StGH des Landes Hessen, Beschluss vom 07.11.1952 - P.St. 107
Fundstelle
openJur 2012, 16878
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.

Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Bürgermeister der Stadt ... hat zur Begründung des vorstehenden Antrags folgendes ausgeführt:

Die Stadt ... habe bis zum Jahre 1943 die Versorgungsangelegenheiten ihrer Bediensteten selbständig geregelt. Nach Erlass des "Gesetzes über die Versorgungskassen der Gemeinden und Gemeindeverbände des Landes Hessen" vom 20.VI.1943 (Hess. Reg. Bl. 1943 Seite 35) habe für die Stadt eine Zwangsmitgliedschaft bei der Versorgungskasse ... bestanden, wobei sie der innerhalb der Kasse selbständigen Abteilung B angehört habe und auch jetzt, nachdem seit 1950 ihre Mitgliedschaft auf der Basis freiwilliger Versicherung beruhe, noch weiterhin angehöre.

Während die wirtschaftlichen Verhältnisse der Versorgungskasse Abteilung B zurzeit ausgeglichen seien, bestehe bei der Abteilung A ein Fehlbedarf, der im Jahre 1949 570000 DM betragen habe, der aber unter Umständen noch weiter ansteigen könne.

In § 12 Abs. 4 des hessischen Finanzausgleichgesetzes (FAG) vom 27.VI.1950 (GVBl. S. 119) sei bestimmt, dass die im Regierungsbezirk ... von den Landkreisen zu entrichtende Landesumlage im Rechnungsjahr 1950/51 um den Betrag erhöht werden könne, der zum Ausgleich des Fehlbetrages der Versorgungskasse Abteilung A ... erforderlich sei, soweit dieser durch die Mitgliedschaft der Angestellten und Arbeiter von Gemeinden und Gemeindeverbänden des Regierungsbezirks ... entstanden sei, jedoch nicht um mehr als 1 1/2 % der Umlagegrundlagen.

Auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmung sei die Stadt am 5.VII.1951 durch Umlagebescheid des Landrats in ... zur Zahlung dieser Sonderumlage in Höhe von 8057,96 DM aufgefordert worden. Sie betrachte die mittels der Sonderumlage zur Kreisumlage vorgenommene Umlegung des Fehlbedarfs der Versorgungskasse Abteilung A als unberechtigt, weil die angezogene Bestimmung des FAG das in Art 137 HV und Art 28 GG garantierte Recht der Selbstverwaltung verletze.

Hervorzuheben sei dabei noch, dass infolge Mitfinanzierung der Selbstverwaltungsaufgaben anderer Gemeinden die eigene Finanzkraft geschwächt auch gegen den Grundsatz der "paritätischen Gleichstellung im staatlichen Finanzausgleich", dem finanziellen Mittel zur Erhaltung der Selbstverwaltung, verstoßen werde.

Mit dieser Antragsbegründung ist seitens der Stadt ... unter ausdrücklichem Hinweis auf § 45 Abs. 2 StGHG der Staatsgerichtshof angerufen worden.

Der Landesanwalt hat sich zum Antragsvorbringen schriftsätzlich geäußert.

Er hält es für unbedenklich, die Verletzung eines gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts mit einer aus § 45 Abs. 2 StGHG abgeleiteten Grundrechtsklage geltend zu machen.

Dabei geht er von einer rechtstheoretischen Charakterisierung des Selbstverwaltungsrechts als eines "natürlichen, vorstaatlichen Rechts" aus, indem er sich an Folgerungen anlehnt, die gelegentlich, aber nicht unangefochten (vgl. Nawiasky – Leusser, Die Verfassung des Freistaates Bayern, München 1948, Seite 86) aus Art 11 Abs. 2 bayer. Verf., wonach "die GemeindenursprünglicheKörperschaften des öffentlichen Rechts sind", und aus Art 49 Ziff. 1 Rh.-Pf.-Verf. (vgl. Süsterhenn – Schäfer, Kommentar der Rh.-Pf.-Verf. Anm. 2 zu Art 49) gezogen worden sind.

Insbesondere beruft sich der LA auf eine angeblich vom bayer. VerfGH. in einer Entscheidung vom 21.XI.1949 – Vf. 20-VII- 49 – vertretene hiermit übereinstimmende Rechtsansicht, die "weitgehend auf Art 137 HV übertragbar" sein soll.

Andererseits hält der LA den im vorliegenden Fall gestellten Antrag nicht fürbegründet.

Aus Art 137 Abs. 5 HV wird vom LA nichtnur"das Recht und die Pflicht des Staates zur Sicherung der Gemeindefinanzen durch Lasten- und Finanzausgleich", vielmehr umgekehrt auch die Pflicht der Gemeinden hergeleitet, "zu diesem Lasten- und Finanzausgleich beizutragen"; nur soll durch Beitragspflicht die Durchführung der gemeindlichen- und Auftragsangelegenheiten der Kommunen nichtvölligin Frage gestellt oder überhaupt die Selbständigkeit der Gemeinden in finanzieller Hinsicht beseitigt oder ausgeholt werden.

In der angefochtenen Vorschrift des § 12 Abs. 4 FAG wird vom LA eine solche Gefährdung der finanziellen Selbständigkeit der Gemeinden nicht gesehen, vielmehr angenommen, dass es sich hierbei nur um den "besonders motivierten Teil" einer durchaus tragbaren von den kreisangehörigen Gemeinden an den Landkreis zu entrichtenden Kreisumlage handele.

II.

