LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.07.2008 - 10 Sa 555/08
Fundstelle
openJur 2012, 8947
  • Rkr:

Schadenersatz nach § 612 a BGB kann nur im bestehenden Arbeitsverhältnis beansprucht werden. Auf Stellenbewerber findet § 612 a BGB keine Anwendung.

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.01.2008 - 9 Ca 18997/07 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten der Berufung hat bei einem Streitwert von 4.900,00 € die Klägerin zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten auch in der Berufungsinstanz um Ansprüche auf Entschädigung und Schadenersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie zusätzlich um Schadenersatz nach § 612a BGB.

Die homosexuelle Klägerin ist mit einem GdB von 90 schwerbehindert und bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Sie bewarb sich Ende Juli 2007 bei der Beklagten um eine Teilzeitbeschäftigung als Auslieferungsfahrerin zu einem monatlichen Einkommen von 350,-- EUR. Die Parteien vereinbarten, dass die Klägerin zunächst an zwei Tagen zur Probe arbeite.

Am zweiten Tag der Probearbeit wurde die Klägerin von einer im Büro der Beklagten beschäftigten Mitarbeiterin aufgefordert, ihre Sozialversicherungsnummer und ihre Bankdaten mitzuteilen. Ob diese Aufforderung im Hinblick auf die geplante Begründung eines Dauerarbeitsverhältnisses oder wegen einer Abrechnung der Probearbeit erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig.

In einem Gespräch mit der Büromitarbeiterin der Beklagten erzählte die Klägerin, dass sie zuvor unter anderem in einem Call-Center gearbeitet habe, dessen Arbeitgeber aus Berlin verschwunden sei und gegen den sie Klage vor dem Arbeitgericht eingereicht habe.

Hinsichtlich der angestrebten Beschäftigung erhielt die Klägerin vom Jobcenter telefonisch eine Absage. Auf ihre telefonische Nachfrage bei der Beklagten erklärte der Personalverantwortliche der Beklagten Herr W. L. der Klägerin, dass es sich um eine persönliche Entscheidung handele.

Im Betrieb des Vaters des Herrn W. L. wurden in der Vergangenheit bereits homosexuelle Mitarbeiter beschäftigt. Herr W. L. hatte als Jugendlicher im Betrieb freundschaftliche Beziehungen zu diesen Mitarbeitern. Auch in seiner eigenen Familie gibt es homosexuelle Personen.

Die Klägerin trägt vor, dass Herr W. L. am zweiten Tag der Probearbeit persönlich auf die Klägerin getroffen sei. Bei diesem Zusammentreffen habe die Klägerin einen Ohrring mit der Regenbogenfarbe sowie eine rote Aids-Schleife auf ihrem Rucksack getragen. Weiter habe sich auf dem Rucksack ein Sticker mit einer Regenbogenfahne befunden.

Herr L. sei beim Anblick der Klägerin mit dem Ohrring mit der Regenbogenfahne und der Aids-Schleife auf dem Rucksack erstarrt und habe plötzlich sein Verhalten geändert.

Kurz darauf habe die Klägerin entgegen der vorherigen Mitteilung der Büromitarbeiterin der Beklagten, dass es nach Rücksprache ganz gut aussehe, eine Absage bezüglich einer Festanstellung erhalten. Auf telefonische Nachfrage der Klägerin habe Herr L. ihr erklärt, dass er mit ihrer Arbeit sehr zufrieden gewesen sei, dass er sich aber als selbständiger Geschäftsmann vorbehalte, wer bei ihm einen Vertrag erhalte und wer nicht. Die Klägerin meint, dass er dabei auf die sexuelle Identität der Klägerin abgezielt habe.

Die Beklagte bestreitet, dass Herr L. beim Zusammentreffen mit der Klägerin erstarrt sei oder sein Verhalten geändert habe. Der Klägerin sei auch zu keinem Zeitpunkt eine Festanstellung zugesagt worden. Der Grund für die Nichteinstellung habe allein darin bestanden, dass die Büro-Mitarbeiterin Frau La. Herrn W. L. mitgeteilt habe, dass die Klägerin ihren bisherigen Arbeitgeber verklage. Die Beklagte habe zwar nichts dagegen, dass die Klägerin einen früheren Arbeitgeber verklage, aber der Umstand, dass die Klägerin dieses beim neuen Arbeitgeber sogleich erzählt habe, sei aus ihrer Sicht nicht akzeptabel. Herr L. habe keine Vorurteile gegen Homosexuelle.

Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) abgesehen.

