Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 04.10.2007 - 2 Ss (OWi) 142B/07
Fundstelle
openJur 2012, 7208
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom 23. Januar 2007 wird auf seine Kosten gemäß § 79 Abs. 3, Abs. 5 OWiG, § 349 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Betroffene rügt mit seiner Rechtsbeschwerde insbesondere die Verjährung der Ordnungswidrigkeit.

Wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit am 29. April 2006 erfolgte mit Schreiben der Bußgeldstelle des Landkreises S…-N… vom 18. Mai 2006 die Anhörung des Betroffenen. Am 29. Mai 2006 meldete sich daraufhin Rechtsanwalt S… mit Briefbogen seiner Kanzlei, der unter seinem Namen den Zusatz "Straf- & Ordnungswidrigkeitenrecht" trägt. Im Wortlaut heißt es dort: " In dem Verfahren […] zeige ich die Übernahme der Vertretung des Betroffenen an, welcher sich erst nach der hiermit beantragten Akteneinsicht zum Verfahren erklären wird". Dem Schreiben beigefügt war eine Vollmacht, mit der der Betroffene Rechtsanwalt S… in dem hiesigen, mit Aktenzeichen benannten Bußgeldverfahren, "Vollmacht" erteilte

"1. zur Prozessführung (u.a. nach §§ 81 ff. ZPO), einschließlich der Befugnis zur Erhebung und Zurücknahme von Widerklagen;

2. zur Vertretung in Scheidungssachen […]

3. zur Vertretung in sonstigen Verfahren und bei außergerichtlichen Verhandlungen aller Art (insbesondere in Unfallsachen zur Geltendmachung von Ansprüchen gegen Schädiger, Fahrzeughalter und deren Versicherer);

4. zur Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen und zur Abgabe und Entgegennahme von einseitigen Willenserklärungen (z.B. […] Kündigungen) in Zusammenhang mit der oben […] genannten Angelegenheit.

Die Vollmacht gilt für alle Instanzen und erstreckt sich auch auf Neben- und Folgeverfahren aller Art. […] Sie umfasst insbesondere die Befugnis, die Vollmacht ganz oder teilweise auf andere zu übertragen (Untervollmacht), Rechtsmittel einzulegen, zurückzunehmen oder auf sie zu verzichten, den Rechtsstreit durch Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis zu erledigen, Geld, Wertsachen und Urkunden […] entgegenzunehmen sowie Akteneinsicht zu nehmen."

Der Bußgeldbescheid vom 1. August 2006, mit welchem gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 100,00 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet wurden, wurde Rechtsanwalt S…als im Bußgeldbescheid bezeichnetem Verteidiger des Betroffenen am 3. August 2006 mit dem Zusatz: "Beiliegend erhalten Sie den gegen Ihren Mandanten erlassenen Bußgeldbescheid" zugestellt, während der Betroffene unter Hinweis, die Zustellung sei an seinen Verteidiger erfolgt, lediglich eine Abschrift erhielt.

Mit Schriftsatz vom 13. August 2006 legte Rechtsanwalt S… "namens und in Vollmacht des Betroffenen" Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Auch nach Akteneinsicht erfolgte jedoch keine Stellungnahme zum Tatvorwurf.

Der im gerichtlichen Schreiben vom 17. Oktober 2006 vorgeschlagenen Verfahrensweise, es sei beabsichtigt, gemäß § 72 Abs. 1 OWiG über den Einspruch ohne Hauptverhandlung durch Beschluss zu entscheiden, widersprach Rechtsanwalt S… mit Schreiben vom 10. November 2006 "namens und in Vollmacht des Betroffenen" und regte statt dessen die Einstellung des Verfahrens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung an. Da er ausweislich der in der Akte befindlichen Vollmacht kein Adressat für eine wirksame Zustellung gewesen sei, an seinen Mandanten jedoch nicht zugestellt worden sei, habe der Erlass des Bußgeldbescheids die Verfolgungsverjährung nicht unterbrechen können. Dabei nahm er Bezug auf eine Entscheidung des Senats, in welcher ein Rechtsanwalt mit einer "außergerichtlichen Vollmacht" zur "Beratung und Vertretung" als nicht zustellungsbevollmächtigt angesehen worden war, womit mangels wirksamer Zustellung dort Verfolgungsverjährung eingetreten war (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2005 – 2 Ss (OWi) 58 B/05 - ).

