Hessischer VGH, Urteil vom 04.06.1987 - 3 OE 36/83
Fundstelle
openJur 2012, 18223
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf eines Vorbescheides betreffend die Nutzungsänderung einer gewerblichen Halle als Verbrauchermarkt.

Sie ist Eigentümerin der aneinandergrenzenden Grundstücke Gemarkung P., Flur 6, Flurstücke 65/2 und 66/2, die zusammen etwa 43.000 qm groß sind. Diese Grundstücke liegen im äußersten südöstlichen Bereich der beigeladenen Gemeinde P.. Sie werden im Norden durch die B 458 und im Osten und Süden durch die Gemarkungsgrenze der Gemeinde K. begrenzt. Über beide Grundstücke erstreckt sich eine knapp 10.000 qm große Halle, die ursprünglich als Betriebsgebäude der Firma S. S. P. diente. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans - BPl - Nr. 4 a "T./L." der beigeladenen Gemeinde P., der mit Verfügung des Regierungspräsidenten in Kassel vom 14. März 1968 genehmigt und am 18. Mai 1968 ortsüblich bekanntgemacht worden ist. Der Bebauungsplan weist die vorgenannten Grundstücke als Gewerbegebiet mit zweigeschossiger Bauweise und einer Grundflächenzahl von 0,8 und einer Geschoßflächenzahl von 1,2 aus. Im Jahre 1971 beschloß die beigeladene Gemeinde P. eine Änderung des nunmehr als Teilbebauungsplan Nr. 4 a bezeichneten Plans, die mit Verfügung des Regierungspräsidenten in K. vom 24. März 1972 genehmigt wurde. Die Änderung betraf die Grundflächen- und Geschoßflächenzahl sowie eine Verlegung des von dem Regierungspräsidenten für das Gebiet geforderten Feuerlöschteiches und des Wendehammers.

In dem vom Kreistag des Kreises F. am 14. Oktober 1959 beschlossenen Flächennutzungsplan und dem Generalbebauungsplan mit Gebietsplan der Gemeinde P. sind die Grundstücke als landwirtschaftliche Nutzflächen ausgewiesen. Der von der beigeladenen Gemeinde P. 1970 beschlossene und 1971 genehmigte Flächennutzungsplan weist die betroffenen Grundstücke als gewerbliche Bauflächen aus.

Auf eine Voranfrage der Klägerin teilte ihr der Beklagte mit Vorbescheid vom 7. Dezember 1981 mit, daß die beabsichtigte Nutzungsänderung für die bestehende Halle in einen Baumarkt mit ca. 4.000 qm Fläche, Elektroartikel mit ca. 1.500 qm Verkaufsfläche sowie für Werkzeugartikel und Gardinen in der Größe von je 1.500 qm grundsätzlich zulässig sei. Vorsorglich wies er jedoch darauf hin, daß in diesem Gewerbegebiet aus immissionsschutzrechtlichen Gründen die Lagerung oder der Verkauf von Lebensmitteln unzulässig sei.

Nachdem die beigeladene Stadt F. zunächst bei dem Beklagten Einwendungen gegen eine Genehmigung für die geplante Nutzungsänderung erhoben hatte, legte sie gegen den Vorbescheid mit Schreiben vom 4. März 1982 bei dem Regierungspräsidenten in K. Widerspruch ein, den dieser an den Beklagten weiterleitete. Zur Begründung führte sie u.a. aus, das beabsichtigte Vorhaben habe erhebliche Auswirkungen auf ihre städtebauliche Planung. Die Nutzungsänderung sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da der hier vorgesehene Verbrauchermarkt nur in einem Sondergebiet eingerichtet werden dürfe.

