis in die Anfänge des Christentums zurückreichenden religiösen und kirchlichen Tradition, von den ethnischen und sprachlichen Besonderheiten der einzelnen Gruppen und von einem mehr und mehr hoffnungslos erscheinenden Überlebenskampf in einer mehrheitlich türkischen/ muslimischen Umwelt, der angesichts der leidvollen historischen Erfahrungen als besonders bedrückend empfunden wird. Während die Christen Ende des 19. Jh. noch etwa 30 % der Untertanen des Osmanischen Reichs ausmachten, stellen sie nunmehr in der Türkei mit schätzungsweise kaum noch 100.000 Menschen nur eine äußerst kleine Minderheit der Gesamtbevölkerung von 43 Millionen (zu den Zahlenangaben und im übrigen vgl.: 1., S. 5 ff.; 3.; 4., S. 41 ff.; 6., S. 5; 7., S. 5; 20., S. 8, 14 ff.). Von den Armeniern lebt heute ein großer Teil, nämlich über drei Millionen, in der Sowjetunion und dort zum größten Teil in der Armenischen Sowjetrepublik (1., S. 11; 22.). In der Türkei bilden die Armenier die stärkste christliche Minderheitengruppe. Verläßliche offizielle Erhebungen über die Anzahl der in der Türkei lebenden armenischen Christen existieren nicht; die Angaben kirchlicher Stellen und die Schätzungen von Sachverständigen gehen auseinander, im allgemeinen wird jedoch für die ausgehenden 70er Jahre eine Gesamtzahl von etwa 70.000 und für Mitte der 80er Jahre von allenfalls 50.000 Armeniern angenommen, wobei die weitaus meisten von ihnen in Istanbul leben (2.; 4., S. 43; 6., S. 43; 7., S. 14; 9.; 13.; 22.; 44.; 55.; 57.; 58.; 60.). In Istanbul gehören die Armenier - meistens armenisch-orthodoxen Glaubens - im Unterschied zu den Syrisch-Orthodoxen zu der sozial und wirtschaftlich bessergestellten Mittel- und Oberschicht; sie wohnen teilweise in geschlossenen Straßenzügen zusammen, verfügen über etwa 30 Kirchen und jetzt noch über 20 Schulen und einige Sozialeinrichtungen wie ein Krankenhaus und zwei Waisenhäuser und geben zwei eigene Zeitungen heraus (4., S. 43; 7., S. 14; 13.; 44.; 55.; 57.). Zuweilen waren die armenischen Kirchen und ihre Anhänger bei der Errichtung und beim Betrieb von Schulen und karitativen Einrichtungen sowie bei der Verwaltung von Kirchenvermögen und beim Bau und der Erhaltung von Kirchen von Einschränkungen betroffen, die teils als schikanös empfunden wurden (3.; 4., S. 43; 6., S. 44 f.; 7.; 8., S. 33 ff.; 13.; 20., S. 46 f.; 27., S. 11 ff.; 36., S. 12 f.; 55.; 57.; 58.; 60.).
3. Auf dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung kann nicht festgestellt werden, daß die Armenier in der Türkei und insbesondere in Istanbul in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise der Kläger aus der Türkei unter einer religiös motivierten Gruppenverfolgung zu leiden hatten; dies gilt sowohl hinsichtlich einer unmittelbaren staatlichen Verfolgung als auch hinsichtlich einer vom türkischen Staat gebilligten oder geduldeten Verfolgung durch andere Volksgruppen (ebenso: Hess. VGH, 1.4.1982 -X OE 1293/81 - und 3.6.1982 - X OE 728/81 -; OVG Lüneburg, 25.8.1986 - 11 OVG A 361/81 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 21.12.1982 - 18 A 10490/82 - und 27.1.1987 - 18 A 10136/85 -; OVG Rheinland-Pfalz, 1.4.1987 - 13 A 20/87 -). Bei der Frage nach einer religiösen oder religiös motivierten Gruppenverfolgung ist allgemein zu beachten, daß eine aus Gründen der Religion stattfindende Verfolgung nur dann asylerheblich ist, wenn die Beeinträchtigungen der Freiheit der religiösen Betätigung nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen (BVerfG, 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 <357> = EZAR 200 Nr. 1). Es muß sich um Maßnahmen handeln, die den Gläubigen als religiös geprägte Persönlichkeit ähnlich schwer treffen wie bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische Freiheit (BVerwG, 18.2.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7), indem sie ihn physisch vernichten, mit vergleichbar schweren Sanktionen bedrohen, seiner religiösen Identität berauben oder daran hindern, seinen Glauben im privaten Bereich und durch Gebet und Gottesdienst zu bekennen (BVerfG, 1.7.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20).
a) Aus den in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünften und anderen Erkenntnismitteln ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, daß der türkische Staat die armenischen Christen in der Türkei in diesem Sinne in dem hier maßgeblichen Zeitraum unmittelbar aus religiösen Gründen verfolgt hat.
Die christliche Minderheit der Armenier in der Türkei ist in drei Glaubensrichtungen organisiert, nämlich der armenisch-orthodoxen oder armenisch-apostolischen Gemeinde, der in Istanbul der Patriarch Shnork Kalustian vorsteht, der weitaus kleineren armenisch-katholischen Gemeinde mit einem Erzbischof in Istanbul und der zahlenmäßig noch unbedeutenderen armenisch-protestantischen Kirche (4., S. 43 ff.; 6., S. 5 und 11 ff.). Die armenischen Christen waren - und sind - von Verfassungs wegen ebenso wie die Angehörigen muslimischer und anderer nichtmuslimischer Glaubensgemeinschaften gegen Eingriffe in die Religionsfreiheit und gegen Diskriminierungen aus religiösen Gründen geschützt (Art. 19 der türkischen Verfassung von 1961, Art. 24 Abs. 2 der Verfassung vom 7.11.1982; 2., S. 2; 20., S. 23). Sie sind in den durch Art. 14 der Verfassung von 1982 gezogenen Grenzen frei, Gottesdienste, religiöse Zeremonien und Feiern abzuhalten (Art. 24 Abs. 2 dieser Verfassung). Sie werden seit jeher ebenso wie die Griechen und Juden - im Gegensatz zu den syrisch-orthodoxen Christen - in der Staatspraxis zu den nichtmuslimischen Minderheiten gerechnet, denen aufgrund der Art. 38 ff. des Friedensvertrags von Lausanne vom 24. Juli 1923 besondere Minderheitenrechte gewährleistet sind, so u. a. gemäß Art. 40 das Recht, auf eigene Kosten jegliche karitative, religiöse und soziale Institutionen, Schulen und andere Einrichtungen für Lehre und Erziehung mit dem Recht auf Gebrauch ihrer eigenen Sprache und freien Religionsausübung zu errichten, zu betreiben und zu kontrollieren (2., S. 112; 6., S. 57 f.; 10., S. 15 f.; 45.). Dementsprechend unterhalten die armenischen Kirchengemeinden in Istanbul, wie oben ausgeführt, für ihre Gemeindemitglieder eine offenbar ausreichende Anzahl von Kirchen, Schulen und Sozialeinrichtungen. Die armenischen Christen werden nach alledem ebensowenig wie andere christliche Glaubensgemeinschaften staatlicherseits unmittelbar an der Ausübung ihrer Religion gehindert. Sie können insbesondere in Istanbul in den von ihnen unterhaltenen Kirchen Gottesdienst nach ihrer Liturgie feiern und ihren Glauben praktizieren. Darüber hinaus sind sie berechtigt und auch tatsächlich dazu in der Lage, ihre Kinder in eigenen Schulen ausbilden zu lassen, in denen sowohl die armenische Sprache gelehrt als auch christlicher Religionsunterricht erteilt wird.
