Brandenburgisches OLG, Urteil vom 12.06.2007 - 6 U 131/05
Fundstelle
openJur 2012, 6132
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 21. November 2005 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam - 2 O 7/05 - wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:

Dem Beklagten bleibt vorbehalten, seinen Gegenanspruch, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte, nach der Erstattung an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter vom Beklagten als früheren Geschäftsführer der E. GmbH in W. (nachfolgend: Schuldnerin) Schadensersatz wegen während der Krise der Gesellschaft in der Zeit vom 25.8.2002 bis zum 25.9.2002 geleisteter Zahlungen sowie die Rückerstattung von Geldleistungen nach erklärter Insolvenzanfechtung.

Wegen der Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 21.11.2005 Bezug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen den Beklagten im Betrage von 25.104,56 € nebst Zinsen zur Zahlung an den Kläger verurteilt.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe gegen den Beklagten aus §§ 64 II 1, 2 i.V.m. 43 I GmbHG einen Anspruch auf Zahlung von 16.104,56 €. Die Schuldnerin sei im Zeitraum vom 25.8.2002 bis 25.9.2002 zahlungsunfähig im Sinne von § 64 II GmbHG gewesen. Unbestritten hätten die am 25.8.2002 vorhandenen liquiden Geldmittel höchstens 4,84 % der fälligen Verbindlichkeiten der Schuldnerin abgedeckt. Annähernd identisch sei die Liquidität am 25.9.2002 mit einer Deckung von höchstens 4,78 % gewesen. Damit sei die Schuldnerin nicht einmal binnen eines Monats ab 25.8.2002 in der Lage gewesen, trotz der in dieser Zeit verbuchten Einnahmen ihre am 25.8.2002 fälligen bzw. im Verlaufe des folgenden Monats fällig gewordenen Verbindlichkeiten in dem für die Annahme einer Zahlungsstockung erforderlichen Maß zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin am 25.8.2002 sei für den Beklagten erkennbar gewesen. Die unstreitig ab dem 25.8.2002 bewirkten Zahlungen der Schuldnerin in Höhe von 19.448,58 €, vom Kläger angegriffen im Umfang von 18.459,74 €, seien in Höhe von 16.104,56 € nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar.

Ferner habe der Kläger einen nicht verjährten Anspruch auf Erstattung der an den Beklagten als Abfindung gezahlten 9.000 € aus §§ 130 I Nr. 1, III, 143 I InsO.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Der Beklagte rügt die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör unter dem Gesichtspunkt der „Überraschungsentscheidung“ und meint, das Landgericht hätte wegen Widersprüchen im Vortrag des Klägers die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen müssen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH vom 24.5.2005 (IX ZR 123/04) zur Abgrenzung zwischen Zahlungsstockung und Zahlungsunfähigkeit meint der Beklagte, unter Zugrundelegung des ursprünglichen Klägervortrages – Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin per 25.8.2002 in Höhe von 6.503,37 € - habe keine die Annahme der Zahlungsunfähigkeit rechtfertigende Liquiditätslücke bestanden.

Selbst bei Annahme einer Liquiditätslücke von mehr als 10 % per 25.8.2002 könne jedoch nicht ohne weiteres die Zahlungsunfähigkeit festgestellt werden, da die sich aus dem Schwellenwert ergebende Vermutung der Zahlungsunfähigkeit widerlegt werden könne. Solche diese Vermutung entkräftenden Umstände habe er vorgetragen, ohne dass diese vom Kläger substantiiert entkräftet worden wären.

Im Hinblick auf die danach zu erwartende Beseitigung der Zahlungsstockung seien die zwischen dem 25.8.2002 und dem 25.9.2002 geleisteten Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu vereinbaren.

