AG Schöneberg, Urteil vom 14.05.2008 - 104a C 72/08
Fundstelle
openJur 2012, 8619
  • Rkr:

Zwar liegt in der tatsächlichen Bereitstellung von Strom durch das Versorgungsunternehmen üblicherweise einer Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages, die derjenige, der Elektrizität aus dem Verteilungsnetz entnimmt, durch dieses sozialtypische Verhalten stillschweigend annimmt (vgl. BGH NJW 1983, 1777; BGH NJW 2003, 3131f). Anders ist es aber, wenn der Stromlieferant den bestehenden Versorgungsvertrag gekündigt und durch Bemühungen um Unterbrechung der Stromzufuhr deutlich gemacht hat, dass eine weitere Stromentnahme nicht mehr seinem Willen entspricht. Zu diesen Willensbekundungen stünde es in einem unvereinbaren Widerspruch, wollte man bis zur tatsächlichen Unterbrechung der Stromzufuhr in der fortbestehenden Möglichkeit zur Stromentnahme ein konkludentes Angebot der Klägerin zum Abschluss eines neuen Stromlieferungsvertrages sehen.

Tenor

1. Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an die Klägerin 748,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 7. März 2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Hälfte der Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2. zu tragen. Die Beklagte zu 1. hat die andere Hälfte der Gerichtskosten und die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Im Übrigen beträgt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin und der Beklagten zu 1. wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Mit Schreiben vom 6. April 2001 an die Beklagte zu 1. kündigte die B. AG wegen einer offenen Forderung in Höhe von 7.788,09 DM aus der Stromlieferung zum Einfamilienhaus G.straße den Stromlieferungsvertrag.

In der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis zum 29. August 2002 wurde über den Anschluss in dem Einfamilienhaus G.straße weiterhin Strom aus dem Leitungsnetz der Klägerin entnommen, ohne dass ein Stromversorgungsvertrag mit einem anderen Anbieter abgeschlossen worden wäre. In dem gesamten Zeitraum waren beide Beklagten beim Einwohnermeldeamt als ausschließlich in dem Haus G.straße wohnhaft gemeldet. Am 29. August 2002 wurde die Stromzufuhr durch Abklemmen des Hausanschlusskabels vor dem Haus gesperrt.

Mit Rechnung vom 5. Januar 2007, adressiert an beide Beklagte, forderte die Klägerin für den Verbrauch von 4.152 kWh in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis zum 29. August 2002 insgesamt 748,06 Euro, die sie zum 23. Januar 2007 fällig stellte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Rechnung in Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 30. Januar 2008, Bl. 14f d.A., Bezug genommenen.

Die Beklagten leisteten keine Zahlung.

Die Klägerin behauptet, in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis zum 29. August 2002 habe ein Stromversorgungsvertrag mit den Beklagten bestanden.

Sie behauptet auch, die Rechnung vom 5. Januar 2007 sei beiden Beklagten per Post zugegangen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 748,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Januar 2007 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten, den in der Rechnung vom 5. Januar 2007 aufgeführten Stromverbrauch verursacht zu haben.

Beide Beklagte berufen sich zudem auf Verjährung.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber nur zum Teil begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1. einen Wertersatzanspruch für die Lieferung von Strom zu dem Einfamilienhaus G.straße in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis 29. August 2002 in der geltend gemachten Höhe gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 818 Abs.2 BGB.

Nach § 812 Abs. 1 BGB ist derjenige, der auf Kosten eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, dem anderen zur Herausgabe bzw. nach § 818 Abs. 2 BGB zum Wertersatz verpflichtet.

Die Beklagte zu 1. hat auf Kosten der Klägerin ohne rechtlichen Grund Strom in Anspruch genommen, wofür sie bei Bestehen eines Stromlieferungsvertrages mit der Klägerin 748,06 Euro hätte aufwenden müssen. Da die Herausgabe der verbrauchten Elektrizität nicht möglich ist, hat sie der Klägerin den Wert in Höhe der ersparten Aufwendungen zu erstatten.

a) Es kann davon ausgegangen werden, dass zumindest die Beklagte zu 1. in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis zum 29. August 2002 über den Anschluss des Einfamilienhauses G.straße laufend aus dem Leitungsnetz der Klägerin Strom gezapft hat.

