LG Potsdam, Urteil vom 22.02.2008 - 1 O 35/07
Fundstelle
openJur 2012, 8035
  • Rkr:
Tenor

1. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Kläger 27.100,46 Euro zu zahlen.

2. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger sind die gesetzlichen Erben des am 4. April 1992 in M. bei O. verstorbenen W., der der Cousin des Vaters der Kläger, A., war.Da zunächst keine testamentarisch bedachten oder gesetzlichen Erben hatten ermittelt werden können, stellte das Amtsgericht Oranienburg durch Beschluss vom 12. Dezember 1994 - 52 VI 256/92 - fest, dass ein anderer Erbe als das Land Brandenburg nicht vorhanden sei.

Der Wert des Nachlasses belief sich auf den beim Nachlassgericht hinterlegten Betrag von 127.905,12 DM. Mit Schreiben an das Nachlassgericht vom 14. August 1995 bestätigte das Ministerium der Finanzen, dass am 18. April 1995 ein Betrag in Höhe von 129.273,14 DM auf das Konto des Landes bei der Landeszentralbank in Berlin-Brandenburg eingegangen war.

Mit Schreiben vom 30. Oktober 1996 teilte der von den Klägern beauftragte Rechtsanwalt T. dem Ministerium für Finanzen unter Beifügung von Unterlagen mit, dass die Kläger Erben des Erblassers W. seien, und forderte das Ministerium für Finanzen auf, den treuhänderisch verwalteten Betrag in Höhe von 129.273,14 DM an die Kläger zu zahlen.

Die Kläger leiteten ein Erbscheinsverfahren beim Nachlassgericht Oranienburg ein. Am 15. Juni 2005 hob das Amtsgericht Oranienburg den Beschluss vom 12. Dezember 1994 hinsichtlich der Fiskuserbrechtsfeststellung auf und erteilte den Erbschein, wonach die Kläger zu je 1/3 des Nachlasses Erben des am 4. April 1992 verstorbenen W. sind.

Am 15. Juli 2005 zahlte das beklagte Land 66.096,31 Euro (=129.273,14 DM) an die Kläger.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 teilte das beklagte Land den Klägern mit, der Nachlassbetrag von 66.096,31 Euro sei „für den Landeshaushalt zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben vereinnahmt“ worden. Die Einnahme sei „haushaltsmäßig unter Kapitel 20020, Titel 29810 des Haushaltsplanes (Einnahmen aus Erbschaften des Fiskus) erfasst“ worden.

Die Kläger sind der Auffassung, ihnen stünden für die Zeit vom 18. April 1995 bis 15. Juli 2005 Zinsen auf das vom beklagten Land genutzte Kapital zu, weil das Land sich sonst diesen Betrag im Wege einer Kreditaufnahme hätte leihen und hierfür die marktüblichen Zinsen zahlen müssen. Das Land habe daher Gebrauchsvorteile in Form der ersparten Zinsen erlangt und diese gezogenen Nutzungen herauszugeben. Zudem habe das Land spätestens seit Erhalt des Schreibens des Rechtsanwalts T. vom 30. Oktober 1996 gewusst bzw. wissen müssen, dass die Kläger sich der Erbenstellung berühmten und der Betrag nicht dem Land zustehe. Hinsichtlich der Höhe der Aufwendungen würden sich die Kläger auf den Wert des seinerzeitigen gesetzlichen Zinssatzes von 4 % beschränken.

Nachdem die Kläger die zunächst auf die Klageforderung geltend gemachten Rechtshängigkeitszinsen zurückgenommen haben, beantragen sie,

das beklagte Land zu verurteilen, an die Kläger 27.100,46 Euro zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es macht geltend, Nutzungen seien nicht in Form zugeflossener Zinserträge oder ersparter Kreditzinsen gezogen worden, da die haushaltsmäßig erfassten Einnahmen nicht zur Tilgung eigener Schuldverpflichtungen verwandt worden seien. Maßgebend sei allein, dass der Staat bei der Vereinnahmung von Beträgen im Rahmen von Fiskalerbschaften nicht im eigenwirtschaftlichen Interesse tätig werde, sondern über die ihm zur Verfügung gestellten Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfüge. Das beklagte Land sei aufgrund des Erbscheins des Amtsgerichts Oranienburg gutgläubig gewesen und habe auch nach Erhalt des Schreibens des Rechtsanwaltes T. vom 30. Oktober 1996 auf dessen Richtigkeit vertrauen dürfen.