Obwohl die religiöse Unterweisung und die Religionsausübung danach weder offen behindert noch gar untersagt sind, sind zahlreiche administrative Schwierigkeiten festzustellen, die die armenischen Christen bei der Ausübung ihres Glaubens und der Pflege ihres Brauchtums empfindlich stören und auf Dauer gesehen das kirchliche und das religiöse Leben beeinträchtigen können. So ist ihnen beispielsweise der Bau neuer Kirchen verboten und die Erhaltung und Erneuerung älterer Gebäude erschwert (4., S. 31; 8., S. 35; 55, S. 2; 58., S. 5; 59., S. 6; 60., S. 4), und der Umfang des armenischen Sprachunterrichts ist von 20 auf vier Wochenstunden beschränkt worden (13., S. 2; 27., S. 14; 36., S. 12; 44., S. 3; 57., S. 5: nur drei; 58., S. 8 f.); zudem waren zumindest in der Vergangenheit noch einige andere Behinderungen der armenischen Kirchengemeinden in finanziellen Angelegenheiten, bei der kirchlichen Selbstverwaltung und im schulischen Bereich beanstandet worden (4., S. 30 ff.; 87., S. 34 ff.; 57.; 58.; 60.).
Die armenischen Christen werden auch in kultureller und beruflicher Hinsicht nicht in einer Weise diskriminiert, die als asylerheblicher Eingriff zu werten ist. Der Gebrauch der armenischen Sprache ist nicht verboten und wird, auch wenn Armenisch in der Öffentlichkeit gesprochen wird, nicht zum Anlaß für offene oder verdeckte staatliche Maßnahmen genommen (35.). Wenn ein Teil der insbesondere aus der Osttürkei zugewanderten Armenier in Istanbul die armenische Sprache nicht beherrscht, so ist dies nicht unmittelbar auf staatliche Restriktionen oder Repressionen zurückzuführen, sondern wohl eher auf eine Vernachlässigung der Weitergabe der armenischen Sprache innerhalb der Volksgruppe selbst (44.). Wenn der türkische Staat keine besonderen Anstrengungen unternimmt, derartige sprachliche Defizite auszugleichen, kann dies nicht als asylrechtlich relevanter Eingriff in die kulturelle oder religiöse Identität angesehen werden. Er hat zwar teilweise zu verhindern versucht, daß armenische Kinder, die im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms des armenisch-orthodoxen Patriarchats aus der Osttürkei nach Istanbul gelangten, dort im armenischen Geist erzogen und ausgebildet wurden (13.; 25.); dies läßt aber ebenfalls nicht auf einen gezielten staatlichen Eingriff in die Religionsfreiheit der Armenier schließen, zumal die insoweit aufgetretenen Schwierigkeiten vorübergehender Art waren und sich in den letzten Jahren nicht wiederholt haben. Schließlich läßt sich auch aus den Beschränkungen beim Aufstieg in der Offizierslaufbahn und in höhere staatliche Stellungen (3., S. 2; 44., S. 2, 4; 58., S. 3; 60., S. 3) ein Anzeichen für eine unmittelbare staatliche Beeinträchtigung der Religionsfreiheit der Armenier nicht herleiten.
Ebenso verhält es sich mit der Gestaltung des Religionsunterrichts an den staatlichen Schulen, die von armenischen Schülern besucht werden müssen, wenn sie nicht eine armenische Schule erreichen können. Insoweit neigt der Senat allerdings grundsätzlich zu einer anderen Betrachtung als das Bundesverwaltungsgericht, das annimmt, ein islamischer Pflichtunterricht beeinträchtige die Religionsfreiheit andersgläubiger Kinder nicht (BVerwG, 14.5.1987 - 9 B 149.87 -, EZAR 202 Nr. 9 = DVBl 1987, 1113). Religionsunterricht, der gegen den Willen der Kinder oder der insoweit erziehungsberechtigten Eltern erteilt wird, kann den Beginn einer Zwangsbekehrung bedeuten, stellt doch die religiöse Unterweisung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen unverzichtbaren, weil lebenswichtigen Teil der Religionsfreiheit dar. Denn ohne die Weitergabe religiösen Wissens und religiöser Überzeugungen vermag weder der einzelne Gläubige noch die Glaubensgemeinschaft auf Dauer zu bestehen. Neben der Verkündigung des Glaubens während des kirchlichen Gottesdienstes spielt hierbei vor allem der Religionsunterricht für Kinder eine ausschlaggebende Rolle. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß die Vorschriften des Art. 24 der türkischen Verfassung von 1982 vorsehen, daß niemand gezwungen werden darf, an Gottesdiensten, religiösen Zeremonien und Feiern teilzunehmen oder seine religiöse Anschauung und seine religiösen Überzeugungen zu offenbaren (Abs. 3), und daß die Religions- und Sittenerziehung und -lehre unter der Aufsicht und Kontrolle des Staats durchgeführt werden und religiöse Kultur und Sittenlehre in den Grund- und Mittelschulanstalten zu den Pflichtfächern gehören (Abs. 4). Auf der Grundlage dieser Verfassungsbestimmung ist in den letzten Jahren der Religionsunterricht als Pflichtfach an türkischen Schulen eingeführt worden; ob und in welcher Weise daraufhin christliche Schüler zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht gezwungen worden sind, war anfangs zweifelhaft, ist aber inzwischen aufgeklärt. Das Auswärtige Amt hat zunächst berichtet, christliche Schüler nähmen nicht am islamischen Religionsunterricht teil (21.), sondern erhielten eine christliche Unterweisung; in Einzelfällen hätten Schulleiter allerdings gegen einen entsprechenden Runderlaß des Erziehungsministeriums verstoßen (38.). Nunmehr hat das Auswärtige Amt unter Bezugnahme auf einen Erlaß des Ministeriums für nationale Erziehung, Jugend und Sport vom 20. Oktober 1986 Nr. 2219 die Auskunft erteilt, daß christliche Schüler im Fach "Religionslehre und Grundsätze der