Nach vorheriger Anhörung der Klägerin widerrief der Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 1982 den Vorbescheid vom 7. Dezember 1981. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, der wegen Verletzung planerischer Interessen der Stadt F. zulässige Widerspruch sei auch in der Sache begründet. Der Widerruf des Bauvorbescheides stütze sich auf § 101 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 92 HBO, denn der Bauvorbescheid habe dem geltenden Recht widersprochen und widerspreche ihm noch. Der geplanten Einrichtung eines Verbrauchermarktes stehe § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968 entgegen. Diese Vorschrift komme zur Anwendung, weil der am 18. September 1967 beschlossene BPl Nr. 4 a der Gemeinde P. unwirksam sei. Er sei nicht aus einem Flächennutzungsplan entwickelt worden. In dem maßgeblichen Flächennutzungsplan aus dem Jahre 1959 sei der Flurbereich T./L. als landwirtschaftliche Fläche dargestellt. Zur rechtsgültigen Ausweisung eines Gewerbegebietes hätte es der Änderung des Flächennutzungsplanes bedurft.

Für die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens sei der BPl Nr. 4 a in der am 9. Juni 1972 bekanntgegebenen Fassung maßgebend, der aus einem rechtmäßigen, 1971 rechtsverbindlich gewordenen Flächennutzungsplan entwickelt worden sei. Aus dem für die Beurteilung maßgeblichen Satzungsbeschluß der Gemeinde P. vom 21. Mai 1971 ergebe sich eindeutig, daß die Gemeindevertretung eine Neufassung habe beschließen wollen. Da der BPl Nr. 4 a aus dem Jahre 1971 eine rechtswirksame Neufassung darstelle und erst nach Inkrafttreten der BauNVO 1968 mit seiner Auslegung begonnen worden sei, sei die BauNVO 1968 auf ihn anwendbar. Es sei rechtlich unbeachtlich, wenn in der Überschrift des BPl Nr. 4 a auf die Anwendbarkeit. der BauNVO 1962 Bezug genommen worden sei. Eine Ausnahme von den zwingenden Vorschriften der BauNVO 1968 sei nicht. zulässig.

Gegen den Abhilfebescheid, der die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, daß hiergegen eine verwaltungsgerichtliche Klage erhoben werden könne, hat die Klägerin zunächst bei dem Verwaltungsgericht K. Klage erhoben und sodann auf gerichtlichen Hinweis am 16. Juli 1982 mit näherer Begründung Widerspruch gegen den Abhilfebescheid eingelegt, der durch Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten in K. vom 30. August 1982 unter Bestätigung der Rechtsauffassung des Beklagten zurückgewiesen wurde.

Am 8. September 1982 hat die Klägerin bei dem Verwaltungsgericht K. Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, Abhilfebescheid und Widerspruchsbescheid seien rechtswidrig und verletzten sie in ihren Rechten. Der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, in eine Überprüfung des Bauvorbescheides einzutreten, da der Widerspruch der Stadt F. unzulässig gewesen sei. Durch das Vorbringen der Stadt F., das streitige Vorhaben habe für ihre städtebauliche Planung erhebliche Auswirkungen, sei eine Rechtsverletzung im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO nicht dargelegt worden. Die Voraussetzungen für den Widerruf des Bauvorbescheides gemäß §§ 101 Abs. 1 Nr. 1 und 92 HBO seien nicht erfüllt gewesen, weil der Bauvorbescheid von Anfang an dem geltenden Recht entsprochen habe. Die geplante Nutzungsänderung sei bauplanungsrechtlich zulässig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 8 Abs. 1 Nr.2 BauNVO 1962. Dagegen dürfe die BauNVO in der Fassung von 1968 hier nicht zugrundegelegt werden. Zu Unrecht mache der Beklagte geltend, der BPl

Nr. 4 a der Gemeinde P. in der Fassung von 1967 sei unwirksam, weil er nicht aus einem Flächennutzungsplan entwickelt worden sei. Wegen der geringfügigen Erweiterung des Gewerbegebietes sei eine Ausweitung im BPl zur Ordnung der städtebaulichen Entwicklung ausreichend gewesen. Selbst wenn der BPl Nr.4 a wegen Verstoßes gegen das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 Satz 1 BBauG fehlerhaft sein sollte, so sei dieser Mangel nach § 155 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BBauG geheilt worden. Die 1972 beschlossene Änderung des BPl Nr. 4 a sei rechtsunwirksam. Sie verstoße gegen den Grundsatz der Planklarheit, da in der Legende des Plans der Hinweis enthalten sei, daß die BauNVO 1962 Anwendung finde, tatsächlich aber die BauNVO 1968 gelten solle. Im übrigen habe die beigeladene Gemeinde P. bei der Änderung des BPl Nr. 4 a im Jahre 1971 ganz bewußt auf die BauNVO 1962 Bezug genommen, wie sie selbst im gerichtlichen Verfahren einräume.

