VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 22.01.2008 - 3 K 2179/06.A
Fundstelle
openJur 2012, 7799
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind serbische Staatsangehörige aus Novi Becej und Angehörige des Roma-Volkes.

Ihre Brüder bzw. Söhne, die Herren …, sowie deren Schwiegertochter bzw. Schwägerin, Frau … nebst Kindern führen vor dem hiesigen Verwaltungsgericht unter dem Aktenzeichen … ebenfalls Klageverfahren.

Am 13. November 2006 stellten die Kläger einen Asylantrag, den sie mit anwaltlichem Schriftsatz vom selben Tage unter anderem damit begründeten, als Angehörige des Roma-Volkes seien sie stets angepöbelt und als Zigeuner beschimpft worden. Der Klägerin zu 1. sei der Schulbesuch mit der Begründung verweigert worden, Zigeuner seien zu dumm. Sie sei auf offener Straße angepöbelt und sexuell belästigt worden. Nachdem es zu einer Beinahe-Vergewaltigung gekommen sei, habe die Klägerin zu 3. den Vorfall zur Anzeige gebracht. Dort sei ihnen erklärt worden, dass Zigeuner nicht vergewaltigt werden könnten, weil die ja immer Lust auf Sex hätten. Als sie auf einer Strafanzeige bestanden hätten, seien sie auf die Straße hinauskomplimentiert worden mit dem Bemerken, wenn es ihnen dort nicht passe, könnten sie wieder nach Deutschland zurückkehren; Zigeuner seien unerwünscht.

Die Klägerin zu 1. trug in der am 15. und 21. November 2006 vor der Außenstelle des Bundesamtes für Migration in Eisenhüttenstadt durchgeführten Anhörung (Gz.: …) zur Begründung ihres Asylbegehrens vor, sie habe Schwierigkeiten mit Privatpersonen gehabt, die sie als Roma gehasst hätten. Sie seien von den Leuten bespuckt und beschimpft worden. Manche hätten auch getreten. Sie habe das Haus nicht verlassen dürfen. Ständig habe sie mit ihrer Mutter zusammen sein müssen. Die hätten auch versucht, sie zu vergewaltigen. Dies seien Serben gewesen, die sie wegen ihrer dunklen Hautfarbe nicht hätten leiden können. Dies sei ständig passiert, wenn sie sich außerhalb des Hauses aufgehalten hätten. Ihr Vater habe versucht, bei der Polizei Hilfe zu erlangen; auch der Romaverein habe versucht zu vermitteln; dadurch sei es aber nur schlimmer und schlimmer geworden. Andere Roma hätten vergleichbare Probleme. In andere Orte hätten sie nicht übersiedeln können, weil sie dort niemanden gekannt hätten. Sie sei gemeinsam mit ihren Eltern mit einem Reisebus nach Deutschland gekommen. Bei einer Rückkehr befürchte sie, umgebracht zu werden.

Die Kläger zu 2. und 3. trugen in der am 15. und 21. November 2006 vor der Außenstelle des Bundesamtes für Migration in Eisenhüttenstadt durchgeführten Anhörungen (Gz.: …) zur Begründung ihres Asylbegehrens vor, er, der – Kläger zu 2. – habe Schwierigkeiten mit jungen Leuten gehabt. Diese Probleme mit den Jugendlichen hätten mit Ausbruch des Krieges im Jahre 1990/1991 begonnen. Auch habe er als Musiker nicht genügend Geld verdienen können, um seine Familie ausreichend zu versorgen. Er habe in einem Lokal Musik gespielt und die Gäste hätten ihm gelegentlich Geld zugesteckt. Eines Tages sei es zu einem Vorfall gekommen, als Jugendliche aus der Umgebung in dieses Lokal gekommen seien und seine Musik nicht hätten hören wollen. Sie hätten ihn auf den Kopf geschlagen. Er habe die Polizei geholt, die sich mit diesen jungen Leuten unterhalten hätten und dann wieder gegangen seien. Seither habe er in diesem Lokal nicht mehr musizieren dürfen. Diese jungen Leute hätten auch seine Ehefrau zu Hause beeinträchtigt. Er vermute, die Jugendlichen hätten ihm Schwierigkeiten bereiten wollen, weil er Roma sei. Alle Roma hätten Schwierigkeiten mit den Jugendlichen dort. Auch die Roma-Vereinigung habe wegen dieser Schwierigkeiten versucht, bei den Sicherheitskräften zu intervenieren. Die Polizei käme lediglich, schaue sich das an und ginge wider, ohne dass etwas passiere. Außerdem sei ihnen vom Staat die beantragte Sozialhilfe mit der Begründung verweigert worden, dass er Musik machen würde und diesem Zusammenhang ausreichend verdienen würde. Bei einem Umzug in eine vorwiegend von Roma besiedelte Region gebe es andere Schwierigkeiten; wer werde ihn beschäftigen, wo könne er sein Geld verdienen? Am 12. November 2006 sei er mit seiner Ehefrau und Tochter, den Klägerinnen, aus Serbien ausgereist und mit einem Reisebus am 13. November 2006 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Bei einer Rückkehr werde er wieder die gleichen Probleme haben.

