ArbG Berlin, Urteil vom 12.10.2007 - 24 Ga 16462/07
Fundstelle
openJur 2012, 7170
  • Rkr:
Tenor

I.

Die Anträge werden zurückgewiesen.

II.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die gerichtliche Untersagung von durch die Verfügungsbeklagte angeordneten Notdiensten während der von der Verfügungsklägerin organisierten Streikmaßnahmen.

Verfügungsklägerin ist die Gewerkschaft D L (GDL). Sie ist eine von insgesamt drei Bahngewerkschaften im Tarifbereich der Unternehmen des Konzerns der Deutschen B (im Folgenden: DB-Konzern). Neben der Verfügungsklägerin schließen auch die Gewerkschaften TRANSNET und GDBA Tarifverträge im Tarifbereich des DB-Konzerns ab.

Die Verfügungsbeklagte ist ein Unternehmen des DB-Konzerns und Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (im Folgenden: Agv MoVe). Sie erbringt unter Einsatz von Fahrpersonal Transportleistungen im Personenverkehr.

In der Vergangenheit wurden innerhalb des DB-Konzerns durchweg inhaltsgleiche Tarifverträge zwischen der Arbeitsgeberseite einerseits und den Gewerkschaften TRANSNET/GDBA und der GDL andererseits abgeschlossen. Diese wurden einheitlich auf alle ca. 134.000 Beschäftigten innerhalb ihres Geltungsbereichs angewandt.

Die Verfügungsklägerin beendete im Sommer 2002 die Tarifgemeinschaft. Erstmals in der Tarifrunde 2003 strebte sie den Abschluss eines Spartentarifvertrages für das Fahrpersonal an. Der Aufruf zu Streiks und sonstigen Maßnahmen zur Durchsetzung des Abschlusses eines Spartentarifvertrages wurde ihr damals unter Hinweis auf die Friedenspflicht durch Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 2.5.2003 (9 SaGa 636/03) untersagt.

In der Folgezeit kam es zu inhaltlich gleichen Abschlüssen mit den drei Bahngewerkschaften sowohl in der Tarifrunde 2003 als auch in der Entgeltrunde 2005.

Nunmehr fordert die Verfügungsklägerin erneut den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages für das Fahrpersonal.

Am 19.03.2007 übergab sie dem Agv Mo Ve den Entwurf eines Fahrpersonaltarifvertrages (im Folgenden: FPTV) und forderte ihn auf, mit ihr in Verhandlungen hierüber einzutreten. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte sie die ordentliche Kündigung einer Reihe von Tarifverträgen zum 30.6.2007. Die Kündigung umfasste jedenfalls sämtliche entgelt- und arbeitszeitrelevanten Tarifverträge im DB-Konzern, die für die Verfügungsbeklagte gelten.

Zur Durchsetzung des FPTV rief die Verfügungsklägerin erstmals am 2.7.2007 zu flächendeckenden Streiks im Personen- und Güternahverkehr auf. Diese wurden am 3.7.2007 in der Zeit von 5:00 Uhr bis 9:00 Uhr durchgeführt.

Am 9.7.2007 wurde ein neuer Tarifvertrag zwischen der TG TARNSNET/GDBA und dem Ag Mo Ve vereinbart. Dieser sieht unter anderem eine Erhöhung des Monatstabellenentgelts um 4,5 % zum Januar 2008 sowie eine Erhöhung der Ergebnisbeteiligung 2007 um 600,00 € vor.

Ebenfalls am 9.7.2007 rief die Verfügungsklägerin erneut zu bundesweiten Streiks für den 10.7.2007 in der Zeit von 8:00 Uhr bis 11:00 Uhr auf. Durch die Arbeitsgerichte Düsseldorf und Mainz wurden die angekündigten Streiks jeweils zugunsten unterschiedlicher Gesellschaften des DB-Konzerns untersagt. In den Begründungen wurde darauf hingewiesen, dass der Aufruf und die Durchführung von Streiks zur Durchsetzung des Entwurfs des FPTV gegen die Friedenspflicht aus ungekündigten Tarifverträgen verstießen.

