Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.05.2008 - 10 UF 94/07
Fundstelle
openJur 2012, 8532
  • Rkr:
Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 8. Dezember 2006 wird teil-weise abgeändert.

Die Mutter, Frau K. H., hat das Recht, mit der Tochter S., geboren am … 2004, wie folgt zusammen zu sein:

a) an jedem zweiten Dienstag in der Zeit von 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr, beginnend mit dem 3. Juni 2008, endend mit Ablauf des Monats August 2008,

b) an jedem zweiten Wochenende in der Zeit von Samstag, 9:00 Uhr bis Sonntag, 17:00 Uhr, beginnend mit dem Wochenende 24./25. Mai 2008, endet mit Ablauf des Monats 2008.

c) an jedem ersten, dritten und vierten Wochenende eines Monats in der Zeit von Freitag, 17:00 Uhr, bis Sonntag, 17:00 Uhr, wobei hinsichtlich eines ersten Wochenendes der Freitag und der Sonntag im selben Monat liegen müssen, beginnend mit dem Wochenende 5./7. September 2008,

d) an Weihnachten in der Zeit von Heiligabend, 9:00 Uhr, bis zum 1. Weihnachtstag, 17:00 Uhr,

e) an Silvester/Neujahr in der Zeit vom 31. Dezember, 9:00 Uhr, bis zum 1. Januar, 17:00 Uhr,

f) an Ostern von Karfreitag, 9:00 Uhr, bis zum Ostersonntag, 17:00 Uhr,

g) an Pfingsten vom Freitag vor Pfingsten, 17:00 Uhr, bis Pfingstmontag, 17:00 Uhr,

h) in den Sommerferien des Landes Brandenburg, beginnend mit dem Tag nach dem letzten Schultag, 9:00 Uhr, bis zum 21. Tag danach, 17:00 Uhr,

i) in den Herbstferien des Landes Brandenburg, beginnend mit dem Tag nach dem letzten Schultag, 9:00 Uhr, bis zum 7. Tag darauf, 17:00 Uhr,

j) in den Winterferien des Landes Brandenburg, beginnend mit dem Tag nach dem letzten Schultag, 9:00 Uhr, bis zum 7. Tag darauf, 17:00 Uhr,

k) in den Osterferien des Landes Brandenburg von Dienstag nach Ostern, 9:00 Uhr, bis Sonntag nach Ostern, 17:00 Uhr.

Die Mutter stellt sicher, dass das Kind zu Beginn eines jeden Umgangs von den Pflegeeltern abgeholt und zum Ende eines jeden Umgangs zur Abholung durch die Pflegeeltern bereit gehalten wird. Die Pflegeeltern stellen sicher, dass das Kind zu Beginn eines jeden Umgangs zur Abholung durch die Mutter bereit gehalten und am Ende eines jeden Umgangs von der Wohnung der Mutter abgeholt wird.

An die Stelle eines ohne Verschulden der Mutter ausgefallenen Umgangswochenendes tritt das darauf folgende Wochenende, es sei denn, es handelt sich ohnehin um ein Umgangswochenende.

Die Feiertags- und die Ferienregelung gehen den regelmäßigen Umgangswochenenden vor. Der Turnus des Wochenendumgangs bleibt in jedem Fall unverändert.

Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Anordnungen wird der Mutter und den Pflegeeltern ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu 1.500 € angedroht.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen, sodass die vom Amtsgericht

getroffene Verbleibensanordnung bestehen bleibt.