Ethik" nicht dazu verpflichtet seien, das islamische Glaubensbekenntnis, die islamische Einleitungsformel Amentü, die Koranverse und das islamische Ritualgebet Namaz zu lernen und Kenntnisse über Namaz, Ramadan, die Regeln der islamischen Jahresspenden und das Pilgern nach Mekka zu erwerben; allerdings habe man Kenntnis erlangt von Diskriminierungen in der Praxis und davon, daß manche Schüler lieber an den islamischen Gebeten teilnähmen, bevor sie dauernd einer demütigenden Behandlung ausgesetzt seien (61.). Anderen Auskünften zufolge soll der sog. Ethik- und Moralunterricht in den frühen 70er Jahren weitgehend laizistisch und wertneutral gewesen sein, inzwischen aber immer mehr islamisiert und zu einem Neben-Religionsunterricht ausgebaut worden sein (39.). Die jetzige Ausgestaltung des staatlichen Religions- und Ethikunterrichts führe insofern zu einer Benachteiligung der christlichen Minderheiten, als ein Äquivalent für die nichtmuslimischen Schüler nicht angeboten werde (50.). Die Annahme, es sei nunmehr ein islamischer Religionsunterricht als Pflichtfach eingeführt und damit auch für christliche Schüler verbindlich (50., 52.), erscheint indes nicht gerechtfertigt. Die in deutscher Übersetzung vorliegenden Richtlinien (Anlage zu 61.) bestimmen eindeutig, daß der Grundsatz des Laizismus während des Ausbildungsprogramms "Religionslehre und Grundsätze der Ethik" immer zu beachten und zu schützen ist und niemand zu religiösen Handlungen gezwungen werden darf. Außerdem ist bestimmt, daß, wenn den Kindern die "nationale Moral gelehrt wird", nicht unter den Religionen unterschieden wird, um den Kindern später die Anpassung an die Gesellschaft zu erleichtern. Insgesamt kommt zwar in den Richtlinien deutlich zum Ausdruck, daß der Islam die Religion der Türkei und Mohammed ein Vorbild für die Türken sein soll. Die nach dem Verfassungsgrundsatz des Laizismus gebotene Distanz des türkischen Staats gegenüber der islamischen Religion äußert sich allerdings darin, daß Namaz, Suren und Gebete im staatlichen Unterricht nicht in arabischer Sprache gelehrt werden dürfen. Nach alledem bieten die gesetzlichen und die verwaltungsinternen Vorschriften für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen keine Veranlassung für die Annahme, der türkische Staat greife unmittelbar in die Freiheit der religiösen Betätigung der Christen in einer Art und Weise ein, die die Menschenwürde oder das sogenannte religiöse Existenzminimum antastet. Dies gilt auch und erst recht für die Zeit vor Inkrafttreten der Verfassung von 1982 und vor der Machtübernahme durch das Militär im September 1980. Auch wenn berücksichtigt ist, daß ein christlicher Religionsunterricht an staatlichen Schulen nicht angeboten wird und es bei der praktischen Handhabung der Unterscheidung zwischen ethischen und allgemein-religiösen Lehrinhalten einerseits und islamischen Glaubenslehren andererseits im Unterricht leicht zu Benachteiligungen und Beeinträchtigungen der Glaubensüberzeugungen christlicher Schüler kommen könnte, kann darin insgesamt ein asylrelevanter Eingriff nicht gesehen werden. Denn abgesehen von der fehlenden Intensität mangelt es insoweit auch an der erforderlichen staatlichen Motivation und an der Zurechenbarkeit. Die Einführung des staatlichen Pflichtunterrichts in Ethik und Religion verfolgt das Ziel einer Eindämmung des Einflusses der privaten Koranschulen (21.; 55.) und läßt deshalb für sich noch keinen Rückschluß auf eine im Jahre 1986 oder schon früher vorhandene Neigung staatlicher Stellen zur gezielten Beeinträchtigung nichtmuslimischer Religionen zu. Schließlich wären gelegentliche Übergriffe einzelner Lehrer, die die Anweisungen zur Achtung der Religion nichtmuslimischer Schüler mißachten, dem türkischen Staat asylrechtlich schwerlich zuzurechnen, weil Anhaltspunkte dafür, daß die Verantwortlichen derartige dienstliche Verfehlungen förderten oder zumindest duldeten, nicht bekannt sind.
Schließlich können Anzeichen für eine gegen Christen gerichtete Gruppenverfolgung auch nicht in der Art und Weise festgestellt werden, wie christliche Wehrpflichtige in der türkischen Armee behandelt werden. Insoweit liegen allerdings unterschiedliche Auskünfte und Stellungnahmen vor. So hat das Auswärtige Amt im Juni und November 1984 berichtet, Christen hätten in der türkischen Armee nach allen bisherigen Erkenntnissen in aller Regel weder seitens ihrer Vorgesetzten noch seitens ihrer Kameraden mit diskriminierenden Handlungen zu rechnen; wenn ein Christ allerdings die Tatsache seines Glaubens demonstrativ deutlich mache, seien Sticheleien und gelegentliche Übergriffe seiner Kameraden nicht auszuschließen (37.; 40.). Im Oktober 1985 hat das Auswärtige Amt darüber hinausgehend berichtet, daß zuverlässigen Angaben zufolge regelmäßig beim ersten Gesundheitsappell nach der Einberufung von Vorgesetzten im Unteroffiziersrang hämische Bemerkungen über die "dreckigen Christenschweine" gemacht würden, die noch nicht einmal eine so elementare hygienische Maßnahme wie die Beschneidung durchführen ließen; einfache Rekruten in normalen Einheiten sähen sich leicht infolge der Schikanen der Unteroffiziere und der Kameraden einem zumindest subjektiv als unwiderstehlich empfundenen Druck ausgesetzt, der viele veranlasse, den geforderten Eingriff "freiwillig" vornehmen zu lassen (48.; ähnlich 44., S. 5). Im Dezember 1987 hat das