Am 11.7.2007 grenzte die Verfügungsklägerin ihre tarifvertraglichen Forderungen auf die nicht friedenspflichtrelevanten Bereiche Entgelt und Arbeitszeit ein. Sie verlangt, dass diese im Rahmen eines eigenständigen Tarifvertrages für das Fahrpersonal geregelt werden.

Im Rahmen der folgenden Gespräche übergab die Verfügungsbeklagte der Arbeitgeberseite am 18.7.2007 ein Schreiben, in dem die von der Verfügungsklägerin geforderten Regelungsinhalte eines FPTV dargestellt waren. Am 19.7.2007 kam es zu einem Scheitern der Verhandlungen.

Daraufhin leitete die Verfügungsklägerin am 25.7.2007 auf der Grundlage bereits vorliegender Beschlüsse des Hauptvorstandes und der Tarifkommission die Urabstimmung über einen bundesweiten unbefristeten Streik ein. Verschiedene Unternehmen des DB-Konzerns beantragten unter anderem beim Arbeitsgericht Nürnberg die Untersagung der angekündigten Streiks im Wege der einstweiligen Verfügung.

Unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Nürnberg am 10.8.2007 verständigten sich die Verfügungsklägerin, die Verfügungsbeklagte sowie die TG TRANSNET/GDBA darauf, unter der Moderation der früheren CDU-Politiker Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf gemeinsam zu versuchen, eine Lösung des Tarifkonflikts herbeizuführen. Die Verfügungsbeklagte verpflichtete sich, während des Moderationsverfahrens, mindestens bis zum 27.8.2007, keine Streikmaßnahmen durchzuführen und nicht zu Streikmaßnahmen aufzurufen. Sämtliche einstweilige Verfügungsverfahren wurden für erledigt beziehungsweise gegenstandslos erklärt sowie die Hauptsachverfahren terminlos gestellt.

Am 27.8.2007 wurde im Rahmen des Moderationsverfahrens als Gesprächsergebnis unter anderem die Bereitschaft des Agv MoVe festgehalten, mit der Verfügungsklägerin Tarifverhandlungen zu führen, mit dem Ziel, bis 30.9.2007 einen eigenständigen Tarifvertrag abzuschließen, der Entgelt- und Arbeitszeitregelungen für Lokomotivführer umfasst. Während dieser Verhandlungen sollte Friedenspflicht bestehen.

Zum Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages für Lokomotivführer kam es bis 30.9.2007 nicht.

Nachdem die Verfügungsklägerin für den 5.10.2007 einen bundesweiten Streik im Personennah-, Güter- und Fernverkehr angekündigt hatte, beantragten die Verfügungsbeklagte, eine weitere Gesellschaft des DB-Konzerns sowie der Agv Mo Ve am 2.10.2007 vor dem Arbeitsgericht Chemnitz den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Diesem Antrag wurde bezogen auf den Fern- und Güterverkehr in den frühen Morgenstunden des 5.10.2007 stattgegeben.

Am 5.10.2007 führte die Verfügungsklägerin bundesweit einen dreistündigen Streik im Personennahverkehr durch. Die Verfügungsbeklagte hatte mit dem Ziel, eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Verkehrsdienstleistungen zu gewährleisten, einen Ersatzfahrplan und einen Restfahrplan erstellt. Am 5.10.2007 kam es dazu, dass bei der Verfügungsbeklagten beschäftigte Vorgesetzte Lokomotivführer, die Mitglied der Verfügungsklägerin sind und die an dem Streik teilnehmen wollten, aufforderten, bestimmte Schichten des Restfahrplans zu fahren. Ihnen wurden sogenannte Notdienstausweise ausgehändigt. Zu diesen Mitarbeitern zählte Herr B B. In seinem Notdienstausweis vom 5.10.2007 ist Folgendes vermerkt:

"Ausweis für den Notdienst

Herr B

ist für den Notdienst in unserem Betrieb eingeteilt"

Zu einer Vereinbarung über die Durchführung von Notdiensten ist es zwischen der Verfügungsklägerin und dem Agv Mo Ve bis zum heutigen Tag nicht gekommen. Im Juni 2007, Anfang Juli 2007 und Anfang August 2007 hatten die Verfügungsklägerin und der Agv Mo Ve ohne Ergebnis Entwürfe für eine sogenannte Notdienstvereinbarung ausgetauscht.