Gründe

Die Klage ist begründet. Den Klägern als Erben steht nach §§ 2020 Satz 1, 2021, 818 Abs. 1, 100 BGB gegen das beklagte Land als Erbschaftsbesitzer ein Anspruch auf Herausgabe der aus dem Nachlassvermögen gezogenen Nutzungen zu.

Der Nutzungsherausgabeanspruch umfasst die tatsächlich erlangten Zinsen seit Entstehung dieses Anspruchs. Ferner hat der Bereicherungsschuldner, sofern er das erlangte Geld zur Tilgung von Schulden verwendet hat, die dadurch ersparten Zinszahlungen als Vorteil aus dem Gebrauch des Geldes an den Bereicherungsgläubiger herauszugeben (Palandt/Sprau, 67. Aufl., § 818 BGB Rnr. 10). Auch die öffentliche Hand ist gemäß § 818 Abs. 1 BGB verpflichtet, Zinsgewinne herauszugeben. Das gilt für den zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch in gleicher Weise wie für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Den Zinserträgen, zu denen die gezogenen Nutzungen gehören, sind die ersparten Zinszahlungen als Vorteile aus den rechtsgrundlos erhaltenen Beträgen gleichzustellen, soweit das erlangte Geld zur Tilgung von Schulden verwendet wird (BGHZ 138, 160 = NJW 1998, 2354; BayObLG NJW 1999, 1194, 1195).

Allerdings hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 3. Februar 2004 (NJW 2004, 1315, 1317) ausgeführt, bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen eine Behörde komme eine Verzinsung wegen tatsächlich gezogener Nutzungen grundsätzlich nicht in Betracht, weil der Staat öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Regel nicht gewinnbringend anlege, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfüge. Diese Rechtssprechung gelte auch für den zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch gegen den Steuerfiskus, weil die Zahlung wie eine Steuereinnahme im Interesse der Allgemeinheit habe verwandt werden sollen.

Dem vermag das erkennende Gericht nicht zu folgen. Zunächst hat das Bundesverwaltungsgericht in der vom Bundesgerichtshof in Bezug genommenen Entscheidung vom 27. Oktober 1998 (NJW 1999, 1201, 1202) den in der Entscheidung vom 18.05.1973 (NJW 1973, 1854 f.) aufgestellten Grundsatz, der Staat lege seine öffentlich-rechtlichen Einnahmen in aller Regel nicht gewinnbringend an, sondern die öffentliche Hand verfüge über die ihr zur Verfügung gestellten Mittel stets im Interesse der Allgemeinheit, nicht bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat lediglich ausgeführt, es könne auf sich beruhen, ob die Rechtsprechung in NJW 1973, 1854 der Überprüfung bedürfe, da sie jedenfalls in dem zu entscheidenden Fall - bei dem beklagten Pensionssicherungsverein handelte es sich um eine juristische Person des Privatrechts - keine Anwendung finden könne. Wenn Kapital in einer Art und Weise verwendet worden sei, die nach der Lebenserfahrung einen bestimmten wirtschaftlichen Vorteil erwarten lasse, sei nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung eine entsprechende Zinsziehung zu vermuten.