Für den Fall der Nichtigkeit des BPI Nr. 4 a beurteilt sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 BBauG. Der geplante Verbrauchermarkt sei danach zulässig, weil er sich in die durch ein Möbeleinkaufszentrum sowie Gewerbe- und Industriegebiet geprägte Umgebung einfüge.

Die Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 4. Juni 1982 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten in Kassel vom 30. August 1982 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat Bezug genommen auf den Inhalt des Abhilfe- und des Widerspruchsbescheides. Ergänzend hat er vorgetragen, daß sich das Vorhaben bei einer bauplanungsrechtlichen Beurteilung nach § 34 BBauG nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Darüber hinaus stünden dem Vorhaben öffentliche Belange, namentlich die landesplanerische Funktion der Stadt F. als Oberzentrum entgegen.

Die beigeladene Stadt F. hat auf den Inhalt ihres Widerspruchs und eines Schreibens an den Beklagten vom 13. Mai 1982 Bezug genommen.

Die beigeladene Gemeinde P. hat vorgetragen, sie habe sich bei der Beurteilung des Vorhabens der Klägerin davon leiten lassen, einem Grundstückseigentümer keine Hindernisse in den Weg zu legen, falls er sein Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans nutzen wolle. Bei der 1. Änderung des BPl Nr. 4 a sei nicht daran gedacht gewesen, die planungsrechtlichen Grundzüge des BPl Nr. 4 a zu korrigieren.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. Dezember 1982 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig. soweit sie - wenn auch nur in der Klagebegründung - auch auf eine die Errichtung eines Garten- und Autocenters umfassende Nutzungsänderung abziele, da insoweit ein Vorverfahren nicht stattgefunden habe und der widerrufene Bescheid des Beklagten vom 7. Dezember 1981 hierüber auch keine Entscheidung enthalte.

Im übrigen sei die Klage unbegründet, weil der auf die §§ 92 Abs. 1 und 2, 101 Abs. 1 HBO gestützte Widerruf des Bauvoranfragebescheides rechtmäßig sei. Der Widerruf habe unabhängig davon ausgesprochen werden können, ob die beigeladene Stadt F. widerspruchsbefugt gewesen sei. Die im Vorbescheid vorgesehene Nutzungsänderung finde in dem BPl Nr. 4 a der beigeladenen Gemeinde P. in seiner Fassung von 1967 keine Grundlage, weil dieser Bebauungsplan wegen Verstoßes gegen § 8 Abs 2 Satz 1 BBauG rechtsunwirksam sei. Während in dem aus dem Jahre 1959 stammenden Flächennutzungsplan für die hier betroffenen Grundstücke "landwirtschaftlich genutzte Flächen" festgesetzt gewesen seien, habe der BPl Nr. 4 a 1967 diese Flächen als Gewerbegebiet ausgewiesen. Damit habe der Bebauungsplan die Grundkonzeption des Flächennutzungplans berührt, denn die Festsetzung einer landwirtschaftlichen Nutzungsfläche einerseits und eines Gewerbegebietes andererseits stelle eine zu weit reichende Diskrepanz dar. Eine Heilung dieses Verstoßes sei nicht erfolgt, weil dadurch die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt würde. Hierzu gehöre auch die Berücksichtigung infrastruktureller Probleme, die sich aus der Zulässigkeit von großen Verbrauchermärkten ergäben.

