Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 11.05.2009 - 1 Ws 70/09
Fundstelle
openJur 2012, 10859
  • Rkr:

Die Überschreitung der Jahresfrist des § 67 e Abs. 2 StGB kann Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt (zuletzt BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2008 – 2 BvR 1615/07 - die Überprüfung der Sicherungsverwahrung betreffend).

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel vom 16. September 2008 wird als unbegründet verworfen.

Der Untergebrachte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die ihm in diesem erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Das Landgericht Cottbus ordnete im Sicherungsverfahren mit Urteil vom 15. Juni 2005, rechtskräftig seit dem 23. Juni 2005, die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an. Wegen der verfahrensgegenständlichen versuchten Erpressung in drei Fällen sowie der Beleidigung – er hatte in der Zeit von Oktober 2003 bis April 2004 in drei Fällen, allerdings ohne Erfolg, unter Androhung von Gewalt von einer Mitarbeiterin des Sozialamtes der Stadt Mühlberg Geldzahlungen gefordert und in einem weiteren Fall die Geschädigte mit den Worten „Ich ficke dich“ beleidigt – konnte er gemäß der getroffenen Urteilsfeststellungen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil er die Taten im Zustand "erheblich verminderter Schuldfähigkeit" begangen hatte. Hierzu stellte die sachverständig beratene Kammer fest, dass der Beschwerdeführer zu den Tatzeiten an einer paranoiden Schizophrenie mit chronischem Verlauf bei Ausbildung einer Residualsymptomatik (ICD-10 F 20.0, F 20.5) und schädlichem Gebrauch von Alkohol (ICD-10 F 10.1) gelitten habe, welche das juristische Konstrukt der schweren anderen seelischen Abartigkeit "im Sinne der §§ 20, 21 StGB" erfüllten. Nach Ansicht der erkennenden Kammer seien die verfahrensgegenständlichen Straftaten auf seine krankhaft wahnhafte Selbstüberschätzung sowie - soweit es die Beleidigung betrifft – auf seinen Liebeswahn zurückzuführen. Die Unterbringung begründete die Kammer mit der Feststellung, dass von dem erheblich vorbestraften Beschwerdeführer, gegen den bereits weitere – auch sexuell motivierte - Straftaten wegen Schuldunfähigkeit von der Staatsanwaltschaft Cottbus eingestellt worden waren, aufgrund seines Störungsbildes, das mit einer fehlenden Krankheitseinsicht einhergehe, weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

In der vorliegenden Sache wurde der Beschwerdeführer aufgrund des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 17. Juni 2004 in der Landesklinik Brandenburg vorläufig nach § 126 a StPO untergebracht. Seit Rechtskraft des vorbezeichneten Urteils wird dort – jetzt ... Fachklinikum - die Maßregel der Unterbringung nach § 63 StGB vollzogen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam hatte zuletzt am 12. November 2007 (20 StVK 126/07) die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus beschlossen. Seine dagegen erhobene sofortige Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluss vom 18. Februar 2008 als unzulässig.

Mit Verfügung vom 02. Juli 2008 hat die Staatsanwaltschaft Cottbus unter Vorlage der gutachterlichen Stellungnahme des ... Fachklinikums Brandenburg vom 25. Juni 2008 die Akten der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung gemäß § 67e Abs. 2 StGB übersandt, wo sie am 09. Juli 2008 eingegangen sind. Am 17. Juli 2008 ist darüber hinaus ein psychiatrisches Gutachten des (externen) Sachverständigen Dr. med…., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 10. Juli 2008, der den Beschwerdeführer nach dem Brandenburgischen PsychKG begutachtet hatte, zur Akte gelangt.

Am 16. September 2008 hat die mündliche Anhörung des Beschwerdeführers in Anwesenheit des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ..und des Diplompsychologen ……., beide im Maßregelvollzug tätig, stattgefunden.

