SG Berlin, Urteil vom 16.07.2010 - S 82 AS 7352/09
Fundstelle
openJur 2012, 13349
  • Rkr:

1. § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 findet nach Ablauf von zwei Jahren keine Anwendung, wenn lediglich eine maßvolle Kostensteigerung vorliegt und wenn anzunehmen ist, dass sich auch die ursprüngliche Miete erhöht haben würde und Anhaltspunkte für einen Sozialleistungsmissbrauch nicht vorliegen (so bereits Sozialgericht Berlin, Urteil vom 12.09.2008 -S 82 AS 20480/08-).

2. Der Umzug ist im Sinne von § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 nicht erforderlich, wenn zwar der Auszug wegen eines Räumungstitels erforderlich ist, jedoch die Kündigung des Mietverhältnisses auf einem selbstverschuldeten und vermeidbaren Verhalten des Hilfebedürftigen beruht. In diesem Fall ist die Beschränkung auf die bis dahin zu tragenden angemessenen Aufwendungen für - in der Regel - zwei Jahre zulässig.

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 13. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2009 verurteilt, den Klägern Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum Februar bis einschließlich Juni 2009 von 418,61 EUR, für Juli bis einschließlich Oktober 2009 von 418,35 EUR sowie für November 2009 von 444,35 EUR zu gewähren.

Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Gewährung höherer Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum Februar bis November 2009.

Die Klägerin zu 1) ist Mutter des im August 1989 geborenen Klägers zu 2). Sie mietete mit Vertrag vom 5. Dezember 2003 eine 68,7 m² große 3-Zimmer-Wohnung in der K…straße in … B an. Aufgrund von Beschwerden der Nachbarn wegen der Haltung von Hunden kündigte der Vermieter im Juni 2004 das Mietverhältnis und erhob im September 2004 Räumungsklage. Das Amtsgericht Hohenschönhausen stellte nachfolgend die Unwirksamkeit der Wohnraumkündigung mit der Begründung fest, dass eine letzte Abmahnung genügt hätte.

Im Jahr 2006 hielt die Klägerin zu 1) in ihrer Wohnung 3 Hunde: einen Malteserhund und zwei West-Highland-Terrier. Wieder kam es wiederholt zu Beschwerden der Nachbarn wegen Lärm- und Geruchsbelästigungen. Mehrfach mahnte der Vermieter die Klägerin zu 1) ab. Im Mai 2006 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos und erhob Räumungsklage. Auf dringendes Anraten des zuständigen Richters des Amtsgerichts Hohenschönhausen erkannte die Klägerin zu 1), die den vorgetragenen Kündigungsgründen nicht substantiiert entgegentreten konnte, den Räumungsanspruch an. Am 27. September 2006 erging ein Anerkenntnisurteil. Mit Schreiben vom 15. November 2006 forderte der Vermieter die Kläger zur Räumung der Wohnung auf. Diesen Zeitpunkt belief sich die monatliche Miete auf 387,65 EUR bruttowarm, wovon das zuständige JobCenter monatlich 375,81 EUR anerkannte.

Zum 1. Februar 2007 mietete die Klägerin zu 1), eine 61,6 m² große 2,5-Zimmer-Wohnung in der G… in B…-N… zu einem monatlichen Mietzins von 430,00 EUR an. Die damalige Miete setzte sich aus 280,00 EUR Kaltmiete, 90,00 EUR Betriebskosten und 60,00 EUR Heizkosten zusammen. Die Wohnung wird über Fernwärme beheizt, die Heizanlage versorgt eine Gebäudefläche von 5.125,61 m2. Warmwasser wird vermieterseits zur Verfügung gestellt, eine separate Kostenerfassung existiert hierfür nicht. Die Zustimmung zur Übernahme der Aufwendungen für die neue Wohnung holten die Kläger nicht ein. Der Beklagte erkannte die Erforderlichkeit des Umzugs nicht an und bewilligte den Klägern nachfolgend ab Februar 2007 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von lediglich 375,81 EUR monatlich.

Mit Bescheiden vom 13. Februar 2009 bewilligte der Beklagte den Kläger für den Zeitraum von Februar bis Mai 2009 sowie für Juni bis November 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe des zuvor anerkannten Betrages von monatlich 375,81 EUR. Hiergegen erhoben die Kläger am 24. Februar 2009 Widerspruch. Zur Begründung führten sie aus, dass der Umzug wegen der Kündigung erforderlich gewesen und die neue Miete angemessen sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2009 zurück.

Mit der am 11. März 2009 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie tragen vor, dass der Verlust der Wohnung wegen des Räumungsurteils nicht selbst verschuldet sei, da der Richter die Abgabe eines Anerkenntnisses empfohlen habe. Durch Abgabe des Anerkenntnisses hätten sich die Gerichtskosten vermindert.

Zu November 2009 erhöhte der Vermieter den monatlichen Kaltmietzins um 15,00 EUR auf 295,00 EUR sowie die Vorauszahlungen auf 98,00 EUR für die Betriebskosten sowie auf 63,00 EUR für die Heizkosten, so dass monatlich insgesamt 456,00 EUR geschuldet sind.

Die Kläger beantragen unter Beschränkung des Streites auf die Kosten der Unterkunft,

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 13. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2009 zu verurteilen, den Klägern für den Zeitraum von Februar bis November 2009 Kosten für Unterkunft und Heizung von monatlich 430,00 EUR abzüglich der Warmwasserpauschale entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu gewähren.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass die Kläger höhere Kosten der Unterkunft und Heizung nicht verlangen können, da der Umzug nicht als erforderlich angesehen werden könne. Denn entweder war der Anlass für die Räumung durch vertragswidriges Verhalten der Kläger selbstverschuldet oder die Klägerin zu 1) hätte das Anerkenntnis nicht abgeben dürfen, um statt einer bloßen Schlüssigkeitsprüfung nach Abgabe eines Anerkenntnisses eine vollständige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kündigung zu ermöglichen. Jedenfalls hätten die Kläger eine billigere oder gleich teure Wohnung anmieten müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, den Inhalt der Gerichtsakten des Amtsgericht Hohenschönhausen zum Az 6 C …/06 und die Leistungsakten des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.

Die Kläger und der Beklagte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Gründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG.

Mit der vorliegenden Klage haben die Kläger ihr Begehren auf die Überprüfung der Entscheidung über die Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt. Diese Beschränkung des Streitgegenstandes ist zulässig. Bei der Festsetzung der Leistungen für Unterkunfts- und Heizkosten handelt es sich um eine abtrennbare Verfügung des Gesamtbescheides, über die das Gericht bei entsprechendem Antrag isoliert entscheiden kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006, Az B 7b AS 8/06 R). Zulässigerweise richtet sich die Klage zudem auf Erlass eines Grundurteils, § 130 Abs. 1 SGG.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG zulässig und begründet. Die Bescheide vom 13. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2009 sind teilweise rechtswidrig und verletzen die Kläger insoweit in ihren Rechten. Die Kläger haben ab Februar 2009 Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten unter Abzug des in der Regelleistung enthaltenen Anteils für die Warmwasseraufbereitung.

181. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Nach S. 2 gilt: Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht.

Die Aufwendungen für die nach dem Umzug in die G…straße bewohnte Wohnung erhöhten sich aufgrund des Umzuges von 387,56 EUR auf 430,00 EUR bruttowarm monatlich. Der Umzug der Kläger in die von ihnen derzeit bewohnte Wohnung war im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht erforderlich. Zu Recht konnte der Beklagte zunächst die Unterkunftskosten in bisheriger Höhe gewähren.

Unter „Umzug“ versteht § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II den Unterkunfts- bzw. Wohnungswechsel innerhalb der Wohnortgemeinde. Dabei ist nach Ansicht der Kammer zwischen der Erforderlichkeit des Auszuges aus der bisherigen Wohnung einerseits und der Erforderlichkeit des Einzuges in die neue Wohnung andererseits zu unterscheiden. Allein die Erforderlichkeit des Auszuges macht den konkreten Einzug nicht erforderlich.