Die Rechtsunwirksamkeit des BPl Nr. 4 a 1967 erfasse auch die 1971 beschlossene Änderung, weil sie keine rechtliche Selbständigkeit besitze und daher das rechtliche Schicksal der ursprünglichen Fassung teile. Das Vorhaben der Klägerin beurteile sich daher nach den Vorschriften für unbeplante Bereiche. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Grundstücke der Klägerin dem unbeplanten Innenbereich (§ 34 BBauG) oder dem Außenbereich (§ 35 BBauG) zuzurechnen seien, entscheidend sei allein, daß Einkaufszentren der hier vorgesehenen Art nicht in diesen Gebieten, sondern nach § 11 BauNVO 1977 nur in Sondergebieten zulässig seien.

Gegen das ihr am 5. Januar 1983 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, dem Februar 1983, Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, das angefochtene Urteil habe die Heilungsvorschriften der §§ 181f Abs. 2 und 155 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BBauG unzutreffend ausgelegt. Bei der Beurteilung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals "geordnete städtebauliche Entwicklung" hätten die Lage der umstrittenen Grundstücke am äußersten Rand der Gemeinde P., die verkehrstechnischen Probleme der landwirtschaftlichen Nutzung, die Anbindung an ein bereits vorhandenes Gewerbegebiet, sowie die bei einer Größe der Gemeinde von 6.000 ha unerhebliche Fläche von 4 ha (= 0,75 %) berücksichtigt werden müssen. Dies müsse zu dem Ergebnis führen, daß eine im umfassenden Rahmen so unbedeutende Abweichung vom Flächennutzungsplan die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde P. nicht beeinträchtigen könne. Daß die geordnete städtebauliche Entwicklung durch das Nichtentwickeln des BPL Nr. 4 a aus dem Flächennutzungsplan nicht gestört worden sei, ergebe sich auch aus der parallel verlaufenen und am 5. April 1971 abgeschlossenen Änderung des Flächennutzungsplans.

Für den Fall der Nichtigkeit des BPl Nr. 4 a sei das Vorhaben nach § 34 BBauG zulässig. Insoweit wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug.

Die Klägerin beantragt.

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 20.12.1982 Az.: II/1 E 3500/82 den Bescheid des Beklagten vom 04.06.1982 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten in Kassel vom 30.08.1982 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ergänzt und vertieft sein bisheriges Vorbringen.

Die Beigeladenen nehmen Bezug auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt ihrer gegenseitigen Schriftsätze verwiesen.

Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Hefter) sowie die Bauleitpläne der Gemeinde P. für die streitigen Grundstücke der Klägerin lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Berufung hat im wesentlichen keinen Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht allerdings angenommen, die Klage ziele auch auf die Errichtung eines Garten- und eines Autocenters, und sie insoweit als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin hat von Anfang an nur Anfechtungsklage gegen den Abhilfebescheid des Beklagten vom 4. Juni 1982 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten in K. vom 30. August 1982 erhoben. Zwar hat sie in der Klageschrift ausgeführt, daß auf den noch nicht bebauten Grundstücksflächen die Neubauten für ein Garten- und ein Autocenter mit einer Fläche von je 1.500 qm errichtet werden sollen, das Verwaltungsgericht war jedoch nach § 88 VwGO gehindert, über den von der Klägerin gestellten Antrag hinauszugehen, zumal sich auch aus der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts vom 20. Dezember 1982 keine Anhaltspunkte ergeben, daß dieser Punkt mit der Klägerin erörtert und ihr Begehren insoweit klargestellt worden ist. Das angefochtene Urteil mußte daher insoweit abgeändert werden.

