Hessischer VGH, Beschluss vom 27.07.1988 - 3 TE 1829/88
Fundstelle
openJur 2012, 18517
  • Rkr:
Gründe

Die Kläger wenden sich im Wege der am 6. März 1987 vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden erhobenen Anfechtungsklage gegen die Verfügung des Beklagten vom 3. Juni 1986, mit der ihnen aufgegeben wurde, einen illegal errichteten Anbau in der Größe von ca. 7,0 m x 4,0 m x 2,60 m an und auf der Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück der Beigeladenen zu 1 (Passage) bis spätestens drei Monate nach Unanfechtbarkeit der Verfügung zu beseitigen.

Mit am 14. September 1986 bei dem Landgericht Wiesbaden eingegangener Klage haben die Beigeladenen von den Klägern den Abriß des vorgenannten Bauwerks verlangt. Das Landgericht gab der Klage durch Urteil vom 5. Januar 1988 teilweise statt. Es verurteilte die Kläger zum Abriß des Wohnhausanbaus, soweit dieser auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1 steht und wies im übrigen die Klage ab. Gegen dieses Urteil haben die Beigeladenen Berufung eingelegt, mit der sie weiter den gesamten Abriß des Gebäudes erstreben.

Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren mit Beschluß vom 11. April 1988 gemäß § 94 VwGO ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei geboten, das zivilrechtliche Verfahren bis zur Rechtskraft abzuwarten, weil dies vorgreiflich sei.

Gegen diesen Beschluß haben die Beigeladenen zu 1 am 26. April 1988 Beschwerde eingelegt. Sie sind der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung nach § 94 VwGO lägen hier nicht vor, weil dem verwaltungsgerichtlichen und dem zivilgerichtlichen Verfahren unterschiedliche Streitgegenstände zugrunde lägen.

Der Beklagte meint, die Beschwerde sei unzulässig, da die Beigeladenen zu 1 kein eigenes Beschwerderecht hätten. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt ihrer gegenseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

Die Beschwerde ist zulässig. Die Beigeladenen zu 1 sind befugt, gegen den Aussetzungsbeschluß Beschwerde einzulegen. Sie haben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich alle Rechte eines Beteiligten (§ 63 Nr. 3 VwGO), soweit diese nicht ausdrücklich oder ihrer Natur nach dem Kläger und Beklagten vorbehalten sind (vgl. Kopp, VwGO, 7. Aufl., § 66 Rdnr. 3). Die Anfechtung von Entscheidungen über die Aussetzung des Verfahrens gehört nicht zu den allein den Hauptbeteiligten vorbehaltenen Rechten.

Die Beschwerde ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Aussetzung des Verfahrens zu Unrecht angeordnet. Nach § 94 VwGO kann das Gericht das Verfahren u.a. aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Vorgreiflichkeit der Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit bedeutet, daß die Entscheidung, die in dem auszusetzenden Verfahren ergehen soll, nicht ergehen kann, ohne daß auch über eine in beiden verfahren gemeinsame Vorfrage entschieden wird. Das bedeutet allerdings nicht, daß die vorgreifliche Entscheidung für das auszusetzende Verfahren bindend sein muß; es genügt vielmehr, daß die im anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung geeignet ist, einen rechtlich erheblichen Einfluß auf die Entscheidung im auszusetzenden Verfahren auszuüben (vgl. Kopp, a.a.O., § 94 Rdnr. 4; Zöller, ZPO, 15. Aufl., § 148 Rdnr. 5; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 46. Aufl., § 148, Anm. 1 A a). Die Beteiligten an beiden Rechtsverhältnissen brauchen dabei nicht dieselben zu sein.

Im vorliegenden Fall hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts keinen rechtlichen Einfluß auf das anhängige Verfahren. Obsiegen die Beigeladenen zu 1 in dem zivilrechtlichen Verfahren in vollem Umfange und würden die Kläger zum Abriß des Anbaus verurteilt, so bleibt die Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hiervon unberührt. Ob die Beseitigungsverfügung des Beklagten gegenüber den Klägern zu Recht ergangen ist, beurteilt sich ausschließlich nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so daß die Beigeladenen zu 1 in dem Zivilprozeß gegen die Kläger einerseits obsiegen, andererseits die Kläger dennoch mit ihrer Klage im Verwaltungsprozeß Erfolg haben können (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 7. Januar 1988, NJW - RR 1988, 403 (404)). Da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht teilweise von dem Zivilrechtsstreit abhängt, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 94 VwGO nicht vor. Die vom Verwaltungsgericht angeordnete Verfahrensaussetzung mußte daher auch aufgehoben werden.

Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO).