KG, Beschluss vom 10.06.2010 - 1 VA 8/10
Fundstelle
openJur 2012, 13247
  • Rkr:

Ein Diplomat, dessen Entsendestaat nicht auf die Immunität verzichtet hat, ist nicht gehindert, die Gerichte des Empfangsstaates als Kläger in Anspruch zu nehmen.

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird geändert:

Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Urteils des Amtsgerichts des Kreises Tirana (Republik Albanien) vom 10. Juni 2009 – Nr. 5063, Gz. 15331/4182 –, soweit dadurch die Ehe zwischen den Beteiligten zu 1) und 2) geschieden wird, vorliegen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Beteiligten zu 1), deutscher Staatsangehöriger, und die Beteiligte zu 2), italienische Staatsangehörige, schlossen am 22. November 1983 in Bonn die Ehe. Der Beteiligte zu 1) beantragte am 11. Dezember 2008 vor dem Amtsgericht des Kreises Tirana die Scheidung. Zu diesem Zeitpunkt lebten die Beteiligten zu 1) und 2) in getrennten Haushalten in Tirana. Ausweislich einer Mitteilung des Auswärtigen Amts vom 19. Januar 2010 war der Beteiligte zu 1) als Mitglied des diplomatischen Personals von der Bundesrepublik Deutschland in die Republik Albanien entsandt. Mit dem in der Beschlussformel genannten Urteil (Bl. 38 ff. d. VV), auf das verwiesen wird, wurde die Ehe der Beteiligten zu 1) und 2) geschieden. Einen Immunitätsverzicht erklärte die Bundesrepublik Deutschland nicht.

Am 14. Oktober 2009 hat der Beteiligte zu 1) bei der Beteiligten zu 3) beantragt festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Scheidungsurteils vorliegen. Mit der angefochtenen Entscheidung (Bl. 59 ff. d. VV) hat der Beteiligte zu 3) diesen Antrag abgelehnt, da es an dem erforderlichen Immunitätsverzicht des Entsendestaats für den Beteiligten zu 1) fehle. Gegen den am 16. März 2010 an ihn abgesandten Bescheid hat der Beteiligte zu 1) am 12. April 2010 beim Kammergericht die Entscheidung beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schreiben der Beteiligten zu 1) und 2) nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt einschließlich Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Er ist gemäß § 107 Abs.5 FamFG statthaft und binnen der einmonatigen Frist (§ 63 Abs.1 und Abs.3 S.1 i.V.m. § 107 Abs.7 S.3 FamFG) formgerecht gestellt worden. Der Antrag ist nicht entsprechend § 64 Abs.1 FamFG bei der Landesjustizverwaltung anzubringen (so aber Keidel/Zimmermann, FamFG, 16. Aufl., § 107 Rn. 40). Die Vorschrift findet über § 107 Abs.7 S.3 FamFG keine Anwendung. Denn aus der spezielleren Regelung des § 107 Abs.6 S.1 FamFG ergibt sich, dass die Entscheidung beim Oberlandesgericht zu beantragen ist.

Der Antrag ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Anerkennung des Scheidungsurteils liegen vor; Anerkennungshindernisse nach § 109 Abs.1 FamFG bestehen nicht. Insbesondere ist § 109 Abs.1 Nr.1 FamFG nicht erfüllt. Die Gerichte der Republik Albanien waren unter Anwendung des Spiegelbildprinzips nach deutschem Recht für die Entscheidung zuständig, da die Beteiligten zu 1) und 2) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Tirana hatten (§ 606a Abs.1 Nr.2 und 4 ZPO a.F. bzw. jetzt § 98 Abs.1 Nr.2 und 4, § 109 Abs.2 S.1 FamFG). Ein Ausschluss der Gerichtsbarkeit, auf den § 109 Abs.1 Nr.1 FamFG entsprechend anwendbar ist (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 328 Rn. 98), war ebenfalls nicht gegeben. § 18 GVG i.V.m. dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 (WÜD) kommt nicht zur Anwendung.