Mit Schreiben vom 8.10.2007 erklärte die Verfügungsklägerin gegenüber der Verfügungsbeklagten, sie sehe die einseitige Beauftragung von Streikteilnehmern mit Notdiensten als rechtswidrigen Angriff in ihr Streikrecht an und forderte die Verfügungsbeklagte auf, diese Verfahrensweise in Zukunft zu unterlassen. Der Agv Mo Ve erwiderte unter dem 9.10.2007 unter anderem, er gehe davon aus, dass unter Berücksichtigung aller, zum Abschluss einer Notdienstvereinbarung bis zum 13.8.2007 geführten Gespräche die Voraussetzungen vorlägen, um einseitige Anordnungen im Rahmen der Rechtsordnung treffen zu können. Ihm seien keine Anordnungen bekannt, die die Verfügungsklägerin zu den in ihrem Schreiben vom 8.10.2007 getroffenen Feststellungen berechtigen würden. Sie halte die Anordnung von Notdienstarbeiten auf der Grundlage ihres Schreibens vom 8.8.2007 für zulässig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in Ablichtung zu den Akten gereichten Schreiben der Verfügungsklägerin vom 8.10.2007 (Bl. 297 f. d.A.) und des Agv Mo Ve vom 9.10.2007 (Bl. 299 f. d. A.) Bezug genommen.

Am 10.10.2007 kündigte die Verfügungsklägerin an, dass es zu weiteren bundesweiten und ganztägig andauernden Streiks im Personennahverkehr in der Zeit bis zum 16.10.2007 kommen werde. Konkrete, bereits feststehende Streiktermine nannte sie nicht.

Am selben Tag reichte sie vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine mit der hiesigen Antragsschrift weitgehend identische einstweilige Verfügung gegen die hiesige Verfügungsbeklagte ein. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung dieser Antragsschrift (Bl. 242 bis 262 d. a.) Bezug genommen. Das Verfahren wurde beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen 14 Ga 201/07 geführt. Unter Abkürzung der Ladungsfristen auf 48 Stunden wurde vom Arbeitsgericht Frankfurt in den frühen Nachmittagsstunden des 10.10.2007 für Montag, den 15.10.2007, 9:00 Uhr ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. Gleichzeitig wies das Gericht die Verfügungsklägerin darauf hin, dass im Moment Bedenken in Bezug auf die Bestimmtheit des Antrages bestünden. Der Vertreter der Verfügungsbeklagten wurde gebeten, seine evtl. Erwiderung möglichst bis zum 12.10.2007 vormittags bei Gericht einzureichen und diese vorab von Anwalt zu Anwalt zuzustellen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung der Ladungsverfügung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10.10.2007 (Bl. 263 d. A.) Bezug genommen. Noch am 10.10.2007 ging um 16:52 Uhr beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main ein Schriftsatz der Verfügungsklägerin ein, mit der diese den Antrag vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main wieder zurücknahm. Die hiesige Antragsschrift ging beim Arbeitsgericht Berlin am Mittwoch, den 10.10.2007 um 17:56 Uhr ein.

Am Donnerstag, den 11.10.2007 führte die Verfügungsklägerin keine Streikmaßnahmen durch. An diesem Tag kam es um 17:00 Uhr zu einem Treffen zwischen dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen B AG, H M und dem Vorstandsvorsitzenden der Verfügungsklägerin, M S. Die Verfügungsklägerin hatte zuvor mitgeteilt, unabhängig vom Ausgang des Treffens an diesem Tag bis 18.00 Uhr darüber entscheiden zu wollen, ob es am Freitag, den 12.10.2007 zu Streikmaßnahmen kommen werde.

Nachdem die Verfügungsklägerin am Nachmittag des 11.10.2007 angekündigt hatte, in der Zeit von 2 Uhr bis 24 Uhr bundesweit den Nahverkehr bestreiken zu wollen, wurden am 12.10.2007, dem Tag der mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren, weitere Streikmaßnahmen durchgeführt.

