BVerfG, Beschluss vom 08.07.2005 - 1 BvR 1078/05
Fundstelle
openJur 2012, 25508
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Rafael Hofmann, Moers, wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Prozesskostenhilfeantrages.

Durch Versäumnisurteil war der Beschwerdeführer zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages der Regelbetragsverordnung für den im September 2000 geborenen Sohn verurteilt worden. 1998, ein Jahr nach Erlangung der mittleren Reife, brach der heute 25-jährige Beschwerdeführer den Schulbesuch ab. Bis Frühjahr 2000 war er mit Unterbrechungen als geringfügig Beschäftigter tätig. Eine im März 2002 begonnene Lehre brach der Beschwerdeführer nach einem Monat ab. Darüber hinaus stand er in keinem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis. Im Juni 2004 strich die Agentur für Arbeit den Beschwerdeführer aus der Liste der Ausbildungssuchenden; seitdem bezieht er Arbeitslosengeld II in Höhe von 345 Euro monatlich.

Für seine auf Leistungsunfähigkeit gestützte Rechtsverteidigung gegen die Verurteilung zur Zahlung von Kindesunterhalt beantragte der Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe. Er habe sich ausreichend, aber erfolglos um einen Ausbildungsplatz bemüht. Der Anfang 2002 geschlossene Ausbildungsvertrag sei nicht durch sein Verschulden aufgelöst worden; hierauf komme es im Übrigen nicht an, da er auch mit der vereinbarten, unter dem Selbstbehalt liegenden Ausbildungsvergütung nicht zur Unterhaltszahlung in der Lage gewesen wäre. Es sei unzulässig, ihm eine seinem Alter und seiner schulischen Bildung entsprechende Ausbildung zu verweigern. Der Prozesskostenhilfeantrag des Beschwerdeführers blieb vor dem Ausgangs- sowie dem Beschwerdegericht ohne Erfolg. Die beabsichtigte Rechtsverteidigung habe keine Aussicht auf Erfolg. Der Beschwerdeführer schulde dem Kläger keine - ohnehin nur unzureichend dargelegten - Bemühungen um eine Ausbildungsstelle, sondern die Sicherstellung des Lebensunterhalts.

II.

Mit seiner gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2 GG sei er berechtigt, eine Erstausbildung zu erhalten. Die angegriffenen Entscheidungen bedeuteten, dass er keinen Anspruch auf Ausbildung habe und aufgrund der Geburt des Kindes für die Jahre des Unterhaltsbedarfs auf eine ungelernte Aushilfstätigkeit verwiesen werde.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt.

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Auch ist ihre Annahme nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet ist.

2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten. Die Versagung der Prozesskostenhilfe verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Verbot der Diskriminierung wegen Armut).

a) Zwar gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 <131 f.>; 10, 264 <270>; 22, 83 <88>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>). Es ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG kommt erst dann in Betracht, wenn die Fachgerichte den ihnen bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussichten verfassungsrechtlich zukommenden Entscheidungsspielraum unter Verkennung der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, verfehlen (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>).

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverteidigung überspannt hätten. Gemäß § 1603 Abs. 2 BGB sind Eltern ihren minderjährigen, unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt zu verwenden. Hieraus folgt auch die Verpflichtung des unterhaltspflichtigen Elternteils, im Interesse des Unterhaltsberechtigten die eigene Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Es entspricht daher der herrschenden und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv die erzielbaren Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese "bei gutem Willen" ausüben könnte. Dementsprechend ist vorliegend die auf mangelnde Erfolgsaussichten gestützte Versagung der Prozesskostenhilfe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer befand sich während des unterhaltsrechtlich relevanten Zeitraums mit Ausnahme eines Monats in keinem Ausbildungsverhältnis, welches die Aufnahme einer weiteren Erwerbstätigkeit als unzumutbar hätte erscheinen lassen. Inwiefern allein ein unerfüllter Ausbildungswunsch einer Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers entgegenstehen und eine solche unzumutbar erscheinen lassen könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die Frage, ob ein Unterhaltspflichtiger in jugendlichem Alter seine Erwerbsobliegenheitspflicht verletzt, wenn er nach einer Zeit der Orientierungslosigkeit zur Erlangung einer Erstausbildung eine nur gering vergütete Ausbildungs-, statt einer besser bezahlten Arbeitsstelle annimmt, steht daher vorliegend nicht zur Entscheidung. Soweit sich der Beschwerdeführer im März 2002 in einem Ausbildungsverhältnis befand, mangelt es seinem Vorbringen im Ausgangsverfahren wie auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren an einer hinreichend substantiierten Begründung.

c) Auf eine weitere Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG verzichtet.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.