KG, Urteil vom 08.12.2010 - 3 UF 100/09
Fundstelle
openJur 2012, 14344
  • Rkr:

Liegen die Voraussetzungen eines qualifizierten Vaterschaftsanerkenntnisses nach § 1599 Abs. 2 BGB vor, gebührt im Abstammungsverfahren dem deutschen Recht der Vorrang vor einer ausländischen Rechtsordnung, wenn jenes ein Gerichtsverfahren für die Feststellung des wahren Vaters erfordert.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 1. Juli 2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Pankow/Weißensee wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

A.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des am 12. Juli 2004 vom Beklagten abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnisses für das am  ...  . Mai 2 ...  ...   geborene Kind I ...  ...   K ...  ...  .

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Änderungen oder Ergänzungen sind nicht erfolgt.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass der Beklagte wirksam die Vaterschaft für das Kind I ...  ...   K ...  ...  , geb. am  ...  . Mai 2 ...  ...  , anerkannt hat.

Mit der Berufung beantragt der Beklagte,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Gericht hat dem Beklagten mit Beschluss vom 21. September 2010 nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Akte des Amtsgerichts Pankow/Weißensee – 23a F 5592/08 – ist beigezogen worden.

B.

Im vorliegenden Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden, weil das Verfahren vor dem 1. September 2009 eingeleitet worden ist.

Die bei einem Auslandsbezug – hier die polnische Staatsangehörigkeit der Klägerin und des betroffenen Kindes I ...  ...   - in jeder Lage des Verfahrens zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben. Sie folgt für das im März 2009 eingeleitete Verfahren, welches die Feststellung der Wirksamkeit einer Anerkennung der Vaterschaft zum Gegenstand hat (Kindschaftssache gemäß § 640 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), aus § 640a Abs. 2 ZPO. Danach sind die deutschen Gerichte für Kindschaftssachen zuständig, wenn eine der Parteien Deutscher ist oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Beide Voraussetzungen liegen hier vor. Die Parteien haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, zudem hat der Beklagte die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die Berufung ist nach Wiedereinsetzung des Beklagten in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist (§ 233 ZPO) zulässig. Das Rechtsmittel hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben und festgestellt, dass der Beklagte die Vaterschaft für das Kind I ...  ...   K ...  ...  , geboren am  ...  . Mai 2 ...  ...   wirksam anerkannt hat.

I. Zutreffend hat das Amtsgericht die Klage der Mutter auf Feststellung der Wirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses vom 12. Juli 2004 für zulässig erachtet. Nach § 640 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist es statthaft, auf Feststellung der Wirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung zu klagen. Die Klägerin ist als Mutter des betroffenen Kindes zur Erhebung der Klage befugt (§ 1600e BGB a.F.). Auch sonst bestehen keine Bedenken gegen die erhobene Feststellungsklage. Denn zwischen den Parteien besteht Streit über die Wirksamkeit der Anerkennung. Auf ein Verfahren nach dem Personenstandsgesetz (PStG) braucht sich die Klägerin nicht verweisen zu lassen. Die Einleitung eines solchen Verfahrens hätte im vorliegenden Fall zwar nahe gelegen, nachdem der Standesbeamte der Stadt Arnsberg am 31. Mai 2006 den Antrag der Parteien auf Eintragung des Beklagten als Vater des Kindes Igor in das Geburtenbuch im Hinblick auf das polnische Recht abgelehnt hat. Hiergegen hätten die Parteien oder die Klägerin allein mit einem Antrag nach § 49 Abs. 1 PStG auf gerichtliche Anweisung des Standesamts durch das Gericht vorgehen können. Als Personenstandsache ist das Verfahren nach § 49 Abs 1 PStG gegenüber dem Statusverfahren nach §§ 640 ff. ZPO aber nicht vorrangig. Im Gegenteil, das Urteil in einer Abstammungssache wirkt gemäß § 640h ZPO für und gegen alle, sofern es bei Lebzeiten der Parteien rechtskräftig wird, und bindet auch die Behörden der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Baumbach/Hartmann, ZPO Ergänzungsband zur 67. Aufl., § 640h Rn. 4).

II. Zu Recht hat das Amtsgericht festgestellt, dass das am 12. Juli 2004 vom Beklagten abgegebene Anerkenntnis der Vaterschaft wirksam ist.

Da die Klägerin und das Kind die polnische Staatsangehörigkeit besitzen, ist es notwendig, die für die Wirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses maßgebliche Rechtsordnung zu bestimmen (Art. 3 EGBGB). Nach der die Abstammung eines Kindes regelnden Kollisionsnorm des Art. 19 Abs. 1 EGBGB kommen hierfür im vorliegenden Fall das deutsche Recht (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 EGBGB) und das polnische Recht infrage (Art. 19 Abs. 1 Satz 3 EGBGB).

Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt die Abstammung eines Kindes dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Aufenthaltsstatut). Sie kann nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staates bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehört (Staatsangehörigkeitsstatut). Soweit die Vaterschaft des Beklagten aufgrund des abgegebenen Anerkenntnisses in Frage steht, ist nach diesen beiden Anknüpfungsmöglichkeiten deutsches Recht anwendbar, weil das Kind in Deutschland lebt und der Beklagte Deutscher ist. Hiernach ist das Anerkenntnis des Beklagten vom 12. Juli 2004 vor dem Jugendamt Arnsberg mit der Rechtskraft der Scheidung der Klägerin von ihrem ersten Ehemann am 7. Februar 2006 gemäß § 1599 Abs. 2 Satz 3 BGB wirksam geworden. Die Voraussetzungen für ein sog. qualifiziertes Anerkenntnis nach § 1599 Abs. 2 BGB liegen vor. Das Kind ist während des seit 17. Oktober 2003 anhängigen Scheidungsverfahrens zwischen der Klägerin und ihrem ersten Ehemann geboren (§ 1599 Abs. 2 Satz 1 BGB). Der Beklagte hat das Anerkenntnis der Vaterschaft mit Zustimmung der Klägerin noch im Lauf dieses Verfahrens, also vor Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft des Scheidungsurteils, vor dem Jugendamt Arnsberg abgegeben (§ 1599 Abs. 2 Satz 1 BGB). Der damalige Ehemann der Klägerin hat seine Zustimmung zu dem Vaterschaftsanerkenntnis des Beklagten am 2. August 2004 vor dem Jugendamt Mitte von Berlin formgerecht erteilt (§ 1599 Abs. 2 Satz 3 BGB).

Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 3 EGBGB kann die Abstammung in den Fällen, in denen die Mutter verheiratet ist, ferner nach dem Recht bestimmt werden, dem die allgemeinen Wirkungen der Ehe bei der Geburt nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB unterliegen (Ehewirkungsstatut). Danach ist polnisches Recht anwendbar, weil die Klägerin bei der Geburt des Kindes Polin und mit einem polnischen Staatsangehörigen verheiratet war (Artikel 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB). Hiernach ist das Vaterschaftsanerkenntnis des Beklagten nicht wirksam. Nach Art. 62 § 1 Satz 1 des polnischen Familien- und Vormundschaftsgesetzbuches vom 25. 2. 1964 (FVGB) wird vermutet, dass ein während des Bestehens einer Ehe geborenes Kind vom Ehemann der Mutter abstammt. Diese Vermutung kann nur im Weg der Klage auf Anfechtung der Vaterschaft ausgeräumt werden (Art. 62 § 3 FVGB). Im Hinblick darauf ist die Anerkennung der Vaterschaft durch den Beklagten ohne Bedeutung. Nach Art. 72 § 1 FVGB kann die Feststellung der Vaterschaft durch die Anerkennung der Vaterschaft nur erfolgen, wenn keine Vaterschaftsvermutung für den Ehemann der Mutter besteht. Ein qualifiziertes Anerkenntnis, welches der Regelung nach § 1599 Abs. 2 BGB vergleichbar wäre, kennt das polnische Heimatrecht der Mutter nicht.

Die einzelnen Anknüpfungsalternativen stehen nebeneinander und sind grundsätzlich gleichrangig (BGH, FamRZ 2006, 1745). Nach vorherrschender Meinung besteht kein Vorrang des Aufenthaltsstatuts (BayObLG, FamRZ 2002, 686, 687; OLG Nürnberg, FamRZ 2005, 1697; Staudinger/Henrich, BGB/EGBGB (2008), Art. 19 Rn. 23; Bamberger/Roth/Heiderhoff, BGB, 2. Aufl., Art. 19 EGBGB, Rn. 20; 19; MünchKomm/Klinkhardt, EGBGB, Art. 19, Rn. 14;  Klinkhammer in Rahm/Künkel, Handbuch des familiengerichtlichen Verfahren, Band VIII, Rn. 472; a. A. Andrae, In FamR, § 5 Rn. 27ff.; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 8 Rn. 132; vgl. auch OLG Celle, NJW-RR 2007, 1456). Die Anknüpfungsmöglichkeiten für die Vaterschaft nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB (Aufenthaltsstatut, Staatsangehörigkeitsstatut, Ehewirkungsstatut) können dazu führen, dass mehrere Männer jeweils als Vater des Kindes gelten. Doch ist eine doppelte (mehrfache) Vaterschaft zu vermeiden und zur Lösung des Konflikts muss die für das Kind günstigste Alternative gewählt werden (sog. „Günstigkeitsprinzip“). Dabei ist das Kindeswohl nicht konkret nach den Umständen des Einzelfalls zu bewerten, sondern die für das Kind günstigere Lösung ist abstrakt, typisierend zu bestimmen (Sturm, StAZ 2003, 353 ff., 357).