Im übrigen mußte der Berufung der Erfolg versagt bleiben. Die zulässige Anfechtungsklage ist nicht begründet. Der Widerrufsbescheid des Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten in K. ist rechtlich nicht zu beanstanden. Er findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 92, 101 Abs. 1 Nr. 1 der Hessischen Bauordnung in der Fassung vom 16. Dezember 1977 (GVBl. 1978 I S. 1) - HBO -. Danach kann ein Vorbescheid widerrufen werden, wenn er dem bestehenden Recht widersprach und noch widerspricht und Ausnahmen oder Befreiungen nicht zulässig sind. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob die Beigeladene Stadt F. zur Erhebung des Widerspruchs gegen den der Klägerin erteilten Vorbescheid befugt war. Zwar ist dem § 101 HBO ein Nachbarschutzcharakter insofern und insoweit immanent, als die Bauaufsichtsbehörde nach ihrem Ermessen entscheiden kann, ob nach Erteilung einer Baugenehmigung Vorschriften verletzt worden sind, für die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes zu sorgen ist, mit der Folge, daß der betroffene Nachbar einen Anspruch auf sachgerechte Überprüfung der Frage des Widerrufs der Baugenehmigung durch die Behörde hat (vgl. HessVGH, U. v. 12. Juli 1968 - IV OE 68/67 -); hiervon bleibt jedoch die Befugnis und gegebenenfalls die Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde unberührt, das Vorbringen eines Nachbarn oder sonstigen Betroffenen zum Anlaß zu nehmen oder völlig unabhängig davon, die Voraussetzungen des Widerrufs einer Baugenehmigung zu überprüfen und - sofern sie gegeben sind - den Widerruf auszusprechen.