Der angefochtene Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam datiert vom selben Tage, obgleich ein schriftlicher Beschlussentwurf ausweislich eines Aktenvermerks der beisitzenden Richterin erst am 02. Februar 2009 dem Kammervorsitzenden vorgelegt worden ist.Dieser hat sodann am 25. Februar 2009 die förmliche Zustellung des Beschlusses verfügt, die am 03. März 2009 von der Geschäftsstelle ausgeführt worden ist. Am 06. März 2009 ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers - ausweislich des sich bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses - eine Ausfertigung der Entscheidung zugegangen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13. März 2009 hat der Untergebrachte gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 16. September 2008 sofortige Beschwerde eingelegt. Mit handschriftlich gefertigtem Schreiben vom 11. März 2009 hat sich der Beschwerdeführer zudem persönlich gegen Entscheidung der Kammer vom 16. September 2008 gewandt und unter anderem darauf hingewiesen, dass er „Star-Diplomat“ sei, den „blauen Diplomaten-Schein“ besitze und Gott schon als Baby gesehen habe.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 463 Abs. 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und gemäß §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht beim Amtsgericht Brandenburg angebracht worden.

2. Die Beschwerde hat in der Sache indes keinen Erfolg.

a) Die Entscheidung der auswärtigen Strafvollstreckungskammer ist zum Zeitpunkt ihres datierten Erlasses (16. September 2008) aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn die weitere Vollstreckung und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sind nur dann zur Bewährung auszusetzen, wenn erwartet werden kann, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Eine derartige positive Kriminalprognose hat die Strafvollstreckungskammer dem Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt mit ausführlicher und überzeugender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, nicht gestellt.

b) Auch unterliegt der Beschluss wegen der Überschreitung der Jahresfrist des § 67 e Abs. 2 StGB nicht der Aufhebung.

12Die Vorschrift des § 67 e StGB über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 63, 64, 66 StGB) dient der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Freiheitsgrundrechts. Gemäß § 67 e Abs. 2 StGB ist die Strafvollstreckungskammer vor Ablauf der festgesetzten Jahresfrist zur Prüfung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verpflichtet. Lehnt das Gericht eine Entlassung ab, so beginnt die Prüfungsfrist mit der Entscheidung von Neuem (§ 67 e Abs. 4 Satz 2 StGB).

13Die Missachtung dieser Fristvorschrift kann Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt (zuletzt BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2008 – 2 BvR 1615/07 - die Überprüfung der Sicherungsverwahrung betreffend).

Vorliegend ist eine Verzögerung dadurch eingetreten, dass die Strafvollstreckungskammer erst fast ein halbes Jahr nach der Anhörung und mündlichen Beschlussfassung die schriftliche Entscheidung fertig gestellt und deren Zustellung veranlasst hat. Allerdings war hier - im Gegensatz zu anderen dem Senat zur Entscheidung vorgelegten Unterbringungssachen, in denen er von einer unvertretbaren Verzögerung des Überprüfungsverfahrens ausgegangen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. März 2009 – 1 Ws 34/09 – und vom 06. Mai 2009 – 1 Ws 68/09 -) - zum Zeitpunkt der Anhörung und mündlichen Beschlussfassung die Jahresfrist des § 67 e Abs. 2 StGB noch nicht abgelaufen. Diese lief erst im November 2008 ab, weil die Strafvollstreckungskammer zuletzt mit Beschluss vom 12. November 2007 über die Fortdauer der Unterbringung befunden hatte und für den Beginn der Prüfungsfrist der Erlass der Entscheidung und nicht deren Rechtskraft maßgeblich ist (vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl., § 67e, Rn. 3 m.w.N.).

Das Versäumnis der Strafvollstreckungskammer, die angefochtene Entscheidung erst drei Monate nach Ablauf der Jahresfrist schriftlich abzufassen und einen weiteren Monat später zuzustellen, ist jedoch angesichts dessen, dass die Fristüberschreitung noch als relativ mäßig anzusehen ist und sich zudem die Situation des Beschwerdeführers seit September 2008 – mit Blick auf sein Schreiben vom 11. März 2009 - offenbar nicht entscheidend verändert hat, nicht geeignet, die Aufhebung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer zu begründen (vgl. so auch Senatsbeschluss vom 03. November 2008 – 1 Ws 141/08 -).

c) Allerdings wird die Strafvollstreckungskammer im weiteren Verfahren unverzüglich mit der neuen Prüfung nach § 67 e StGB beginnen müssen, um diese in einem angemessenen Zeitraum, möglichst mit Ablauf der Jahresfrist im September 2009, abschließen zu können.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.