Auf Antrag des als Verteidiger des Betroffenen geladenen Rechtsanwalts S… wurde der erste Hauptverhandlungstermin wegen dessen Verhinderung aufgehoben. Zum neuen Termin am 23. Januar 2007 erschienen – ohne Angabe von Gründen - weder der Betroffene noch Rechtsanwalt S…, woraufhin mit Urteil vom 23. Januar 2007 der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen wurde.

Die Zustellung des Verwerfungsurteils erfolgte am 20. Februar 2007 an den Betroffenen und an Rechtsanwalt S…, der das ihm übersandte Empfangsbekenntnis nicht zurückschickte, aber mitteilte, das Urteil "ebenfalls am 20.02.2007 zur Kenntnis genommen zu haben; vgl. Abschrift EB vom 20.02.2007".

Mit Schriftsatz vom 15. März 2007, eingegangen bei Gericht am 16. März 2007, legte Rechtsanwalt S… "namens und in Vollmacht des Betroffenen" gegen das Urteil vom 23. Januar 2007 Rechtsbeschwerde ein, begründete diese und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist. Am 23. Februar 2007 sei er von dem Betroffenen mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde beauftragt worden und habe den Auftrag angenommen. Weil jedoch durch ein Büroversehen lediglich die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde, nicht jedoch die Wochenfrist zur Einlegung derselben notiert worden sei, habe er erst bei Wiedervorlage der Akte am 15. März 2007 die fehlende Rechtsmitteleinlegung bemerkt.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Mit Beschluss vom 22. Mai 2007 hat das Amtsgericht Cottbus Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist gewährt, weil die Fristversäumung auf einem Verschulden seines Verteidigers bzw. Versehen der Rechtsanwaltskanzlei beruhte und für den Betroffenen nicht vorhersehbar gewesen sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, mangels wirksamer Zustellung des Bußgeldbescheids das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung einzustellen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist verspätet. Sie wahrt nicht die einwöchige Frist zur Einlegung des Rechtsmittels ab Zustellung am 20. Februar 2007 (§ 79 Abs. 3, Abs. 4 OWiG, § 341 StPO).

Dem Betroffenen ist jedoch insoweit bereits durch das Amtsgericht Cottbus mit Beschluss vom 22. Mai 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden.

Das Amtsgericht war zu einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zwar nicht befugt. Der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde hindert den Tatrichter an einer Verwerfung nach § 346 Abs. 1 StPO. Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet nach § 46 Abs. 1 StPO das Rechtsbeschwerdegericht, das entweder den Antrag verwirft oder nach Stattgabe über die Rechtsbeschwerde entscheidet (Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 346 Rdnr. 18 m.w.N.; Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 79, Rdnr. 34 d).

Wenn jedoch – wie hier – der unzuständige Tatrichter Wiedereinsetzung gewährt hat, ist das Rechtsbeschwerdegericht an dessen Entscheidung gebunden (Meyer-Goßner, a.a.O.; Göhler, a.a.O.).

2. Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

a. Die Verfahrensrüge ist unzulässig.

Prüfungsinhalt für die Verfahrensrüge im Rahmen einer Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG ist, ob das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen verworfen hat (Göhler, OWiG, § 74 Rdnr. 48 a). Derartiges ist hier nicht ausgeführt.

b. Auf die Sachrüge kann das Verwerfungsurteil nur auf allgemeine Verfahrenshindernisse überprüft werden. Das angegriffene Urteil enthält keine derartigen Fehler.

Insbesondere ist die Ordnungswidrigkeit nicht verjährt.

Die Verjährungsfrist von drei Monaten (§ 26 Abs. 3 StVG) ist durch die Anordnung der Anhörung des Betroffenen am 18. Mai 2006 (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und erneut durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 1. August 2006 unterbrochen worden (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG).

Die am 3. August 2006 an Rechtsanwalt S… bewirkte Zustellung des Bußgeldbescheids war wirksam. Zwar enthält die ihm erteilte Vollmacht keine ausdrückliche Zustellungsvollmacht. Rechtsanwalt S… ist in diesem Verfahren jedoch als Verteidiger des Betroffenen aufgetreten und gilt damit als gewählter Verteidiger gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG als ermächtigt, für seinen Mandanten Zustellungen in Empfang zu nehmen.