Es bleibt bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB. Die Mutter ist am ... 1975 geboren, ihre Kinder M. H. am ... 1998 und S. H. am ... 2004. Die Mutter war psychisch krank und stand unter Betreuung(Amtsgericht Eisenhüttenstadt 4 XVII 159/03). Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 15.3.2004 wurden das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, das Recht, behördliche Angelegenheiten zu regeln, sowie die Berechtigung, vertragliche Angelegenheiten wahrzunehmen, soweit M. betroffen ist, im Wege der einstweiligen Anordnung dem Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen (7 F 69/04). Für S. wurde am 27.7.2004 durch das Jugendamt eine Pflegschaft beantragt. Durch Beschluss vom 6.8.2004 hat das Amtsgericht für S. eine Vormundschaft eingerichtet und das Jugendamt zum Vormund bestellt, befristet bis zum 3.9.2004 (7 F 206/04). Durch Beschluss vom 13.8.2004 ist die Anordnung bis zum 12.11.2004 verlängert worden. Seit dem 13.8.2004 befindet sich das Kind ohne Unterbrechung bei den Beteiligten zu 2., den Pflegeeltern. Durch Beschluss vom 11.4.2005 hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, die Vermögenssorge, das Recht, behördliche Angelegenheiten zu regeln sowie die Berechtigung, vertragliche Angelegenheiten zu regeln, für die beiden Kinder M. und S. dem Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen (7 F 69/04).

Mit Rücksicht darauf, dass sich der Gesundheitszustand der Mutter offenbar stabilisiert hat, hat das Jugendamt, wie aus dem Protokoll zur Fortschreibung der Hilfeplanung vom 23.6.2005 ersichtlich, eine Rückführung S.s in den Haushalt der Mutter bis Ende August 2005 vorgesehen. M. ist schon vorher in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt. Wegen der Absicht des Jugendamtes haben die Pflegeeltern das vorliegende Verfahren eingeleitet.

Das Amtsgericht hat während des Hauptsacheverfahrens verschiedene vorläufige Regelungen, insbesondere auch zum Umgang der Mutter mit der Tochter S., getroffen. Darüber hinaus hat es ein Sachverständigengutachten eingeholt.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 8.12.2006 hat das Amtsgericht angeordnet, dass S. bis auf weiteres bei den Pflegeeltern verbleibt. Zur Begründung hat es sich auf das Sachverständigengutachten bezogen.

Hiergegen richten sich die Beschwerden des Jugendamtes und der Mutter.

Das Jugendamt trägt vor:

Die Unterbringung des Kindes bei einer Pflegefamilie sei mit dem Ziel der Rückführung in den Haushalt der Mutter erfolgt. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten die Erziehungsfähigkeit der Mutter festgestellt. Die Verbleibensanordnung hätte befristet werden müssen. S. könne schon vor Schulbeginn, ohne psychisch Schaden zu nehmen, bei der Mutter verbleiben, wenn die Pflegeeltern mitarbeiteten. Es beständen Zweifel an der Bindungstoleranz der Pflegeeltern.

Das Jugendamt beantragt,

den angefochtenen Beschluss abzuändern, den Verbleib von S. bei den Pflegeeltern auf maximal ein Jahr zu befristen und eine Umgangsregelung mit dem Ziel der Rückführung zu treffen.

Die Mutter trägt vor:

Sie sei seit Mai 2005 wieder in der Lage, ihre Kinder selbst zu versorgen und zu erziehen. Die Tochter M. lebe bereits seit dem 1.6.2005 wieder in ihrem Haushalt. Die während des vorliegenden sehr langen Verfahrens getroffenen Umgangsregelungen seien nur ungenügend gewesen und hätten das Wohl des Kindes nicht ausreichend berücksichtigt.

Die Rückführung in ihren Haushalt solle bereits geraume Zeit vor der Einschulung des Kindes abgeschlossen sein. Selbstverständlich gehe auch sie, die Mutter, davon aus, dass damit der Kontakt zu den Pflegeeltern nicht ende.

Die Mutter beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Pflegeeltern zurückzuweisen und eine geregelte Rückführung des Kindes anzuordnen.

Die Pflegeeltern beantragen,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Sie tragen vor:

Sie selbst hätten von Anfang an ein Interesse daran gehabt, alle Hilfen für S. in Anspruch zu nehmen. Wegen Verhaltensauffälligkeiten gebe es Kontakt zum sozialpädiatrischem Zentrum Frankfurt (Oder).

