LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 26.01.2012 - L 3 U 329/09
Fundstelle
openJur 2012, 16621
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 23. November 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 21. August 2007 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Der 1970 geborene Kläger ist als Zugführer und Kundenbetreuer im Nahverkehr bei der D R AG beschäftigt. Am 21. August 2007 endete seine Arbeitszeit um 1:02 Uhr morgens. Er fuhr mit seinem Kollegen K in dessen privatem Pkw von dem Einsatzort C zu seinem Wohnort in G. Der Kollege fuhr mit dem Auto noch bis zur Auffahrt des Hauses, in dem der Kläger wohnt. Unmittelbar nach der Ankunft, direkt vor der Auffahrt stehend, röchelte Herr K und sackte, noch angeschnallt hinter dem Lenkrad sitzend, leblos zusammen. Als der Kollege auch nicht auf Ansprache reagierte, steig der Kläger aus dem Wagen, rannte in seine Wohnung gerannt und rief den Rettungsdienst. Danach ging er zum Auto zurück, schnallte Herrn K ab, zog ihn aus dem Auto und legte ihn auf den Boden. Der Rettungswagen traf aufgrund der Nähe des Krankenhauses schnell ein. Der Kläger blieb, nachdem Herr K in den Rettungswagen verbracht worden war, neben dem Rettungswagen stehen, so dass er die Wiederbelebungsversuche des Notarztes hörte. Kurz darauf wurde er vom Rettungspersonal nach dem Namen des Kollegen sowie dessen Ausweis gefragt. Da der den Ausweis im Auto nicht finden konnte, wurde er gebeten, die Ehefrau des Kollegen zu verständigen. Dann fuhr der Rettungswagen ab, während der Kläger von seiner Wohnung aus die Ehefrau anrief. Da die Ehefrau über kein Auto verfügte und nicht wusste, wie sie schnell zum Krankenhaus kommen soll, nahm der Kläger das Auto des Kollegen, fuhr zu dessen Ehefrau und dann mit dieser zum Krankenhaus, wo er sie zunächst aussteigen ließ. Er selber stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Krankenhauses ab und ging dann in die Notaufnahme, um der Ehefrau den Autoschlüssel zu geben. Kurz darauf kam der Notarzt herein und überbrachte die Nachricht vom Tod des Kollegen. Anschließend ging der Kläger gegen 02:45 Uhr zu Fuß nach Hause.

Die Beklagte erhielt Kenntnis von dem Vorfall durch den Durchgangsarztbericht (DAB) der Chirurgin Dr. H vom 23. August 2007. Dort hatte sich der Kläger am 23. August 2007 nach einer Erstvorstellung beim Hausarzt Dr. K am 21. August 2007 vorgestellt. Dr. H berichtete, der Kläger müsse ständig an das Geschehen denken und habe Probleme mit der Verarbeitung des Geschehens. Der Hausarzt habe Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Dr. H diagnostizierte eine psychische Stressreaktion (F30.8). Dr. H übersandte ferner zwei Arztbriefe der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 28. August 2007 und 22. August 2005. In ersterem Bericht diagnostizierte Frau Dr. S eine akute Belastungsreaktion, in letzterem eine länger bestehende depressive Störung mit somatischen Störungen, DD: somatoforme Störungen bei Verdacht auf Persönlichkeitsstörung.

Mit Bescheid vom 10. September 2007 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Ereignisses ab, da ein eigentliches Unfallereignis im sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nicht vorgelegen habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. November 2007).

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht Cottbus (SG) hat der Kläger geltend gemacht, der Vorfall stelle sehr wohl einen Unfall dar. Auch ein psychischer Schock könne Unfallfolge sein. Bis heute sei er wegen der psychischen Folgen in Behandlung.

Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 23. November 2009 abgewiesen. Bei dem Ereignis handele es sich nicht um einen Arbeits- bzw. Wegeunfall i. S. des § 8 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), denn es fehle an einer sachlichen Verbindung zwischen dem Ereignis „Konfrontation mit dem Tod des Arbeitskollegen“ und der verrichteten Tätigkeit. Die Konfrontation mit dem Tod des Arbeitskollegen sei nicht wesentlich durch die Eigentümlichkeiten des Heimweges, seine Gefahren oder seine etwaigen Beschwernisse beeinflusst worden, sondern sei vielmehr lediglich „bei Gelegenheit“ des Weges erfolgt.

Mit seiner am 23. Dezember 2009 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandendburg (LSG) eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren fort unter eingehender Schilderung des Vorfalls.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 23. November 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2007 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 21. August 2007 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Das Ereignis stelle keinen Unfall dar. Das Miterleben des Versterbens eines Menschen sei eine den normalem Umständen des täglichen Lebens zuzurechnende Begebenheit. Im Übrigen fehle es anhand der vorliegenden Befunde an eiern notwendigen psychischen Primärreaktion. Darüber hinaus seien die diagnostischen Kriterien für eine posttraumatische Belastungsreaktion nicht erfüllt.

Der Senat hat Befundberichte der Frau Dr. S vom 03. April 2010, des Allgemeinmediziners Dr. K vom 21. Juni 2010 sowie der Dipl.-Psych. R vom D Gesundheitsservice vom 30. August 2010 und ein Vorerkrankungsverzeichnis der B-BKK vom 10. Mai 2010 eingeholt.

Anschließend ist der Neurologe und Psychiater Dr. A mit der Untersuchung des Klägers und der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. In seinem am 22. Februar 2011 nach einer Untersuchung des Klägers am 21. Februar 2011 erstellten Gutachten ist er zu dem Schluss gekommen, bei dem Kläger bestehe eine Persönlichkeitsstörung F60.8. Diese sei unfallunabhängig. Trotz der vom Kläger geschilderten dramatischen Umstände des Geschehens habe er planvoll entscheiden und handeln können. Von den Symptomen eiern akuten Belastungsreaktion (F43.0) i. S. v. Horror, Panik oder dissoziativen Phänomenen könne nach Aktenlage und Angaben des Klägers keine Rede sein. Diese seien auch von den behandelnden Ärzten nicht benannt worden. Es lasse sich insgesamt zwar eine angemessene Betroffenheit angesichts des Ereignisses feststellen, jedoch kein krankheitswertiger Erstschaden.

Der Kläger hält diese Einschätzung nicht für nachvollziehbar.

Durch Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2010 ist der Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 10. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2007, mit dem die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (Wegeunfalls) abgelehnt hat, ist rechtmäßig.

Für einen Arbeitsunfall ist nach den Maßgaben des § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewährung einer Verletztenrente (Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 04. September 2007 - B 2 U 28/06 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 m. w. N.).

Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwischenglieder. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (Urteil des BSG vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R –, in Juris m. w. N.). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Versicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfallmerkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, Randnr. 3b zu § 128 m. w. N.).

Zu den versicherten Tätigkeiten eines Versicherten zählt nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von der Arbeitsstätte oder einer anderen versicherten Tätigkeit wird damit begründet, dass diese Wege nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit unternommen werden und somit eine Art Vor- oder Nachbereitungshandlung zur eigentlichen versicherten Tätigkeit darstellen. Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung „des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Dieser besteht, wenn der Weg wesentlich zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Da der Gesetzgeber die Grundentscheidung „Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit" in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII getroffen hat, ist von der Rechtsprechung nur zu klären, ob ein Versicherter, als er verunglückte, einen solchen versicherten Weg zurückgelegt und infolge dessen einen Gesundheitserstschaden erlitten hat. Dieser Unfallschutz setzt zunächst voraus, dass der Weg der (grundsätzlich) versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII zuzurechnen ist, weil es sich nur dann um eine nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit handelt. Sodann ist erforderlich, dass die Verrichtung während des Weges zur Zeit des Unfallereignisses in sachlichem Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stand.

