Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 15.06.2009 - 1 Ss 39/09
Fundstelle
openJur 2012, 10988
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 18. November 2008 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Potsdam verurteilte den Angeklagten am 6. Juni 2008 wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 65,00 €.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten verwarf die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam mit der Maßgabe, dass die Tagessatzhöhe auf 40,00 € festgesetzt wurde.

Nach den Urteilsfeststellungen richtete der Angeklagte unter dem 9. März 2006 ein Schreiben mit einer Schadensersatzforderung an das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg, weil ihn eine in einem Zivilverfahren verfügte gerichtliche Umladung nicht rechtzeitig erreicht habe und er somit vergeblich zu dem aufgehobenen Gerichtstermin angereist sei. In diesem Schreiben formulierte der Angeklagte u.a.: „…Erschwerend kommt hinzu, dass der Verfahrensgegner ein Ver- und Entsorgungsunternehmen aus ..., der mehreren Gerichtsbediensteten des Amtsgerichts ... einschließlich der Direktorin Frau … umfangreiche Vorteile in deren Privatbereich gewährt, als auch dessen Rechtsbeistand aus Frankfurt/Oder offenkundig zeitgerecht vor dem 28.10.2005 über die Terminsverlegung informiert wurden. Ich gehe daher von einer mutwilligen Schadensherbeiführung durch die Verursachung überflüssiger Reisekosten für eine Partei seitens der Bediensteten des Amtsgerichts ... aus, indem die Benachrichtigung über die Terminsverlegung für mich und meinen Rechtsbeistand böswillig zurückgehalten wurden….“. Das Landgericht Potsdam hat in den Urteilsgründen ausgeführt, der Angeklagte habe behauptet, die Amtsdirektorin habe Vorteile des Zweckverbandes angenommen. Diese Behauptung beinhalte, dass der Zuwendungsempfänger unlauter gehandelt habe und stelle eine erweislich nicht wahre Tatsache dar. Der Angeklagte habe damit nicht in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung des formellen und materiellen Rechts rügt. Insbesondere macht er geltend, seine Äußerung unterfalle im „Kampf ums Recht“ der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat bereits auf die erhobene Sachrüge jedenfalls vorläufig Erfolg. Die Verurteilung wegen übler Nachrede hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Schuldspruch hat insoweit in den bisher getroffenen Feststellungen keine tragfähige Grundlage.

Das Landgericht hat die Formulierung des Angeklagten in dem von ihm am 9. März 2006 an das Ministerium gerichteten Schreiben dahingehend interpretiert, dass er behauptet habe, die Direktorin des Amtsgerichts ... habe vom Abwasserzweckverband Vorteile angenommen, auf die sie keinen rechtlich begründeten Anspruch gehabt habe und darin eine Tatsachenbehauptungen erblickt, die dem Tatbestand des § 186 StGB unterfalle. Weil das angefochtene Urteil insoweit jeder Abwägung entbehrt, ist es dem Senat nicht möglich nachzuprüfen, ob die Kammer die Äußerung zutreffend als Tatsachenbehauptung qualifiziert hat.

Die Auslegung mündlicher oder schriftlicher Erklärungen ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aber zu prüfen, ob sich der Tatrichter bei der Auslegung von rechtlich zutreffenden Erwägungen hat leiten lassen, ob die Auslegung des Tatrichters lückenhaft ist oder auf Rechtsirrtum oder Verstößen gegen Sprach- oder Denkgesetze, gegen Erfahrungssätze oder gegen allgemeine Auslegungsregeln beruht (vgl. BGHSt 37, 55; 21, 371; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. § 337 Rn. 32 m.w.N.). Der Tatrichter muss nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Sinn einer Äußerung feststellen (BGH NStZ 1994, 390). Den tatsächlichen Gehalt der Äußerung hat er im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen, dass ihr Sinn zutreffend vom Tatrichter erfasst worden ist. Der revisionsrichterlichen Kontrolle unterliegt dabei auch die Frage, ob der Tatrichter eine Äußerung zu Recht als Tatsachenbehauptung gewürdigt hat, weil der sich Äußernde durch eine unzutreffende Beurteilung möglicherweise grundrechtlichen Schutz verlieren könnte (vgl. BVerfG NJW 1991, 1529; 1999, 2262; BayObLG NJW 1995, 2501; 2000, 3079; Otto JZ 2001, 719). Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt jedenfalls dann vor, wenn der Tatrichter die Würdigung einer Äußerung eine Bedeutung beigelegt, die ihr objektiv nicht zukommt, oder wenn er unter mehreren möglichen Deutungen sich für die zur Bestrafung führende entscheidet, ohne die anderen mit überzeugenden Gründen auszuschließen (OLG Hamm, 2 Ss 171/07 bei juris, BVerfGE 43, 130; 82, 43).