Wenn die Insolvenzschuldnerin am 25.8.2002 nicht zahlungsunfähig gewesen sei, komme auch die Rückzahlung der an den Beklagten ausgezahlten Abfindung nicht in Betracht. Dieser Anspruch sei zudem verjährt.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 21.11.2005 verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung von 25.104,56 € verurteilt.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 16.104,56 € aus § 64 II 2 GmbHG.

a) Die Schuldnerin war in der Zeit vom 25.8.2002 bis zum 25.9.2002 zahlungsunfähig i.S.v. § 64 II 1 GmbHG, in der sie die Zahlungen im Gesamtbetrag von 16.104,56 € geleistet hat.

aa) Der Kläger hat substantiiert den Liquiditätsstatus der Schuldnerin zum 25.8.2002 dargelegt. Danach bestand zu diesem Zeitpunkt auch nicht lediglich eine Zahlungsstockung. Denn den liquiden Mitteln der Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt in Höhe von 314,87 € zuzüglich der innerhalb der nächsten drei Wochen verzeichneten Zahlungseingänge in Höhe von 15.820,48 € standen fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 27.736,69 € gegenüber. Daraus ergibt sich ein Deckungsgrad von lediglich 58,17 %. Bei der gebotenen Hinzurechnung der innerhalb dieser drei Wochen fällig gewordenen Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 6.179,31 € ergibt sich ein Deckungsgrad von lediglich noch 47,75 %. Die Schuldnerin hat damit nicht mehr den für die Annahme lediglich einer Zahlungsstockung erforderlichen Deckungsgrad von 90 % ab dem 25.8.2002 innerhalb von drei Wochen (vgl. BGH, Urteil vom 24.5.2005, IX ZR 123/04 – zitiert nach Juris) erreichen können.

bb) Der Annahme der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ab dem 25.8.2002 steht nicht eine günstige Prognose entgegen.

Der hierfür darlegungspflichtige Beklagte hat nicht hinreichend dargetan, welche Zahlungen in welcher Höhe von der Schuldnerin konkret erwartet werden konnten. Vergeblich beruft sich der Beklagte in diesem Zusammenhang auf damals von der Schuldnerin zu erwartende Zahlungen aus den Bauvorhaben O. und F.. Bereits erstinstanzlich hat der Beklagte lediglich unsubstantiiert behauptet, die Schuldnerin habe Geldbeträge erwarten können, ohne konkret darzulegen, welche fälligen Forderungen in welcher Höhe ihr wegen welcher Leistungen zugestanden hätten. Zudem und unabhängig davon hat der Beklagte nicht dargelegt, dass die Schuldnerin diese Zahlungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten konnte. Das wäre aber erforderlich gewesen, um die in Rede stehenden Zahlungen bei der Prognose der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der Schuldnerin berücksichtigen zu können (BGH, a.a.O.). Konkrete Zahlungseingänge, die vom Kläger beim Liquiditätsstatus unrichtig nicht berücksichtigt worden seien, hat der Beklagte ebenfalls nicht substantiiert nach Betrag und Datum des Zahlungseingangs dargelegt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Anforderungen an substantiiertes Vorbringen seinerseits nicht zu hoch. Der Beklagte als früherer Geschäftsführer der Schuldnerin hatte Kenntnis von allen maßgeblichen Vorgängen oder hätte sie sich verschaffen können und müssen. Soweit er auf die Einsicht in Unterlagen der Schuldnerin angewiesen war, hätte er diese bei dem Kläger erlangen können. Soweit die beim Kläger befindlichen Geschäftsunterlagen nicht vollständig sind, hat dies nicht der Kläger zu vertreten. Das Risiko der Unvollständigkeit der vom Kläger sichergestellten Unterlagen der Schuldnerin geht zu Lasten des Beklagten.

cc) Unabhängig von Vorstehendem steht die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin seit dem 25.8.2002 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen schon deshalb fest, weil die Schuldnerin nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers am 25.8.2002 bereits fällige Forderungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen hat. Das betrifft u.a. die Forderung der R. GmbH in Höhe von 397,73 €, der S. GmbH in Höhe von 1.392,89 €, der T. GmbH und von Elektrounternehmen des Beklagten in Höhe von insgesamt 10.709,53 €. Zudem hatte die Schuldnerin unbestritten lange vor dem 25.8.2002 aufgehört, ihren laufenden Verpflichtungen insbesondere gegenüber ihren Lieferanten und Dienstleistern nachzukommen.