Der Vorbescheid über die von der Klägerin vorgesehen Nutzungsänderung ihrer Betriebsgrundstücke für einen Verbrauchermarkt findet in dem Bebauungsplan Nr. 4 a - T./L. aus dem Jahre 1968 - BPl Nr. 4 a 1968 - der beigeladenen Gemeinde P. keine Rechtsgrundlage, denn dieser Bebauungsplan ist nicht rechtswirksam zustandegekommen. Er verstößt gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 BBauG, wonach Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln sind. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 2 BBauG, der ausnahmsweise die Aufstellung eines selbständigen Bebauungsplan ohne Entwicklung aus einem zuvor aufgestellten Flächennutzungsplan zuläßt, sind hier nicht erfüllt, denn die beigeladene Gemeinde P. besaß einen gültigen Flächennutzungsplan. Es liegt somit weder der Fall vor, daß vor Aufstellung eines Flächennutzungsplan ein Bebauungsplan vorgezogen werden soll, noch der Fall, daß allein der Bebauungsplan ausreicht, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen. Daß aus zwingenden Gründen ein Bebauungsplan vor der Aufstellung eines Flächennutzungsplans aufgestellt werden kann, rechtfertigt nicht die Aufstellung eines Bebauungsplans im Widerspruch zu den Darstellungen eines vorhandenen Flächennutzungsplans, auch wenn diese Darstellung in Richtung der Festsetzungen des Bebauungsplans änderungsbedürftig sind (vgl. BVerwG, U. v. 28. Februar 1975 - IV C 74.72 -- BRS 29 Nr. 8) . Dem BPl Nr. 4 a 1968 lag der am 14. Oktober 1959 von dem Kreistag des Landkreises F. beschlossene und am 28. Dezember 1959 von dem Regierungspräsidenten in K. genehmigte Generalbebauungs- und Gebietsplan sowie der ebenfalls am 14. Oktober 1959 von dem Kreistag des Landkreises F. beschlossene und von dem Regierungspräsidenten in K. am 28. Dezember 1959 genehmigte Flächennutzungsplan zugrunde. Diese Pläne galten nach §§ 173 Abs. 2 BBauG, 2 der 2. Verordnung zur Durchführung des Bundesbaugesetzes vom 20. Juni 1961 (GVBl. l S. 86) als Flächennutzungspläne im Sinne des § 5 BBauG fort. Ob diese Pläne öffentlich bekannt gemacht worden sind, konnte im vorliegenden Verfahren nicht mehr festgestellt werden. Für ihre Wirksamkeit war dies auch nicht zwingend erforderlich. Zwar hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 10. Juli 1964 - OS IV 30/62 - HessVGRspr. 1965, 2 ff. entschieden. daß jede Norm des geschriebenen Rechts zu ihrer Wirksamkeit der Verkündung bedarf und § 9 Abs. 1 Hess.AufbauG gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, soweit er nicht zu verkündende Bauleitpläne zu Teilen des Ortsbaurechts erklärte; diese Ausführungen gelten jedoch nur, soweit Bauleitpläne den Charakter von Rechtsnormen haben. Für den Flächennutzungsplan, der weder Verwaltungsakt noch Rechtsnorm ist, sondern, eine hoheitliche Willensäußerung eigener Art darstellt, finden sie keine Anwendung. In deren Generalbebauungs- und Gebietsplan sowie dem Flächennutzungsplan aus dem Jahre 1959 sind die hier betroffenen Grundstücke der Klägerin als landwirtschaftlich genutzte Flächen (Acker, Wiese), dargestellt. Der BPl Nr. 4 a 1968 weist dagegen diese Flächen als Gewerbegebiet aus. Die Ausweisung als Gewerbeflächen wird von § 8 Abs. 2 Satz 1 BBauG nicht mehr gedeckt. Zwar ist mit dem Begriff des Entwickelns eine gewisse Gestaltungsfreiheit der Gemeinde verbunden, die es ihr sogar ermöglicht, über ein Ausfüllen des Vorgeplanten hinaus in dessen Rahmen eigenständig zu planen, ja sogar in einem gewissen Maß von den Darstellungen des Flächennutzungsplans abzu weichen (BVerwG, U. v. 28.Februar 1975 a.a.O.; U. des Senats vom 8. September 1986 - 3 OE 57/83 -).Der Spielraum der Gemeinde bei der Ausgestaltung des Bebauungsplans findet jedoch dort seine Schranken, wo die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans angetastet wird. Je konkreter der Flächennutzungsplan ist, desto weniger Spielraum bleibt der Gemeinde bei der Bebauungsplanung (Hess VGH., B. v. 18. Juli 1969 - IV N 5/68 -, BRS 22 Nr. 23). Im Flächennutzungsplan dargestellte Hauptnutzungen dürfen nicht völlig oder zu einem wesentlichen Teil aufgehoben oder räumlich verändert werden (vgl. Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BBauG, Stand August 1986, § 8 Rdnr. 5). In der Regel gehört zu der vom Bebauungsplan einzuhaltenden Grundkonzeption des Flächennutzungsplans die Zuordnung der einzelnen Bauflächen zueinander und zu den von der Bebauung freizuhaltenden Gebieten. Wenn durch ein Abweichen im Bebauungsplan das Gewicht verschoben wird, das einer Baufläche und dem Flächennutzungsplan zu anderen Bauflächen oder zu den von der Bebauung freizuhaltenden Flächen nach Qualität und Quantität zukommt, dann wird regelmäßig zwischen Flächennutzungeplan und Bebauungsplan ein derartiger Widerspruch vorliegen, daß von einem "Entwickeln" nicht mehr gesprochen werden kann (BVerwG, U. v. 28. Februar 1975, a.a.O.).

Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei der Abweichung des Flächennutzungsplans von dem BPl Nr. 4 a 1968 nicht um eine nur geringfügige Verschiebung der Darstellungen der bebauten und unbebauten Flächen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß ihre hier betroffenen Grundstücke nur 0,075 % des Gemeindegebietes ausmachten und von daher eine unbedeutende Abweichung vom Flächennutzungsplan vorliege, die die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde P. nicht beeinträchtigen könne, übersieht sie. daß hier nicht allein die Fläche ihrer eigenen Grundstücke, sondern die gesamte Fläche des von dem BPl Nr. 4 a 1968 erfaßten Gebiets maßgebend ist. Zum anderen handelt es sich bei der Ausweisung des Gewerbegebietes "T." und "L." nicht um die Abrundung eines größeren Gebietes, sondern um die beträchtliche Erweiterung eines vorhandenen Gewerbegebietes. Wenn auch landwirtschaftliche Flächen in der Regel allein geeignet sind, einer späteren Vergrößerung der Baugebiete zu dienen, rechtfertigt dies aber nicht, die in einem Flächennutzungsplan dargestellten landwirtschaftlichen Flächen im Bebauungsplan als Fläche für eine bauliche Nutzung auszuweisen (vgl. Schlichter-Stich-Tittel, BBauG, 3. Aufl., § 8 Rdnr. 3).

