Brandenburgisches OLG, Urteil vom 07.05.2007 - 1 U 19/06
Fundstelle
openJur 2012, 5879
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 14. September 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam – 2 O 172/06 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der jeweils zu vollstreckenden (Kosten-) Forderung abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe

A.

Der Kläger - ein ehemaliger Berufsboxer - macht gegen den Beklagten Unterlassungs-, Widerrufs- und Schadensersatzansprüche geltend, weil dieser ihn in der Fernsehsendung „...“ als eine Person dargestellt habe, die „andauernd im Knast gesessen hat“. Wörtlich äußerte der Beklagte: „Wobei ich mich nicht getraut hätte, zu sagen, dass ... zu der Zeit im Knast gesessen hat. Aber das stimmt ja. Der sitzt ja dauernd im Knast. Oder hat, hat ja jahrelang gesessen. Nö! Wird schon stimmen.“ Das Landgericht hat eine Ehr- und sonstige Persönlichkeitsrechtsverletzung verneint und die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil (Tatbestand) verwiesen. Der Sach- und Streitstand hat im zweiten Rechtszug keine Änderungen erfahren.

B.

Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg: Das Landgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

I.

1. Wie die Berufung ausdrücklich einräumt, handelt es sich bei der beanstandeten Äußerung um ein Werturteil. Denn sie wird entscheidend durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (zu diesen Kriterien statt vieler Senat, NJW 1996, 1002).

2. Das Werturteil ist auch mit dem Sinngehalt, den der Kläger der Äußerung beimisst und der, da es sich nicht um eine vollkommen fern liegende Deutung handelt, dem Unterlassungsbegehren zugrunde zu legen ist (BVerfG, NJW 2006, 207, 208 f.; NJW 2006, 3769, 3772 ff.), von der Meinungsfreiheit des Beklagten gedeckt (Art. 5 Abs. 1 GG).

a) Nach Auffassung des Klägers ist er von dem Beklagten als eine Person dargestellt worden, die „andauernd im Knast gesessen hat“ (Seite 5 der Berufungsbegründung vom 20. Dezember 2006). Der Bedeutungsgehalt von „andauernd“ ist freilich nicht einheitlich, wie ein Blick in die Bedeutungswörterbücher (auch: in dem vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 4. Mai 2007 zitierten „Duden, Das Bedeutungswörterbuch“) zeigt. Das vom Beklagten tatsächlich verwandte Adverb „dauernd“ kann sowohl „ständig“ (ohne Unterbrechung) als auch „häufig“ (immer wieder eintretend) bedeuten; „andauernd“ meint bezüglich der ersten Deutungsvariante „lange dauernd, nicht aufhörend“ und hinsichtlich des zweiten Begriffsinhalts „sehr häufig“. Auch nach dem Verständnis des Klägers von der Äußerung des Beklagten bedarf es mithin der Entscheidung zwischen den beiden Deutungsvarianten von „andauernd“. Sie ergibt sich zweifelsfrei aus der Erläuterung, die der Beklagte der beanstandeten Äußerung („Der sitzt ja dauernd im Knast.“) im ihr folgenden Satz gegeben hat („Oder hat, hat ja jahrelang gesessen.“). Danach ist der Prüfung des Verbotsbegehrens ein Verständnis von „andauernd“ als „lange dauernd“ zugrunde zu legen. Dem ist als Faktum gegenüberzustellen, dass sich der Kläger nach Verurteilung zu einer 7-jährigen Haftstrafe bis zum Jahre 2003 durchgehend 4 ½ Jahre im Strafvollzug befand, was dieser gegenüber Medien und Öffentlichkeit auch kommuniziert hat.

b) aa) Bei dieser Sachlage liegt zunächst kein - stets unzulässiger - Angriff auf die Menschenwürde des Klägers vor.

bb) Die beanstandete Äußerung überschreitet auch die Grenze zur - regelmäßig rechtswidrigen - Formalbeleidigung oder Schmähkritik nicht. Eine solche Kritik kann unter Beachtung der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit nur angenommen werden, wenn sie im Wesentlichen auf sachfremde Diffamierung und persönliche Herabsetzung noch jenseits polemischer und überspitzter Angriffe abzielt (BVerfGE 82, 272, 283 f.; 93, 266, 294). Hiervon kann schon deshalb keine Rede sein, weil der Beklagte mit seiner Äußerung, die er in der von ihm moderierten Quizshow getätigt hat, unmittelbar auf die Aussage eines Kandidaten reagierte, der die Inhaftierung des Klägers aus eigenem Antrieb zur Sprache brachte.