6Die Beteiligte zu 2) als Antragsgegnerin des Scheidungsantrags genoss gemäß Art. 37 Abs.1 WÜD keine Immunität, da sie nicht mehr zum Haushalt des Beteiligten zu 1) gehörte. Die diplomatische Immunität des Beteiligten zu 1) nach Art. 31 Abs.1 i.V.m. Art.1 lit.d und e WÜD stand der Tätigkeit der albanischen Gerichte nicht entgegen. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats nur der Entsendestaat verzichten kann, Art. 32 Abs.1 WÜD. Bereits aus dem Wortlaut der Bestimmungen – „befreit“ in § 18 S.1 GVG und „genießt“ in Art. 31 Abs.1 WÜD – folgt, dass kein FalI der Immunität vorliegt, wenn der Diplomat – wie hier der Beteiligte zu 1) – selbst eine Klage erhebt. Die Immunität hat nur die negative Bedeutung, dass gegen den ihren Schutz Genießenden die Gerichtsbarkeit nicht in Bewegung gesetzt werden darf, hindert eine Inanspruchnahme der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates durch den Diplomaten als Antragsteller jedoch nicht (vgl. schon RGZ 111, 149, 150; a.A. Wagner/Raasch/Pröpstl, WÜD, Art. 32 Anm.3; Auswärtiges Amt, Rundschreiben v. 19. Sept. 2008 - 503-90-507.00 - ABl. Berlin 2009, 1923, 1926). Aus Art. 32 Abs.3 WÜD ergibt sich nichts Abweichendes. Die aus Gründen der „Waffengleichheit“ eröffnete Möglichkeit einer Widerklage, die mit der Hauptklage des Diplomaten in unmittelbarem Zusammenhang steht, ist nur ein Reflex und erweitert den Ausschluss der Gerichtsbarkeit nicht auf Gerichtsverfahren, die der Diplomat anstrengt. Will der Entsendestaat solche Verfahren verhindern, muss er seinen Diplomaten innerstaatlich ein entsprechendes Genehmigungserfordernis auferlegen (vgl. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl., Rn. 772 Fn. 679).

Zur weiteren Begründung wird auf den Hinweis des Senats vom 11. Mai 2010 verwiesen, der u.a. wie folgt lautet:

8„Das OVG Münster (NJW 1992, 2043) hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: „Nach Art. 31 I WÜD genießt ein Diplomat nicht nur Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates; ihm steht auch Immunität von dessen (Zivil- und) Verwaltungsgerichts-barkeit zu. Diese Regelung des § 18 GVG i. V. mit § 31 I WÜD bezieht sich nach ihrem Wortlaut und nach ihrem Sinn und Zweck aber allein auf den Schutz des Diplomaten vor staatlichen Eingriffen seitens des Empfangsstaates. Der den Schutz der Immunität genießende Diplomat ist dagegen nicht gehindert, als Ast. oder Kl. gerichtlichen Rechtsschutz vor den Gerichten des Empfangsstaates aktiv in Anspruch zu nehmen. Dies ergibt sich auch aus Art. 32 III WÜD: Strengt ein Diplomat oder eine Person, die nach Maßgabe des Art. 37 WÜD Immunität von der Gerichtsbarkeit genießt, ein Gerichtsverfahren an, so können sie sich nach Art. 32 III WÜD in bezug auf eine Widerklage, die mit der Hauptklage in unmittelbarem Zusammenhang steht, nicht auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen. Die Vorschrift geht also von der Möglichkeit einer von einem Diplomaten vor einem Gericht des Empfangsstaates erhobenen Klage aus.“

Dem ist das Bundesverwaltungsgericht (NJW 1996, 2744) gefolgt. Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch der österreichische OGH (Datum 20000517, Geschäftszahl 20b166/98w), der von einem unterstellten Immunitätsverzicht in Art. 32 Abs.3 WÜD ausgeht.