Im Verlauf der mündlichen Verhandlung hat der Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten, Herr J L eine eidesstattliche Versicherung betreffend Notdienstanordnungen an streikwillige Mitarbeiter am Morgen des 12.10.2007 abgegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.10.2007 (Bl. 224 bis 227 d. A., dort insbesondere Bl. 226 d. A.) Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, die gegenüber ihren Mitgliedern erfolgten Anordnungen sogenannter Notdienste stellten eine rechtswidrige Beeinträchtigung ihrer grundrechtlichen Position nach Art. 9 Abs. 3 GG dar. Die Verfügungsbeklagte sei nicht befugt, einseitig Notdienstanordnungen zu treffen. Dies gelte jedenfalls so lange, wie die entsprechenden Verhandlungen noch nicht endgültig gescheitert seien. Aber selbst dann, wenn die Verfügungsbeklagte befugt wäre, Notdienstarbeiten eigenmächtig und ohne Mitwirkung der Verfügungsklägerin anzuordnen und durchzuführen, seien die Anordnungen rechtswidrig. Denn sie seien in dem erfolgten Umfang jedenfalls nicht erforderlich gewesen. Da ein wesentlicher Teil der Lokführer der Verfügungsbeklagten als Beamte tätig sei, sei die Verfügungsbeklagte in der Lage, alle erforderlichen Arbeiten im Sinne eines Notdienstes durchzuführen, ohne streikwillige Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen. Zudem stelle die planmäßige Durchführung von Fahrten im Nahverkehr weder eine Erhaltungsarbeit noch einen Notdienst im Sinne der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts dar.

Sie beantragt,

die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, es zu unterlassen, Arbeitnehmer des Fahrpersonals, die an einem von der Verfügungsklägerin und Antragstellerin organisierten und durchgeführten Arbeitskampf teilnehmen, zu Notdienstarbeiten und/oder Erhaltungsarbeiten einzuteilen, obwohl es sich weder um Notdienstarbeiten und/oder Erhaltungsarbeiten handelt und es zu unterlassen, an solche Arbeitnehmer sogenannte Notdienstausweise zu verteilen sowie unter Hinweis auf diese Notdienste diese Arbeitnehmer zu entsprechenden Arbeiten zu verpflichten und es zu unterlassen, streikende Mitglieder der Antragstellerin zu verpflichten, fahrplanmäßige Dienste zu fahren, unter Androhung eines Zwangs- bzw. Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung in Höhe von 250.000,00 €,

hilfsweise,

die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, es zu unterlassen, Arbeitnehmer des Fahrpersonals, die an einem von der Verfügungsklägerin und Antragstellerin organisierten und durchgeführten Arbeitskampf teilnehmen, zu Notstandsarbeiten einzuteilen und es zu unterlassen, an solche Arbeitnehmer sogenannte Notdienstausweise zu erteilen sowie unter Hinweis auf diese Notdienste diese Arbeitnehmer zu entsprechenden Arbeiten zu verpflichten unter Androhung eines Zwangs- bzw. Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung in Höhe von 250.000,00 €.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Anträge der Verfügungsklägerin seien nicht hinreichend bestimmt. Es gebe Arbeiten, die zur Vermeidung von Notfällen oder zu Erhaltungszwecken zwingend durchgeführt werden müssten. Da auch solche Arbeiten von dem Hauptantrag erfasst würden, handele es sich um einen unzulässigen Globalantrag. Auch der Hilfsantrag sei nicht bestimmt genug.

Die Verfügungsklägerin habe keinerlei konstruktiven Willen zu Verhandlungen über eine Notdienstvereinbarung gezeigt. Es sei daher treuwidrig und rechtsmissbräuchlich, wenn sie nach der Anordnung erforderlicher Notdienstarbeiten nunmehr Unterlassungsansprüche gegen die Arbeitgeberseite geltend mache.

Darüber hinaus sei die einseitige Anordnung von Notdienstplänen durch die Arbeitgeberseite im vorliegenden Fall rechtmäßig. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts könne die Arbeitgeberseite jedenfalls dann, wenn die Gewerkschaft – wie hier – Verhandlungen über Notdienstpläne verweigere, Notdienstpläne und -maßnahmen einseitig anordnen.