Die Klägerin zu 3. trug vor, sie seien von den Serben immer malträtiert und geschlagen worden. Die Leute hassten sie, weil sie Roma seien und dunkle Haut hätten. Ihr Ehemann sei malträtiert worden, wenn er habe musizieren und dabei habe Geld verdienen wollen. Sie hätten auch nicht draußen spazieren gehen können, weil sie von den Leuten immer malträtiert, und zwar bespuckt und geschlagen, worden seien. Auch ihre Tochter, die 30 Jahre alt und noch nicht verheiratet sei, habe das Haus nie verlassen können. Mehrfach habe sie diese Leute, die Schwierigkeiten bereitet hätten, angezeigt. Die Polizei habe gesagt, sie würden etwas unternehmen, jedoch habe sie nichts getan. Sie hätten auch nicht einfach umziehen können, weil sie kein Geld gehabt hätten. Dort, wo sie leben würden, hätten sie ihr Haus. Sie befürchteten, von den Leuten umgebracht zu werden.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit dem am 4. Dezember 2006 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid vom 28. November 2006 (Gesch.-Z.: …) den Asylantrag der Klägerin zu 1. und mit dem am 11. Dezember 2006 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid vom 07. Dezember 2006 (Gesch.Z.: …) den Asylantrag der Kläger zu 2. und 3. ab und stellte jeweils fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes noch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen würden; zugleich forderte es die Kläger jeweils unter Androhung der Abschiebung nach Serbien auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen

Am 22. Dezember 2006 haben die Kläger Klage erhoben und eine Kopie des an die Klägerin zu 1. adressierten Bescheides vom 28. November 2006 (Gesch.-Z.: …) vorgelegt. Das Klageverfahren der Kläger zu 2. und 3., das zunächst unter dem Aktenzeichen 3 K 2180/06.A geführt worden war, hat die Kammer mit Beschluss vom 22. Januar 2008 mit dem Verfahren der Klägerin zu 1. verbunden und unter dem Aktzeichen 3 K 2179/06.A fortgeführt.

Die Klägerin zu 1. trägt vor, der Bescheid habe keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, so dass Klagefristen nicht in Gang gesetzt worden seien.

Im Übrigen tragen alle Kläger vor, ihnen stünde Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 zu. Als Roma würden sie wegen der Zugehörigkeit zu dieser sozialen Gruppe in der Heimat verfolgt. Ausweislich des Jahresberichtes amnesty international 2006 zu der Situation in Serbien in dem Zeitraum zwischen dem 01. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2005 blieben den Angehörigen der Roma weiterhin viele Grundrechte vorbehalten; seitens der Polizei komme es regelmäßig zu Folterungen und Misshandlungen; es existiere kein gesetzlicher Schutz für die Minderheit der Roma; Diskriminierungen von Roma seien weit verbreitet; es gebe keinen Zugang zu angemessenen Wohnraum sowie zu erschwinglicher medizinischer Versorgung. Ihnen sei von der Polizei wirksamer Schutz verweigert worden.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung der beiden Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. November 2006 (Gz.: …) sowie vom 07. Dezember 2006 (Gz.: …) zu verpflichten,

1. sie als Asylberechtigte anzuerkennen,

2. festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,

3. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie auf den angefochtenen Bescheid Bezug. Ergänzend trägt sie vor, obwohl der elektronische Postausgangsnachweis vom 30. November 2006 den nur so möglichen Versand von Anschreiben, Bescheidausfertigung und Rechtsbehelfsbelehrung eindeutig ausweise, gehe sie nicht mehr von einer Verfristung der Klage der Klägerin zu 1. aus, weil die Einlassung, der Bescheid sei ohne Rechtsbehelfsbelehrung zugegangen, nicht widerlegbar sei, so dass die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO gelte.