Vielfach wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, maßgebend sei diejenige Rechtsordnung, die dem Kind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, am besten schon mit der Geburt, einen Vater zugeordnet (BayObLG, FamRZ 2002, 686, 687). Indes spielt dieser Aspekt der „Priorität“ in der vorliegenden Fallgestaltung keine Rolle. Sowohl das deutsche als auch das polnische Recht kommen für den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zu dem Ergebnis, dass der damalige Ehemann der Mutter als Vater des Kindes gilt. Nach deutschem Recht wird die qualifizierte Drittanerkennung erst mit Rechtskraft des Scheidungsurteils wirksam (§ 1599 Abs. 2 Satz 3 BGB). Bis zu diesem Zeitpunkt ordnet das deutsche Recht ein in der Ehe geborenes Kind dem Ehemann der Mutter zu (§ 1592 Nr. 1 BGB). Nach Art. 62 § 1 Satz 1 FVGB kommt das polnische Recht zum gleichen Ergebnis. Vaterlosigkeit droht dem Kind mithin zu keiner Zeit, weder nach deutschem noch nach polnischem Recht.

Ein weiteres Kriterium, nach dem sich das für das Kind objektiv günstigere Recht beurteilt, ist der Grundsatz der Abstammungswahrscheinlichkeit. Danach ist die für das Kind günstigste Lösung diejenige, die ihm ohne Umwege möglichst schnell und ohne unnötige Kosten zu seinem wirklichen Vater verhilft (Staudinger/Henrich, a.a.O., Art. 19, Rn. 40; Henrich, FamRZ 1998, 1401; Gaaz, StAZ 1998, 251). Das Günstigkeitsprinzip führt zu der Rechtsordnung, die die Feststellung des wirklichen Vaters ermöglicht (BayObLG, FamRZ 2002, 686,687; Gaaz, StAZ 1998, 251). Dabei ist der einfachere Weg einer Anerkennung vorzuziehen, wenn die eine Rechtsordnung die Anerkennung vorsieht, während die andere ein Gerichtsverfahren fordert (BayObLG, FamRZ 2001, 1543).

Unter diesem Aspekt gebührt dem deutschen Recht jedenfalls in den Fällen der Vorrang, in denen – wie hier - die Voraussetzungen einer qualifizierten Anerkennung des Kindes vorliegen, also neben der Mutter auch der Ehemann in die abstammungsrechtliche Zuordnung des Kindes durch privatautonome Anerkennung formgerecht eingebunden ist (vgl. auch BayObLG, FamRZ 2002, 686,687; Klinkhammer, FamRBint 2006, 5f.; Gaaz, StaZ 1998, 251; Sturm, StAZ 2003, 353 ff., 357). Die Geschichte des § 1599 Abs. 2 BGB lässt erkennen, dass dieser Regelung eine typisierende Wertung zu Grunde liegt: Bei gescheiterten Ehen, deren Auflösung ansteht, ist dem Kind durch die Zuordnung an einen Vater, von dem es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht abstammt, kaum gedient. Man zwingt die Beteiligten damit zur Vaterschaftsanfechtung, um eine Abstammung klarzustellen, an der meist nicht der geringste Zweifel besteht (Sturm, StAZ 2003, 353 ff., 357). Dabei spricht die Tatsache, dass neben dem Anerkenntnis sowohl die Zustimmung der Mutter als auch die Zustimmung des Ehemannes vorliegen müssen, für die Wahrscheinlichkeit der biologischen Vaterschaft. Es liegt im Interesse des Kindes, wenn diese Feststellung auf einfachem Weg ohne zusätzliches Anfechtungsverfahren erfolgen kann.

Der Rückgriff auf deutsches Recht ist im vorliegenden Fall nicht durch den Einwand des Beklagten ausgeschlossen, er habe Zweifel an seiner genetischen Vaterschaft. Die Frage, von wem das Kind tatsächlich abstammt, ist keine Frage des Kollisionsrechts, sondern beurteilt sich nach materiellem Recht. Für die abstrakt kollisionsrechtliche Prüfung des anzuwendenden Rechts kommt es mithin nicht darauf an, dass der Beklagte nach Trennung und Scheidung von der Klägerin behauptet, er gehe davon aus, nicht der einzige Geschlechtspartner der Klägerin während der Empfängniszeit des Kindes gewesen zu sein und könne auch nicht ausschließen, dass die Klägerin in der Empfängniszeit mit ihrem damaligen Ehemann geschlechtlichen Kontakt gehabt habe. Vielmehr ist der Beklagte insofern auf ein Anfechtungsverfahren verwiesen, dessen Einleitung er sich ausdrücklich nur vorbehalten hat.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Fragen, ob die verschiedenen kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmöglichkeiten des Art. 19 Abs. 1 EGBGB untereinander gleichrangig und welche Aspekte bei einer Günstigerprüfung ausschlaggebend sind, in der Literatur und Rechtsprechung umstritten sind und grundsätzliche Bedeutung haben (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Auch die Fortbildung des Rechts erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).