An der vom Bundesverwaltungsgericht in NJW 1973, 1854 f. vertretenen, jedoch nicht näher begründeten Auffassung, dass der Staat seine Einnahmen nur für Zwecke des allgemeinen Wohls und nicht für Zwecke der Ertragserzielung verwende, mag richtig sein, dass der Staat die Verwaltung seiner Mittel nicht am Zweck der Gewinnerzielung, sondern der Finanzierung öffentlicher Aufgaben ausrichtet. Das ändert jedoch nichts daran, dass auch der Staat mit den vorhandenen liquiden Mitteln wirtschaftlich umgehen muss, den Kreditbedarf gering halten und Überschüsse ertragbringend anlegen soll. Dies entspricht dem allgemeinen Prinzip einer wirtschaftlichen staatlichen Haushaltsführung. Gerade aus dem Gedanken der Zweckbindung staatlicher Finanzmittel in Richtung auf das Gemeinwohl ergibt sich, dass der Staat zum wirtschaftlichen Umgang mit seinen Geldmitteln verpflichtet ist (Schön, NJW 1993, 3289, 3291; dem folgend BayObLG NJW 1999, 1194, 1195). Der der öffentlichen Hand zugeflossene Geldbetrag führt entweder zu einer faktischen Erhöhung der Liquidität oder zu einer faktischen Verminderung eines etwaigen Fehlbestandes. Jede überschlüssige Liquidität auf Seiten der öffentlichen Hand zieht eine konkrete Auswirkung auf die Höhe etwaiger Kassenverstärkungskredite oder auf den Umfang einer zinslosen Anlage bei der Deutschen Bundesbank oder einer zinsbringenden Anlage bei den Geldmärkten nach sich. Das rechtlich streng geordnete Verfahren der öffentlichen Kassenwirtschaft lässt es daher zu, jede Einzahlung eindeutig in eine Kausalbeziehung zu der Verminderung von Kreditzinsen aus Kassenverstärkungskrediten oder der Vermehrung von Einnahmen aus vorläufigen Anlagen des Überschusses zu setzen. Soweit die konkrete Überzahlung der öffentlichen Hand Kassenverstärkungskredite erspart oder Anlagemöglichkeiten geboten hat, sind die erwirtschafteten oder ersparten Zinsen als Bereichungserfolg an den Bereicherungsgläubiger herauszugeben (Schön a. a.0., 3292).

Für den vorliegenden Fall kommt hinzu, dass das Land Brandenburg gerichtsbekannt verschuldet ist und auch bereits bei Vereinnahmung des Nachlasswertes im Jahre 1995 und Einstellung in den Landeshaushalt verschuldet war. Dadurch sind entweder dem beklagten Land Ausgaben ermöglicht worden, welche es sonst aus den Einnahmen an Steuern, Gebühren, Beiträgen sowie aus Einkünften der Unternehmen der öffentlichen Hand nicht hätte tätigen können und wofür deshalb das Volumen der Kreditaufnahme hätte erhöht werden müssen. Oder das vereinnahmte Geld ist dazu genutzt worden, die Verschuldung des beklagten Landes in der entsprechenden Höhe abzutragen, wodurch Kreditzinsen erspart worden sind. Eine andere Möglichkeit, etwa die Tätigung von Luxusausgaben, scheidet aufgrund der Verpflichtung der öffentlichen Hand zur sorgfältigen Bewirtschaftung ihrer Mittel im Rahmen des Haushaltsrechts aus.

19Aus diesen Ausführungen folgt zugleich, dass der Gesichtspunkt des regelmäßig fehlenden eigenwirtschaftlichen Interesses der öffentlichen Hand bzw. das „Interesse der Allgemeinheit“ kein geeignetes Kriterium für den Umfang der Verpflichtung der öffentlichen Hand zur Herausgabe gezogener Nutzungen sein kann. Es kommt nur darauf an, ob die öffentliche Hand aus der rechtsgrundlosen Vereinnahmung von Geldbeträgen faktische Vorteile zieht. Das ist wegen der im Hinblick auf die Haushaltslage zwangsläufig ersparten Zinszahlungen der Fall. Die Berücksichtigung etwaiger Motive des Bereicherungsschuldners bei der Verwendung rechtsgrundlos erlangter Einnahmen ist dem Bereicherungsrecht fremd. Eine Privilegierung der öffentlichen Hand gegenüber dem privaten Bereicherungsschuldner, der ersparte Kreditzinsen ohne weiteres herauszugeben hat, ist unter keinem Gesichtspunkt sachlich zu rechtfertigen.

Die Höhe des verlangten Zinssatzes von 4 % ist im Hinblick auf die bezüglich ersparter Schuldzinsen geltende Vermutung (vgl. BVerwG NJW 1999, 1201, 1202 f.) nicht zu beanstanden und von dem beklagten Land auch nicht bestritten worden.

Da somit die Klage bereits nach den vorstehenden Ausführungen in vollem Umfang begründet ist, kommt es auf die Frage, ob das beklagte Land nach §§ 2024 Satz 2, 2023 Abs. 2, 987 Abs. 1 BGB seit dem Erhalt des Schreibens vom 30. Oktober 1996 auch unter dem Gesichtspunkt der Bösgläubigkeit haftet, nicht mehr an.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO. Die Zuvielforderung hinsichtlich des zurückgenommenen Zinsanspruchs war verhältnismäßig geringfügig und hat keine besonderen Kosten verursacht (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).