Der Auszug der Kläger war aufgrund des Räumungszwangs erforderlich. Dabei ist es unerheblich, welche Gründe zum Erlass des Räumungsurteils geführt haben. Keinesfalls war es vorwerfbar, auf Anraten des zuständigen Zivilrichters, der zumindest die Schlüssigkeit der Klage und die Substanz der Klageerwiderung geprüft hatte, den Klageanspruch anzuerkennen. Der durch den Räumungstitel geschaffene Zwang zum Verlassen der Wohnung ließ den Klägern keine Möglichkeit, in der Wohnung zu verbleiben.

Die Kammer verneint vorliegend jedoch die Erforderlichkeit des Einzuges der Kläger in die um ca. 40,00 EUR teurere Wohnung. Sie schließt sich der Ansicht des Beklagten an, dass bei selbstverschuldetem Verlust der Wohnung, zulasten des Steuerzahlers keine höheren als die früheren Unterkunftskosten beansprucht werden können. Der Hilfebedürftige ist darauf zu verweisen, bei selbstverschuldetem und vermeidbarem Wohnungsverlust eine günstigere oder zumindest gleichteure zur Wohnung anzumieten.

Eine solche Beschränkung des Anspruchs auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ist nach dem Rechtsgedanken des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II gerechtfertigt. Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 neu gefasst und ist seit 1. August 2006 in Kraft. In der Sache ging es dem Gesetzgeber um eine Akzentuierung der Angemessenheitsgrenze bei einem Umzug während der Zeit des Leistungsbezuges. Mit der Regelung sollen – so die Gesetzesbegründung – die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt werden, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit zwar höheren, aber gerade noch angemessenen Kosten ziehen (BT-Drucks 16/1410, S 23). Motiv der gesetzlichen (Neu-)Justierung der Angemessenheitsgrenze in derartigen Fallkonstellationen ist es, Kostensteigerungen entgegenzuwirken (vgl. hierzu Eicher/Spellbrink , SGB II 2. Aufl. 2008, Rn. 47a).

Die Kammer sieht es als gerechtfertigt an, die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II auch in Fällen eines erforderlichen Auszuges anzuwenden, wenn der Auszug aufgrund eines (miet-) vertragswidrigen Verhaltens des Hilfebedürftigen aufgrund fristloser Kündigung des Vermieters erforderlich wird und für den Hilfebedürftigen vermeidbar war. Denn es ist nicht gerechtfertigt, den Fall des freiwilligen Umzuges in eine teurere Wohnung ohne (anerkennenswerten erforderlichen) Grund anders zu behandeln, als die Aufgabe der Wohnung durch eigenverschuldetes und vermeidbares (miet-) vertragswidriges Verhalten.

Die Kammer ist der Ansicht, dass die erneute Kündigung des Mietverhältnisses der Kläger selbstverschuldet und vermeidbar war. Durch die im Jahr 2004 ausgesprochene Kündigung und den nachfolgenden Räumungsprozess kannte die Klägerin zu 1) die von ihr verlangten mietvertraglichen Pflichten. Die Kammer ist der Ansicht, dass es aufgrund ihres Verhaltens zur weiteren Kündigung des Mietverhältnisses kam und die Kläger durch anderes Verhalten, jedenfalls nach weiterer Abmahnung durch den Vermieter, die erneute Kündigung hätten vermeiden können. Der Wohnungsverlust war somit eigenverschuldet und vermeidbar.

Auf die Anmietbarkeit einer günstigeren oder gleichteueren Wohnung kommt es nicht an. Auch bei freiwilliger Aufgabe der Wohnung ohne anerkennenswerten Grund, dem Regelanwendungsfall des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II, wird nicht darauf abgestellt, ob der Hilfebedürftige tatsächlich in die frühere Wohnung zurück- oder in eine sonst günstigere Wohnung umziehen könnte.