Auswärtige Amt wiederum die Auskunft gegeben, in jüngster Zeit seien weder gezielte Schikanen gegen Christen während des Wehrdienstes noch Fälle von Zwangsbeschneidungen bekannt geworden (64.). Dagegen sprechen andere Quellen teilweise in pauschaler Form, teilweise aber auch sehr dezidiert von Zwangsbeschneidungen christlicher Wehrpflichtiger in der Türkei. Die Sachverständige Dr. Hofmann (42.) berichtet aufgrund zahlreicher Gespräche mit Betroffenen, die Diskriminierungen reichten von der verbalen Beleidigung ("schmutziges Christenschwein", "Gavur") bis hin zur schweren Körperverletzung, an denen Kameraden und Vorgesetzte beteiligt seien (vgl. dazu auch 19.); bis in die Gegenwart (Februar 1985) würden christlichen Soldaten Gewalt und Zwangsbeschneidung zumindest angedroht, die Androhung der Zwangsbeschneidung begleite die männlichen Christen durch alle Lebensabschnitte, sei aber während des Militärdienstes besonders virulent. Dem Sachverständigen Prof. Wießner (43.) sind Versuche der zwangsweisen Bekehrung und der Zwangsbeschneidung während des Militärdienstes dagegen nicht bekannt geworden; er hält derartige Angaben von Asylbewerbern für Greuelmärchen und begründet im einzelnen seine Bedenken gegen die Wahrheit entsprechender Erzählungen. Auch der Sachverständige Dr. Binswanger (45.) gibt an, Fälle von Zwangsbeschneidungen christlicher Soldaten während ihrer Militärdienstzeit seien unbekannt, ein offenes Geheimnis sei hingegen die körperliche Mißhandlung durch sadistische Unteroffiziere, deren Haltung in seltenen Fällen auch muslimische Wehrpflichtige treffe; diskriminiert würden die Christen insofern, als Wehrpflichtige mit Abitur nicht wie sonst in der Regel als Offiziersanwärter rekrutiert würden. Der Sachverständige Dr. Oehring (46.) hat noch im Frühjahr 1985 erfahren, daß christliche Soldaten generell mit den unangenehmsten Aufgaben betraut werden und Pöbeleien an der Tagesordnung und Übergriffe nicht ausgeschlossen seien; Zwangsbeschneidungen oder zumindest entsprechende Drohungen kämen vor, allerdings "nicht überall und nicht immer". Demgegenüber hat ein Zeuge in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nähere Angaben über einzelne Fälle von Zwangsbeschneidungen gemacht (56.). Er ist 16 Monate lang bis Juli 1985 Militärarzt in der Osttürkei gewesen und hat während seiner Dienstzeit etwa 90 christliche Rekruten kennengelernt. Seinen Angaben zufolge kann er nicht als Augenzeuge bestätigen, daß jemand beim Militär einer gewaltsamen Zwangsbeschneidung unterzogen worden ist; er hat allerdings glaubhaft bezeugt, daß man auf andere Weise Personen gezwungen hat, sich beschneiden zu lassen. Er selbst habe die Beschneidung einiger Soldaten, die zu ihm zur Zwangsbeschneidung geschickt worden seien, abgelehnt. Er habe aber mit eigenen Augen gesehen, daß man in dem Militärkrankenhaus von Agri einen christlichen Soldaten beschnitten habe, der bei einem späteren Gespräch offenbart habe, daß er nur unter Zwang die Beschneidung habe vornehmen lassen; er sei nämlich nach seiner anfänglichen Weigerung "vom Schreibdienst zum Toilettenplatz degradiert" und dann auch noch wiederholt geschlagen worden. Er wisse, daß 30 bis 40 christliche Soldaten der Beschneidung im Krankenhaus unterzogen worden seien; er habe diese Soldaten aus den üblichen Generaluntersuchungen, die alle drei Monate stattfänden, gekannt, und alle hätten ihm unter vier Augen bedeutet, sie seien auf keinen Fall zur Beschneidung bereit gewesen.
Wenn nach alledem auch nicht auszuschließen ist, daß christliche Wehrpflichtige von Kameraden und auch von Vorgesetzten mit mehr oder weniger Druck gezwungen worden sind - und weiterhin gezwungen werden -, sich beschneiden zu lassen, so kann doch andererseits nicht festgestellt werden, daß christliche Wehrpflichtige allgemein mit einer derartigen Behandlung im Militär in dem Sinne zu rechnen hatten oder haben, daß daraus auf eine direkte Kollektivverfolgung aller Christen oder zumindest aller christlichen Wehrpflichtigen geschlossen werden kann. Anhaltspunkte dafür, daß die militärische Führung derartige Übergriffe duldet oder gar fördert, bestehen nämlich nicht. Selbst wenn angesichts der straffen Disziplin in den türkischen Streitkräften unterstellt wird, daß die Beschwerde eines Soldaten zumindest in den unteren Rängen nicht akzeptiert würde und die Folgen für den Soldaten eher negativ wären, besteht schon im Hinblick auf die geringe Anzahl nachgewiesener Fälle wirklicher Zwangsbeschneidungen und die fehlende Förderung oder zumindest Duldung durch nicht nur untergeordnete Stellen im türkischen Militär kein genügender Anhalt für eine asylrechtliche Zurechenbarkeit derartiger Vorfälle (vgl. Hess. VGH, 14.10. 1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13; ähnlich auch VGH Baden- Württemberg, 23.7.1984 - A 13 S 267/84 -, bestätigt durch BVerwG, 22.4.1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8), geschweige denn für eine unmittelbare Verantwortlichkeit des türkischen Staats.
b) Darüber hinaus ist nicht festzustellen, daß die armenischen Christen in der Türkei in dem hier maßgeblichen Zeitraum einer mittelbaren staatlichen Kollektivverfolgung in der Weise ausgesetzt waren, daß sie von anderen Bevölkerungsgruppen ihrer Religion und ihres christlichen Bekenntnisses wegen verfolgt wurden und hiergegen staatlichen Schutz nicht erhalten konnten.