Im Übrigen fehle es auch am Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Wenn die Verfügungsklägerin in der Lage sei, zunächst einen Antrag beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main zu stellen, diesen – wohl aufgrund der geänderten Streiktaktik und der aus Sicht der Verfügungsklägerin zu späten Terminierung auf den 15.10.2007 – wieder zurückzunehmen und sodann beim Arbeitsgericht Berlin einzureichen, so fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Antragsverfolgung vor dem zweiten Gericht.

Die Verfügungsklägerin hat im Verlauf der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass Notdienstanordnungen zur Abwehr von Katastrophenfällen, wie z.B. Brand, von ihren Anträgen nicht erfasst werden sollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Sitzungsniederschrift, auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sind zulässig.

1.

Die Verfügungsklägerin ist als Gewerkschaft gemäß § 10 ArbGG parteifähig.

2.

Sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag sind bestimmt genug.

Auch im einstweiligen Verfügungsverfahren gilt unter Anwendung von §§ 46 Abs. 2, 62 Abs. 2 ArbGG das Bestimmtheitserfordernis aus § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Ein Unterlassungsantrag muss aus rechtsstaatlichen Gründen eindeutig erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird. (BAG, Beschluss vom 14.11.2006 – 1 ABR 5/06NZA 2007, 458; BAG Urteil vom 24.04.2007 – 1 AZR 252/06NZA 2007, 987). Die konkrete Verletzungshandlung, deren künftige Begehung verboten werden soll, ist so genau zu bezeichnen, dass der Antragsgegner deutlich erkennen kann, welche bestimmte Handlung er unterlassen soll. (BAG, Beschluss vom 17.08.1982 – 1 ABR 50/80 – AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes). Dieser muss wissen, in welchen Fällen gegen ihn als Sanktion ein Ordnungsgeld verhängt werden kann. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen dem entsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden (BAG, Beschluss vom 14.11.2006 – 1 ABR 5/06; BAG Urteil vom 24.04.2007 – 1 AZR 252/06NZA 2007, 987). ...

Diesen Anforderungen werden die Anträge gerecht.

a.

In diesem Zusammenhang kann es dahin stehen, ob der Haupt- und gegebenenfalls auch der Hilfsantrag Globalanträge darstellen, die auch Konstellationen erfassen, in denen die Verfügungsbeklagte unstreitig zur Anordnung von Notdiensten befugt ist.

Denn die Stellung eines Globalantrags steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Bestimmtheit eines Antrags nicht entgegen, sondern ist im Rahmen seiner Begründetheit zu beachten (vgl. etwa BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93BAGE 76, 364, 368; BAG, Beschluss vom 16.11.2004 – 1 ABR 53/03NZA 2005, 416). Ein sog. Globalantrag, der einschränkungslos eine Vielzahl möglicher Fallgestaltungen erfasst, ist danach grundsätzlich als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn zumindest auch Sachverhalte fallen, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (vgl. BAG, Beschluss vom 16.11.2004 – 1 ABR 53/03NZA 2005, 416 m.w.N.).

b.

Die Anträge der Verfügungsklägerin lassen hinreichend deutlich erkennen, welche bestimmten Handlungen die Verfügungsbeklagte unterlassen soll.

Die Verfügungsklägerin hat klargestellt, dass mit der Antragsformulierung – mit Ausnahme von Katastrophenfällen – jedwede Notdienstanordnung der Verfügungsbeklagten erfasst werden soll.

Wie sich aus der Antragsbegründung und dem Vorbringen der Verfügungsklägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ergibt, versteht sie unter einer Notdienstanordnung die Einteilung von Arbeitnehmern des Fahrpersonals der Verfügungsbeklagten zu Diensten während einer von ihr organisierten und durchgeführten Arbeitskampfmaßnahme mit dem Ziel, eine "Notversorgung" der Bevölkerung mit Verkehrdienstleistungen zu gewährleisten.

Aus der Formulierung beziehungsweise der Begründung des Antrags ergibt sich weiter der Wille der Verfügungsklägerin, die Untersagungsverfügung auf Notdienstanordnungen gegenüber nicht verbeamteten, streikwilligen Arbeitnehmern zu beschränken.