Maßgebliches Kriterium hierfür ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet war, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, das heißt ob sein Handeln zum Weg zu oder von der Arbeitsstätte gehört (Urteile des BSG vom 02. Dezember 2008 - B 2 U 15/07 R –, in Juris; vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 29/06 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 25; vom 04. September 2007 - B 2 U 24/06 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 und vom 11. September 2001 - B 2 U 34/00 R -, in SozR 3-2700 § 8 Nr. 9).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Es steht unstreitig fest, dass der Kläger sich in der fraglichen Nacht auf dem unmittelbaren Heimweg von der Arbeit zu seiner Wohnung befand und zum Zeitpunkt des Ereignisses auch noch nicht die Wohnungstür durchschritten hatte. Entgegen der Auffassung der Beklagten sowie des SG entfällt der sachliche Zusammenhang nicht etwa dadurch, dass es sich bei dem Ereignis „Miterleben des Herzanfalls eines Menschen“ um einen Vorgang handelte, mit dem der Kläger auch in privatem Zusammenhang unter Umständen irgendwann einmal hätte konfrontiert werden können, denn dies trifft auf so gut wie alle Ereignisse zu, die einem Versicherten auf einem Weg gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII widerfahren können. Keineswegs stellt die plötzliche Erkrankung eines anderen Menschen eine so genannte Allgemeingefahr dar, denn dabei handelt es sich um Gefahren, die in einem bestimmten Gebiet alle Menschen mehr oder minder gleich bedrohen wie z. B. Naturkatastrophen oder kriegerische Ereignisse. Auch so genannte alltägliche Gefahren – also solche, die keine dem Betrieb eigentümliche oder in ihm erhöhte Gefahrbilden –(wie z. B. Insektenstiche), sind grundsätzlich versichert (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar, Randnr. 47 zu § 8 m. w. N.). Entscheidend ist, dass der Unfall nicht eingetreten wäre, hätte die versicherte Tätigkeit den Versicherten nicht in die jeweilige Gefahrensituation gebracht (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar a. a. O.). Selbst wenn man also mit der Beklagten und dem SG davon ausginge, dass es sich bei dem Miterleben eines Herzfanfalls bzw. des Versterbens eines anderen Menschen um einen alltäglichen Vorgang bzw. eine alltägliche Gefahr handelte, schlösse dies den Versicherungsschutz nicht aus. Denn gerade das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit brachte den Kläger in die Situation, den Herzanfall des Kollegen mitzuerleben.

Dennoch handelt es sich – ausgehend von dem vom Kläger ausführlich geschilderten Hergang der Ereignisse - bei dem Erlebten – Miterleben des Herzanfalls des Kollegen - nicht um einen Arbeits- (Wege- ) Unfall i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, denn es fehlt an einem im Vollbeweis nachgewiesenen Gesundheitserstschaden.

Allerdings stellt das Erlebte grundsätzlich ein äußeres Ereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dar.

Die Eindrücke wirkten auf den Kläger geistig-seelisch ein. Die Ereignisse führten auch zu einer vermehrten Anspannung i. S. v. Stress. Diese geistig-seelische Einwirkung stellte ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dar.

Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Das BSG (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 35/87 -, in SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache war (vgl. Urteile des BVerwG vom 24. Oktober 1963 - II C 10.62 – in BVerwGE 17, 59, 61; vom 09. April 1970 - II C 49.68 - in BVerwGE 35, 133, 134). Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSG SozR 2200 § 1252 Nr. 6). Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (vgl. Keller in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Randnr. 14 zu § 8). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind. Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen (vgl. Urteil des BSG vom 24. Juni 1981 - 2 RU 61/79 -, in SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Gegebenenfalls genügt sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall anzuerkennen ist (vgl. Urteil des BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -, zitiert nach Juris). Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen (vgl. Urteile des BSG vom 18. Dezember 1962 - 2 RU 189/59 -, in SozR Nr 61 zu § 542 RVO; vom 02. Februar 1999 - B 2 U 6/98 R -, in VersR 2000, 789; Ricke in Kasseler Kommentar, Randnr. 24 zu § 8). Hierzu werden in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur als Fallkonstellationen u. a. Geiselnahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kollegen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafter Streit mit Vorgesetzten oder extrem belastendes Personalgespräch, Stresseinwirkung im Rahmen einer Zeugenvernehmung oder Miterleben eines schweren oder tödlichen Unglücksfalls bei der beruflichen Tätigkeit aufgeführt (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar a. a. O.; Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 23/06 –, in SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 39; Dr. Manfred Benz „Psyche und Trauma aus der Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung“ in NZS 2002, S. 8 ff, S. 10). Zutreffend führt Krasney (in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Kommentar zum SGB VII, Stand Januar 2010, Randnr. 8 zu § 8) aus, dass ein Unfall normalerweise ein außergewöhnliches Ereignis ist. Es genügt allerdings auch ein Gesundheitsschaden bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit, denn das Geschehen an sich muss nicht etwas besonders Ungewöhnliches sein, sondern kann auch ein alltägliches Ereignis sein. Es muss sich aber von den alltäglichen Geschehnissen abheben, wie das vom BSG (s. o.) genannte Stolpern vom normalen Gehen. Ähnlich unterscheidet dies die verwaltungsgerichtliche Rechtssprechung für den Bereich des Dienstunfallrechts, wenn sie ausführt, dass für das Eingreifen der Unfallfürsorge kein Anlass besteht bei Vorgängen, die im Rahmen des Dienstverhältnisses üblich und selbstverständlich sind. Derartige Vorkommnisse vermögen den Dienstunfallbegriff von vornherein nicht zu erfüllen. Etwas anderes kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, die den Rahmen der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses übersteigen (vgl. Urteil des Oberverwaltungsgerichts <OVG> Schleswig-Holstein vom 26. November 1993 - 3 L 99/93 -, zitiert nach Juris). Wendet man dies auch auf den Fall einer rein geistig-seelischen Einwirkung („psychisches Trauma“) an, so sollte zumindest eine besondere psychische Anspannung und eine dadurch bedingte Stresssituation verlangt werden (vgl. Keller in Hauck/Noftz, a. a. O. Randnr. 11 zu § 8 unter Verweis auf ein Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 8/96 –, in HVBG-Info 1997, 1279 ff). Bisher ist keine Untergrenze für die für ein psychisches Trauma notwendigen Einwirkungen von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden. Es dürfte auch fraglich sein, ob hier angesichts der Tatsache, dass es keine Normen für seelisches Verhalten gibt, ein generalisierender Maßstab überhaupt praktikabel ist (vgl. hierzu Jens Düsel in „Die Sicherung von Arbeitnehmerrechten“, 2008, S. 75 ff, S. 86).

Bei dem Kläger ist zur Überzeugung des Senats jedoch kein Gesundheitserstschaden festzustellen. Dies folgt aus dem fachgerechten, ausführlichen und überzeugenden Gutachten des Dr. A vom 22. Februar 2011.

Das Unfallereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfordert keine körperlich-organische Schädigung. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII spricht ohne Einschränkung von „Gesundheitsschäden“. Daraus folgt, dass auch wenn sich die Schädigung nur im psychischen Bereich bei gleichzeitig erhaltener körperlicher Integrität auswirkt, ein Unfallereignis vorliegen kann (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10). Ob ein Gesundheitsschaden i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vorliegt, beurteilt sich nach dem Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach ist eine Krankheit ein „regelwidriger Körper- und Geisteszustand“, worunter auch eine psychische Störung fällt (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10).

Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge ist laut ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, in SozR 4 -2700 § 8 Nr. 17) zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei der oder dem Verletzten vorliegen und die Erwerbsfähigkeit mindern. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information <DIMDI> ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV-TR = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung - Textrevision, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 1. Aufl. 2003). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen.