In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, die Ursachen der oben (unter III. 2.) dargestellten Abwanderungsbewegungen - in erster Linie von syrisch-orthodoxen und nur in geringem Umfang auch von armenischen Christen - aus den ursprünglich ausschließlich oder zumindest überwiegend christlichen Dörfern nach Mardin und Midyat und vor allem nach Istanbul und von dort aus ins Ausland im einzelnen zu ermitteln. Tatsächlich sind die Christen den Anwerbeaktionen der westeuropäischen Wirtschaft seit Beginn der 60er Jahre wohl dank ihrer besseren Ausbildung und ihrer größeren Flexibilität eher gefolgt als die in der Südosttürkei lebenden Kurden und haben dann nach und nach ihre Familien in die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Länder nachgeholt. Eine gewisse Rolle mag anfangs auch die allgemein in der Türkei zu beobachtende Landflucht gespielt haben, die die Einwohnerzahl von Istanbul auf jetzt acht bis zehn Millionen hat anwachsen lassen (1., S. 111; 20., S. 20). Zudem haben viele Priester im Zuge der Gastarbeiterwanderung ihre syrisch-orthodoxen Gemeinden im Tur'Abdin verlassen und sind gegen den Willen der Kirchenleitung nach Europa und nach Übersee ausgewandert (50., S. 3), was zusätzlich zu einer Destabilisierung der gewachsenen Siedlungsstrukturen der Christen in der Südosttürkei beigetragen hat. Schließlich haben auch die Ereignisse um Zypern, im Libanon und im Iran sowie allenthalben feststellbare Islamisierungstendenzen zu einer Verhärtung des Verhältnisses zwischen Christen und muslimischen Kurden im Tur'Abdin beigetragen. Ungeachtet der im einzelnen maßgeblichen Gründe für die Bevölkerungsbewegungen, die durchaus umstritten sein mögen, wurde aber seit Mitte der 70er Jahre aus dem Gebiet um Midyat über eine auffällige Zunahme schwerer Übergriffe der muslimischen Mehrheit (meist Kurden) gegen Christen berichtet, und zwar über Morde, Mordversuche, Entführungen, Zwangsbeschneidungen, Viehdiebstähle, Landnahme, Sachbeschädigungen und Plünderungen (vgl. dazu etwa: 1., S. 112 f., 115 f.; 4., S. 46 f.; 6., S. 32 ff. und 106 ff.; 14.; 16.; 36., S. 17 ff.). Gleichzeitig wurde allgemein beanstandet, daß staatliche Stellen, wenn sie um Hilfe angegangen wurden, entweder überhaupt nicht tätig geworden sind oder aber sogar offen zum Ausdruck gebracht haben, sie lehnten es ab, Christen Schutz zu gewähren (vgl. etwa: 4., S. 3, 5; 6., S. 34; 15.). Außerdem wurde betont, ähnliche Gewalttaten Syrisch-Orthodoxer seien, wenn sie vereinzelt vorgekommen sein, auch verfolgt worden (10., S. 21). Bei der Frage nach den Gründen für die danach seit Mitte der 70er Jahre vermehrt feststellbaren Beeinträchtigungen der Christen durch die muslimische Bevölkerung im Tur'Abdin werden teils die Auswirkungen der Verfolgung weniger schwerwiegend dargestellt, teils die religionsbezogene Motivation der Verfolger bezweifelt und teils die Einstellung der staatlichen Stellen zu diesen Maßnahmen der andersgläubigen Mitbürger nicht so gewertet und eingeschätzt, daß den Christen der erforderliche staatliche Schutz gegen private Übergriffe ihrer Religion wegen verwehrt wurde. So bestätigen etwa auch andere als die bereits erwähnten Quellen gewalttätige Auseinandersetzungen und existenzbedrohende Übergriffe im Südosten der Türkei (3., S. 2; 17.) und die Gefahr administrativer Schikanen sowie die Schutzlosigkeit gegenüber gesetzlosen Zuständen vor der Machtübernahme durch das Militär im September 1980 (15.). Andererseits wird aber darauf hingewiesen, daß unter schwierigen Lebensverhältnissen und der gesetzlosen Lage vor September 1980 auch die übrige Bevölkerung zu leiden gehabt habe, die Abwanderung aus dem Tur'Abdin vorwiegend wirtschaftliche und soziale Gründe habe und die Wanderungsbewegung bei den Christen nicht stärker sei als bei der übrigen Bevölkerung (vgl. vor allem 20., S. 23 ff., 31 ff.). Während das Auswärtige Amt als Ursachen für die Abwanderung neben religiösen Spannungen sowohl wirtschaftliche Schwierigkeiten als auch die in Gewalttätigkeiten ausufernden Streitigkeiten aus sprachlichen, sozialen und ethnischen Motiven nennt, räumt es doch gleichzeitig ein, Christen hätten teilweise existenzbedrohende Benachteiligungen erlitten und seien gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt gewesen, gegen die ausreichender staatlicher Schutz besonders in schwer zugänglichen ländlichen Gebieten häufig nicht habe gewährt werden können, so daß praktisch die christliche Minderheit oftmals gewalttätigen Übergriffen schutzlos preisgegeben gewesen sei (3., S. 2). Wenn Wiskandt bezweifelt, daß Christen aus dem Tur'Abdin in wesentlich größerem Ausmaß als Kurden abgewandert sind (20., S. 23 ff., besonders S. 28), so fällt auf, daß er die Anzahl der in der Provinz Mardin lebenden Syrisch-Orthodoxen aus einer offiziellen Einwohnerstatistik und eigenen Berechnungen ableitet, während die oben (unter III. 1.) erwähnten Zahlenangaben anderer Autoren zwar vorwiegend auf Schätzungen beruhen, aber insgesamt zutreffender erscheinen, weil dort der Bevölkerungsrückgang bei den Christen zum größten Teil durch die Nennung von Ortsnamen und exakten Einwohnerzahlen belegt ist. Es mag zutreffen, daß die historischen Fakten in den epd-Dokumentationen (6. und 36.) nicht immer neutral dargestellt sind und die religiösen Bezüge dort ebenso einseitig in den Vordergrund gestellt werden wie von Yonan (2.) der Prozeß der Entwicklung einer assyrischen Nation. Abgesehen aber davon, daß Wiskandt seine Befragungen offenbar ohne die in solchen Situationen wichtige Vertrauensbasis zu den befragten Personen und ohne Bekanntgabe seines Auftrags durchgeführt hat, ist in seinem Gutachten an zahlreichen Stellen nachzuweisen, daß seine Ausführungen nicht völlig frei sind von Vorverständnissen und festliegenden persönlichen Positionen, die die Beantwortung der ihm gestellten Fragen teilweise beeinflußt haben könnten (vgl. dazu im einzelnen 24. bis 26.). So wirft er der ersten epd-Dokumentation offen bewußte Zahlenmanipulation vor (S. 27, 29), polemisiert gegen die "hiesige Lobby der Sürjannis" (S. 65) und beschreibt die "Erfolge" der Militärregierung ohne jede Einschränkung (S. 20 ff.), obwohl Vorbehalte gegen die Politik der Militärregierung angesichts zahlreicher Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zumindest erwähnenswert gewesen wären.
Diese Bewertung gilt nicht nur für die Syrisch-Orthodoxen (vgl. dazu z. B. Hess. VGH, 27.6.1988 -12 UE 2438/85 - m.w.N.), sondern auch für die Armenier. Deren Lage stellt sich zwar insoweit günstiger dar, als sie vorwiegend in Istanbul leben und dort sowohl von der im Verhältnis zur Osttürkei weitaus günstigeren Wirtschafts- und Sicherheitslage profitieren als auch in den Genuß der Minderheitenrechte im schulischen und kirchlichen Bereich gelangen. Andererseits wird aber vom türkischen Staat und von den Nationaltürken gerade im Hinblick auf die zahlreichen historischen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Armeniern und die Gewalttätigkeiten einiger exilarmenischen Organisationen deren Loyalität gegenüber der Türkischen Republik oft in Zweifel gezogen mit der Folge, daß sie manchen Diskriminierungen in beruflicher und privater Hinsicht ausgesetzt sind.