Für die anstehende Entscheidung müsse das Wohl des Kindes bestimmend sein. Seitens der Sachverständigen werde die Erziehungsfähigkeit der Mutter nicht uneingeschränkt bejaht.

Durch Senatsbeschluss vom 22.5.2007 ist das Verfahren auf den Einzelrichter des Senats übertragen worden. Dieser hat am 14.6.2007 einen Anhörungstermin durchgeführt und dabei auch den erstinstanzlich bestellten Sachverständigen Dr. Dr. O. vernommen, durch Beschluss vom 22.6.2007 ein ergänzendes Sachverständigengutachten eingeholt und in der Sitzung vom 19.2.2008 nicht nur die Beteiligten und das Kind erneut angehört, sondern darüber hinaus den im Beschwerdeverfahren bestellten Sachverständigen D. vernommen. Durch Beschluss vom 3.3.2008 hat der Einzelrichter das Verfahren dem Senat zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs hat der Senat das Verfahren durch Beschluss vom 1.4.2008 übernommen. Er hat alsdann am 17.4.2008 einen Anhörungstermin durchgeführt.

Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf die Anhörungsvermerke vom 14.6.2007, 19.2. und 17.4.2008 Bezug genommen. Im Hinblick auf die Feststellungen der Sachverständigen wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. O. vom 25.9.2006 und das Gutachten des Sachverständigen D. vom 29.11.2007 sowie auf die in den Anhörungsvermerken wiedergegebenen Äußerungen der Sachverständigen am 14.6.2007 und am 19.2.2008 verwiesen.

II.

Die gemäß § 621 e ZPO zulässigen Beschwerden der Mutter und des Jugendamtes (vgl. Senat, OLG-NL 2006, 255; Johannsen/Henrich/Sedemund/Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 621 e ZPO, Rz. 3 sowie § 23 b GVG, Rz. 28; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Schael, § 3, Rz. 87) sind teilweise begründet. Allerdings hat das Kind S., wie vom Amtsgericht angeordnet, bis auf weiteres bei den Pflegeeltern zu verbleiben. Doch ist zugleich der Umgang der Mutter mit dem Kind zu regeln, und zwar in der Weise, dass der Umgang zeitlich verdichtet wird mit dem Ziel, eine Rückkehr des Kindes in den Haushalt der Mutter nachhaltig zu fördern.

1. Der Senat ist, nachdem das Verfahren auf ihn zurückübertragen worden ist, zur Entscheidung berufen, §§ 621 e Abs. 2, 526 Abs. 2 ZPO. Die vom Einzelrichter durchgeführte Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten kann, ebenso wie wenn sie vom vorbereitenden Einzelrichter nach § 527 ZPO vorgenommen worden wäre, verwertet werden (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Auflage, § 527, Rz. 8).

2. Vorliegend ist der Verbleib S.s bei den Pflegeeltern auf unbestimmte Zeit anzuordnen.

a) Gemäß § 1632 Abs. 4 BGB kann das Familiengericht, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt und die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen wollen, von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.