27b. Nach Überzeugung der Kammer ist § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II jedoch zeitlich einschränkend auszulegen ist. Danach ist die Beschränkung auf die früheren Aufwendungen für die Unterkunft nach Ablauf von zwei Jahren nicht weiter anzuwenden, wenn lediglich eine maßvolle Kostensteigerung vorliegt, wenn anzunehmen ist, dass sich auch die ursprüngliche Miete erhöht haben wird und Anhaltspunkte für einen Sozialleistungsmissbrauch nicht vorliegen (so bereits SG Berlin, Urteil vom 12. September 2008, S 82 AS 20480/08).

Nach der allgemeinen Entwicklung auf dem Mietmarkt ist – auch inflationsbedingt – mit dauerhaft steigenden Mietpreisen zu rechnen. Dies berücksichtigt auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, wonach die (jeweils) tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen sind, soweit sie angemessen sind. Eine zeitlich unbegrenzte Anwendung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II würde die Kostenübernahmepflicht des Beklagten jedoch von der allgemeinen Mietentwicklung abkoppeln und zu einer Dauersanktionierung des Umziehenden führen. Dies würde Sinn und Zweck der Regelung, unberechtigten Kostensteigerungen entgegenzuwirken, ab dem Zeitpunkt nicht mehr entsprechen, in welchem die allgemeinen Kostensteigerungen zu einer Erhöhung der früheren Miete auf das jetzige Maß führen. Die Kammer hält es für angemessen, auch unter Würdigung der Regelung in § 31 Abs. 3 S. 4 SGB II, wonach eine Pflichtverletzung bereits nach Ablauf von einem Jahr nicht mehr zu berücksichtigen ist, unter den vorgenannten Voraussetzungen § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (erst) nach Ablauf von zwei Jahren nicht weiter anzuwenden, sofern Anhaltspunkte für einen Missbrauch nicht vorliegen. Der Zeitraum von zwei Jahren ist lang genug bemessen, um eine Umgehung der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II entgegenzuwirken.

Die vorgenannten Voraussetzungen liegen vor. Der Auszug der Kläger aus der Wohnung in der K…straße liegt ab Februar 2009, dem Beginn des streitgegenständlichen Bewilligungszeitraums, zwei Jahre zurück. Es liegt lediglich eine maßvolle Kostensteigerung von 387,56 EUR auf 430,00 EUR Bruttowarmmiete vor. Ferner ist aufgrund der allgemeinen Mietentwicklung – auch weil kein befristeter Ausschluss der Mieterhöhungsmöglichkeit mit dem vorherigen Vermieter vereinbart war – anzunehmen, dass auch die frühere Miete sich erhöht hätte. Schließlich liegen keine Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch vor. Während bei verschuldeter und vermeidbarer Wohnraumkündigung der Hilfebedürftige die Deckelung der Unterkunftskosten für 2 Jahre hinnehmen muss, ist nach Ansicht der Kammer in Fällen der zielgerichteten Veranlassung einer Wohnraumkündigung in der Absicht, eine andere, teurere Wohnung anmieten zu können, die Bindung an die Höhe der früheren Unterkunftsaufwendungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus gerechtfertigt. Dabei sind das Fehlverhalten im Rahmen des Mietverhältnisses und der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu unterscheiden. Die Kündigung des Mietverhältnisses der Kläger erfolgte aufgrund des mietrechtlichen Fehlverhaltens. Indizien, dass durch das Verursachen der Kündigung die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Leistungen beabsichtigt wurde, liegen hier nicht vor.

Daher war der Beklagte zu verpflichten, der Leistungsbewilligung ab dem 1. Februar 2009 die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II der Bedarfsberechnung zugrunde zu legen, soweit diese angemessen sind.

c. Die tatsächlichen Unterkunftskosten der Kläger in der neuen Wohnung von 370,00 EUR bruttokalt waren bis einschließlich Oktober 2009 angemessen.