Der Verstoß gegen das gesetzliche Gebot des § 8 Abs. 2 Satz 1 BBauG, daß der Bebauungsplan aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln ist, führt im gegebenen Fall zur Nichtigkeit des BPl Nr. 4 a 1988. Die Voraussetzungen der §§ 183 f Abs. 2, 155 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BBauG die, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 8 September 1986, a.a.O. ausgeführt hat, eine Heilungsmöglichkeit bei materiellen Abweichungen vom Flächennutzungsplan schaffen, die über das im Rahmen des Entwickelns zulässige Maß hinausgehen, liegen nicht vor. Für die Beantwortung der Frage, wann die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans verletzt, gleichwohl die geordnete städtebauliche Entwicklung nicht beeinträchtigt ist, muß darauf abgestellt werden, ob der über den Bereich des Bebauungsplans hinausgehende Raum und die übergeordneten Darstellungen des Flächennutzungsplans tangiert sind (U. des Senats vom 8. September 1986, a.a.O.; OVG Bremen, U. v. 10. März 1981 OVG 1 T 8/80 - VRspr. 32, 999 <1002>; Battis-Krautz-Berger-Löhr, BBauG § 155 b Rdnr. 7). Die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans bezieht sich auf den räumlichen Bereich, für den der Bebauungsplan aufgestellt wird, die Gesichtspunkte für die Beurteilung der geordneten städtebaulichen Entwicklungen bestimmen sich dagegen aus dem Flächennutzungsplan insgesamt oder aus einem größeren Raum. Zutreffend hat das OVG Koblenz ausgeführt, § 155 b Abs.1 Satz 1 BBauG könne vernünftigerweise nur so verstanden werden, daß ein Bebauungsplan nicht deshalb unwirksam sein solle, weil für einzelne Baugebiete die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans aufgegeben werde, in dem eine andere Art oder ein unterschiedliches Maß der baulichen Nutzung als ursprünglich vorgesehen verbindlich festgesetzt werde, solange die Auswirkungen dieses Abweichens vom Flächennutzungsplan die benachbarten Gebiete nicht beeinträchtigen und die geordnete städtebauliche Entwicklung des Gemeindegebietes in seiner Gesamtheit nicht gefährden könne (OVG Koblenz, U. v. 17. März 1981 - 10 C 29/79 - , S. 10, DÖV 1982, 294 <LS>).Die Anwendung des § 155 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BBauG darf jedoch nicht dazu führen, daß die Funktion des Flächennutzungsplans als grundlegendes Instrument zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung (BT-Drucks. 8/2885, S. 45) unterlaufen wird. Der Senat ist der Auffassung, daß hier diese Funktion des Flächennutzungsplans außer acht gelassen und damit die geordnete städtebauliche Entwicklung in der Gemeinde P. beeinträchtigt worden ist. Mit. der Ausweisung der im Flächennutzungsplan dargestellten landwirtschaftlichen Nutzfläche als Gewerbegebiet, ist über die nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BBauG erforderliche Zuordnung der einzelnen Bauflächen zueinander eine beträchtliche Ausweitung des insgesamt nicht sehr großen gemeindlichen Gewerbegebietes erfolgt. Dadurch wird die städtebauliche Entwicklung im Bereich der gewerblichen Ansiedlung und der davon ausgehenden infrastrukturellen Auswirkungen auf das gesamte Gemeindegebiet erheblich gesteuert. Es handelt sich hier nicht um eine nur geringfügige Arrondierung eines Gewerbegebietes. Der Verstoß des BPl 4 a 1968 gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 BBauG ist daher nicht durch § 155 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BBauG geheilt worden.

