LG Cottbus, Beschluss vom 11.08.2008 - 24 jug Qs 40/08
Fundstelle
openJur 2012, 9151
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde vom 11.06.2008 wird der Beschluss desAmtsgerichts Cottbus vom 27.05.2008 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagendes Beschwerdeführers trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer ist Übersetzer und Dolmetscher, und zwar gemäß dem von ihm verwandten Stempelaufdruck u. a. für die serbisch-kroatische und bosnische Sprache. Er übersetzte im Auftrage des Amtsgerichts Cottbus in der vorliegenden Strafsache gegen eine serbisch-montenegrische Angeklagte mehrere Schriftstücke, darunter die Anklageschrift, und wurde als Dolmetscher zur Hauptverhandlung am 23.04.2008 geladen. Die Hauptverhandlung wurde ohne ihn, weil er den Termin versäumt hatte, zunächst durchgeführt; insoweit hatte die Angeklagte, die sich bereits am 31.07.2007 vor der Polizei in Forst ohne Dolmetscher geständig eingelassen hatte (Bl. 20 f.), gemäß dem Hauptverhandlungsprotokoll erklärt, dass sie die deutsche Sprache verstehe und dass ohne Dolmetscher verhandelt werden könne. Die Hauptverhandlung wurde sodann fortgesetzt. Im Protokoll heißt es sodann (soweit lesbar Bl. 54): „Vorsitzende erklärt: die Verhandlung muss unterbrochen werden, weil ohne Dolmetscher nicht weiter verhandelt werden kann.„ Weiterhin bestimmte die Vorsitzende einen neuen Termin auf den 08.10.2008.

Die Staatsanwaltschaft beantragte in der Hauptverhandlung die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den Dolmetscher in Höhe von 200,00 Euro.

Darauf beschloss die Vorsitzende (Bl. 55) die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in dieser Höhe wegen unentschuldigten Fehlens zur Hauptverhandlung und auferlegte ihm die durch sein Nichterscheinen entstandenen Kosten.

Die von der Vorsitzenden verfügte Zustellung des Beschlusses ist in der Akte nicht feststellbar.

Mit Schreiben vom 08.05.2008 (Bl. 57) entschuldigte sich der Beschwerdeführer bei der Amtsrichterin und teilte mit, sein Handy, auf dem er seine Dolmetschertermine speichern würde, habe sich ausgeschaltet, da der Akku leer gewesen sei. Dieser Termin sei der erste in seiner 10-jährigen Tätigkeit als Dolmetscher, den er versäumt habe. Im Übrigen sei er nicht in der Lage, das festgesetzte Ordnungsgeld zu bezahlen. Die Auftragslage sei nicht besonders gut; er bekomme seit 2 Jahren auch kein Kindergeld mehr für seine drei Kinder.

Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 27.05.2008 (Bl. 61 R), das insoweit dem Antrag der Staatsanwaltschaft (Bl. 60) folgte, blieb der Ordnungsgeldbeschluss aufrechterhalten.

Hierauf wandte sich der Beschwerdeführer mit einem Schreiben vom 11.06.2008 (Bl. 66) erneut an die Amtsrichterin und erklärte u. a. unter Verweis auf beigefügte Einkommenssteuerbescheide für 2005 und 2006 (Bl. 67, 68), dass er angesichts zweier schulpflichtiger Kinder und einem Kindergartenkind mit seinem Verdienst nur ganz knapp hinkomme.

Das Amtsgericht hat das vorgenannte Schreiben als Beschwerde ausgelegt, diesem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache über die Staatsanwaltschaft, die zu dem Schreiben keine Erklärung mehr abgegeben hat, dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Zu Recht hat das Amtsgericht in dem Schreiben des Dolmetschers vom 11.06.2008 eine Beschwerde gegen den Beschluss vom 27.05.2008 (Bl. 61 R) gesehen. Diese statthafte Beschwerde ist zulässig, § 304 Abs. 2 StPO. Sie ist auch begründet.

1. Für die Verhängung von Ordnungsmitteln und für die Auferlegung von Kosten - wie hier geschehen - ist eine Rechtsgrundlage nicht gegeben. Soweit sich das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 27.05.2008 auf eine analoge Anwendung der §§ 77 Abs. 1 (betreffend Sachverständige) und 51 StPO (betreffend Zeugen) bezieht, unterliegt es einem Rechtsirrtum.