In der deutschen zivilprozessualen Literatur wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass ein Diplomat für eine Klageerhebung im Empfangsstaat kraft Völkerrecht nicht der Genehmigung des Entsendestaats bedarf (so ausdrücklich Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6.Aufl., S. 314 Fn.679; vgl. auch Bitz in Prüttig/Gehrlein, ZPO, Rdn. 11 zu § 18 GVG „Sonderfall Eigeninitiative“; Kissel/Mayer, GVG, 6.Aufl., 2010, Rdn. 24 zu § 18: „Immunität gilt nicht, soweit der Immune selbst ein Verfahren anstrengt“). Dies wird teilweise auch mit einem stillschweigenden Verzicht bei Klageerhebung durch einen Immunen (Rolf A. Schütze, IntZPR, 2.Aufl., Rdn. 95) oder einem unterstellten Immunitätsverzicht (Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Aufl., 2010, Anm. 2 zu Art. 32) begründet.

11Es spricht nach Auffassung des Senats einiges dafür, dass aus völkerrechtlicher Sicht die Klageerhebung durch einen Diplomaten von vornherein nicht der Immunität unterfällt, denn in einem solchen Fall liegt keine gegen ihn gerichtete gerichtliche Maßnahme vor (vgl. Ipsen, Völkerrecht, 5.Aufl., Rdn. 49 zu § 35; von einer möglichen persönlichen Klageerhebung des Diplomaten geht auch Pancracio in Droit et Institutions diplomatiques, 2007, Rdn. 474 aus: „...si l’agent diplomatique engage de lui-meme...“ ). Dieses Ergebnis entspricht auch der vor Inkrafttreten des WÜD geltenden Rechtsprechung des Senats (HRR 1932, 1522: „in der Wissenschaft und Praxis des Völkerrechts anerkannt“) und des Reichsgerichts (RGZ 111, 149, 150) zur Unterwerfung des Exterritorialen unter die Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates durch Klageerhebung.

Da demnach der diplomatische Status des Beteiligten zu 1) einer Anerkennung nicht entgegensteht, käme es auf die von der Landesjustizverwaltung offen gelassene Frage an, ob die Beteiligte zu 2) entsprechend ihrer erhobenen Einwendung, nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 109 Abs.1 Ziffer 2 FamFG am Verfahren in Albanien beteiligt wurde. Hiergegen spricht allerdings, dass im Urteil des Amtsgerichts des Kreises Tirana vermerkt ist, dass „beide Parteien in einer Vorverhandlung“ angehört wurden und die Beteiligte zu 2) auch an der Gerichtsverhandlung teilnahm. Die Annahme anschließender Ladungen des Gerichts hat die Beteiligte zu 2) nach dem Urteil verweigert, weshalb in ihrer Abwesenheit weiter verhandelt wurde. Es erscheint zweifelhaft, ob sich die Beteiligte zu 2) unter diesen Umständen auf eine fehlende Beteiligung berufen kann.

Sonstige Anerkennungshindernisse sind derzeit nicht substantiiert vorgetragen. Es ist nicht ersichtlich, warum das albanische Urteil nach einer eventuellen Anerkennung in Deutschland nicht auch in Italien anerkannt werden sollte. Die Eheschließungsfreiheit in Deutschland dürfte jedenfalls nicht eingeschränkt sein, wenn nach Anerkenntnis der Ehescheidung Frau ... im Inland als ledig gilt. Ein Verstoß gegen § 109 Abs.1 Ziffer 4 FamFG dürfte daher nicht gegeben sein.“

Anerkennungshindernisse nach § 109 Abs.1 Nr.2 und 4 FamFG bestehen ebenfalls nicht; auch hierzu wird auf die wiedergegebenen Ausführungen des Senats vom 11. Mai 2010 Bezug genommen.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs.2 S.1 i.V.m. § 109 Abs.7 S.3 FamFG; die Rechtsfrage, ob ein Diplomat, dessen Entsendestaat nicht auf die Immunität verzichtet hat, vor einem Gericht des Empfangsstaats Klage erheben kann, ist höchstrichterlich nicht hinreichend geklärt.