Nach Auffassung des Beklagten ist für einen 2-Personen-Haushalt eine Bruttowarmmiete von insgesamt monatlich 444,00 EUR abstrakt angemessen. Ob die Aufwendungen für die Wohnung angemessen sind, ist für das Gericht jedoch nicht anhand der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gem. § 22 SGB II des Beklagten (AV-Wohnen) zu bestimmen, vgl. Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. August 2008, Az.: L 28 1389/07 AS ER. Die Angemessenheitsprüfung setzt vielmehr eine Einzelfallprüfung voraus und hat für die Unterkunftskosten und für die Heizkosten getrennt zu erfolgen (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 18/06 R – sowie vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R, Rn. 18, zitiert nach juris).

Nach Überzeugung des Gerichts ist für einen 2-Personen-Haushalt eine Bruttokaltmiete von 370,20 EUR abstrakt angemessen. Dies berechnet sich aus einer für zwei Personen als höchstens angemessenen Wohnungsgröße von 60 qm, einer Nettokaltmiete von 4,76 EUR/qm sowie kalten Betriebskosten von 1,41 EUR/qm (60qm x 6,17 EUR (4,76 EUR + 1,41 EUR) = 370,20 EUR). Diese Werte wurden auf Grundlage des qualifizierten Berliner Mietspiegels des Landes Berlin vom 3. Juni 2009 (Amtsblatt für Berlin 2009 Nr. 27 vom 24.06.2009) und der darin angegebenen Berliner Betriebskostenübersicht errechnet, da die repräsentativ ermittelten Daten dieses Mietspiegels zum Stichtag 1. Oktober 2008 ermittelt wurde. Bei der Berechnung wurden die Werte jeweils nach dem Verhältnis der den Wohnungsangaben zugrundeliegenden Wohnungsanzahl zum insgesamt vom Berliner Mietspiegel erfassten Wohnungsbestand gewichtet. Wegen der Einzelheiten der Berechnung sowie zu weiteren Nachweisen verweist das Gericht auf die Darstellung von Schifferdecker/Silbermann/Irgang , Einheitliche Kosten der Unterkunft in Berlin. Ein Projekt von Richterinnen und Richtern des Sozialgerichts Berlin, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit Nr. 1/2010 S. 28 – 42, welcher die Kammer folgt.

Das Gericht schließt sich dabei – zugunsten des Klägers – nicht der Auffassung des 26. und 28. Senats des LSG Berlin-Brandenburg an, vgl. Urt. v. 26.11.2009, L 26 AS 407/07 und Urt. v. 10.09.2009, L 28 AS 2189/08, Urt. v. 21.10.2009, L 28 AS 1395/08 und L 28 As 847/08, wonach der zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung maßgebliche Mietspiegel der Angemessenheitsprüfung zugrunde zu legen ist. Dies wäre hier der Mietspiegel 2007 mit Daten zum Stichtag 1. Oktober 2006. Die Kammer hält es wegen der langen Zeitspanne zwischen Datenerhebung und Veröffentlichung des übernächsten Mietspiegels von fast 3 Jahren für vorzugswürdig, jeweils auf den Mietspiegel abzustellen, der den geringsten zeitlichen Abstand zwischen Datenerhebung und Streitzeitraum aufweist. Nachteile zulasten der Behörde, deren Schutz die Rechtsprechung des 26. und 28. Senats zu dienen scheint, können über die Kostenentscheidung ausgeglichen werden.

Die tatsächliche Bruttokaltmiete unterschreitet den höchstens für angemessenen gehaltenen Bruttokaltmietwert für einen 2-Personen-Haushalt im Jahr 2009 in Berlin in der Zeit bis einschließlich Oktober 2009 um 0,20 EUR und ist damit angemessen.

