LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Beschluss vom 11.10.2011 - L 34 AS 1382/11 NZB
Fundstelle
openJur 2012, 16075
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für dieses Nichtzulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Die gemäß § 145 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2011 ist unbegründet. Denn weder ist die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts bereits kraft Gesetzes zulässig noch sind Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG gegeben.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 € nicht übersteigt, es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Im erstinstanzlichen Verfahren haben die Kläger die Gewährung weiterer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Kosten der Unterkunft und der Heizung für den Bedarfszeitraum vom 1. Juni 2008 bis zum 31. Juli 2008 in Höhe von insgesamt 358,96 € erstrebt. Im Streit sind damit weder Leistungen für mehr als ein Jahr noch ist der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht.

Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Hiernach ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung kommt einem Rechtsstreit nur zu, wenn von der Entscheidung der Rechtssache erwartet werden kann, dass sie zur Erhaltung und Sicherung der Rechtseinheit und zur Fortbildung des Rechts beitragen wird. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Klärungsfähigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn es auf die als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage im konkreten Rechtsfall ankommt, wenn sie also für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist. Nicht klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, weil sie sich beispielsweise unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sie bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl. Kummer, Der Zugang zur Berufungsinstanz nach neuem Recht, NZS 1993, S. 337 ff. [341] m. w. Nachw.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dabei lässt der Senat ausdrücklich offen, ob die Frage, welche Kosten für die Unterkunft und die Heizung im Land Berlin noch als angemessen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzuerkennen sind, bereits durch verschiedene, in der jüngsten Zeit ergangene Urteile des Bundessozialgerichts (<BSG>; Urteile vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/ 10 R -, B 14 AS 2/10 R -, B 14 AS 65/09 R – und - B 14 AS 23/10 R -) höchstrichterlich geklärt ist.

Denn jedenfalls ist diese Frage nicht klärungsfähig, weil es hierauf im vorliegenden Rechtsstreit nicht ankommt. Das Sozialgericht hat die Klage der Kläger mit drei Begründungen, die nach Auffassung des Gerichts jeweils für sich den geltend gemachten Anspruch ausschließen, abgelehnt: Die Kläger hätten den „Bescheid vom 15. November 2007 (die Kostensenkungsaufforderung) in Bestandskraft erwachsen“ lassen. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Beklagte einen früheren Umzug der Kläger durch Untätigkeit vereitelt habe. Die Kläger hätten in einem Schreiben vom 26. Juni 2008 „zur Überzeugung der Kammer schlussendlich zum Ausdruck gebracht, auf den hier geltend gemachten Anspruch zu verzichten“.

Die Frage, ob es sich bei einer Kostensenkungsaufforderung um einen Verwaltungsakt handelt, der in Bestandskraft erwachsen kann, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil diese Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt ist. Die Kostensenkungsaufforderung ist ein Hinweis auf die Rechtslage und kein der Bestandskraft zugänglicher, feststellender oder Leistungen für die Zukunft ablehnender Verwaltungsakt (Urteile des BSG vom 7. November 2007 – B 7b AS 10/06 R -, 19. März 2008 – B 140/06 BR – und B 11b AS 43/06 R -). Dass das Sozialgericht insoweit eine andere Auffassung vertritt, ist allerdings für das vorliegende Nichtzulassungsverfahren unerheblich. Denn auf die (vermeintliche) Unrichtigkeit des Urteils des Sozialgerichts kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 7). Entsprechendes gilt für die Rüge der Kläger, das Sozialgericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen eines Verzichts bejaht. Im Ergebnis werfen die Kläger dem Sozialgericht damit eine unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall vor.

Die Berufung ist auch nicht wegen der Abweichung von der Rechtsprechung eines Obergerichts zuzulassen (Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Dieser Zulassungsgrund setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines Obergerichts zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen. Dabei muss das abweichende Gericht den mit der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zugrunde gelegt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und damit der obergerichtlichen Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprochen haben. Dagegen genügt nicht ein Rechtsirrtum im Einzelfall, also zum Beispiel eine fehlerhafte Subsumtion des Sachverhalts, eine unzutreffende Beurteilung oder das Übersehen einer Rechtsfrage (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 160 RdNr. 13 und 14 m. w. Nachw.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Insbesondere ist das Sozialgericht nicht in diesem Sinne von einer obergerichtlichen Rechtsprechung abgewichen, indem es die Kostensenkungsaufforderung als Verwaltungsakt qualifiziert hat. Das Sozialgericht hat die einschlägige Rechtsprechung des BSG weder zitiert noch sich mit ihr in dem Sinne auseinandergesetzt, dass es, ausgehend von der bekannten obergerichtlichen Rechtsprechung, eine andere, hiervon abweichende Rechtsauffassung entwickelt hat. Nach dem Urteil des Sozialgerichts hat es die seiner Rechtsauffassung entgegenstehende obergerichtliche Rechtsprechung schlicht übersehen. Eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung ist jedenfalls nicht erfolgt. Das Sozialgericht verschweigt die entgegenstehende Rechtsauffassung des BSG.

Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund § 144 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG) zuzulassen. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der geltend gemachte Mangel muss sich auf das Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil und nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen. Der Verfahrensmangel muss wesentlich sein, d. h. das angefochtene Urteil muss auf diesem Mangel beruhen können. Dies ist schon dann der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensmangel das Urteil beeinflusst hat, das Gericht also ohne diesen Verfahrensmangel zu einem für den Kläger günstigeren Urteil gekommen wäre (Leitherer, a. a. O., § 160 RdNr. 23). Dabei ist bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, von der Rechtsauffassung des Gerichts auszugehen, dem der Verfahrensmangel unterstellt wird.

Die Kläger tragen vor, dass das Sozialgericht „offenkundige Tatsachen falsch verwertet“ hätte, indem es die Erklärung in dem Schreiben vom 26. Juni 2008 nicht korrekt zitiert und auch fehlerhaft ausgelegt habe. Insoweit berufen sich die Kläger aber auf keinen Verfahrensfehler, zumal der Beklagte bereits in der mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2011 die vom Sozialgericht nunmehr geteilte Rechtsauffassung vertreten hat, dass ein wirksamer Verzicht vorliege, und die Kläger damit auch Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, sondern die Kläger rügen auch insoweit im Kern erneut die inhaltliche Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Hiermit können sie aber im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg haben.

Aus den vorstehenden Gründen ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren nach § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.

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