Nach alledem vermag der Senat nicht festzustellen, daß die armenischen Christen in der Türkei in ihrer Gesamtheit im Zeitraum vom Beginn der 70er bis zum Beginn der 80er Jahre in der Weise mittelbar aus religiösen Gründen verfolgt worden sind, daß sie als Angehörige der christlichen Minderheit gewalttätigen Übergriffen mit Gefahren für Leib und Leben und die persönliche Freiheit durch die muslimische Bevölkerung ausgesetzt waren und der türkische Staat diese Verfolgungsmaßnahmen entweder gebilligt oder zumindest tatenlos hingenommen und damit den Armeniern den erforderlichen staatlichen Schutz versagt hat.
4. Es kann auch nicht festgestellt werden, daß die Kläger persönlich bereits vor ihrer Ausreise aus der Türkei unmittelbar durch den Staat verfolgt oder aber durch politisch motivierte Übergriffe von Mitbürgern türkischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens betroffen waren und dagegen staatlichen Schutz nicht wirksam in Anspruch nehmen konnten.
Allerdings sind die Angaben der Kläger zu ihrem Lebensschicksal und zu den Gründen und Umständen ihrer Ausreise aus der Türkei im wesentlichen glaubhaft. Der Kläger ist danach in seiner Geburtsstadt Istanbul als Schneider tätig gewesen, und zwar in einem seinem Vater bzw. ihm gehörenden Geschäft. Sein Vater ist im Juli 1979 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, und seine Mutter lebt seit 1986 ebenfalls in der Bundesrepublik und hat hier um Asyl nachgesucht. Die Klägerin stammt aus dem Dorf B. im Bezirk Diyarbakir, ist im Alter von 14 oder 15 Jahren, also etwa 1972/73 zu ihrem Onkel in Istanbul gezogen und hat dort in einer Fabrik gearbeitet und im November 1974 die Ehe mit dem Kläger geschlossen. Aus dieser Ehe ist eine im Juli 1975 geborene Tochter hervorgegangen, die zusammen mit ihrer Mutter im März 1979 ins Bundesgebiet eingereist ist.
Soweit der Kläger angegeben hat, er sei einmal an der Berufsschule deshalb durchgefallen, weil er Christ sei, kann mangels näherer Anhaltspunkte nicht festgestellt werden, daß er tatsächlich aus religiösen Gründen diskriminiert worden ist; hierfür genügt zumindest nicht seine Behauptung, er sei an sich ein guter Schüler gewesen.
Soweit er angegeben hat, er sei während seines Militärdienstes in den Jahren 1966 bis 1968 fünfmal geflohen und jedesmal wieder von seinem Vater unter Zahlung von Bestechungsgeldern zurückgebracht worden und er sei dann von Unteroffizieren geschlagen und auch einmal bis zum Hals in einen Graben eingegraben worden, kann diese Schilderung dem Kläger geglaubt oder zumindest als wahr unterstellt werden. Dennoch kann nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, daß die Bestrafung, die ihm trotz der Zahlung von Bestechungsgeldern widerfahren sein soll, dadurch bestimmt war, daß er dem christlichen Glauben angehört. Er hat zwar auf eine entsprechende Frage vor dem Verwaltungsgericht erklärt, ein muslimischer Soldat wäre, wenn er die Truppe verlassen hätte, fünf bis zehn Tage "in den Bau eingesperrt" worden; daraus läßt sich aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, daß er tatsächlich wegen seines Glaubens benachteiligt worden ist. Denn der entscheidende Grund für die Mißhandlungen, die er erdulden mußte, ist mangels konkreter anderer Anhaltspunkte nach Überzeugung des Senats darin zu sehen, daß er sich von einer offiziellen Strafe durch die Bestechungsgelder seines Vaters freigekauft hatte, offenbar aber nach Auffassung der für ihn zuständigen Unteroffiziere trotzdem gemaßregelt werden sollte. Seine Religionszugehörigkeit spielte dabei keine ersichtliche Rolle.
Es erscheint durchaus glaubhaft, daß der Kläger sowohl nach dem Brand in seinem Schneidergeschäft im Jahre 1968 als auch nach dem Raub im Jahre 1970 als auch im Zusammenhang mit dem Kauf einer Nähmaschine im Februar 1978 bei den zuständigen Polizeidienststellen keinen wirksamen Schutz erhalten hat und im Gegenteil als armenischer Christ Nachteile in Kauf zu nehmen hatte. Es ist zumindest möglich, daß sich die Vorfälle so zugetragen haben, wie sie der Kläger geschildert hat. Strafrechtlich gesehen handelt es sich dabei zumindest teilweise um Verfolgungsvereitelung, und asylrechtlich gesehen ist das Verhalten der Polizisten als religiös motivierte Beeinträchtigung der beruflichen Betätigung und des Eigentums des Klägers einzustufen. Selbst wenn aber bei den muslimischen Mitbürgern und/oder den staatlichen Stellen eine asylrechtliche Motivation angenommen oder unterstellt wird, kann insoweit eine asylrechtlich erhebliche Verfolgung nicht festgestellt werden. Der Senat hat Verständnis für die damals schwierige wirtschaftliche Situation des Klägers; es kann aber auch nach dessen Vortrag nicht davon ausgegangen werden, daß die von ihm geschilderten Eingriffe bereits jeweils existenzbedrohende Ausmaße angenommen haben, die Beeinträchtigungen also nach Art oder Schwere die Menschenwürde tangierten. Dies gilt sowohl für die Brandstiftung als auch für den Raub als auch für die Vorgänge bei dem Erwerb einer Nähmaschine. Diese Eingriffe gewinnen eine asylrechtliche Bedeutung auch dann nicht, wenn man sie in eine Gesamtbetrachtung der persönlichen Lebensumstände des Klägers als eines armenischen Christen in Istanbul einbezieht.