Mit der Formulierung im Hauptantrag "obwohl es sich weder um Notdienstarbeiten und/oder Erhaltungsarbeiten handelt" bringt sie zum Ausdruck, dass sie – wie sich aus der Antragsbegründung ergibt – der Ansicht ist, dass es sich bei den von der Verfügungsklägerin angeordneten Notdiensten nicht um – unter bestimmten Voraussetzungen zulässige – Notdienst- oder Erhaltungsarbeiten im Sinne der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt. Diesen Passus hat die Verfügungsklägerin nach Hinweis des Gerichts, dass es sich in den vorliegenden Fällen wohl durchaus – jedenfalls begrifflich – um Notstandsarbeiten im Sinne der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts handeln dürfte, in den Hilfsantrag nicht mit aufgenommen.

3.

Das Antragsbegehren kann auch in der gewählten Verfahrensart verfolgt werden.

Der Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung im Arbeitskampf ist statthaft (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25.11.1999 – 4 Sa 584/99 – NZA – RR 2000, 143; LAG Hamm, Urteil vom 23.04.1997 – 18 Sa 164/97 – LAGE Nr. 9 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.12.1996 – 6 Sa 581/96 – NZA – RR 1997, 401; LAG Hamm, Urteil vom 19.04.1984 – 8 Sa 702/84DB 1984, 1525). Die verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Arbeitskampffreiheit schließt einstweilige Anordnungen im Wege der einstweiligen Verfügung nicht aus.

II.

Die Anträge sind unbegründet.

Sowohl für den Haupt- als auch für den Hilfsantrag fehlt es am Vorliegen des erforderlichen Verfügungsgrundes.

1.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Arbeitskampf bestimmen sich gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG nach den allgemeinen Regeln der ZPO (§§ 920 ff., 935 ff. ZPO).

Hinsichtlich des Verfügungsanspruchs muss substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht werden, dass die zu untersagende Arbeitskampfmaßnahme beziehungsweise sonstige Handlung im Arbeitskampf rechtswidrig ist. Es ist nicht erforderlich, dass die Unzulässigkeit der zu untersagenden Handlung offensichtlich ist.

Weiter muss gemäß §§ 935, 940 ZPO, 62 Abs. 2 ArbGG ein Verfügungsgrund vorliegen. Es ist die sogenannte Dringlichkeit zu prüfen. Bei Unterlassungsverfügungen geht es hierbei insbesondere um die Frage, ob der Verfügungsklägerin wesentliche Nachteile drohen, wenn man sie auf den Hauptsacherechtsschutz verweisen würde.

Die Notwendigkeit (Dringlichkeit) für eine Regelungsverfügung entfällt in Fällen der Selbstwiderlegung. Denn der Verfügungsgrund ist bei einer einstweiligen Verfügung Ausprägung eines besonderen (umfassenden) Rechtsschutzbedürfnisses, bei dem zeitliche Aspekte eine wesentliche, nicht aber die allein entscheidende Rolle spielen. Das Verfahren der einstweiligen Verfügung muss für die Fälle vorbehalten bleiben, in denen die vorläufige Unterbindung eines bestimmten Verhaltens des Gegners für den Antragssteller selbst so dringend ist, daß er nicht zögert, seinen Anspruch umgehend zu verfolgen. Läßt sich dem Verhalten des Antragsstellers entnehmen, daß er es mit der Verfolgung seiner Rechte nicht eilig hat, besteht keine Veranlassung, ihm im summarischen Verfahren der einstweiligen Verfügung vorläufigen Rechtsschutz zu geben (OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.11.1992 – 4 U 144/92 – GRUR 1993, 135).

2.