Daß die am 21. Mai 1971von der beigeladenen Gemeinde beschlossene Änderung des BPl Nr. 4 a 1968, die am 9. Juni 1972 öffentlich bekanntgemacht worden ist, keine rechtliche Selbständigkeit besitzt, sondern das rechtliche Schicksal der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans teilt, hat das Verwaltungsgericht zutreffen ausgeführt. Auf diese Darstellung wird Bezug genommen.

Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung beurteilt sich somit nach den Vorschriften über unbeplante Bereiche. Da die Grundstücke der Klägerin und die in westlicher Richtung daran anschließenden Grundstücke ebenfalls bebaut sind, findet § 34 BBauG über die Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile Anwendung. Nach dieser Vorschrift ist ein Vorhaben u.a. zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entspricht die Eigenart der nähren Umgebung nach der vorhandenen Bebauung einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiet, so ist ein Vorhaben nach § 34 Abs. 3 BBauG nur zulässig. wenn es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet zulässig wäre. Führt die Überprüfung eines Vorhabens nach § 34 Abs. 3 BBauG zu einem negativen Ergebnis, so ist das Vorhaben unzulässig, und es entfällt die weitere Prüfung, ob es sich in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BBauG einfügt (BVerwG, U. v. 25. November 1983 - 4 C 64.79 -, BRS 40 Nr. 45; Ernst-Zinkahn-Bielenberg, a.a.O., 34. Rdnr. 33). So liegt es auch hier. Die Eigenart der baulichen Nutzung der klägerischen Grundstücke wird durch ihre bisherige gewerbliche Nutzung und die gewerbliche Nutzung der in westlicher Richtung angrenzenden Grundstücke bestimmt, so daß dem Gebiet der Charakter eines Gewerbegebietes zukommt. Daß im Bereich der Straßen P.-allee und I.-K.-Straße ein Möbeleinkaufszentrum (Möbel-L.) vorhanden ist, vermag an dem Gebietscharakter Gewerbegebiet nichts zu ändern, insbesondere wird durch diesen Betrieb nicht der Charakter eines Kerngebietes begründet. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es daher nicht darauf an, ob sich der von ihr angestrebte Verbrauchermarkt im Rahmen des durch das Möbeleinkaufszentrum mitgeprägten Bandbreite des Gebiets bewegt - was bereits zweifelhaft ist, jedoch nicht näher erörtert zu werden braucht -, sondern allein, ob in dem als Gewerbegebiet klassifizierten Gebiet der Verbrauchermarkt. zulässig ist. Diese Frage muß verneint werden. In Gewerbegebieten, sind zwar nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO u.a. Gewerbebetriebe aller Art zulässig, hierzu zählen jedoch nicht Einkaufszentren der hier geplanten Art, die aufgrund des im Zeitpunkt der Erteilung des Vorbescheides geltenden § 11 Abs. 3 BauNVO 1977 außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig sind (vgl. jetzt § 11 Abs. 3 BauNVO 1987).

Da die von der Klägerin vorgesehene Nutzung ihrer Grundstücke für einen Verbrauchermarkt bauplanungsrechtlich unzulässig war und ist und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen, hat der Beklagte von dem ihm in § 101 Abs. 1 Nr. 1 HBO eingeräumten Ermessen zum Widerruf des Vorbescheides in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht.

Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen, wobei die zur Klarstellung erforderliche teilweise Aufhebung des Urteils kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt. Die außergerichtlichen Kosten der beigeladen Stadt F. sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig. Zwar hat sie keinen Antrag gestellt und damit auch nicht das Risiko eigener Kostentragung gemäß § 154 Abs. 3 VwGO auf sich genommen, sie hat jedoch das Verfahren gegen die Klägerin herbeigeführt und es durch ausführliche Stellungnahmen gefördert. Bei dieser Sachlage entspricht es billigem Ermessen, der Klägerin die au8ergerichtlichen Kosten der beigeladenen Stadt F. aufzuerlegen. Die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Gemeinde P. sind dagegen nicht erstattungsfähig, denn sie hat gegen das Vorhaben der Klägerin keine grundsätzlichen Einwendungen erhoben und auch keinen Sachantrag gestellt.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.