KG, Beschluss vom 17.10.2008 - 12 U 206/08
Fundstelle
openJur 2012, 9543
  • Rkr:

Kommt es im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Wenden zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Wendenden.Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten des Wendenden haftet dieser im Falle der Kollision mit einem ordnungsgemäß überholenden Kfz grundsätzlich allein, wobei die Betriebsgefahr des Kfz des Überholers zurücktritt.Aus dem Umstand, dass ein Pkw zunächst nach rechts blinkt, an den rechten Straßenrand fährt und dort anhält, muss der Fahrer eines mit Blaulicht und überhöhter Geschwindigkeit herannahenden Einsatzfahrzeuges nicht schließen, dieser Pkw würde sogleich wenden, und der Einsatzfahrer ist nicht zur sofortigen Vollbremsung verpflichtetAllein die überhöhte Geschwindigkeit eines Einsatzfahrzeugs führt nach § 35 Abs. 1, 8 StVO nicht zur Mithaftung.

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben.

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind.

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1. Zutreffend hat das Landgericht (UA 4-5) nach Beweisaufnahme die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Anscheinsbeweis spräche dafür, dass die Klägerin die ihr nach § 9 Abs. 5 beim Wenden obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt habe, da sich der Unfall im Zusammenhang mit dem Wendevorgang der Klägerin ereignet habe; demgegenüber scheide eine Mithaftung des Beklagten aus, weil die Klägerin durch die von ihr benannte Zeugin ... nicht habe beweisen können, dass sie vor und während des Wendevorgangs den linken Blinker gesetzt habe.

Gründe für eine Mithaftung des Beklagten seien auch nach dem Ergebnis des Gutachtens des vom Landgericht beauftragten Sachverständigen ... vom 20. Februar 2007 nicht feststellbar (UA 5); danach wäre der Unfall zwar vermieden worden, wenn der Fahrer des mit Blaulicht und einer Geschwindigkeit von etwa 83 km/h herannahenden Polizeifahrzeuges zunächst nicht nur eine Betriebsbremsung, sondern eine Vollbremsung vorgenommen hätte; hierzu hätte aber nur dann Anlass bestanden, wenn das klägerische Fahrzeug nach links geblinkt hätte; gerade dies habe die Klägerin aber nicht zu beweisen vermocht.

Auch aus dem Umstand, dass das Polizeifahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit ganz erheblich überschritten habe, folge keine Mithaftung, da das Einsatzfahrzeug hierzu berechtigt gewesen sei; nach § 10 StVO habe die Klägerin das im fließenden Verkehr befindliche Polizeifahrzeug vorbeifahren lassen müssen.

2. Die dagegen mit der Berufungsbegründung vorgetragenen Argumente sind nicht geeignet, die beantragte Abänderung des angefochtenen Urteils zu bewirken und der Klägerin Schadensersatz nach der im Berufungsverfahren nur noch geltend gemachten Quote von 50 % zuzusprechen.

9Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO (beim Wenden ist eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen; höchste Sorgfaltsstufe) spricht gegen den Wendenden der Beweis des ersten Anscheins, eine in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Wendevorgang eingetretene Kollision mit einem anderen Fahrzeug verschuldet zu haben (KG, Urteil vom 1. Oktober 2001 – 12 U 2139/00 NZV 2002, 230 = KGR 2002, 98 = VM 2002, 61 L; KG, Beschluss vom 21. September 2006 – 12 U 41/06VRS 112, 90 = KGR 2007, 305 L = NZV 2007, 306 = NJW-Spezial 2007, 306).

Dies akzeptiert die Klägerin zwar, meint aber ihr sei die ihr durch die Rechtsprechung eingeräumte Möglichkeit der Widerlegung des Anscheinsbeweises gelungen mit der Folge einer hälftigen Mithaftung des Beklagten.

Denn aus den feststehenden Tatsachen könne gefolgert werden, dass sich der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs auf das Fahrverhalten der Klägerin hätte einrichten können; denn es stehe fest, dass dieser sich offensichtlich auf dieses Fahrzeug eingerichtet habe, indem er den linken Blinker 65,8 m vor der Kollision gesetzt und einen Bremsvorgang - mit geringer Bremswirkung - eingeleitet habe. Hätte er jedoch statt dessen voll gebremst, wäre der Unfall vermieden worden, was jedoch aufgrund einer Fehleinschätzung nicht erfolgt sei; auch bei Inanspruchnahme von Sonderrechten oblägen dem Fahrer besondere Beobachtungspflichten.

a) Die Auffassung der Klägerin, der Unfall sei durch eine Fehleinschätzung der Situation durch den Fahrer des Polizeifahrzeuges mitverursacht worden, wird vom Senat nicht geteilt.