Mit Urteil vom 23. Januar 2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung in erster Linie ausgeführt, dass die Klägerin keine hinreichenden Indizien für eine Benachteiligung aufgrund ihrer sexuellen Identität dargelegt habe. Es ergebe sich aus dem klägerischen Vortrag keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Kausalität zwischen der Homosexualität und der Nichteinstellung der Klägerin. Die Klägerin habe nicht näher dargelegt, woraus sie entnehme, dass Herr L. Sticker und Ohrring wahrgenommen habe. Auch die behauptete Verhaltensänderung des Herrn L. sei nicht näher dargelegt. Auch sei nicht allgemein bekannt, dass die Regenbogenfahne für Homosexualität stehe. Wegen des weiteren Urteilsinhalts wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen dieses ihrer Prozessbevollmächtigten am 18. Februar 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. März 2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Sie hat ausgeführt, dass die Annahme des Arbeitsgerichts, die Klägerin habe nur unzureichend Indizien dargelegt, nicht richtig sei.

Zusätzlich hat die Klägerin vorgetragen, dass sie neben dem Ohrring mit Regenbogenfarben und einem mitgeführten Rucksack, an dem ein Sticker in Form der Regenbogenfahne und eine Aids-Schleife befestigt gewesen seien, eine Weste getragen habe, an der zwei weitere Aids-Schleifen gut sichtbar einmal in roter Farbe und einmal in Regenbogenfarben befestigt gewesen seien. Herr L. sei mit zügigen Schritten und strahlendem Lächeln aus dem anliegenden Büroraum in den Aufenthaltsraum geeilt. Beim Anblick der Klägerin habe er plötzlich gestockt, sein Lächeln sei gefroren, er sei regelrecht erstarrt. Er habe zunächst die Klägerin von oben bis unten betrachtet, dann den Rucksack und dann sei ihm alles aus dem Gesicht gefallen. Das zunächst offen-freundliche Verhalten habe sich in ein distanziertes Verhalten gewandelt. Er habe sich beeilt, das Gespräch zu beenden.

Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Büromitarbeiterin Frau La. Herrn L. über den Umstand, dass die Klägerin ihren früheren Arbeitgeber verklagt habe, informiert hätte. Aber auch unabhängig davon würden die von der Klägerin beschriebenen Umstände dagegen sprechen, dass dieses das Motiv für die Nichteinstellung der Klägerin gewesen sei. Die Bedeutung der Regenbogenfahne sei allgemein bekannt.

Soweit man die von der Beklagten behauptete Begründung der Nichteinstellung der Klägerin annehmen sollte, hätte die Klägerin einen Entschädigungsanspruch nach § 612a BGB in Verbindung mit § 280 Abs.1 BGB, da es sich dann um eine Maßregelung der Klägerin handele.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Januar 2008 – 9 Ca 18997/07 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 4.900,-- EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. aus 2.450,-- EUR seit dem 21. September 2007, aus weiteren 1.050,-- EUR seit dem 29. November 2007 und aus weiteren 1.400,-- EUR ab dem 16. Mai 2008 zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bestreitet auch in der zweiten Instanz die behauptete Veränderung des Gesichtsausdrucks und des Verhaltens des Herrn L. und bezieht sich weiter auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Maßregelungen könnten nach § 612a BGB nur in einem Arbeitsverhältnis, nicht aber bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses sanktioniert werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Klägerin vom 9. Mai 2008 und auf die Berufungsbeantwortung der Beklagten vom 20. Juni 2008 Bezug genommen.

Gründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache ist jedoch keine andere Beurteilung als in erster Instanz gerechtfertigt. Die Berufung ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Schadenersatz oder Entschädigung nach dem AGG noch auf Schadenersatz nach § 612a BGB.

Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung hat das Arbeitsgericht zu Recht die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht folgt dem Arbeitsgericht Berlin und sieht gem. § 69 Abs. 2 ArbGG von einer ausführlichen, nur wiederholenden Begründung ab. Zum Verständnis der Entscheidung und im Hinblick auf den zweitinstanzlichen Vortrag der Parteien und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung wird noch auf Folgendes hingewiesen:

1. Nach § 7 Abs.1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - und damit unter anderem nicht wegen ihrer sexuellen Identität - benachteiligt werden. Gleiches gilt nach § 6 Abs.1 Satz 2 AGG auch für Bewerberinnen und Bewerber vor Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses. Die von der Klägerin behauptete unmittelbare Benachteiligung (§ 3 Abs.1 AGG) liegt vor, wenn die Klägerin wegen ihrer sexuellen Identität eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Das Diskriminierungsmerkmal (sexuelle Identität) und die Maßnahme der Beklagten (Nichteinstellung) sind unstreitig. Im Streit liegt allein die Kausalität, also ob die Nichteinstellung „wegen" der sexuellen Identität der Klägerin erfolgte. Ausreichend ist in diesem Zusammenhang, wenn die sexuelle Identität der Klägerin einer von mehreren Gründen für die Nichteinstellung der Klägerin war (Motivbündel).