Zwar finden sich im Befundbericht des Dr. K vom 21. Juni 2010, im DAB der Frau Dr. H vom 23. August 2007 sowie in dem Arztbrief der Frau Dr. S. vom 28. August 2007 bzw. dem Befundbericht der Frau Dr. S vom 30. April 2010 für den 21. bzw. 23. bzw. 28. August 2007 psychiatrische Diagnosen (F30.8 „psychische Stressreaktion“ und F 43.0 „akute Belastungsreaktion“). Es fehlt jedoch – wie der Sachverständige Dr. A ausführlich dargelegt hat – an der Beschreibung jeglicher Symptome einer akuten Belastungsreaktion. Soweit Dr. H – fachfremd – eine „psychische Stressreaktion“ F30.8 als Erstdiagnose festgehalten hat, muss es sich um einen Fehler handeln. F30.8 verschlüsselt in allen deutschen ICD-10 Versionen seit 2007 eine „sonstige manische Episode“. Eine „psychische Stressreaktion“ existiert als Diagnose im ICD-10 nicht.

Laut ICD-10 wird die Diagnose „akute Belastungsreaktion“ F43.0 definiert als eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Die individuelle Vulnerabilität und die zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen (Coping-Strategien) spielen bei Auftreten und Schweregrad der akuten Belastungsreaktionen eine Rolle. Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von „Betäubung", mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit. Diesem Zustand kann ein weiteres Sichzurückziehen aus der Umweltsituation folgen (bis hin zu dissoziativem Stupor - F44.2 -) oder aber ein Unruhezustand und Überaktivität (wie Fluchtreaktion oder Fugue). Vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie, Schwitzen und Erröten treten zumeist auf. Die Symptome erscheinen im Allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück. Teilweise oder vollständige Amnesie (F44.0) bezüglich dieser Episode kann vorkommen.

Derartige Symptome/Beschwerden werden aktenkundig jedoch – wie Dr. A aufgezeigt hat – weder in den Berichten der behandelnden Ärzte noch der Bahnpsychologin Dipl.-Psych. R geschildert noch hat der Kläger selber von solchen Phänomenen berichtet. Dr. S berichtet in ihrem Befundbericht vom 30. April 2010 für den 28. August 2007 zwar von Ein- und Durchschlafstörungen, wobei jedoch unklar ist, ob diese nicht auch in Zusammenhang mit der ebenfalls geschilderten Erkältung sowie der schwerwiegenden Erkrankung der Mutter standen. Es findet sich die Angabe von Träumen, wobei auch hieraus alleine nicht auf eine psychiatrische Diagnose geschlossen werden kann.

Die Tatsache, dass der Kläger das Ereignis als belastend erlebt hat, begründet für sich alleine keinen Gesundheitserstschaden i. S. eines regelwidrigen Körper- und Geisteszustandes. Wird ein Ereignis als belastend erlebt, so ist es eine normalpsychologische Reaktion, dass solche Ereignisse bei den Betroffenen Gefühle von Angst, auch von intensiver Angst, von Besorgnis, Erschrecken, auch Verärgerung oder Hilflosigkeit auslösen können. Solche Gefühle sollten nicht von vorne herein mit dem begriff „Störung“ belegt werden, sondern als normalpsychologische Reaktion auf die außergewöhnliche äußere Situation betrachtet werden. Erst wenn die Symptomatik erheblich ist, wenn sie andauert bzw. nicht rückläufig ist, ist das Vorliegen einer psychopathologischen Symptomatik wahrscheinlich und erst dann ist die Rede von einer psychoreaktiven Störung gerechtfertigt (vgl. Prof. Dr. K. Foerster „Die psychoreaktiven Störungen – auch außerhalb der Begutachtung ein häufig schwieriges Thema“, in: Der medizinische Sachverständige 2010, S. 16 ff, 17). Gerade letzteres ist hier aber anhand objektiver Befunde nicht nachzuvollziehen. Soweit der Kläger unter stressabhängigen Somatisierungsbeschwerden nach dem Ereignis gelitten hat, so unterscheiden sich diese nicht erkennbar von den bereits zuvor langjährig geklagten Beschwerden (vgl. hierzu den Befundbericht von Frau Dr. S vom 30. April 2010).

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.