Es hat unstreitig seit dem 7. Oktober 1988 bis zur fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 6. April 2001 ein Stromlieferungsvertrag mit ihr über diese Anschlussstelle bestanden. Sie hat auch in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis zum 29. August 2002 in dem Haus gewohnt und hat die Verfügungsbefugnis über die Installationen, über die in dem Haus Strom entnommen werden konnte, gehabt. Damit ist ihr der entstandene Stromverbrauch jedenfalls zuzurechnen (vgl. Urteil des OLG Sachsen-Anhalt vom 6. Dezember 2005 zu …).

Es handelt sich um eine Menge von 4.152 kWh. Die Klägerin selbst hat am 9. Oktober 2001 den Zählerstand mit 158.886,0 abgelesen; nach Mitteilung der Beklagten hat er am 29. August 2002 bei 163.038,0 gelegen. Daraus ergibt sich ein Verbrauch von 4.152 kWh. Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion des Zählers bestehen nicht. Das pauschale Bestreiten der Beklagten zu 1. ist unbeachtlich.

b) Die Inanspruchnahme von insgesamt 4.152 kWh Strom ist ohne Rechtsgrund erfolgt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist zwischen ihr und den Beklagten nach der Kündigung des Stromlieferungsvertrages am 6. April 2001 kein neuer Stromversorgungsvertrag zustande gekommen.

Ein schriftlicher Vertrag ist unstreitig nicht zu Stande gekommen.

23Zwar liegt in der tatsächlichen Bereitstellung von Strom durch das Versorgungsunternehmen üblicherweise einer Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages, die derjenige, der Elektrizität aus dem Verteilungsnetz entnimmt, durch dieses sozialtypische Verhalten stillschweigend annimmt (vgl. BGH NJW 1983, 1777; BGH NJW 2003, 3131f).

24Anders ist es aber, wenn der Stromlieferant den bestehenden Versorgungsvertrag gekündigt und durch Bemühungen um Unterbrechung der Stromzufuhr deutlich gemacht hat, dass eine weitere Stromentnahme nicht mehr seinem Willen entspricht. Zu diesen Willensbekundungen stünde es in einem unvereinbaren Widerspruch, wollte man bis zur tatsächlichen Unterbrechung der Stromzufuhr in der fortbestehenden Möglichkeit zur Stromentnahme ein konkludentes Angebot der Klägerin zum Abschluss eines neuen Stromlieferungsvertrages sehen.

So ist es hier gewesen. Es ist aus der Sicht der Beklagten klar gewesen, dass die Klägerin mit ihnen vor dem Ausgleich der aufgelaufenen Zahlungsrückstände in keine neue Vertragsbeziehung treten möchte und mit der fortwährenden Stromentnahme nicht einverstanden ist. Unter diesen Umständen kommt durch den Elektrizitätsverbrauch ebenso wenig ein Versorgungsverträgen zustande, als wenn die Beklagten beispielsweise eine Straßenlaterne angezapft hätten.

c) Die Beklagte zu 1. hat durch die Inanspruchnahme des von der Klägerin gelieferten Stroms trotz fehlender vertraglicher Berechtigung hierzu Ausgaben erspart, die sie sonst notwendigerweise gehabt hätte. In der Ersparnis liegt ein unberechtigter Vermögensvorteil und damit die fortbestehende Bereicherung.

Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass auf Grundlage des für die Beklagten günstigsten Stromtarifs „Berlin Klassik“ ein Nettoentgelt von 573,62 Euro zuzüglich Strom- und Umsatzsteuer, insgesamt 748,06 Euro, angefallen wären. Diesen Betrag hat die Beklagte zu 1. ihr zu erstatten.

d) Die Forderung ist nicht verjährt.

Für das Vorliegen der Voraussetzungen für den Ablauf der Verjährungsfrist ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Dies ist ihr nicht gelungen.

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist frühestens mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Entstanden ist ein Anspruch, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann, was voraussetzt, dass er fällig ist.

Ansprüche von Versorgungsunternehmen werden erst mit Zugang der entsprechenden Rechnung fällig (vgl. BGH NJW 1982, 931). Über die hier streitgegenständlichen Ansprüche ist eine Rechnung erst im Jahre 2007 erstellt worden.

Selbst wenn für Bereicherungsansprüche die Rechnungslegung nicht Fälligkeitsvoraussetzung sein sollte, kann die Klägerin den Anspruch doch erst im Wege der Klage geltend machen, wenn sie in der Lage ist, ihn zu berechnen. Dies setzt voraus, dass ihr der Umfang des Stromverbrauchs bekannt ist. Die Beklagte zu 1. hat nicht dargelegt, dass die Klägerin den Zählerstand vom 29. August 2002 vor dem 1. Januar 2005 gekannt hat und damit in der Lage gewesen ist, den Wert der in Anspruch genommenen Leistungen zu berechnen. Es ist durchaus denkbar, dass die Beklagten die Auskunft über den Zählerstand seit dem Zeitpunkt der Sperrung der Stromzufuhr erst nachträglich erteilt haben.

d) Die Forderung ist auch nicht verwirkt.

