KG, Beschluss vom 03.11.2008 - 12 U 185/08
Fundstelle
openJur 2012, 9739
  • Rkr:

Regelmäßig reicht ein Seitenabstand eines vorbeifahren Pkw zu einem geparkten Pkw von mindestens 50 cm aus.Herrscht Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahnseite des parkenden Pkw, so gehört es nach § 14 Abs. 1 StVO zur Gefahrenminderungspflicht des nach links Aussteigenden, dass er die Tür nicht länger als unbedingt nötig offen lässt und sich nicht länger als unbedingt nötig auf der Fahrbahn aufhält (Ein dem Fahrer heruntergefallener Schlüssel ist von der Beifahrerseite zu suchen.).

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten aus abgetretenem Recht des Norbert K. auf Schadensersatz in Anspruch aus einem Verkehrsunfall vom 28. Mai 2007 14059 Berlin, Kaiserdamm; die Kollision zwischen dem im Eigentum des Norbert K. stehenden, von ihm gehaltenen geführten sowie am rechten Straßenrand abgestellten Pkw Mercedes Roadster SL 350 und dem vom Erstbeklagten gehaltenen und geführten sowie bei der Zweitbeklagten gegen Haftpflicht versicherten Pkw Mercedes ereignete sich beim Vorbeifahren des Beklagtenfahrzeugs an dem mit geöffneter Fahrertür rechts stehenden Klägerfahrzeug; dessen Fahrertür wurde nach außen verbogen, deformiert und mußte mit den beschädigten Anbauteilen erneuert werden. Den Schaden am Pkw des Erstbeklagten (u. a. rechter Außenspiegel sowie Schäden an der Beifahrertür und rechten Seitenwand) ist von dem Haftpflichtversicherer des Norbert K. zu 100% reguliert worden.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme (Zeugnis K. sowie persönliche Anhörung des Erstbeklagten) abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, vor dem Hintergrund der Sorgfaltspflichten aus § 14 StVO spräche gegen den Zeugen K. der Beweis des ersten Anscheins, den der Kläger nicht erschüttert oder gar widerlegt habe; denn die Unfalldarstellung des Zeugen sei nicht überzeugend und auch wegen des erheblichen Eigeninteresses des Zeugen zweifelhaft; auch eine Mithaftung der Beklagten wegen zu geringen Seitenabstands sei nicht festzustellen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er dieselbe Verurteilung der Beklagten wie in erster Instanz nach einer Haftungsquote von 100 % erstrebt.

Er macht geltend: Der Erstbeklagte habe den Unfall ganz überwiegend verursacht und verschuldet. Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung die Rechtsnormen falsch angewandt; mangels eines unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit dem Aussteigen des Zeugen, welches zum Unfallzeitpunkt abgeschlossen gewesen sei, gäbe es keinen Anscheinsbeweis gegen den Zeugen; die Überlegungen des Gerichts zur Glaubwürdigkeit des Zeugen seien nicht überzeugend; auch habe das Landgericht die Angaben des Erstbeklagten nicht hinreichend ausgewertet, nach denen sich der Zeuge bereits vor der Kollision neben seinem Fahrzeug befunden haben müsse; schließlich habe der Erstbeklagte auch einen zu geringen Seitenabstand eingehalten.

II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist nicht der Fall.

1. Anscheinsbeweis

Der Kläger meint, mangels eines unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit dem Aussteigen des Zeugen, welches zum Unfallzeitpunkt abgeschlossen gewesen sei, gäbe es keinen Anscheinsbeweis gegen den Zeugen.

Der Senat vermag diese Auffassung nicht zu teilen; vielmehr treffen die Ausführungen auf S. 5 des angefochtenen Urteils zu, dass auch nach der klägerischen Unfallschilderung der Vorgang des Aussteigens im Kollisionszeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei, weil die Fahrertür noch nicht wieder geschlossen war.

Dies entspricht nämlich der einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Senat, Beschluss vom 22. November 2007 - 12 U 199/06 - KGR 2008, 375 = NZV 2008, 245 = VRS 114, 14 = MDR 2008, 261 L; HansOLG Hamburg, Urteil vom 30. Januar 2002 - 14 U 85/01 - OLGR Hamburg 2002, 472; auch KG, Urteil vom 26. September 1985 - 22 U 3234/84 - VM 1986, 20 Nr. 24, wo der Zusammenhang mit dem Aussteigen sogar noch nach Schließen der Tür bejaht wurde.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellung des Sachverhalts durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf.

So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 286 Rn 2a) oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rdnr. 13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungs-bildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, a.a.O., § 286 Rdnr. 3, 5).

b) An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das Landgericht sich im angefochtenen Urteil gehalten; der Senat folgt der Beweiswürdigung auch in der Sache.

So ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie dem Akteninhalt die Überzeugung gewonnen hat, dass die Unfalldarstellung des Zeugen K. als Eigentümer, Halter und Fahrers des Mercedes Roadster nicht zutrifft und nicht zur Erschütterung des Anscheinsbeweises führt.

Das Landgericht hat auf den Seiten 5 bis 6 des angefochtenen Urteils hinreichend dargelegt, dass und warum es zu dieser Überzeugung gelangt ist. Dies genügt den Anforderungen an eine der Zivilprozessordnung entsprechende Beweiswürdigung.