cc) Lässt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an (BVerfG, a. a. O.). Das setzt zunächst die Identifizierung dieser Rechtsgüter voraus. Das Landgericht hat bereits einen Eingriff in die Ehre des Klägers durch die beanstandete Äußerung verneint; angesichts des Gesprächskontexts und der breiten Medienberichterstattung über die Haftstrafe habe der Beklagte mit der Äußerung nicht seine Miss- oder Nichtachtung des Klägers zum Ausdruck gebracht. Die Kammer kann sich dabei unter Umständen auf die Rechtsprechung des BVerfG berufen, wonach der Beleidigungsbegriff nicht soweit ausgedehnt werden darf, dass er die Erfordernisse des Ehrenschutzes überschreitet (BVerfG, a. a. O., unter Verweis auf BVerfGE 71, 161, 181) oder für die Berücksichtigung der Meinungsfreiheit keinen Raum mehr lässt (BVerfGE 43, 130, 139).

Letztlich kann die Frage eines ehrverletzenden Eingriffs durch die Äußerung des Beklagten indes dahin stehen. Denn auch bei Annahme eines solchen Eingriffs gebieten die Besonderheiten des Streitfalls, der Meinungsfreiheit des Beklagten den Vorrang vor den Persönlichkeitsbelangen des Klägers einzuräumen. Die Ehrverletzung des Klägers wäre jedenfalls von vergleichsweise geringem Gewicht und vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit unabhängig davon gedeckt, ob die beanstandete Äußerung des Beklagten eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft. Für den Vorrang der Meinungsfreiheit sprechen die Umstände, mit denen das Landgericht eine Ehrverletzung des Klägers verneint hat (Gesprächskontext, breite Medienberichterstattung über die Haftstrafe). Erhebliches Gewicht kommt zudem dem Gesichtspunkt zu, dass der Kläger gegenüber der Medienöffentlichkeit nie einen Hehl aus seiner Haftstrafe gemacht hat; er hat sich vielmehr - noch während und auch nach Verbüßung seiner Strafhaft - „offensiv“ auch zu diesen Teil seiner Biografie „bekannt“. Auch in dieser Hinsicht handelt es sich beim Kläger mithin um eine öffentliche Person, dessen Resozialisierungsinteresse eigenem Verständnis zufolge durch die öffentliche Darbietung seiner Lebensgeschichte nicht beeinträchtigt wird.

II.

Wollte man die inkriminierte Äußerung hingegen, entgegen der von der Berufung geteilten Auffassung des Landgerichts, als Tatsachenbehauptung qualifizieren, wäre dem Verbotsansinnen ebenfalls der Erfolg zu versagen, weil sie in ihrem Tatsachenkern der Wahrheit entspräche (4 ½-jährige Verbüßung einer Haftstrafe als „lang dauernd“). Wahre Aussagen müssen von dem Betroffenen in der Regel auch dann hingenommen werden, wenn sie ihm nachteilig sind (statt vieler BVerfGE 97, 391, 403).

III.

Aus der Verneinung eines Unterlassungsanspruchs folgt zugleich die Unbegründetheit der zudem geltend gemachten Ansprüche auf Widerruf und Schadensersatz, denen die dem Beklagten günstigste Deutungsmöglichkeit seiner Äußerung zugrunde zu legen ist und die von weitergehenden Voraussetzungen als das Unterlassungsbegehren abhängen (Werturteile können nicht widerrufen werden, Schadensersatz setzt Verschulden voraus, Ersatz für immaterielle Schäden zudem eine schwerwiegende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 344 ZPO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO (gfs. analog, soweit eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit vorliegt, da lediglich eine vermögensrechtliche (Kosten-) Forderung vollstreckbar ist) und § 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543

Abs. 2 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 40, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO auf insgesamt 47.400,00 € festgesetzt, der sich wie folgt verteilt:

1. Klageantrag zu 1) - Unterlassung: 8.000,00 €2. Klageantrag zu 2) - Widerruf: 8.000,00 €3. Klageantrag zu 3) - Feststellung Schadensersatzverpflichtung: 100,00 € (Erinnerungswert)4. Klageantrag zu 4) - immaterieller Schadensersatz: 10.000,00 €5. Klageantrag zu 5) - materieller Schadensersatz: 21.300,00 €.