Nur kurze Zeit nach Erhalt der Ladungsverfügung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main hat die Verfügungsklägerin dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main die Entscheidungsbefugnis über den Verfügungsanspruch durch die Rücknahme des Verfügungsantrags wieder entzogen. Ein derartiges Verhalten ist der Verfügungsklägerin als Ausfluss prozesstaktischer Überlegungen zwar möglich. Es führt nach Auffassung des Kammer jedoch dazu, dass die Verfügungsklägerin damit das im Rahmen von §§ 935 ff. ZPO vorausgesetzte Rechtsschutzbedürfnis für eine (weitere) Anspruchsverfolgung in einem Eilverfahren vor einem anderen Gericht verloren hat. Die an sich gegebene Dringlichkeit entfällt (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2005 – 16 U 23/05NJW 2005, 3222; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.11.1992 – 4 U 144/92 – GRUR 1993, 135; Hanseatisches OLG, Urteil vom 6.12.2005 – 5 U 67/06NJW-RR 2007, 763).

a.

Da sich die Verfügungsklägerin gegen die Anordnung von Notdiensten der Verfügungsbeklagten wendet, und es bundesweit zur Anordnung von Notdiensten durch die Verfügungsbeklagte gekommen war, konnte sich die Verfügungsklägerin unter Berücksichtigung von § 32 ZPO nach ihrem Belieben einen Gerichtsstand in Deutschland auswählen. Diese prozessuale Besonderheit setzte die Verfügungsklägerin insbesondere zulässigerweise in den Stand, sich dasjenige Arbeitsgericht in Deutschland auszusuchen, vor dem sie sich die größten Erfolgsaussichten für ihr Begehren ausrechnete.

Es besteht jedoch aus Sicht der Kammer nicht noch darüber hinausgehend ein schützenswertes Interesse der Verfügungsklägerin daran, einem Gericht den im Wege eines Eilverfahrens wegen besonderer Dringlichkeit vorgelegten Antrag auch sanktionslos wieder entziehen zu können. Vielmehr hat ein solches Verhalten Konsequenzen für die Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses.

b.

Bei der Beurteilung des Dringlichkeitserfordernisses, das letztlich eine besondere Form des Rechtschutzbedürfnisses für das Eilverfahren darstellt, können zum einen die schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners nicht unbeachtet bleiben. Es ist einer im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommenen Partei grundsätzlich nicht zuzumuten, innerhalb kürzester Zeit Vorkehrungen zur Umsetzung von Ladungsverfügungen unterschiedlicher Gerichte zu treffen, während die Verfügungsklägerin es als Herrin des Verfahrens in der Hand hat, die Ladungsverfügung zu befolgen oder durch Rücknahme und Neueinreichung bei einem anderen Gericht eine neue, andersartige Ladungsverfügung zu erwirken. Bei Inanspruchnahme verschiedener Gerichte ist nicht nur mit unterschiedlichen Terminen an verschiedenen Orten, sondern auch gegebenenfalls mit unterschiedlichen rechtlichen Hinweisen bereits in der Ladungsverfügung sowie damit zu rechnen, dass das persönliche Erscheinen vertretungsberechtigter Personen angeordnet wird oder eben nicht.

c.

Zum anderen und vor allem aber besteht für den Antragssteller ein Rechtsschutzbedürfnis allein daran, zeitnah eine gerichtliche Überprüfung des Sachverhalts sowie eine vollstreckbare Entscheidung zu erhalten. Das Rechtsschutzbedürfnis umfasst hingegen nicht das Interesse, nur solche Verfahren beschreiten zu wollen, deren Ablauf und Ausgang mit Sicherheit den Erwartungen des Antragsstellers entsprechen. Der Antragssteller hat in einer derartigen Situation einen rechtlichen Anspruch auf ein Eilverfahren, nicht jedoch auf mehrfache Versuche eines erfolgsversprechenden Verfahrensablaufs beziehungsweise einer Anspruchsdurchsetzung.

Soweit die Verfügungsklägerin sich darauf beruft, sie habe den Verfügungsantrag vor dem Arbeitsgericht Frankfurt zurückgenommen, weil der vorgesehene Verhandlungstermin am 15.10.2007 zu weit hinausgeschoben war, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, das Rechtsschutzbedürfnis trotz ihrer Vorgehensweise aufrechtzuerhalten.

aa.