Soweit der Kläger darüber hinaus behauptet hat, er habe seinen Touristenpaß "doppelt" bezahlen müssen, weil er Christ ist, kann darin eine hinreichend intensive Beeinträchtigung ebenfalls nicht gesehen werden; immerhin ist dem Kläger die Ausreise aus der Türkei ermöglicht worden.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, daß die Kirchengemeinde, in der er als Meßdiener oder als eine Art von Diakon tätig war, Drohbriefe erhalten hat, kann unterstellt werden, daß für die Weihnachtszeit 1977 und den 28. Mai 1978 ein Bombenattentat angedroht worden ist; tatsächlich ist es in beiden Fällen zu einem entsprechenden Anschlag aber nicht gekommen. Der Kläger kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, durch diese Bombendrohungen sei die Freiheit seiner religiösen Betätigung ernsthaft in Frage gestellt worden. Es mag zutreffen, daß der Pfarrer mit einer entsprechenden Intervention bei den Polizeidienststellen keinen Erfolg hatte. Daraus kann aber noch nicht auf eine mangelnde Schutzbereitschaft des türkischen Staats geschlossen werden; denn dazu müßte erst festgestellt werden, daß die Polizei Ermittlungs- und Schutzmaßnahmen, die möglich gewesen wären, unterlassen hat. An Anhaltspunkten hierfür fehlt es jedoch nach den Angaben des Klägers. Wenn der Kläger sich daraufhin (seinen Angaben vor der Ausländerbehörde zufolge) so bedroht gefühlt hat, daß er auf Anraten seines Vaters nach der letzten Attentatsdrohung die Türkei verlassen hat, erscheint die darin zum Ausdruck gekommene Furcht des Klägers nach alledem bei objektiver Betrachtung als subjektiv gesteigert, zumindest kann sie nicht objektiv auf eine ernsthafte Verfolgungsgefahr zurückgeführt werden.
Bei den Angaben des Klägers über verfolgungsbedingte Ursachen und Umstände des Todes seines Vaters handelt es sich letztlich um bloße Mutmaßungen, die auf Berichte vom Hörensagen gestützt sind und im übrigen durch objektive Indizien nicht belegt werden können. Selbst wenn der Vater des Klägers auf dem Bürgersteig von einem Linienbus angefahren und erst nach vier oder fünf Stunden in ein Krankenhaus zur Behandlung gebracht worden ist und seine Verwandten erst mit einer Verzögerung von einigen Tagen von diesem Unfall benachrichtigt worden sind, kann mangels genügender Anhaltspunkte daraus noch nicht gefolgert werden, daß der Vater einem religiös motivierten Anschlag zum Opfer gefallen ist und staatliche Stellen durch aktive Unterstützung oder das Unterlassen rechtzeitiger Hilfsmaßnahmen hieran mitgewirkt haben. Hiergegen spricht auch die Schilderung des Unfalls durch die Mutter des Klägers, die anders als der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls noch in Istanbul gelebt hat. Sie hat das Unfallgeschehen bei ihrer Anhörung im Vorprüfungsverfahren am 3. Februar 1986 so dargestellt, daß ihr Ehemann deswegen angefahren worden ist, weil ihm nicht bekannt war, daß die an seinem Haus vorbeiführende Straße kurze Zeit zuvor von einer Einbahnstraße in eine Straße mit Verkehr in beiden Richtungen umgewidmet worden war. Die Mutter des Klägers hat zwar ebenfalls beanstandet, daß ihrem Ehemann Erste Hilfe nicht zuteil geworden und sie erst drei Tage nach dem Unfall benachrichtigt worden ist. Tatsächliche Anhaltspunkte für einen verfolgungsbedingten Anschlag und ein entsprechendes Handeln oder Unterlassen staatlicher Stellen hat aber auch sie nicht vorzubringen vermocht.
Schließlich kann auch das Schicksal der Mutter des Klägers keine Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung bieten. Soweit der Kläger angedeutet hat, seine Mutter habe gegenüber Polizeibeamten keine Auskunft über seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik gegeben, weil sie befürchtet habe, ihr werde deswegen das Hausgrundstück "abgenommen", ist weder dargetan noch aus anderen Quellen bekannt, daß ein objektiver Anlaß für eine derartige Befürchtung bestanden haben kann. Die Mutter hat zwar bei ihrer Anhörung eine entsprechende Absichtserklärung zweier Polizisten erwähnt, gleichzeitig aber erklärt, die Polizisten hätten sich entfernt, als sie auf einen von den beiden einen Blumentopf geworfen habe. Deshalb kann hieraus weder für die Mutter des Klägers noch mittelbar für den Kläger selbst ein Anzeichen für eine irgendwie geartete staatliche Verfolgung entnommen werden. Dasselbe gilt für die Umstände, unter denen das Haus der Mutter des Klägers abgebrannt ist. Selbst wenn muslimische Mitbürger aus der Umgebung des in dem Istanbuler Stadtteil Taksim gelegenen Hauses der Mutter des Klägers erklärt haben sollten, sie lebe ja nur als einzelne Person in einem so großen Haus (das Haus war aus Holz gebaut und dreistöckig), gibt es keinen tragfähigen Hinweis darauf, daß es sich bei der Brandstiftung um eine Verfolgungsmaßnahme aus religiösen Gründen handelte, die von staatlichen Stellen geduldet oder gebilligt worden ist. Weder der Kläger noch dessen Mutter haben brauchbare Anhaltspunkte für eine derartige Annahme zu geben vermocht. Selbst wenn in der Zeitung Hürriyet ein Bild mit einer türkischen Frau erschienen ist, die wegen dieser Brandstiftung bemitleidet worden ist, und nicht das Bild der Mutter des Klägers, wie dieser bei seiner Vernehmung im Berufungsverfahren ausgesagt hat, erscheint ein derartiger Schluß nicht gerechtfertigt. Erst recht gilt dies, wenn man den Angaben der Mutter des Klägers folgt, die im einzelnen den Hergang des Brandes geschildert hat, dem noch drei Nachbarhäuser zum Opfer gefallen sind. Dieser Darstellung zufolge hat die Mutter des Klägers den Brandherd in der Nähe des Schornsteins entdeckt, als sie aus dem Keller in ihre Wohnung gelangen wollte, und ist wegen Brandstiftung angezeigt worden, nachdem sich ein hinzugerufener Polizist ihre Hände hatte zeigen lassen. Hinweise auf ein asylerhebliches Fremdverschulden hat jedenfalls auch sie nicht geben können.
Für die Annahme, die Klägerin sei bereits vor ihrer Ausreise aus der Türkei politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Der von ihr angeführte Entführungsversuch in ihrem Heimatdorf ist in keiner Weise substantiiert dargestellt.
5. Waren die Kläger demnach bei ihrer Ausreise noch nicht politisch verfolgt und legt man demzufolge den "normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstab an (vgl. BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl 1981, 1096; BVerwG, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12; BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760), so kann auch nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, daß ihnen bei einer Rückkehr im jetzigen Zeitpunkt als Angehörigen einer kollektiv verfolgten Gruppe politische Verfolgungsmaßnahmen drohen. Insoweit ist allerdings zu unterstellen, daß sie jeweils allein in die Türkei zurückkehren (vgl. dazu z. B. Hess. VGH, 30.5.1988 - 12 UE 2514/85 -, S. 39).