Mit der Mieterhöhung zum 1. November 2009 überstiegen die tatsächlichen Aufwendungen für die Bruttokaltmiete von 393,00 EUR den angemessenen Betrag. Diesen Fall regelt § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II. Die tatsächlichen Unterkunftskosten sind solange zu übernehmen, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, die Kosten zu senken. Die Kammer ist der Ansicht, dass es den Klägern mangels separater Kostensenkungsaufforderung subjektiv nicht möglich war, die Kosten aufgrund der Mieterhöhung in ersten Monat der Erhöhung zu senken, vgl. hierzu Urteil des BSG vom 17. Dezember 2009, Az B 4 AS 19/09 R. Die vorangegangene Beschränkung der Unterkunftskosten auf die Höhe der Aufwendungen der früheren Wohnung wegen der Nichterforderlichkeit des Umzuges ersetzt vorliegend die (erneut erforderliche) Kostensenkungsaufforderung nicht, da jeweils ein anderer Anlass der Kostenbeschränkung und ein zeitlicher Abstand von 2 ½ Jahren vorliegt. Daher hat der Beklagte bei der neuen Bedarfsberechnung für November 2009 die tatsächlichen Unterkunftskosten der Bruttokaltmiete zugrunde zu legen.

Zusätzlich sind vom Grundsicherungsträger angemessene Heizkosten zu übernehmen. Der Grenzwert, bis zu welchem Heizkosten übernommen werden müssen, beträgt nach der Entscheidung des BSG vom 2. Juli 2009 nach Maßgabe des bundesdeutschen Heizkostenspiegels 2009 (mit Daten aus 2008) für mit Fernwärme beheizte Gebäude mit einer beheizten Fläche oberhalb von 1000 m 2 79,50 EUR pro Monat. Bei den Klägern fielen bis Oktober monatlich 60,00 EUR, im November 63,00 EUR Heizkosten an. Die tatsächlichen Aufwendungen für Heizkosten sind – bereits vor Abzug der Warmwasserpauschalen - jeweils angemessen, da sie den maßgeblichen Grenzwert nicht übersteigen.

Die Übernahme der Unterkunftskosten erfolgt jedoch nur, sofern der Bedarf nicht bereits anderweitig gedeckt ist. Die Kosten für Haushaltsenergie, einschließlich der Warmwasseraufbereitungskosten, sind von der Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II erfasst und werden daher anderweitig gewährt. Soweit die Energiekosten für die Warmwasseraufbereitung – wie vorliegend – über die Unterkunftskosten abgerechnet werden, sind die Unterkunftskosten zu kürzen, um eine Doppelgewährung über die Regelleistung und über die Kosten für Unterkunft und Heizung zu vermeiden. Sofern – wie hier – keine konkrete Erfassung der Kosten der Warmwasserbereitung möglich ist, darf daher der von der Regelleistung umfasste Energieanteil von den Kosten der Unterkunft in Abzug gebracht werden vgl. vgl. BSG v. 27. 2. 2008 – B 14/11b AS 15/07 R, Rn. 27 – juris. Die in der Regelleistung enthaltenen Warmwasseranteile (WWP) summieren sich auf 11,39 EUR (6,33 EUR + 5,06 EUR) für den Zeitraum Februar bis Juni 2009 und auf 11,65 EUR (6,47 EUR + 5,18 EUR) für den Zeitraum Juli bis November 2009. Die tatsächlichen, vom Beklagten ab Februar 2009 der Bedarfsberechnung zugrunde zu legenden Kosten für Unterkunft und Heizung beziffern sich wie folgt:

Februar bis Juni 2009:        430,00 EUR Miete - 11,39 EUR WWP = 418,61 EURJuli bis Oktober 2009:        430,00 EUR Miete - 11,65 EUR WWP = 418,35 EURNovember 2009:        456,00 EUR Miete – 11,65 EUR WWP = 444,35 EUR.Das Gericht ist an die Fassung der Anträge nicht gebunden, § 123 SGG. Die Kammer hat es für gerechtfertigt angesehen, über den Antrag hinaus für November 2009 den Beklagten zur Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten zu verpflichten.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt das Obsiegen der Kläger.

Die Berufung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zeitlichen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II zuzulassen.