Zum einen ist streitig, ob die Behauptung der Verfügungsklägerin zu den Hintergründen ihres Verhaltens zutrifft. Die Verfügungsbeklagte vermutet zumindest auch streiktaktische Erwägungen der Verfügungsklägerin für die Antragsrücknahme. Zumindest stand zur Zeit der Antragsrücknahme nicht mit Sicherheit fest, wann es zu weiteren Streikmaßnahmen kommen würde. Zudem hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main nicht nur eine aus Sicht der Verfügungsklägerin späte Terminierung vorgenommen, sondern gleichzeitig Bedenken im Hinblick auf die Bestimmtheit der Antragstellung geäußert und die Verfügungsbeklagte um rasche Einreichung einer etwaigen Erwiderung gebeten.

Die genaue Motivation der Verfügungsklägerin für eine Antragsrücknahme ist damit nicht ohne weiteres ersichtlich.

bb.

Jedenfalls aber hatte die Verfügungsklägerin im Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine Verfahrensposition erreicht, in der sie mit einer baldigen Regelung des streitigen Rechtsverhältnisses rechnen konnte. Zwar war der Termin zur mündlichen Verhandlung erst für den 15.10.2007 anberaumt. Dieser Termin war jedoch keineswegs so spät, dass bis dahin aus Sicht der Verfügungsklägerin zur Zeit der Antragsrücknahme eine Regelung obsolet sein musste. Denn Streikmaßnahmen hatte sie zu diesem Zeitpunkt für die Zeit bis 16.10.2007 in Aussicht gestellt. Im Übrigen stand auch am 10.10.2007, dem Tag der Antragsrücknahme und Neueinreichung beim Arbeitsgericht Berlin, noch gar nicht mit Sicherheit fest, wann genau es zu weiteren Streikmaßnahmen kommen würde. Jedenfalls teilte die Verfügungsklägerin erst am Nachmittag des 11.10.2007 – und damit nach Antragsrücknahme und Neueinreichung des Antrags beim Arbeitsgericht Berlin – verbindlich mit, dass am folgenden Tag nun tatsächlich gestreikt würde.

Die Verfahrensposition beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Verfügungsklägerin durch Rücknahme ihres Verfügungsantrags aus freien Stücken aufgegeben. Zwingende Gründe sind hierfür nicht ersichtlich. Wie oben bereits dargestellt, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest, ob es am 12.10.2007 zu weiteren Streikmaßnahmen – und damit gegebenenfalls auch zur Anordnung von Notdiensten durch die Verfügungsbeklagte – kommen würde. Ein zwingender Grund für die Rücknahme und Neueinreichung des Antrags liegt auch nicht darin, dass die Verfügungsklägerin mit einer rascheren erstinstanzlichen Entscheidung durch das Arbeitsgericht Berlin rechnen konnte, als mit einer Entscheidung durch das Arbeitsgericht Frankfurt am Main. Vielmehr konnte die Verfügungsklägerin keineswegs gewiß sein, dass sie bei einem anderen Arbeitsgericht eine frühere Terminierung erreichen würde. Im Übrigen hätte die Verfügungsklägerin gegenüber dem zur Entscheidung berufenen Spruchkörper um eine Vorverlegung des Termins bitten können. Dieses ist nicht geschehen. Ebensowenig hat die Verfügungsklägerin versucht, eine einstweilige Regelung durch Zwischenverfügung zu erreichen. Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist es nämlich gem. §§ 938 Abs 1, 940 ZPO zulässig, durch Zwischenverfügungen anzuordnen, dass Handlungen bis zum Schluss der anberaumten mündlichen Verhandlung über den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung unterlassen werden, um unwiederbringlichen Rechtsverlust zu vermeiden (Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, Beschluss vom 21.04.2005 – 1 BVGa 14/05).

Nach alledem hat die Verfügungsklägerin durch Rücknahme ihres vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main gestellten und bereits terminierten Verfügungsantrags zu erkennen gegeben, dass ihr an einer alsbaldigen Regelung des streitigen Rechtsverhältnisses nicht gelegen war. Somit ist die Dringlichkeit ihres Rechtsschutzbegehrens zu verneinen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG.

Die Höhe des Verfahrenswertes war gemäß §§ 3 ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG zu schätzen. Sie entspricht dem Regelwert gemäß § 23 Abs. 3 S. 2 RVG.