Bereits das Landgericht hat auf S. 5 des angefochtenen Urteils das Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen ... behandelt, dass der Unfall vermieden worden wäre, wenn der Polizist im Zeitpunkt seiner Reaktion auf das Klägerfahrzeug nicht nur eine „Betriebsbremsung“ und dann nach 1,2 s eine Vollbremsung eingeleitet hätte (vgl. Gutachten Wanderer, S. 17).

Das Landgericht hat dazu zutreffend ausgeführt, dass der Polizeibeamte zu einer Vollbremsung im Zeitpunkt seiner ersten Reaktion auf das Fahrzeug der Klägerin nur dann Veranlassung gehabt hätte, wenn das klägerische Fahrzeug vor dem Wendevorgang geblinkt hätte, was die Klägerin nicht bewiesen hat.

15Dieses Argument, das von der Klägerin nicht angegriffen wird, wird vom Senat geteilt.

Denn allein der Umstand, dass ein Pkw zunächst nach rechts blinkt, an den rechten Straßenrand fährt und dort anhält (vgl. Klageschrift, S. 2; Klageerwiderung, S. 2), muss den Fahrer eines mit Blaulicht und überhöhter Geschwindigkeit herannahenden Einsatzfahrzeuges nicht zu einer sofortigen Vollbremsung veranlassen. Im Gegenteil kann er zunächst daraus schließen, dass dieses Fahrzeug ihn vorbeifahren lassen würde.

Es kann also nicht festgestellt werden, dass der Polizeibeamte „in Verkennung der Situation“ und aufgrund einer „Fehleinschätzung“ (S. 2 der Berufungsbegründung) falsch reagiert hätte, wenn er - wie der Beklagte vorgetragen hat - zunächst auf das rechts blinkende und zum rechten Fahrbahnrand ziehende Klägerfahrzeug mit Linksblinken und leichtem Abbremsen reagiert und erst nach Erkennen des Anfahrens der Klägerin vom rechten Fahrbahnrand zum Zwecke des Wendens eine Vollbremsung einleitet.

18b) Auch die überhöhte Geschwindigkeit des Polizeifahrzeuges führt nicht zur Mithaftung des Beklagten; denn nach § 35 Abs. 1, 8 StVO war das Polizeifahrzeug von den Vorschriften der StVO befreit, durfte also zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, allerdings nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. Senat, Urteil vom 20. März 2003 - 12 U 199/01 - KGR 2003, 202 = NZV 2003, 481 = VersR 2005, 1549; Urteil vom 25. April 2005 - 12 U 123/04 - VRS 108, 417 = VM 2005, 53 Nr. 45 = KGR 2005, 664 = NZV 2005, 636 = VersR 2006, 1089 L).

Auch in diesem Rahmen sind unfallursächliche Sorgfaltspflichtverletzungen des Polizeifahrers nicht feststellbar; das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit war nicht rechtswidrig und die Reaktion auf das unstreitige Fahrverhalten der Klägerin nicht sorgfaltswidrig (vgl. vorstehend sub a)).

20c) Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens war das am Polizeifahrzeug eingeschaltete Blaulicht aufgrund des geraden Straßenverlaufs für die Klägerin erkennbar (vgl. Gutachten, S. 18) - zumal im Unfallzeitpunkt (Unfall vom 8. Dezember 2005, 18.50 Uhr) Dunkelheit herrschte - und die Klägerin hätte den Unfall vermeiden können, wenn sie das Polizeifahrzeug hätte vorbeifahren lassen; hierzu war sie nach §§ 9 Abs. 5, 10 StVO (sowohl beim Wenden als auch beim Anfahren vom Fahrbahnrand ist die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen - höchste Sorgfaltsstufe) verpflichtet.

21Daher ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG die Betriebsgefahr des Polizeiwagens hat zurücktreten lassen.

3. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.

Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.