KG, Beschluss vom 28.11.2008 - 9 U 137/08
Fundstelle
openJur 2012, 9731
  • Rkr:

Zur Frage der Parteifähigkeit und Passivlegitimation einer Arbeitsgemeinschaft i. S. d. § 44 b SGB II in einem Amtshaftungsprozess.

Tenor

Der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin vom 27.08.2008 wird zurückgewiesen.

Gründe

Der Prozesskostenhilfeantrag vom 27.08.2008 für das Berufungsverfahren gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10.07.2008 (9 O 310/07) war zurückzuweisen, weil die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Zwar geht der Senat nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien im vorliegenden Prozess davon aus, dass der Klägerin grundsätzlich ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG zusteht, der wegen § 6 Abs. 2 Nr. 1 der vom Beklagten zur Akte gereichten Rahmenvereinbarung zwischen dem Land Berlin und der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit vom 26.08.2004 aber (wohl) gegen das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt N., zu richten wäre.

Jede Behörde hat die Amtspflicht, Anträge mit der gebotenen Beschleunigung zu bearbeiten und, sobald ihre Überprüfung abgeschlossen ist, ungesäumt zu bescheiden (BGH NJW 2007, 830, 831). Diese Pflicht ist hier verletzt. Der Antrag der Klägerin auf Übernahme der Miete für die neue Wohnung ging am 2.05.2006 beim JobCenter ein; die Anfrage wurde am 02.06.2006 nach Prüfung positiv beantwortet (Anlage 1). Am 16.06.2006 übermittelte die Klägerin den neuen Mietvertrag an das JobCenter. Daraufhin wurde der Klägerin bereits am 21.06.2006 kurzfristig mitgeteilt, dass sie bis zum 08.07.2006 nur noch die fehlende polizeiliche Meldebestätigung vorlegen müsse (Anlage 2). Dieser Aufforderung kam die Klägerin am 05.07.2006 nach. Der Antrag auf die Übernahme der Wohnkosten war sodann entscheidungsreif, ohne dass noch weitere Ermittlungen oder Überprüfungen hätten angestellt werden müssen. Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum im JobCenter der Bescheid vom 21.06.2006 (Anlage 3) nicht unverzüglich Anfang Juli um die Rubrik „Kosten für Unterkunft und Heizung ...“ ergänzt wurde. Dass dies, obwohl die Prüfung längst abgeschlossen war, erst mit Bescheid vom 29.09.2006 (Anlage 9) geschah, ist mit Arbeitsüberlastung nicht zu rechtfertigen.

Es ist außerdem von einem Organisationsmangel auszugehen, wenn bearbeitete und geprüfte Anträge nicht vorrangig bearbeitet werden.

Der Anspruch ist auch nicht gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Die Klägerin hat wiederholt telefonisch und schriftlich dringlich an die Bearbeitung des Antrags erinnert. Die Mahnungen sind „Rechtsbehelfe“ i. S. d. § 839 Abs. 3 BGB (vgl. BGH NJW 1993, 3061). Der Klägerin kann nicht der Vorwurf gemacht werden, dass sie sich trotz Erfolglosigkeit der Mahnungen nicht eines „stärkeren“ Rechtsmittels bedient hat (vgl. hierzu Staudinger, 13. Bearb., zu § 839 BGB Rz 357). Der Betroffene ist nicht gehalten, sobald als möglich den Rechtsweg zu beschreiten, sondern er darf darauf vertrauen, dass seine Erinnerungen zu einer zügigen Erledigung führen werden; dies hat auch den Effekt, dass die Sozial- und Verwaltungsgerichte von unnötigen Belastungen verschont bleiben (BGH NJW 1955, 279; NJW 1959, 1219; BGH WM 1963, 841). Die Klägerin durfte tagtäglich damit rechnen, dass der seit langem geprüfte Antrag endlich in den förmlichen Bescheid umgesetzt wird. Sie musste nicht davon ausgehen, dass das JobCenter erst auf gerichtliche Anordnung tätig werden würde. Eine solche Einstellung des JobCenters würde sich nicht mit den Anforderungen an eine öffentliche Einrichtung in einem Rechtsstaat vertragen.

Der Einwand des Beklagten, die Klägerin hätte den Vermieter auf die Abtretung der Forderung der Klägerin gegen das JobCenter hinweisen müssen, geht schon deshalb fehl, weil dem Vermieter die Abtretung nichts nützte, solange die Behörde bzw. das JobCenter die Mietübernahme nicht bewilligt hatte.