Die im Urteil ohne nähere Ausführungen erfolgte Qualifizierung der schriftlichen Äußerung des Angeklagten als herabwürdigende Tatsachenbehauptung ist mit Blick auf die oben dargelegten Anforderungen unvollständig, weil die maßgebenden Umstände für die vorgenommene Auslegung der - keinesfalls als eindeutig anzusehenden - Erklärung nicht angegeben werden, vielmehr die Kammer eine Qualifizierung als Tatsachenbehauptung im Rahmen der rechtlichen Würdigung schlicht feststellt. Die Kammer hätte, bevor sie der Äußerung die zur Verurteilung führende Bedeutung - die ehrabschneidende Behauptung der Entgegennahme ungerechtfertigter Vorteile - zugrunde legen konnte, die Einlassung des Angeklagten darstellen und auch die möglichen anderen Deutungen - gemeint sei lediglich die Entgegennahme der entgeltlichen Leistungen des öffentlichen Versorgers - mit schlüssigen Gründen ausschließen müssen. Das Urteil lässt nicht erkennen, wie die Kammer den Schluss dahingehend gezogen hat, der Angeklagte habe mit der Erklärung, der Abwasserzweckverband gewähre der Direktorin des Amtsgerichts umfangreiche Vorteile in deren Privatbereich , die Tatsache behauptet, die Direktorin des Amtsgerichts „habe Vorteile angenommen“, auf die sie „keinen rechtlich begründeten Anspruch“ habe . Der Begriff „Vorteil“ ist mehrdeutig und indiziert nicht per se, dass er unredlich ist (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303). Auf eine nachvollziehbare Auseinandersetzung durfte der Tatrichter vorliegend nicht verzichten, weil gerade die in Rede stehende Versorgung mit Trinkwasser und die Schmutzwasserentsorgung von der Rechtsprechung als wirtschaftlicher Vorteil anerkannt ist, der freilich auf Dauer nicht ohne Gegenleistung zu erhalten ist (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 24. Februar 2009 -6 L 319/08-; VG Potsdam, Beschluss vom 16. Februar 2009 -8 L 817/07-).

In gleicher Weise verwehren die tatrichterlichen Ausführungen dem Senat eine Nachprüfung dahingehend, ob die Kammer bei der Bewertung der Äußerungen als Tatsachenbehauptung das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) zutreffend berücksichtigt hat. Bloße Tatsachenbehauptungen werden nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes weniger weitgehend geschützt als bloße Werturteile. Bei einer Tatsachenbehauptung, die - wie hier - in einem Gerichtsverfahren erfolgt ist, allerdings mit einem Werturteil - die Abladung sei böswillig nicht rechtzeitig erfolgt - verbunden ist oder ein solches erkennbar Bezug auf ein tatsächliches Geschehen nimmt, ist deshalb zunächst nach dem jeweiligen Schwergewicht eine Abgrenzung vorzunehmen, ob das Werturteil oder die Tatsachenbehauptung überwiegen (vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 164ff.). Zu bewerten ist die beanstandete Äußerung dabei in ihrer Gesamtheit; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde (vgl. BGH NJW 1997, 2513; OLG Hamm, NStZ-RR 2006, 7).

