VG Berlin, Beschluss vom 11.05.2011 - 1 L 148.11
Fundstelle
openJur 2012, 15203
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 5. Mai 2011 gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 3. Mai wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 3. Mai 2011 stellte der Polizeipräsident in Berlin fest, dass es sich bei der vom Antragsteller geplanten und angezeigten Veranstaltung am 14. Mai 2011 mit dem Motto "Für den Erhalt der Kastanienallee/Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren Kastanienallee" nicht um eine Versammlung unter freiem Himmel im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG i. V. m. §§ 1 Abs. 1, 14 Abs. 1 VersammlG handele. Der Schutzbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit sei daher nicht eröffnet, eine erlaubnisfreie Durchführung nicht möglich, da die Aktion den Gemeingebrauch öffentlichen Straßenlandes übersteige.

Der nach § 80 Abs. 1 VwGO auch für feststellende Verwaltungsakte zulässige Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 5. Mai 2011 gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 3. Mai wiederherzustellen,

hat Erfolg. Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid als rechtswidrig, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt. Denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann per se kein Interesse bestehen. Es erscheint als möglich, dass der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig ist, weil es für die getroffene Feststellung an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht (anders als die Kammer, vgl. Urteil vom 23. November 2004 - 1 A 271.01 -, juris) im Wege der Auslegung von §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 VersammlG die Ermächtigung der Versammlungsbehörde bejaht durch Verwaltungsakt festzustellen, dass eine angemeldete Versammlung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes behandelt wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Mai 2006 - 1 B 4.05 -, juris Rn. 19). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der dazu gehörenden Revisionsentscheidung es hingegen nicht von vornherein für ausgeschlossen angesehen, dass es an einer solchen Ermächtigungsgrundlage fehlen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 13). Dies kann hier jedoch dahinstehen, denn der Bescheid ist materiell-rechtlich rechtswidrig.

Die auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützte Feststellung geht von einer zu engen Auslegung des Versammlungsbegriffs aus. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen, auf die öffentliche Meinungsbildung gerichteten Zweck inhaltlich verbunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15), wobei der Versammlungsbegriff auf Veranstaltungen zu begrenzen ist, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 -, juris Rn. 19, und vom 7. März 2011 - 1 BvR 388/05 -, juris Rn. 32). Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Es ist deshalb entscheidend, dass die Meinungsbildung und -äußerung gerade mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind aber nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315 ff. = NJW 1985, 2395 <2396>). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen ebenso wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, fallen allerdings nicht unter den Versammlungsbegriff. Hingegen erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik oder auch Tanz verwirklichen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, a. a. O.).

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese "gemischte" Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 u.a. -, a. a. O. Rn. 29).

Zur Frage, wie die Beurteilung einer solch "gemischten Veranstaltung" erfolgen muss, hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23 06 -, a. a. O Rn. 17 f.) folgendes ausgeführt:

"Die Beurteilung, ob eine 'gemischte' Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden "vor Ort" wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.

Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln."

Auch wenn der Antragsgegner durch Gegenüberstellung der Wort- und Musikbeiträge formal versucht hat, diesen Anforderungen nachzukommen, erweist sich seine Einordnung unter Berücksichtigung des dargestellten Maßstabs dennoch als fehlerhaft. Denn die in den genannten drei Schritten vorzunehmende Gesamtschau aller tatsächlichen Umstände spricht für das Vorliegen einer Versammlung.