Es entspricht zwar grundsätzlich dem Kindeswohl, wenn sich ein Kind in der Obhut seiner Eltern befindet. Denn die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft gewährleistet am ehesten, dass das Kind zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit heranwächst. Dieser Idealzustand ist aber nicht immer gegeben und liegt dann nicht vor, wenn Kinder in einer Pflegefamilie aufwachsen. Dabei kann die Begründung des Pflegeverhältnisses auf einem freiwilligen Entschluss der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils beruhen. Häufig wird es jedoch behördlich angeordnet sein. Unabhängig von der Art ihres Zustandekommens ist in Übereinstimmung mit dem Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG anzustreben, Pflegeverhältnisse nicht so zu verfestigen, dass die leiblichen Eltern mit der Weggabe in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie befürchten müssen (BVerfG, NJW 1988, 125). Auch wenn die Trennung von seiner unmittelbaren Bezugsperson für das Kind regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung bedeutet, darf dies allein nicht genügen, die Herausgabe des Kindes zu verweigern, weil andernfalls die Zusammenführung von Kind und Eltern immer dann ausgeschlossen wäre, wenn das Kind seine "sozialen Eltern" gefunden hätte (BVerfG, FamRZ 2004, 771; BGH, FamRZ 2007, 1969, Rz. 37). In die anzustellende Abwägung sind nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen der Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern einzubeziehen, sondern auch die langfristigen Auswirkungen einer dauerhaften Trennung vom leiblichen Elternteil (BGH, FamRZ 2007, 1969, Rz. 35). Deshalb ist zu prüfen, ob und auf welche Weise die Belastungen des Kindes durch eine Annäherung an den leiblichen Elternteil und die damit einhergehende Lockerung des Verhältnisses zu den Pflegeeltern soweit vermieden werden kann, dass ein Umzug des Kindes in die Familie des leiblichen Elternteils in Betracht kommt (BGH, FamRZ 2007, 1969, Rz. 36). Andererseits kann allein die Dauer des Pflegeverhältnisses zu einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB führen, wenn eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes bei seiner Herausgabe an die Eltern zu erwarten ist. Als Folge eines länger andauernden Pflegeverhältnisses kann nämlich zwischen dem Kind und seinen Pflegeeltern eine gewachsene Bindung entstanden sein. Unter dieser Voraussetzung ist auch die aus dem Kind und den Pflegeeltern bestehende Pflegefamilie jedenfalls durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt (BVerfG, FamRZ 1985, 39; vgl. auch BVerfG, FamRZ 1993, 1045, wo dahingestellt bleibt, ob sich die Pflegeeltern daneben auch auf das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Elternrecht berufen können). Allerdings hat bei Pflegekindschaftsverhältnissen die Trennung geringeres Gewicht. Diese sind institutionell auf Zeit angelegt, sodass bei einer Herausnahme des Pflegekindes aus der Familie der Pflegeeltern diesen grundsätzlich zuzumuten ist, den mit der Trennung verbundenen Verlust zu ertragen. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 GG wird nur in Ausnahmefällen angenommen werden können, wenn etwa Pflegeeltern während einer jahrelangen Dauerpflege das Kind betreut haben oder andere ins Gewicht fallende Umstände von Verfassungs wegen eine Auflösung der Pflegefamilie mit der damit verbundenen Trennung des Pflegekindes von den Pflegeeltern verbieten. Dies schließt aber nicht aus, dass unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls der Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie angezeigt ist (BVerfG, FamRZ 1989, 31). Schon die Wendung in § 1632 Abs. 4 BGB „wenn und solange„ fordert flexible Lösungen, die im Wege eines gleitenden Übergangs auf ein Zueinanderfinden von Kind und leiblichen Eltern nach einer Umstellungsphase gerichtet sind (BVerfG, FamRZ 1985, 39). Grundsätzlich ist zwar die Befristung einer Verbleibensanordnung angezeigt (Schlüter/Liedmeier, FuR 1990, 122, 129; FamVerf/Schael, § 3, Rz. 87; vgl. auch BVerfG, FamRZ 2004, 771). In Betracht kommen aber auch Verbleibensanordnungen, deren zeitlicher Endpunkt nicht absehbar ist (BayObLG, FamRZ 2000, 633, 634; OLG Köln, FF 2008, 119, 121; Senat a.a.O.; FamVerf/Schael, a.a.O.).

b) Vorliegend sind die Voraussetzungen für den Erlass einer Verbleibensanordnung (vgl. hierzu Senat, a.a.O.) gegeben. Auch die Mutter und das Jugendamt wollen mit ihren Rechtsmitteln nicht erreichen, dass S. sofort in den Haushalt der Mutter umzieht. Doch entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführer scheidet eine Befristung der Anordnung mit Rücksicht auf die starken Bindungen des Kindes an seine Pflegeeltern derzeit aus.