Nach Auffassung des Staatsgerichtshofs kann auf die Behauptung, dass eine Gesetzesbestimmung gemeindliches Selbstverwaltungsrecht verletze, kein aus § 45 Abs. 2 StGHG abgeleiteter Antrag gestützt werden, weil hiermit nicht, wie es jene Bestimmung voraussetzt, die Verletzung eines von der Hess. Verfassung gewährtenGrundrechtsgeltend gemacht wird.

Jenes Recht, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten, wie es nach Art 137 HV den Gemeinden und Gemeindeverbänden "vom Staate gewährleistet wird", entspricht einer in Art 28 Abs. 2 GG vornehmlich an die Länder der Bundesrepublik als "Adressaten" gerichteten Forderung (vgl. Wernicke in Bonner Kommentar, Erl. II 2 a).

Schon dieFassungdes letztgenannten Artikels, wonach das Selbstverwaltungsrecht "gewährleistet sein muss", mithin als das oben gekennzeichnete Postulat erscheint, nicht minder aber auch derEinbaudieser Verfassungsnorm imAbschnitt IIdes GG statt im Grundrechtsabschnitt I lassen eindeutig erkennen, dass es sich hierbei um ein Recht handelt, das "vom GG nicht als Grundrecht angesehen wird, vielmehr den Rechtscharakter einer institutionellen Garantie hat" (Wernicke a. a. O.). Eine institutionelle Garantie aber gibt ihrerseits, wie zutreffend in jener vom LA angezogenen Entscheidung des bayer. VerfGH. vom 21.XI.1949 hervorgehoben wird, auch nicht etwa "für sich allein" dem gewährleisteten Recht einen "Grundrechtscharakter". Ohne weiteres vermag sie dieses Recht also nicht jenen "im überstaatlichen Bereich verankerten Rechten" einzugliedern, die als Grundrechte zum "Ethos eines freiheitlichen Staates" gehören (vgl. Maunz, Deutsches Staatsrecht, München und Berlin 1951 Seite 72).

Stellt sich aberinhaltlichArt 137 Abs. 3 HV, wiewohl in derZeitfolgeder Normsetzungen vorausgegangen, als Verwirklichung der in Art 28 Abs. 2 GG aufgestellten Forderung dar, so kann jedenfalls dem Rahmen der institutionellen Garantie auch hier die Anerkennung nicht versagt werden.

Nur wenn für das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht jene rechtstheoretische Einstufung in die vorstaatlichen Rechte unternommen, also die bisherige Auffassung, dass es eine Schöpfung despositivenRechts sei (vgl. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung, 1925, Seite 23) verlassen wird, könnten sich Zweifel über sein Verhältnis zum "staatlichen Rechtsgefüge", wie es das "Kernproblem aller Grundrechte" darstellt, ergeben (vgl. Maunz a. a. O. Seite 72) und schließlich die Anwendung eines den Grundrechten vorbehaltenen Rechtsschutzes nahelegen.

Indes kann der Staatsgerichtshof sich eine derartige Einstufung des in Frage kommenden Selbstverwaltungsrechts nicht zu eigen machen, also nicht anerkennen, dass "die Gemeinde ein ursprüngliches, nicht vom Staate abgeleitetes Selbstverwaltungsrecht habe" (so Süsterhenn-Schäfer a. a. O.). Es trifft auch nicht zu, dass in der mehrerwähnten Entscheidung des bayer. VerfGH. vom 21.XI.1949 aus Art 11 Abs. 2 bayer. Verf. die Folgerung auf einen wenigstens für das bayer. Verfassungsrecht anzunehmenden Grundrechtscharakter des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gezogen worden ist. Die Entscheidung lässt vielmehr ausdrücklich diese Folgerung "dahingestellt bleiben", weil es in dem zur Erörterung stehenden Fall nicht auf das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, vielmehr nur auf dasjenige der Gemeindeverbändeankam, für die schlechterdings eine "Ursprünglichkeit" als Gebietskörperschaften ausscheidet, weshalb auch das Selbstverwaltungsrecht dieser Verbände, wie es wörtlich heißt, "nicht als Grundrecht ... anerkannt werden kann".

Da in der Hessischen Verfassung von "ursprünglichen Gebietskörperschaften" irgendwelcher Art überhaupt nicht die Rede ist, muss hier ebenso, wie für jene Gemeindeverbände des bayer. Rechts die Bewertung des Selbstverwaltungsrechts als eines Grundrechts, mithin auch eine aus § 45 Abs. 2 StGHG abgeleitete Antragsberechtigung ausgeschlossen bleiben.

Die Frage, ob damit für das Hessische VerfassungsrechtjedeMöglichkeit, die institutionelle Garantie des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts vor Verletzung zu schützen, genommen wird, ob insbesondere die in § 91 Satz 1 BVerfGG vorgesehene Verfassungsbeschwerde Ersatz für die fehlende Anwendbarkeit jenes § 45 Abs. 2 StGHG zu bieten vermag, ist hier nicht zu erörtern. Eine der Vorschrift des § 91 Satz 2 BVerfGG entsprechende Zuständigkeit der Landesverfassungsgerichtsbarkeit zu begründen, die bisher allein für Bayern nach Art 66 bayer. Verf. und für Rheinland-Pfalz nach Art 130 Abs. 1 Rh.-Pf.-Verf. besteht, muss dem hessischen Gesetzgeber überlassen bleiben (vgl. Schäfer. Das Verhältnis zwischen Bundes- und Verfassungsgerichtsbarkeit in JZ. 1951 Seite 199 ff.).

Der seitens der Stadt ... beschrittene Weg, ihr angeblich verletztes Selbstverwaltungsrecht zu schützen, ist nach vorstehenden Ausführungen jedenfalls nicht gangbar, der gestellte Antrag deshalb gemäß § 21 Abs. 1 StGHG als offenbar unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 24 StGHG

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