2. Der hiesige Beklagte – das JobCenter N. – ist, wenn man überhaupt die Parteifähigkeit gemäß § 50 ZPO bejahen kann, aber jedenfalls nicht passivlegitimiert.

a) Es ist bereits zweifelhaft, ob der Beklagte überhaupt parteifähig ist i. S. d. § 50 ZPO. Parteifähig ist hiernach, wer rechtsfähig ist.

Soweit in der sozial- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44 b SGB II – in Berlin: JobCenter – mit unterschiedlichen Begründungen als beteiligtenfähig i. S. d. §§ 70 SGG, 61 VwGO angesehen werden (vgl. zum Ganzen Henning, SGG, Stand August 2007, zu § 70 SGG Rz 21, u.a. unter Hinweis auf BSG, Beschluss vom 07.11.2006, Gz B 7 b AS 10/06 R – Quelle: Juris) kann daraus nicht automatisch auf die Parteifähigkeit der Arbeitsgemeinschaften nach § 50 ZPO geschlossen werden. Die Regelungstechnik der Beteiligtenfähigkeit nach §§ 70 SGG, 61 VwGO ist zwar an die der Parteifähigkeit im Zivilprozess angelehnt. Der Grundsatz des § 50 ZPO, dass parteifähig ist, wer rechtsfähig ist, wird in §§ 70 Nr. 1 SGG, 61 Nr. 1 VwGO, wonach natürliche und juristische Personen beteiligtenfähig sind, übernommen, so dass §§ 70 Nr. 1 SGG, 61 Nr. 1 VwGO mit § 50 ZPO deckungsgleich sind. Bei §§ 70 Nr. 2 und 3 SGG, 61 Nr. 2 und 3 VwGO handelt es sich jedoch um Erweiterungen gegenüber der Regelung des § 50 ZPO, die mit den im Sozial- und Verwaltungsprozess häufig anderen Streitgegenständen begründet werden (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2006, zu § 61 VwGO Rz 1, 24, 25;

Henning, a.a.O., zu § 70 SGG Rz 22, 28). Hiernach sind nichtrechtsfähige Personenvereinigungen bzw. Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann (§§ 70 Nr. 2 SGG, 61 Nr. 2 VwGO) und Behörden (§§ 70 Nr. 3 SGG, 61 Nr. 3 VwGO) im Sozial- und Verwaltungsprozess beteiligtenfähig.

Da es sich bei §§ 70 Nr. 2 SGG und 3, 61 Nr. 2 und 3 VwGO um Erweiterungen des Parteibegriffs des § 50 ZPO handelt, kann von der Beteiligtenfähigkeit, die nicht aus §§ 70 Nr. 1 SGG, 61 Nr. 1 VwGO abgeleitet wird, nicht auf die Parteifähigkeit gemäß § 50 ZPO geschlossen werden. Die Auffassung des OLG Zweibrücken (Beschluss vom 18.04.2007, Gz 5 WF 16/07, Quelle: Juris), auf die sich das Landgericht stützt, ist – da sie nicht zwischen §§ 70 Nr. 1 SGG, 61 Nr. 1 VwGO einerseits und §§ 70 Nr. 2 und 3 SGG, 61 Nr. 2 und 3 VwGO andererseits differenziert – abzulehnen. Nur wenn anzunehmen wäre, dass es sich bei einer klageweise in Anspruch genommenen Arbeitsgemeinschaft i. S. d. § 44 b SGB II um eine juristische Person i. S. d. §§ 70 Nr. 1 SGG, 61 Nr. 1VwGO handelt, könnte von der Beteiligtenfähigkeit auf die Parteifähigkeit gemäß § 50 ZPO geschlossen werden. Die allgemeine Feststellung des OLG Zweibrücken, dass die (Teil-) Rechtsfähigkeit und Prozessfähigkeit (Beteiligtenfähigkeit) der Arbeitsgemeinschaften in der sozial- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung weitgehend anerkannt sei und im Zivilprozess keine Veranlassung für eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitsgemeinschaften in Hinblick auf die Partei- und Prozessfähigkeit bestehe, ist deshalb nach Auffassung des Senats nicht zutreffend.

Ob der Beklagte hier als juristische Person i. S. d. §§ 70 Nr. 1 SGG, 61 Nr. 1 VwGO angesehen werden kann (verneinend LSG Berlin, Beschluss vom 14.06.2005, Gz L 10 B 44/05 AS ER; Quelle: Juris) oder ob aus der in der sozial- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommen Teilrechtsfähigkeit der Arbeitsgemeinschaften, die gemäß § 44 b Abs. 3 S. 1 und 2 SGB II eine Außenvertretung haben und zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide erlassen (§ 44 b Abs. 3 S. 3 SGB II), für den Zivilprozess eine Teilrechtsfähigkeit ähnlich der der Außen-GbR angenommen werden muss, kann hier im Prozesskostenhilfeverfahren dahinstehen, weil es jedenfalls an der Passivlegitimation des Beklagten fehlt.

b) Der Beklagte kann nicht gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG auf Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung in Anspruch genommen werden. Denn der Beklagte als „JobCenter“ ist nicht der richtige Anspruchsgegner, da seine Mitarbeiter entweder beim Land

Berlin oder bei einer Arbeitsagentur beschäftigt, nicht aber beim Beklagten selbst angestellt sind.