Entgegen dem Vorbringen von Rechtsanwalt S… unter Berufung auf die Senatsrechtsprechung ist in vorliegender Sache seine Wahl zum Verteidiger erfolgt und aktenkundig. Die hiesige Sachlage ist mit jenen nicht vergleichbar, in denen der Senat eine lediglich "außergerichtliche Vollmacht" angenommen hat (Senatsbeschlüsse vom 23. Mai 2005 – 2 Ss (OWi) 58 B/05 – und vom 9. November 2006 – 2 Ss (OWi) 196 B/06 -).

Ob eine Verteidigervollmacht besteht, ist jeweils im Einzelfall zu überprüfen. Die Bevollmächtigung bedarf dabei keiner bestimmten Formulierung. Es kann deshalb auch – unabhängig von der ausdrücklichen Formulierung der "Verteidigung" - aus den äußeren Umständen, insbesondere aus der Willensbekundung, den Betroffenen zu vertreten, auf ein Verteidigerverhältnis geschlossen werden (vgl. Göhler, § 51 Rdnr. 44 a, § 60 Rdnr. 13; zur Verteidigervollmacht bei schriftlicher so genannter "außergerichtlicher Vollmacht" OLG Dresden VerkMitt 2007 Nr. 63; Thüringer OLG, VRS 112, 360-363; vgl. auch OLG Hamm DAR 2004, 105).

Hier weichen zwar die Formulierungen im Meldeschriftsatz und in der schriftlichen Vollmacht von der üblichen Vorgehensweise insoweit ab, als die Bezeichnung "Verteidiger" oder "Verteidigung" nicht gebraucht werden. In der beigefügten "Vollmacht" hat der Betroffene Rechtsanwalt ... u.a. jedoch zur "Vertretung in sonstigen Verfahren" Vollmacht erteilt. Wie insbesondere die Formulierungen "gilt für alle Instanzen" und "umfasst die Befugnis, Rechtsmittel einzulegen" deutlich machen, war die Vollmacht nicht etwa nur auf außergerichtliche Handlungen anderer Art wie z.B. die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen beschränkt..

Aus dem Zusammenhang ist eindeutig zu entnehmen, dass Rechtsanwalt S… den Betroffenen im Bußgeldverfahren als Verteidiger vertreten sollte und wollte. Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsanwalt S… andere Interessen des Betroffenen als gerade dessen Verteidigung wahrnehmen wollte, sind nicht ersichtlich. Sein Mandant war als Betroffener angehört worden und ihm drohte neben einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots. Insofern bestand keinerlei Anlass für die Beauftragung eines Rechtsanwalts etwa mit "außergerichtlichen" und "außerbehördlichen" Angelegenheiten, die nicht die Rechte des Betroffenen im Verfahren gegenüber der Bußgeldbehörde und für den Fall des Erlasses eines Bußgeldbescheids auch gegenüber dem Gericht umfassen sollten. Entsprechend gestaltete sich auch das Vorgehen von Rechtsanwalt S… eindeutig als ein Verteidigerverhalten.

Im Meldeschriftsatz, in welchem Rechtsanwalt S…seinen Namen mit dem Zusatz "Straf- & Ordnungswidrigkeitenrecht" versehen hat, hat er ausdrücklich die "Vertretung" des Betroffenen im vorliegenden Verfahren angezeigt, ohne diese auf bestimmte Punkte zu beschränken. Wie ein Verteidiger hat er angekündigt, der Betroffene werde sich erst nach der beantragten Akteneinsicht zum Verfahren erklären.

Auch das weitere Verhalten von Rechtsanwalt S… im Verfahren macht deutlich, dass er die Verteidigung des Betroffenen übernommen hatte. So akzeptierte er die Zustellung des Bußgeldbescheids, in welchem er ausdrücklich als Verteidiger aufgeführt war, ohne die Bußgeldstelle auf die etwaige fehlende Bevollmächtigung hinzuweisen, legte Einspruch ein und trat auch gegenüber dem Gericht bis zuletzt als Verteidiger auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.