Der Senat folgt dieser Beurteilung, die er - im Gegensatz zur Auffassung des Klägers - auch nicht als „willkürlich“ und damit rechtsfehlerhaft bewertet.

Der Kläger selbst hat durch Einreichen des Urteils des LG Berlin vom 19. Dezember 2002 - 59 S 161/02 - mit Schriftsatz vom28. Januar 2008 u. a. vorgetragen, dass einer „prozesstaktischen“ Zession im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen sei (vgl. LG-Urteil Seite 3), wobei der Beweiswert und die Überzeugungskraft der Aussagen derartiger Zeugen regelmäßig gering ist (vgl. BGH NJW 2001, 826, 827; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 373 Rn 4).

Daraus, dass die Klägerin selbst das Beweisergebnis offenbar anders dahin werten will, dass der Darstellung des Zedenten der streitgegenständlichen Forderung und Eigentümers des klägerischen Fahrers zu folgen sei, folgt kein Rechtsfehler des Landgerichts.

3. Mitverschulden

Der Kläger auf S. 3, 4 der Berufungsbegründung meint, die Haftung der Beklagten folge daraus, dass sich der Zeuge K. nach den Angaben des Erstbeklagten zwingend schon vor der Kollision neben seinem Fahrzeug befunden haben müsse und vom Erstbeklagten schlicht übersehen worden sei, der auch noch einen zu geringen Seitenabstand eingehalten habe.

Dieser Argumentation vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

a) Die Berechnung des Klägers auf S. 3 der Berufungsbegründung überzeugt nicht; denn sie baut lediglich auf - ungenauen - Schätzungen des Erstbeklagten auf, die nicht als sicher gelten können. So hat der Erstbeklagte u. a. erklärt (LG-Protokoll vom 12. Juni 2008, S. 4:

„...kann ich nur sagen, den Herrn K. habe ich erst gesehen, als ich in den Rückspiegel schaute. Ich war da vielleicht drei, vier Autolängen weiter vorne. Ich habe ja gleich, als es geknallt hat, stark gebremst. Ich habe mich erst einmal erschrocken, als es geknallt hat, wollte dann in den rechten Außenspiegel gucken, der war aber nicht mehr da, habe dann in den Rückspiegel geguckt und sah dort Herrn K. fluchend neben seinem Auto“.).

Danach ist es keineswegs sicher, dass der Erstbeklagte genau nach einer Sekunde in den Innenspiegel geschaut hat, nachdem er sich zunächst wegen des Knalls erschreckt, gebremst und vergeblich in den Außenspiegel geschaut hat. Der Erstbeklagte konnte auch nicht mehr angeben, ob er erst gebremst oder erst geschaut hat oder beides gleichzeitig. Auch die Angabe „drei, vier Autolängen“ ist durch „vielleicht“ als unsicher eingeschränkt.

b) Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers auf S. 4 der Berufungsbegründung kann auch nicht festgestellt werden, dass der Erstbeklagte einen zu geringen Seitenabstand zum Fahrzeug des Zeugen eingehalten hätte.

33Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dieser Abstand nicht unter 55 cm betragen hat (UA 7). Nach einschlägiger obergerichtlicher Rechtsprechung reicht ein Seitenabstand von nicht unter 50 cm eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw regelmäßig aus (vgl. Senat, Urteil vom 9. Mai 1985 - 12 U 3780/84 - VRS 69, 98 = VersR 1986, 1123; Urteil vom 24. November 2005 - 12 U 151/04 - DAR 2006, 149 = KGR 2006, 215 = zfs 2006, 200 = NZV 2006, 258 L; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVO § 14 Rn 8).

Entscheidend ist dabei allein der Abstand zum geschädigten Fahrzeug und nicht - wie der Kläger auch geltend macht - die Möglichkeit, dass andere Fahrzeugen möglicherweise weiter nach links ragen könnten.

c) Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass - unabhängig vom gegen den Zeugen K. sprechenden Anscheinsbeweis, dass er im Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür nicht eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen hat (höchste Sorgfaltsstufe) - der Zeuge nach seinen eigenen Angaben gegen seine Pflichten eindeutig verstoßen hat.

36Herrscht nämlich Fahrverkehr auf der Fahrbahnseite des haltenden oder parkenden Kfz, so gehört es zur Gefahrenminderungspflicht des nach links hin Aussteigenden , dass er die Tür nicht länger als unbedingt nötig offen läßt und sich auch nicht länger als unbedingt nötig auf der Fahrbahn aufhält (Senat, Beschluss vom 22. November 2007 - 12 U 199/06 - KGR 2008, 375= NZV 2008, 245 = VRS 114, 14 = MDR 2008, 261 L; Hentschel, aaO, § 14 Rn 6).

37Der Zeuge war daher verpflichtet, nach dem Aussteigen nach links und Schließen der Fahrertür seine Suchaktion von der Beifahrerseite aus durchzuführen (vgl. Senat, aaO, für das Herausholen einer im Fahrzeug befindlichen Tasche). Auch bei Zugang zum Fahrzeug von der rechten Seite hätten die in der Fahrertür befindlichen Bedienungselemente für den Fahrersitz betätigt werden können. Jedenfalls war beim Suchen jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere des links vom geparkten Fahrzeug fließenden Verkehrs, auszuschließen.

III.

Es wird angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.