Begleicht der Schuldner Forderungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht, ist regelmäßig von der Zahlungsunfähigkeit auszugehen, ohne dass es insoweit einer Prognose bedarf. Etwas anderes gilt nur dann, wenn auf Grund konkreter Umstände, die sich nachträglich geändert haben, damals angenommen werden konnte, der Schuldner werde rechtzeitig in der Lage sein, die Verbindlichkeiten zu erfüllen (BGH, Urteil vom 12.10.2006, IX ZR 228/03 – zitiert nach Juris). Solche Umstände hat der Beklagte nicht dargelegt.

b) Die Zahlungen der Schuldnerin ab dem 25.8.2002 sind aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils auch nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar (§ 64 II 2 GmbHG). Maßstab für die Prüfung dieser Sorgfalt sind nicht die allgemeinen Verhaltenspflichten des Geschäftsführers, sondern insbesondere auch der Zweck des § 64 II GmbHG, Masseverkürzungen der insolvenzreifen Gesellschaft und eine bevorzugte Befriedigung einzelner Gesellschaftsgläubiger zu verhindern (BGH, Urteil vom 8.1.2001, II ZR 88/99, LS 2, Rn. 22 – zitiert nach Juris). Eine Pflichtwidrigkeit kann deswegen ausnahmsweise nach § 64 II 2 GmbHG zu verneinen sein, soweit Leistungen des Geschäftsführers in der Insolvenzsituation eine Masseverkürzung nicht zur Folge haben oder soweit durch sie im Einzelfall größere Nachteile für die Masse abgewendet werden (BGH, a.a.O., Rn. 22). Das hat der Beklagte hier nicht dargelegt. Allein das Interesse an der Unternehmensfortführung reicht dafür gerade nicht.

c) Aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils hat der Beklagte die pflichtwidrigen Zahlungen der Schuldnerin im Zustand der Zahlungsunfähigkeit verschuldet.

2. Zu Recht und aus zutreffenden Gründen, auf die verwiesen wird, hat das Landgericht auch einen nicht verjährten Anspruch des Klägers auf Zahlung in Höhe von 9.000 € aus §§ 130 I Nr. 1, III, 138 InsO zuerkannt.

a) Zum Zeitpunkt der Zahlung der Abfindung an den Beklagten war die Schuldnerin unverändert zahlungsunfähig.

Zum einen wirkte die zuvor zum 25.8.2002 festgestellte Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich fort und konnte nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die Zahlungen allgemein wieder aufgenommen wurden. Denn hat der anfechtende Insolvenzverwalter für einen bestimmten Zeitpunkt den ihm obliegenden Beweis der Zahlungsunfähigkeit geführt, ist es Sache des Anfechtungsgegners zu beweisen, dass diese Voraussetzung zwischenzeitlich wieder entfallen ist (BGH, Urteil vom 20.11.2001, IX ZR 48/01). Die allgemeine Aufnahme der Zahlungen durch die Schuldnerin hat der Beklagte aber nicht dargelegt.

Zum anderen hat der Kläger überdies durch substantiierte Darlegung der Liquiditätsbilanzen der Schuldnerin zum 25.9.2002, 25.10.2002 und 25.11.2002 die fortbestehende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin dargetan. Dem ist der Beklagte nicht substantiiert und mithin nicht erheblich entgegengetreten, indem er lediglich die Zahlen als unglaubwürdig bezeichnet und die Gesamtzahlen bestritten hat.

b) Aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung denen der Senat sich anschließt, liegen auch die übrigen Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Anfechtung des Klägers nach §§ 130 I Nr. 1, III, 138 InsO vor.

3. Das angefochtene Urteil war allerdings zu ergänzen. Dem Beklagten ist vorzubehalten, seinen Gegenanspruch, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte, nach der Erstattung an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 8.1.2001, II ZR 88/99). Die Berufung war daher mit dieser Maßgabe zurückzuweisen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 II Nr. 1 und 2 ZPO).