Bei der im ersten Schritt vorzunehmenden Erfassung aller derjenigen Modalitäten, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen, sind neben dem Thema der Veranstaltung sowohl der räumliche Bezug, die geplante inhaltliche Ausgestaltung als auch die geplante Darstellung der Veranstaltung nach außen mit der dazugehörenden Werbung zu würdigen. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner nicht hinreichend die mit der streitigen Veranstaltung beabsichtigte Einwirkung und Ausstrahlung auf die öffentliche Meinung zum Thema der Veranstaltung "Für den Erhalt der Kastanienallee / Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren" mit dem durch den beim Anmeldernamen angegebenen Zusatz der Initiative "STOPPT K21" klar erkennbaren Ziel, die geplanten Umbauarbeiten in der Kastanienallee durch massiven Bürgerprotest zu verhindern, berücksichtigt. Dass dieses Thema eine große öffentliche Resonanz hat, belegen bereits die im Verwaltungsvorgang enthaltenen Pressemeldungen. Auch das deutlich an "Stuttgart 21 - S21" anknüpfende Kürzel K21 macht den Willen des Antragstellers deutlich, mit der Veranstaltung am 14. Mai 2011 eine ebenso große Protestwelle auslösen zu wollen wie in Stuttgart. Weiteres Indiz für den Charakter als Versammlung ist der vom Anmelder gewählte räumliche Bezug der Veranstaltung, denn diese soll genau in dem von den geplanten Umbaumaßnahmen betroffenen Abschnitt der Kastanienallee zwischen Schwedter Straße und Schönhauser Allee stattfinden. Damit wird der von den Veranstaltern gewollte Zweck, auf die öffentliche Meinung so einzuwirken, dass noch mehr Menschen das Ziel verfolgen, gerade diese Umbauarbeiten zu verhindern, hinreichend deutlich.

Auch in dem Antrag des Antragstellers an das Bezirksamt Pankow von Berlin auf Erteilung einer Genehmigung nach § 11 LImSchG Bln vom 5. April 2011 war als Art des Vorhabens angegeben "Aktionstag der Initiative STOPPT K21, Mehrstündige Kundgebung mit Kulturprogramm". Eine Kundgebung zielt aber gerade auf Darstellung und öffentliche Vermittlung des Veranstaltungsthemas und damit auch auf öffentliche Meinungsbildung. Weder die Einbindung von Musikgruppen noch die Kooperation mit Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Kultureinrichtungen lassen diesen Zweck zurücktreten oder gänzlich entfallen. Es geht dem Anmelder offensichtlich nicht um überwiegende Kulturdarbietungen, sondern um einen öffentlich wirksamen, berlinweit wahrnehmbaren Protest mit größtmöglicher Resonanz gegen den Umbau der Kastanienallee. Dies lässt sich u. a. auch der Formulierung entnehmen, die verschiedenen Musikgruppen werden "für die Kastanienallee spielen" (vgl. http://stoppt-k21.de, Stand 11.05.2011). Auch die Aufstellung von fünfzig Informationsständen und Sammlung von Unterschriften für das Bürgerbegehren nehmen der Veranstaltung nicht ihren Charakter als Versammlung, denn beides zielt darauf ab, die Meinung der Veranstalter, also der Initiative "STOPPT K21", zu verbreiten und durch Information weitere Personen von ihrer Meinung, der Umbau der Kastanienallee müsse gestoppt werden, zu überzeugen.

Für die Veranstaltung am 14. Mai 2011 sind vom Anmelder auch mehrere Reden geplant. Dass dabei Redner unterschiedlichster Initiativen zu Wort kommen sollen, bedeutet entgegen der Annahme des Antragsgegners nicht, dass diese nur zu den Themen der von ihnen vertretenen Initiativen, nicht aber zum Umbau der Kastanienallee ihre Meinung kundtun werden. Es muss mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Redner das Thema der Veranstaltung in ihren Reden aufgreifen werden. Auch der Wechsel von fünfzehnminütigen Rede- und halbstündigen Kulturbeiträgen im Zeitraum von 14.00 bis 22.00 Uhr belegt, dass die Meinungskundgabe während der gesamten Veranstaltung keine unwichtige Rolle spielt. Eine andere Bewertung wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn einer kurzen Rede nur noch Musikdarbietungen folgen sollten; dies ist aber nach dem geplanten Ablauf gerade nicht der Fall. Auch der Auftritt von Musikgruppen während einer Veranstaltung nimmt dieser nicht ihren Charakter als Versammlung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 -, juris). Das zur Veranstaltung am 14. Mai 2011 hergestellte Plakat enthält entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht nur ausschließlich Hinweise auf Musik- bzw. Kulturbeiträge, sondern verweist mit der großen Überschrift "RECLAIM DEMOCRACY" und den kleineren Zusätzen "Kastanienallee Aktionstag" und "Stoppt die Zerstörung zw. Schönhauser Allee und Schwedter Straße" deutlich auf das Anliegen der Veranstaltung und die damit verbundene Meinungskundgabe, die Demokratie zurückfordern zu wollen und damit als Bürger bei Planungsentscheidungen intensiver mitreden und -bestimmen zu können als es bislang der Fall gewesen sein mag. Auch wenn in einigen Presseveröffentlichungen die Veranstaltung als "Straßenfest" bezeichnet wurde, bestehen nach den obigen Ausführungen keine überwiegenden Anhaltspunkte, den Charakter der Veranstaltung als Versammlung allein deshalb zu verneinen.