1.1 Nach § 22 AGG hat die Klägerin Indizien zu beweisen, die eine Benachteiligung wegen ihrer sexuellen Identität vermuten lassen. Es bedarf keines zwingenden Schlusses auf die Benachteiligung wegen der sexuellen Identität der Klägerin, aber die Indizien müssen doch nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung begründen. § 22 AGG verlangt eine Beurteilung aus der Sicht einer objektiv verständigen Person im Einzelfall. Hierzu genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen sexueller Identität und Nachteil. Es reichen Anhaltspunkte, die eine Benachteiligung gerade aus diesem Grunde plausibel erscheinen lassen. Es gilt dabei der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO).

Nimmt das Gericht eine solche Kausalität an, trägt die Beklagte die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat.

1.2 Wie bereits das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, hat die Klägerin keine ausreichenden Indizien dargelegt, nach der eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zwischen der Homosexualität der Klägerin und ihrer Nichteinstellung durch die Beklagte gegeben ist.

Auch in der Berufungsinstanz blieben weite Teile des Sachverhaltes unklar. Auf ausdrückliche Nachfrage in der Berufungsverhandlung konnte die Klägerin den konkreten Vorfall des Zusammentreffens zwischen ihr und Herrn W. L. nicht genau schildern. Zwar schilderte sie die - von der Beklagten anders vorgetragene - Örtlichkeit relativ genau, unklar blieb aber insbesondere der Inhalt des Gespräches zwischen beiden Personen. Auch die Behauptung der der Klägerin zunächst zugesagten Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis blieb unklar. So hat die Klägerin trotz ausdrücklichen Bestreitens durch die Beklagte nicht näher dargelegt, aufgrund welcher Erklärungen welcher Personen sie von dem Abschluss eines Dauerarbeitsverhältnisses ausgehen konnte. Der Vortrag im erstinstanzlichen Schriftsatz der Klägerin vom 10. Januar 2008 war dazu viel zu allgemein gehalten, als dass er einer Beweisaufnahme zugänglich gewesen wäre. Die Erläuterungen in der Berufungsverhandlung, dass man ihr gesagt habe, dass es nach Rücksprache ganz gut aussehe, ist nicht als Einstellungszusage zu werten.

1.3 Die Kammer ist nach der mündlichen Verhandlung und den persönlichen Erläuterungen sowohl der Klägerin wie des Herrn W. L. zu der Auffassung gelangt, dass keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Kausalität zwischen der Homosexualität der Klägerin und ihrer Nichteinstellung durch die Beklagte gegeben ist. Neben dem unzureichenden Tatsachenvortrag der Klägerin ergab sich dieses auch aus dem unstreitigen Umstand, dass Herr W. L. bereits zuvor im Betrieb seines Vaters freundschaftlichen Kontakt zu Homosexuellen hatte und auch seiner Familie homosexuelle Menschen angehören.

Deshalb kam es dem Landesarbeitsgericht auf die von den Parteien schriftsätzlich ausführlich erörterte Kenntnis oder Unkenntnis des Herrn L. von der Bedeutung der Regebogenfahne und der Aidsschleifen nicht mehr an. Auch die von der Klägerin bestrittene Behauptung der Beklagten, dass Herr L. zuvor von dem arbeitsgerichtlichen Verfahren der Klägerin gegen ihren früheren Arbeitgeber erfahren habe, kam es danach nicht mehr an, weil dieses erst bei der Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Diskriminierung der Klägerin im Rahmen des Gegenbeweises aufzuklären gewesen wäre.

2. Soweit die Klägerin zweitinstanzlich erstmals auch einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung von § 612a BGB geltend gemacht hat, konnte sie damit ebenfalls nicht obsiegen.

Nach § 612a BGB gilt zwar ein Maßregelungsverbot, nach dem kein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme benachteiligen darf, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Und das Recht, gegen seinen Arbeitgeber beim Arbeitsgericht zu klagen, ist grundsätzlich ein Recht im Sinne des § 612a BGB.

36§ 612a BGB schützt aber nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nur Arbeitnehmer. Auf Stellenbewerber findet diese Vorschrift keine Anwendung, weil diese noch nicht Arbeitnehmer sind (so auch Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 612a Rd-Nr. 4). Eine dem § 6 Abs.1 Satz 2 AGG vergleichbare Vorschrift, nach der auch Bewerberinnen und Bewerber vor Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses nach dem AGG geschützt sind, fehlt im BGB. Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber diese Regel zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz erheben wollte, sind nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs.2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.