aa) Allerdings ist eine unbefristete Verbleibensanordnung entgegen der Auffassung der Pflegeeltern nicht im Hinblick auf eine etwa eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Mutter geboten. Der Sachverständige D. hat zwar in seinem Gutachten auf gewisse Unsicherheiten im Erziehungsstil der Mutter hingewiesen, bei seiner Anhörung im Termin vom 19.2.2008 aber ausdrücklich erklärt, die Erziehungsfähigkeit sei sowohl auf Seiten der Pflegeeltern als auch auf Seiten der leiblichen Mutter gegeben. Dies steht im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Dr. O. in seinem Gutachten. Dort wird die Feststellung getroffen, dass die Mutter, auch unter Berücksichtigung ihrer Grunderkrankung, voll betreuungs- und erziehungsfähig sei, wenn sie weiterhin die ambulanten Gespräche mit der psychiatrischen Klinik suche und ihre Medikamente getreulich einnehme. die Mutter habe über viele Monate bewiesen, dass sie bereit und in der Lage sei, Hilfe anzunehmen, und auch die Verantwortung für M. wieder übernommen. Vor diesem Hintergrund sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine Rückkehr des Kindes in den Haushalt der Mutter aus Gründen, die in der Person der Mutter liegen, derzeit mit Blick auf das Kindeswohl nicht in Betracht kommt.

29bb) Mit Rücksicht auf die starken Bindungen S.s an die Pflegeeltern ist die Verbleibensanordnung auf unbestimmte Zeit zu erlassen.

(1) Dass starke Bindungen S.s an die Pflegeeltern gegeben sind, steht auf Grund der nachvollziehbaren Ausführungen beider Sachverständigen zur Überzeugung des Senats fest. Der Sachverständige Dr. Dr. O. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine traumatische und nachhaltig schädigende Entwicklung beim Kind zu erwarten sei, wenn es in seinem jetzigen Alter seinen sozialen Elter abrupt entzogen würde, um es der leiblichen Mutter anzuvertrauen; eine umfangreiche Änderung des Lebensalltags mit Auswechslung der Hauptbindungsfiguren könne bei S. das Urvertrauen in die Welt und die Hauptbindungsfiguren völlig unterminieren. Bei seiner Anhörung am 14.6.2007 hat der Sachverständige erklärt, die Bindungen des Kindes zu den Pflegeeltern hätten sich, nachdem seit Gutachtenerstattung fast ein Jahr vergangen sei, intensiviert.

Der Sachverständige D. hat in seinem Gutachten festgestellt, die Bindungen des Kindes richteten sich, da schon neun Tage nach der Geburt in die Pflegefamilie integriert, primär auf die Pflegeeltern, wie alle Interaktions- und Verhaltsbeobachtungen belegten. Die leibliche Mutter hingegen sei sekundäre Beziehungsperson. Vor diesem Hintergrund hat sich der Sachverständige für den Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern ausgesprochen. Bei seiner Anhörung am 19.2.2008 hat der Sachverständige seine Feststellungen bekräftigt. Er hat darauf hingewiesen, dass die Bindungsfindung, bezogen auf die primären Bindungen, mit dem dritten Lebensjahr abgeschlossen sei; S. sei sehr an die Pflegeeltern gebunden, genauso wie ein Kind üblicherweise an seine leiblichen Eltern, während das Bindungsverhalten gegenüber der leiblichen Mutter diffus sei.

(2) Die starken Bindungen S.s an die Pflegeeltern lassen es derzeit nicht zu, die Verbleibensanordnung zu befristen. Auf Grund der von den Sachverständigen getroffenen Festsetzungen lässt sich ein Zeitpunkt, in dem bei entsprechender begleitender Ausweitung der Umgangskontakte zwischen leiblicher Mutter und Kind ein Umzug des Kindes in den Haushalt der leiblichen Mutter ohne Gefährdung des Kindeswohls möglich wäre, nicht prognostizieren.