Das Landgericht hat den als unwahre Tatsachenbehauptung gewürdigten Satz aus dem Schreiben des Angeklagten vom 9. März 2006 unter Auflösung des Zusammenhangs im Rahmen der rechtlichen Würdigung herausgelöst und nicht geprüft, ob sich in den beanstandeten Passagen tatsächliche und wertende Elemente der schriftlichen Erklärung des Angeklagten derart vermengen, dass diese insgesamt auch als Werturteil anzusehen sein könnte.

Unter Einbeziehung der Umstände des Einzelfalles muss zudem die Schwere der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit mit der Schwere der Beeinträchtigung der kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden (vgl. BVerfG, NJW 2009, 49).

Das Landgericht hat eine derartige Abwägung nicht vorgenommen, wenn es lediglich feststellt, der Angeklagte habe nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt. Soweit das Landgericht ausführt, „der Angeklagte hätte einen Anspruch durchaus ohne diese verleumdenden Äußerungen geltend machen können“, ist dies irrelevant.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

Im vorliegenden Fall wird durch die Äußerung des Angeklagten über die Vorteilsnahme das damit angesprochene tatsächliche Geschehen nicht in einer Weise deutlich, dass auch ein nicht unterrichteter Dritter die Schlussfolgerung mit vollziehen und die der Wertung zugrunde liegende Tatsache erkennen könnte. Der tatsächliche Gehalt der Äußerung ist vielmehr so substanzarm, dass er gegenüber der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt. Deshalb könnte die Äußerung der Angeklagten rechtlich als Werturteil zu behandeln sein (vgl. BayObLG Beschluss vom 21. Februar 2002 - 5St RR 3/02 -; Otto JZ 2001, 719). Das zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gefertigte Schreiben des Angeklagten wird erkennbar getragen von dem Bestreben, die nicht rechtzeitige Benachrichtigung von der Terminsverlegung kritisch zu bewerten und hier eine vermutete mutwillige Schadensherbeiführung zu konstruieren, um den Anspruch auf Schadensersatz zu untermauern. Dies kommt insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass der Angeklagte aus der rechtzeitigen Umladung seines Verfahrensgegners und dessen Rechtsbeistandes und der behaupteten Vorteilsgewährung auf eine mutwillige Schadensherbeiführung („daher“) schließt. Das Schreiben des Angeklagten enthält eine (seine) Bewertung der Art und Weise der Ausführung einer Terminsverlegung, die, wie er behauptet, im Ergebnis dazu geführt habe, dass im Gegensatz zur Gegenseite weder er, der Angeklagte, noch sein Rechtsbeistand rechtzeitig von der Terminsverlegung erfahren hätten.

Soweit vorliegend - bei Annahme eines (überwiegenden) Werturteils anstelle einer Tatsachenbehauptung - die Verwirklichung des Tatbestandes der Beleidigung in Betracht kommen könnte, wäre weiter zu prüfen, ob diese bereits aus der Form der Äußerung oder den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht (§ 193 StGB). Ob die schriftliche Äußerung des Angeklagten dem Begriff der Schmähkritik unterfallen kann, der eine konkrete Abwägung zwischen den Belangen der Meinungsfreiheit unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles überflüssig macht, erscheint allerdings zweifelhaft. Angesichts dessen wird der Tatrichter bei Annahme einer Beleidigung darlegen müssen, dass in der konkreten Äußerung auch unter Berücksichtigung ihres Kontexts die Sachauseinandersetzung von der Personendiffamierung in den Hintergrund gedrängt worden war. Dazu gehört eine umfassende Darstellung der vom Angeklagten vorgetragenen Beweggründe seiner Äußerung unter gleichzeitiger Berücksichtigung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung einerseits und des Rechts auf Ehrschutz der betroffenen Richterin andererseits.

Der Senat kann die oben aufgeführten dem Tatrichter obliegenden Abwägungen nicht selbst vornehmen, zumal es an einer Darstellung der Einlassung des Angeklagten mangelt.

Deshalb war die Sache samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückzuverweisen, welche auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden hat.