a) Der Dolmetscher ist nämlich als Gehilfe des Gerichts und der Prozessbeteiligten ein Beteiligter eigener Art, der nicht etwa Sachverständiger ist (vgl. BGH St 1, 6, 7; 4, 154; Baumbach/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., 2008, § 185 GVG, Rn. 8). Zwar wird der Dolmetscher in mancher Beziehung wie ein Sachverständiger behandelt, das Gesetz sieht indessen nur in bestimmten Regelungen, nämlich in Bezug auf eine Ausschließung und Ablehnung, § 191 GVG, eine entsprechende Anwendung vor. Daraus ist herzuleiten, dass, weil für die anderen den Sachverständigen betreffenden Regelungen, das Gesetz keine entsprechende Anwendung vorsieht, diese anderen Regelungen nicht gelten. Eine analoge Anwendung der für Sachverständige getroffenen Regelung in § 77 StPO in Bezug auf die Verhängung eines Ordnungsmittels verbietet sich darüber hinaus im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG, weil das dort zugelassene Ordnungsmittel einen strafähnlichen Charakter hat; insoweit unterliegt es dem Analogieverbot. (vgl. Wittschier, Unentschuldigtes Ausbleiben eines Dolmetschers im Strafprozess, NJW 85, 2873 ff.; LG Hamburg, StV 1985, 500; LG Nürnberg/Fürth, MDR 1978, 508, AG Tiergarten, StV 87, 13; Jessnitzer, Dolmetscher und Übersetzer, Rpflger 1982, 365 (368)).

b) Mit der Zeugenstellung hat die Dolmetschertätigkeit ebenfalls nichts zu tun (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., 2007, § 185 GVG, Rn. 7 m. w. N.; Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., 2007, § 185 GVG, Rn. 2; Jessnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, 10. Aufl., 1992, Einführung Rn. 15; BGHSt 4, 154), so dass eine entsprechende Anwendung der für Zeugen geschaffenen Regelung auf Dolmetscher nicht anwendbar ist.

c) Demzufolge entspricht es der, soweit ersichtlich, allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass Ordnungsmittel gegen einen nicht erschienenen Dolmetscher nicht verhängt werden können (vgl. Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl., 1999, § 185 GVG, Rn. 2; Meyer-Goßner a. a. O., m. w. N.; Jessnitzer, Dolmetscher und Übersetzer, Rpflger 1982, 365 (368)).

2. Ob dem Dolmetscher die durch sein Fehlen entstandenen Kosten auferlegt werden dürfen, wird indessen nicht einheitlich beantwortet. Eine gesetzliche Regelung fehlt, obschon mehrfach Gelegenheit bestanden hat, im Zuge gesetzlicher Änderungen der ZPO, insb. im Sachverständigenrecht, gesetzgeberisch entsprechend tätig zu werden. Aber auch hier lehnt die Kammer eine analoge Anwendung der Vorschriften in § 77 Abs. 1, 51 StPO StPO ab (wie hier Jessnitzer, Dolmetscher 1982, S. 143; ders., Dolmetscher und Übersetzer, Rpflger 1982, 365 (368)), da die Dolmetschertätigkeit trotz mancher Berührungspunkte letztlich keine Sachverständigentätigkeit - und noch weniger Zeugentätigkeit - darstellt. In diesem Zusammenhang ist, was ebenfalls gegen die Inanspruchnahme des Dolmetschers spricht, zu erwähnen, dass es für den Dolmetscher im Gegensatz zum Sachverständigen keine gesetzliche Pflicht zum Dolmetschen für die Gerichte gibt (vgl. Jessnitzer, Dolmetscher und Übersetzer, Rpflger 1982, 365 (368)). Würde man im Übrigen eine analoge Anwendung von § 77 Abs. 1 S. 1 StPO für berechtigt ansehen, dann müsste konsequenter Weise auch die allgemein geltende Ladungsvorschrift des Zeugen- und Sachverständigenrechts der StPO (§§ 48, 72 StPO) Beachtung finden. Hiernach geschieht die Ladung unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens. Dieser Hinweis ist zwingend und damit Voraussetzung für die Verhängung von Sanktionen bei Nichterscheinen. Ob der entsprechende Vordruck im vorliegenden Fall einen solchen Hinweis für Dolmetscher vorsieht, ist nicht bekannt. Deshalb kann auch nicht festgestellt werden, ob den Anforderungen der § 48, 72 StPO im vorliegenden Fall genüge getan wäre. Dementsprechend hätte das Amtsgericht - auch aus seinem Analogieverständnis heraus - schon aus diesem Grunde von einer Ordnungsstraf- und Kostensetzung Abstand nehmen müssen.

3. Fehlt es also bereits an einer Rechtsgrundlage für den amtsgerichtlichen Beschluss, so kommt es auf die Frage der - hier sehr problematischen - Höhe des verhängten Ordnungsgeldes (vgl. Kammer, Beschluss vom 27.03.2008, Az. 24 Qs 195/07 = 86 Ds 132/06 AG Cottbus) und auf die damit im Zusammenhang stehenden weiteren Fragestellungen nach der Verhältnismäßigkeit, nach dem Verschuldensgrad und nach den Auswirkungen der Ordnungsstrafe für den Betroffenen und - hätte es sich um einen Zeugen gehandelt - schließlich auf die Frage einer anderweitigen Behandlung der Sache (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 51 Rn. 17; Kammer, Beschluss vom 27.03.2006, Az. 24 jug Qs 18/06 = 79 Ds 77/05 AG Cottbus) nicht mehr an.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.