Die Gefahr einer Gruppenverfolgung armenischer Christen in der Türkei kann auch für die Zukunft nicht festgestellt werden. Nach der Machtübernahme durch die Militärs im September 1980 hat sich die Sicherheitslage allgemein erheblich verbessert, und dies hat sich nach allgemeiner Einschätzung auch zugunsten der armenischen Christen in Istanbul wie in anderen Landesteilen ausgewirkt (vgl. dazu etwa 20., S. 34; 21.; 26.; 29.; 30.; 37.; 39.; 41). Insoweit stellt sich die Situation bei den Armeniern nicht anders dar als bei den Syrisch-Orthodoxen (zu letzteren vgl. zuletzt Hess. VGH, 17.10.1988 - 12 UE 2497/85 -). Soweit eine Verbesserung der Sicherheitslage mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Situation der Christen in Istanbul bezweifelt wird, fehlt es an konkreten Hinweisen darauf, daß sich tatsächlich entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung die in der Türkei in den letzten Jahren zu beobachtende Verbesserung der Sicherheitslage nicht auch zugunsten der christlichen Bevölkerung und damit insbesondere auch zugunsten der armenischen Christen ausgewirkt haben könnte.
6. Schließlich kann nicht festgestellt werden, daß die Kläger bei einer Rückkehr in ihre Heimat aus individuellen Gründen politische Verfolgung befürchten müssen.
Die Verbesserung der Sicherheitslage nach der Machtübernahme durch die Militärs im September 1980 hat zumindest zur Folge, daß nicht davon ausgegangen werden kann, Männer im Alter des Klägers würden in Zukunft von religiös motivierten Übergriffen muslimischer Türken betroffen und diesen Verfolgungsmaßnahmen schutzlos ausgesetzt sein (vgl. Hess. VGH, st. Rspr., z. B. 22.02.1988 - 12 UE 1071/84 -, NVwZ-RR 1988, 48; zuletzt 17.10. 1988 -12 UE 2497/85 -). Der Kläger beherrscht die türkische Sprache und ist nach seinem Alter und seinem Gesundheitszustand arbeitsfähig und offenbar auch arbeitswillig. Er hat - von der Militärdienstzeit abgesehen - bis zu seiner Ausreise immer in Istanbul gelebt und gearbeitet. Er hat zwar offenbar inzwischen keine näheren Verwandten mehr dort, und außerdem existiert die Schneiderwerkstatt nicht mehr, mit der er früher seinen Lebensunterhalt verdient hat. Es fehlen aber Anzeichen dafür, daß es ihm nicht wie anderen armenischen Christen in Istanbul gelingen sollte, sich vor möglichen Übergriffen Andersgläubiger in Istanbul hinreichend zu schützen und insbesondere auch eine Beschäftigung zu finden, die es ihm ermöglicht, jedenfalls seinen eigenen Unterhaltsbedarf zu befriedigen. Offenbar gibt es aus jüngerer Zeit keine Bezugsfälle, in denen armenische Christen in Istanbul ernsthaft an der Ausübung ihrer Religion gehindert worden sind oder aber eine ausreichende materielle Lebensgrundlage nicht erlangen konnten und aus diesem Grund auch in ihrer religiösen Existenz gefährdet waren.
Für die Klägerin gilt im Ergebnis nichts anderes. Der Senat hat mehrfach bei syrisch-orthodoxen Frauen angenommen, daß für sie in Istanbul eine asylrechtlich erhebliche Entführungsgefahr mit der Folge einer Zwangsbekehrung zum Islam besteht; es ist insoweit aber immer auf die Einzelfallumstände abgestellt worden, insbesondere auf das Alter, die Lebenserfahrung, die Sprachkenntnisse und die Arbeitsfähigkeit der betreffenden Frau (vgl. z. B. Hess. VGH, 04.07.1988 - 12 UE 2573/85 -). Für die Klägerin ist insoweit festzustellen, daß sie nach ihrer Übersiedlung nach Istanbul, die etwa im Jahre 1972 stattgefunden hat, etwa sieben Jahre lang in Istanbul gelebt hat und dort zunächst auch berufstätig gewesen ist. Sie ist jetzt etwa 30 Jahre alt, verfügt über zumindest ausreichende türkische Sprachkenntnisse und ist als ortskundig anzusehen. Bei ihr kann anders als bei syrisch-orthodoxen Frauen aus dem Tur'Abdin davon ausgegangen werden, daß sie - noch - über genügend persönliche Beziehungen zu Mitgliedern der christlichen Gemeinde verfügt, der sie zusammen mit ihrer Familie lange Zeit angehörte. Dabei kann ihr insbesondere zugute kommen, daß der Kläger viele Jahre lang in einer Kirchengemeinde als Meßdiener bzw. Diakon tätig war und der damalige Gemeindepfarrer jetzt noch in Istanbul lebt und tätig ist. Unter diesen besonderen Umständen kann nicht angenommen werden, daß die Klägerin bei einer Rückkehr nach Istanbul ohne ausreichende gesellschaftliche Kontakte bleibt und damit letzten Endes einer Entführung und Zwangsbekehrung zum Islam ausgesetzt ist oder aus anderen Gründen in der Freiheit der religiösen Betätigung in asylrelevanter Weise (vgl. dazu oben S. 19 f.) beeinträchtigt wird. Aus denselben Gründen kann auch nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, daß die Klägerin nach einer Rückkehr in ihre Heimat darauf verwiesen ist, ein Leben "am Rande des Verderbens" (vgl. dazu: BVerwG, 06.10. 1987 - EZAR 203 Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57) zu führen und deshalb ihre Anerkennung als Asylberechtigte in Betracht kommt (vgl. dazu Hess. VGH, 16.05. 1988 - 12 UE 2571/85 -).
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 154, 159, 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 100 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO). liegen nicht vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung angefochten werden. Die Beschwerde ist durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule einzulegen. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von der die Entscheidung abweicht, oder ein Verfahrensmangel bezeichnet werden, auf dem das Urteil beruhen kann (vgl. § 132 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und § 18 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 - BGBl I S. 661).
Die Revision ist auch ohne Zulassung statthaft, wenn einer der in § 133 VwGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird. In diesem Fall ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Revision muß die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Die Revisionsbegründung oder die Revision muß einen bestimmten Antrag enthalten, ferner die verletzte Rechtsnorm und die Tatsachen bezeichnen, die den gerügten Verfahrensmangel ergeben.
Beschwerde und Revision sind einzulegen bei dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof
Brüder-Grimm-Platz 1
3500 Kassel