Die im zweiten Schritt vorzunehmende Würdigung und Gewichtung der nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, hier also die Kulturbeiträge, führt zwar zu einem zeitlichen Übergewicht dieses Veranstaltungsteils, kann aber bei dem im dritten Schritt vorzunehmenden Vergleich beider Teile und ihrer Beziehung zueinander schon wegen der Verschränkung im zeitlichen Ablauf, also des regelmäßigen Wechsels von Rede- und Kulturbeiträgen, nicht als ein auch inhaltliches Überwiegen der Musikdarbietungen mit völlig untergeordneter Meinungskundgabe angesehen werden.

Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, dass sich eine ganz eindeutige Zuordnung der Veranstaltung unter dem Versammlungsbegriff aufgrund nicht immer einheitlicher Darstellung der geplanten Veranstaltung nicht vornehmen lässt. Wie oben aber bereits ausgeführt, muss in den Fällen, in denen Unsicherheiten verbleiben, allein schon wegen des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt werden.

Es kann auch nicht von einer bereits am 18. Dezember 2010 vom Antragsteller durchgeführten Veranstaltung, die damals als Versammlung bewertet wurde, nach einem Vermerk im Verwaltungsvorgang ihren Schwerpunkt aber "in den Musikdarbietungen sowie dem Ausschank von Glühwein und Suppe" gehabt haben soll, auf den Charakter der jetzt gewollten Veranstaltung geschlossen werden. Denn entgegen der früheren Versammlung, auf der nach Darstellung der Polizei keine "richtigen Redebeiträge" gehalten worden sein sollen, sind - wie dargelegt - nun insgesamt neun verschiedene Redebeiträge geplant.

Erst recht unerheblich für die Frage, ob die Veranstaltung als Versammlung zu werten ist, sind die von der Verkehrslenkung Berlin und den Berliner Verkehrsbetrieben geltend gemachten Bedenken bezüglich der Behinderung des öffentlichen Personennahverkehrs und dem in der Kürze der Zeit nicht organisierbaren Ersatzverkehr. Zur Vermeidung eventuell die öffentliche Ordnung gefährdender Verkehrssituationen bei Einstellung des Straßenbahnverkehrs steht es der Versammlungsbehörde frei, gegebenenfalls durch Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersammlG die Ermöglichung des Straßenverkehrs sicherzustellen. Gleiches gilt im Übrigen für eine mögliche Gefährdung der Versammlungsteilnehmer durch die existierende Baustelle. Die Beurteilung, inwieweit für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung weitere Auflagen zu erteilen sind, ist nicht Sache des Gerichts, sondern des Antragsgegners. Sollte sich während der Veranstaltung herausstellen, dass jedwede gemeinsame Meinungsäußerung der Teilnehmer fehlt und nach den oben dargestellten Kriterien eindeutig nicht von einer Versammlung gesprochen werden kann, steht es dem Antragsgegner frei, mit ordnungsrechtlichen Mitteln einzugreifen.