In der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2008, zu der auch die Verfahren der Söhne der Kläger zu 2. bis 3. bzw. Brüder der Klägerin zu 1. (3 K 142/06.A) und der Schwiegertochter der Kläger zu 2. und 3. bzw. Schwägerin der Klägerin zu 1. (3 K 309/07.A) zur gemeinsamen Verhandlung verbunden waren, ist den Klägern ebenso wie den übrigen vorgenannten Familienangehörigen Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag gewährt worden; hinsichtlich ihres jeweiligen Vorbringens wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung von diesem Tage Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Übrigen und des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakten I und II), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die trotz des Ausbleibens eines Vertreters bzw. einer Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angesichts der rechtzeitig und auch im Übrigen ordnungsgemäß erfolgten Ladung verhandelt und entschieden werden kann (vgl. § 102 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), hat keinen Erfolg.

Die Klage der Klägerin zu 1. ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der hier maßgeblichen zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) erhoben worden ist. Entgegen der Ansicht der Beteiligten ist hier nicht die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO einschlägig, weil nach den Regeln des Anscheinsbeweises davon auszugehen ist, dass dem an die Klägerin adressierten Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war. Bei der – wie hier im Falle der Klägerin vorgenommenen – elektronischen Erstellung und Versendung eines Bescheides, für den nur dann nach dem Vorbringen der Beklagten ein elektronischer Postausgangsnachweis ausgestellt werden kann, wenn der Versand von Anschreiben, Bescheidausfertigung und Rechtsbehelfsbelehrung erfolgt ist, handelt es sich um einen technisierten und automatisierten Vorgang und damit um einen formelhaften und typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung darauf hinweist, dass bei Vorliegen des Postausgangsnachweises der Bescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung ausgefertigt und abgesandt wurde. Dies ergibt sich aus der Technizität des Vorganges, die Fehler praktisch ausschließt. Sofern der Empfänger hierzu einen abweichenden Geschehensverlauf vorträgt und behauptet, der betreffende Bescheid sei ohne Rechtsbehelfsbelehrung übersandt worden, obliegt es ihm, die an ihn übersandte Bescheidausfertigung im Original vorzulegen, so dass sich an Hand der Heftung ohne weiters feststellen lässt, ob die Ausfertigung vollständig ist oder nicht. Dies hat der vormalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin unterlassen, so dass hier der Anscheinsbeweis einer Übersendung der vollständigen Bescheidausfertigung einschließlich Rechtsbehelfsbelehrung an die Klägerin nicht erschüttert ist. Gilt mithin hier die zweiwöchige Klagefrist, so begann deren Lauf mit Ablauf des 07. Dezember 2006, dem drei Tage nach der am 04. Dezember 2006 erfolgten Postaufgabe liegendem Tag, an dem ein zur Post aufgegebenes Einschreiben als zugestellt gilt (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes), und endete am Dienstag, den 21. Dezember 2006, so dass die einen Tag später, am 22. Dezember 2006 erfolgte Klageerhebung nicht mehr fristgerecht war.

Unbeschadet dessen wäre die Klage der Klägerin zu 1. unbegründet und zwar in gleicher Weise, wie die Klage der übrigen Kläger unbegründet ist.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Artikel 16a des Grundgesetztes (GG) sowie auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bzw. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG; die insoweit entgegenstehenden Regelungen in dem angefochtenen Bescheid sind gleichermaßen wie die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die jeweiligen Ausführungen in den jeweils angefochtenen Bescheiden Bezug genommen, denen sich die Kammer anschließt. Ergänzend wird ausgeführt, dass den Klägern als Angehörigen des Roma-Volkes jedenfalls nicht landesweit die in Art. 16a GG bzw. § 60 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen; unter Berücksichtigung des nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunktes und der nunmehr maßgeblichen Sach- und Rechtslage hat sich die Situation der Angehörigen des Roma-Volkes in Serbien seit dem Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides jedenfalls nicht verschlechtert (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Serbien vom 23. April 2007 <Az.: 508-516.80/3SRB> Seite 13 f., 16). Selbst wenn die Verhältnisse in der Kleinstadt Novi Becej unerträglich sein sollten, steht den Klägern angesichts dessen, dass Großstädte in der Wojwodina als tolerant gelten und Diskriminierungen gegenüber Angehörigen von Minderheitsgruppen aus Belgrad nicht bekannt sind (vgl. hierzu den bereits erwähnten Lagebericht, a. a. O., Seite 16), eine inländische Fluchtalternative in diese Städte offen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

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