Der Sachverständige Dr. Dr. O. hat zunächst in seinem schriftlichen Gutachten eine stufenweise Ausweitung des Umgangs der Mutter mit dem Kind vorgeschlagen und angesichts dessen eine Änderung des Lebensmittelpunktes des Kindes ab Schulbeginn für möglich gehalten. Bei seiner Vernehmung am 14.6.2007 hat er unter Hinweis darauf, dass S. im Zeitpunkt der Begutachtung zwei Jahre alt gewesen und seither fast ein Jahr vergangen sei, erklärt, es lasse sich nicht abschließend sagen, ob auch heute noch eine Überführung in den Haushalt der Mutter möglich wäre. Die Bindung zu den Pflegeeltern werde sich intensiviert haben. Mit dem dritten Lebensjahr sei die Bindung zu den Hauptbindungspersonen im Allgemeinen abgeschlossen. Es bedürfe einer genaueren Betrachtung der nun entstandenen Sachlage.

Der daraufhin mit einer ergänzenden Begutachtung beauftragte Sachverständige D. hat in seinem schriftlichen Gutachten empfohlen, S. solle bei den Pflegeeltern verbleiben und nicht in den mütterlichen Haushalt integriert werden; ein abgestufter Integrationsmodus sei entbehrlich. Eine neue Ordnung mit klaren Umgangsregelungen zwischen Kind und leiblicher Mutter bei dauerndem Erhalt der primären Bindungsfamilie (Pflegefamilie) und damit verbundener Manifestierung des Lebensmittelpunktes werde beim Kind zu Beruhigung und zu einer besseren Aufenthaltstoleranz während der Aufenthalte bei der Mutter führen. Bei seiner Vernehmung am 19.2.2008 hat er, auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26.9.2007 (FamRZ 2007, 1969 ff.), erklärt, S. sei sehr an die Pflegeeltern gebunden, die primäre Bindungsfindung sei abgeschlossen. Der Verlust von Bindungen könne Störungen zur Folge haben. Er halte es für sinnvoll, unter Intensivierung des Beziehungsaufbaus die Frage nach ihrem Aufenthalt an S. zu richten. Sie werde aber frühestens nach der Einschulung in der Lage sein zu formulieren, was sie wolle. Einen Neigungswechsel nach der Einschulung, etwa ab Vollendung des 8. Lebensjahres, halte er grundsätzlich für möglich. Vor Vollendung des 8. Lebensjahres sei bei Kindern ein vorausschauendes Denken nicht möglich. Ein Phasenmodell gegen den Willen des Kindes könne zu traumaähnlichen Situationen führen.

Die Ausführungen der Sachverständigen sind widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Es besteht keine Veranlassung, sich über diese Feststellungen hinwegzusetzen, da eine anderweitige zuverlässige Grundlage für die am Kindeswohl orientierte Entscheidung nicht gegeben ist (vgl. BVerfG, FamRZ 2005, 1816). Daraus folgt, dass sich ein Zeitpunkt, in dem S., auch wenn Maßnahmen zur Intensivierung der Beziehung zur leiblichen Mutter ergriffen werden, in deren Haushalt überwechseln könnte, ohne dass das Kindeswohl mit Rücksicht auf den eintretenden Bindungsverlust bezüglich der Pflegeeltern konkret gefährdet wäre, nicht sicher vorhersagen lässt. Die Verbleibensanordnung hat daher ohne Befristung zu ergehen (vgl. auch OLG Köln, a.a.O.).