Art. 34 GG verändert für den öffentlich-rechtlichen Funktionsbereich die Passivlegitimation hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs. Anstelle des nach § 839 Abs. 1 BGB haftenden Amtsträgers ist grundsätzlich der Staat oder diejenige Körperschaft ersatzpflichtig, in deren Dienst der Amtsträger steht. Die Frage nach der haftpflichtigen Körperschaft wird danach beantwortet, „wer dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausnutzung er fehlsam gehandelt hat, anvertraut hat, wer mit anderen Worten dem Amtsträger die Aufgaben, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichten verletzt worden sind, übertragen hat“ (BGHZ 53, 217, 219 = VersR 1970, 348). Im Regelfall ist diejenige Körperschaft haftpflichtig, die den Amtsträger angestellt hat und ihn besoldet, nicht dagegen diejenige, deren Aufgaben im Einzelfall wahrgenommen wurden (vgl. Münchener Kommentar, 4. Auflage 2004, zu § 839 BGB Rz 360 ff).

Gemäß § 7 Abs. 1 des bereits erwähnten Rahmenvertrages (RV) haben die Berliner JobCenter zwei Träger, nämlich die örtlich zuständige Arbeitsagentur und das Land Berlin, dieses vertreten durch das zuständige Bezirksamt (§ 7 Abs. 1 des Rahmenvertrages). Nach § 11 Abs. 1 RV beschäftigt die Arbeitsgemeinschaft kein eigenes Personal, vielmehr wird dieses vom Land Berlin (Bezirksamt) und der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt. Folgerichtig stellt § 20 Abs. 1 AV klar, dass die Haftung der Träger – mithin des Landes Berlin und der Arbeitsagenturen – sich nach den gesetzlichen Bestimmungen richtet und im Falle von Amtshaftungsansprüchen, die gegen die Arbeitsgemeinschaften geltend gemacht werden, der Arbeitgeber bzw. Dienstherr des Beschäftigten, der den Anspruch verursacht hat, nach den gesetzlichen Bestimmungen im Außenverhältnis alleine haftet (vgl. § 20 Abs. 2 des Rahmenvertrages, der weitere Bestimmungen zum Ausgleich im Innenverhältnis zwischen zwei Trägern trifft). Unabhängig davon, ob man eine Arbeitsgemeinschaft als parteifähig i. S. d. § 50 ZPO ansehen kann, ist eine Arbeitsgemeinschaft nach Maßgabe der genannten Rahmenvereinbarung jedenfalls nicht als „Staat“ oder „Körperschaft“ i. S. d. Art. 34 GG zu definieren, der / die eigene Amtsträger mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben betraut hat. Die Amtsträger, die für den Beklagten agieren, stehen in Diensten der Träger, also des Landes Berlin und der Arbeitsagenturen. Dementsprechend ist der maßgebliche Träger auf Amtshaftung in Anspruch zu nehmen, nicht der Beklagte als Arbeitsgemeinschaft i. S. d. § 44 b SGB II. Die Situation ist vergleichbar mit der Amtshilfe: Es haftet nicht die Körperschaft, die Amtshilfe in Anspruch nimmt, sondern die Körperschaft, bei denen die Amtshilfe leistenden Amtsträger angestellt sind.

Soweit die Klägerin in der ersten Instanz vorgetragen hat, durch eine Rahmenvereinbarung könne die gesetzlich geregelte Amtshaftung nicht geändert werden (Schriftsatz vom 21.02.2008, Bl. 57f. d. A.), greift dieser Einwand nicht durch, denn die Rahmenvereinbarung ändert nicht die gesetzliche Regelung, sondern gibt in § 20 Abs. 1 RV nur die gesetzliche Regelung wieder, dass nämlich im Außenverhältnis zum Bürger der jeweilige Träger haftet, nicht die kein eigenes Personal beschäftigende Arbeitsgemeinschaft selbst.

Da die Klage unter Bezugnahme auf die sozial- und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ausdrücklich gegen den Beklagten erhoben wurde, kam eine Rubrumsberichtigung nicht in Betracht.