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, und wenn wegen des geschaffenen Vertrauenstatbestandes die verspätete Geltendmachung des Rechts eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte für den Verpflichteten darstellen würde. Davon ist hier nicht auszugehen. Allein ein längerer Zeitablauf genügt nicht. Besondere Umstände, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als treuwidrig erscheinen lassen, hat die Beklagte zu 1. hier nicht vorgetragen.

2. Die Klägerin hat auch Anspruch auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz auf 748,06 Euro gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB, allerdings erst ab Zustellung der Anspruchsbegründung vom 30. Januar 2008 am 6. März 2008.

Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass der Beklagten zu 1. die Rechnung vom 5. Januar 2007 vorher zugegangen ist, was die Beklagte zu 1. bestritten hat. Es besteht kein Anscheinsbeweis dafür, dass ordnungsgemäß adressiert und frankiert zur Post gegebene Briefsendungen den Empfänger erreicht haben, wenn sie nicht als unvorstellbar zurückgelangt sind. Es kommt vor, dass Briefsendungen unterwegs verloren gehen (vgl. BGH NJW 1964, 1176; BAG NJW 1961, 2132).

Die Klägerin kann daher nur Rechtshängigkeitszinsen und diese auch erst ab Zugang einer nachvollziehbaren Berechnung ihres Anspruchs von der Beklagten zu 1. verlangen.

Der geltend gemachte Zinssatz ist der gesetzliche.

3. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten zu 2. auf Zahlung von 748,06 Euro für die Lieferung von Strom zu dem Einfamilienhaus G.straße in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis 29. August 2002.

a) Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis 29. August 2002 mit dem Beklagten zur 2. ein Stromlieferungsvertrag hinsichtlich des Anschlusses zu dem Einfamilienhaus G.straße bestanden hat.

Ein schriftlicher Vertrag ist unstreitig nicht zu Stande gekommen.

Die tatsächliche Bereitstellung von Strom durch die Klägerin ist im vorliegenden Fall auch nicht als Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages zu verstehen, nachdem sie den bestehenden Versorgungsvertrag gekündigt und durch eindeutige Bemühungen um Unterbrechung der Stromzufuhr deutlich gemacht hat, dass eine weitere Stromentnahme nicht mehr ihrem Willen entspricht.

b) Die Klägerin hat auch das Bestehen eines Bereicherungsanspruchs gegen den Beklagten zu 2. in der geltend gemachten Höhe gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 818 Abs.2 BGB nicht substantiiert dargetan.

Der Beklagte zu 2. hat bestritten, dass er in dem fraglichen Zeitraum im Hause G.straße Strom verbraucht hat, für den er bei Bestehen eines Versorgungsvertrages mit der Klägerin 748,06 Euro hätte aufwenden müssen.

Die Klägerin hat für ihre Behauptung, auch der Beklagte zu 2. habe in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis 29. August 2002 die Möglichkeit zum Stromverbrauch über den Anschlusses des Hauses G.straße genutzt, nicht unter Beweis gestellt.

Allein der Umstand, dass der Beklagte in dieser Zeit als unter der genannten Anschrift wohnhaft beim Landeseinwohneramt gemeldet gewesen ist, begründet keinen Beweis dafür, dass der Stromverbrauch auf seine Verfügungsbefugnis über den Anschluss zurückgeht und ihm damit zuzurechnen ist. Die Tatsache, dass die Kündigung vom 6. April 2001 ausschließlich an die Beklagten zu 1. gerichtet worden ist, spricht dafür, dass bis zu diesem Zeitpunkt aus der Sicht der B. die Beklagte zu 1. allein die nach außen sichtbare tatsächliche und rechtliche Verfügungsgewalt über den Stromanschluss gehabt hat. Inwiefern sich dies in der Zeit vom 9. Oktober 2001 bis 29. August 2002 geändert haben soll, hat die Klägerin nicht dargelegt, geschweige denn unter Beweis gestellt. Eine Umkehr der Beweislast tritt auch dann nicht ein, wenn die maßgeblichen Umstände der Wahrnehmung der Klägerin entzogen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

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