363. Die Verbleibensanordnung ist mit einer Umgangsregelung zu versehen. Denn das Ziel, das Kind in den Haushalt der Mutter (zurück) zu führen, darf mit Rücksicht auf die genannten Grundrechtspositionen nicht aufgegeben werden. Deshalb ist mit einer Umgangsregelung sicherzustellen, dass das Kind schrittweise an die Herkunftsfamilie herangeführt werden kann (vgl. BVerfG, FamRZ 2004, 771).

a) Eine Verbleibensanordnung kann grundsätzlich mit einer Umgangsregelung verknüpft werden (BayObLG, NJW 1984, 2168, 2169; MünchKomm/Huber, BGB, 4. Aufl., § 1632, Rz. 58; Palandt/Diederichsen, BGB, 67. Aufl., § 1632, Rz. 18). Beim Umgangsverfahren handelt es sich um ein Amtsverfahren (vgl. - FamVerf -/Schael, § 4, Rz. 80. Gerade zu dem Zweck, ein Kind schrittweise an seine Herkunftsfamilie heranzuführen, ist der Erlass einer Umgangsregelung begleitend zur Verbleibensanordnung sogar geboten (vgl. BVerfG, FamRZ 2004, 771).

b) Die im Einzelnen getroffene Umgangsregelung baut auf der Umgangsvereinbarung im Termin vom 14.6.2007, die gerichtlich übernommen worden ist, auf. Zur Intensivierung der Beziehung zwischen Mutter und Kind ist die Regelung ab September 2008 zeitlich auszuweiten. Von da an soll der Umgang nicht nur alle zwei Wochen, sondern jeden Monat insgesamt drei Wochenenden über stattfinden. Auch kann der Umgang am Wochenende dann bereits freitags um 17:00 Uhr beginnen. Dabei ist berücksichtigt, dass S. freitags von 15:00 Uhr bis 16:00 Uhr den Tanzverein besucht, wie die Pflegemutter bei ihrer Anhörung vor dem Senat am 17.4.2008 erklärt hat.

Mit der Intensivierung der Wochenendbesuche können die Umgangskontakte an jedem zweiten Dienstag entfallen. Den Äußerungen der Pflegemutter und der Mutter vor dem Senat ist zu entnehmen, dass es der Mutter in der Vergangenheit zum Teil ohnehin beschwerlich war, den Umgang an den Dienstagen, der zeitlich auch noch eingeschränkt war, wahrzunehmen.

Die Ausweitung des Umgangs an den Wochenenden ist ungeachtet der Empfehlungen des Sachverständigen D. geboten. Dieser hat in seinem Sachverständigengutachten allerdings eine Umgangsregelung entsprechend derjenigen, die bei getrennt lebenden Eltern üblich ist, empfohlen. Eine solche Regelung würde der Grundrechtsposition der Mutter aber nicht gerecht. Sie hat, auch wenn eine Herausnahme S.s aus dem Haushalt der Pflegeeltern derzeit nicht möglich ist, einen Anspruch darauf, dass alle Schritte unternommen werden, die möglich sind, um S. schrittweise weiter an ihre Herkunftsfamilie heranzuführen. Denn das Ziel ist nach wie vor der Umzug des Kindes in den Haushalt der Mutter.

Neben den Besuchen des Kindes bei der Mutter an den Wochenenden ist der Feiertags- und Ferienumgang zu regeln. Hinsichtlich der Feiertage kann mit Rücksicht auf das genannte Ziel der Überführung des Kindes in den Haushalt der Mutter der Schwerpunkt der Aufenthalte bereits bei der Mutter festgelegt werden. Der Ferienumgang soll der Mutter bereits jetzt ein Zusammensein mit dem Kind über einen längeren Zeitraum hinweg ermöglichen. In dem Umgang auch in der ersten Hälfte der Sommerferien stattfindet, kann die Mutter, wie von ihr geplant, die Mutter-Kind-Kur Mitte Juli mit den beiden Kindern M. und S. antreten.

Die Umgangsregelung ist bereits jetzt durch Androhung eines Zwangsgeldes, § 33 Abs. 3 Satz 1 FGG, sicherzustellen (vgl. auch BVerfG, FamRZ 2004, 771).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 94 Abs. 3 Satz 2, 131 Abs. 1 Satz 2, 5 KostO, 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.