VG Berlin, Urteil vom 28.03.2007 - 27 A 126.06
Fundstelle
openJur 2012, 5644
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2006 verpflichtet, den Kläger für die Zeit vom 1. November 2005 bis 30. April 2006 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht.

Er ist als Rundfunkteilnehmer mit einem Radio- und einem Fernsehgerät angemeldet. Mit Antrag vom 27. Oktober 2005, nach Angabe des Beklagten eingegangen am 2. November 2005, begehrte der Kläger die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nach § 6 Abs. 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV). Hierbei verwendete er das von der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) vorgesehene Formular und kreuzte die Alternative „Empfänger von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II einschließlich Leistungen nach § 22 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches ohne Zuschläge nach § 24 SGB II“ an. Die Sparte „Antragsteller erhält Zuschlag nach dem Bezug von ALG“ kreuzte der Kläger mit „nein“ an. Aus dem beigefügten Bescheid des JobCenters Berlin Friedrichshain-Kreuzberg vom 26. September 2005 und dem Berechnungsbogen für die Zeit vom 1. November 2005 bis 30. April 2006 ergibt sich, dass der Kläger neben den Regelleistungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige in Höhe von 345 EUR einen befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 7 EUR monatlich erhielt.

Mit Bescheid vom 11. November 2005 lehnte der Rundfunk Berlin-Brandenburg den Antrag mit der Begründung ab, die Befreiungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV lägen nicht vor, weil der Kläger befristete Zuschläge nach Bezug von Arbeitslosengeld erhalte. Andere Gründe, die eine Befreiung rechtfertigen könnten, seien nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Der Kläger wies mit Widerspruchsschreiben vom 22. November 2005 auf sein Einkommen von nur 352 EUR monatlich hin und bat um erneute Prüfung seines Antrages. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2006 wies der Rundfunk Berlin-Brandenburg den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, weil er einen Zuschlag nach § 24 SGB II erhalte. Dass der dem Kläger gewährte Zuschlag geringer ausfalle als die monatlichen Rundfunkgebühren, sei unerheblich.

Mit seiner am 22. April 2006 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel der Befreiung von der Gebührenpflicht weiter. Zur Begründung führt er aus: Die Versagung der Befreiung verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Er werde durch die Ablehnung schlechter gestellt als andere Empfänger von Arbeitslosengeld II, die keinen Zuschlag erhielten. Der Zweck des Zuschlags gemäß § 24 SGB II, die zeitlich befristete Besserstellung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger, die zunächst Arbeitslosengeld bezogen haben, werde verfehlt. Sofern – wie hier – der Zuschlag geringer sei als die Rundfunkgebühr müsse eine Befreiung von der Gebührenpflicht gewährt werden. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV sei in diesem Sinne auszulegen. Der Kläger bestreitet die Angabe des Beklagten, wonach der Antrag auf Rundfunkgebührenbefreiung erst im November 2005 eingegangen sei.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2006 zu verpflichten, den Kläger für die Zeit vom 1. November 2005 bis 30. April 2006 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt er im Wesentlichen aus: Der Gesetzgeber habe in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV einen Befreiungsanspruch für Empfänger von Zuschlägen nach § 24 SGB II ausgeschlossen. Aufgrund dieses ausdrücklichen gesetzgeberischen Willens sei auch der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 RGebStV nicht eröffnet. Jedenfalls scheide inhaltlich ein Befreiungsanspruch nach § 6 Abs. 3 RGebStV aus, weil der Gesetzgeber die Konstellation der geringfügigen Zuschläge zwar erkannt, aber nicht als befreiungswürdig angesehen habe. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei dadurch nicht verletzt. Der Gesetzgeber verfüge insoweit anerkanntermaßen über eine weite Gestaltungsfreiheit und Typisierungsbefugnis. Bei der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht stehe der Gesetzgeber vor der schwierigen Aufgabe, verschiedene Grundrechtspositionen in Einklang zu bringen. Die Befreiungstatbestände des § 6 Abs. 1 RGebStV seien abschließende, keiner Analogie zugängliche Regelungen. Sie seien als Ausnahmen von der Gebührenpflicht eng auszulegen. Vor diesem Hintergrund müsse auch die Härtefallregelung des § 6 Abs. 3 RGebStV gesehen werden. Bei dieser Vorschrift handele es sich nicht um einen Auffangtatbestand. Allein der Umstand, dass der Kläger über ein geringes Einkommen verfüge, könne keinen Härtefall begründen. Der Gesetzgeber habe mit der Neureglung der Rundfunkgebührenbefreiung zum 1. April 2005 das Ziel der Verfahrensvereinfachung verfolgt und deshalb bewusst von der früheren Einkommensberechnung im Einzelfall abgesehen. Deshalb müsse auch die vergleichbare Bedürftigkeit im Sinne des § 6 Abs. 3 RGebStV durch einen Leistungsbescheid nachgewiesen werden. Jedenfalls fehle es an einem gesonderten Antrag, mit dem der Kläger einen Härtefall im Sinne des § 6 Abs. 3 RGebStV geltend mache.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte und des vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs verwiesen.

Gründe

I. Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, weil er einen Anspruch auf die von dem Beklagten abgelehnte Befreiung hat (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht folgt zwar nicht aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV, der als abschließende Regelung einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich ist. Diese Norm wäre, wenn der Zuschlag nach § 24 SGB II die Höhe der Rundfunkgebühr nicht erreicht, wegen Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. GG verfassungswidrig (1.). Bei der deswegen gebotenen verfassungskonformen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „in besonderen Härtefällen“ im Auffangtatbestand des § 6 Abs. 3 RGebStV ist in diesen Fallkonstellationen eine besondere Härte anzunehmen (2.). Eine Ermessensbetätigung, die hier zu einer Versagung der Befreiung führte, wäre mit Art. 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar (3.). Einer gesonderten Antragstellung des Klägers wegen eines Härtefalles bedurfte es nicht (4.). Der Zeitraum der Befreiung wird hier durch den Antragseingang und die Gültigkeitsdauer des Sozialleistungsbescheides begrenzt (5.).

1. Der Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass ein Anspruch des Klägers auf Rundfunkgebührenbefreiung nicht aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV folgt. Nach dieser Vorschrift werden – soweit hier einschlägig – Empfänger von Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22ohneZuschläge nach § 24 SGB II von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Diese Voraussetzungen sind in der Person des Klägers nicht erfüllt, weil er ausweislich des seinem Befreiungsantrag beigefügten Sozialleistungsbescheides im maßgeblichen Zeitraum unstreitig Empfänger von Arbeitslosengeld IImitZuschlag war. Der Kläger unterfällt mithin nicht dem gebührenbefreiten Personenkreis, wie er in § 6 Abs. 1 RGebStV bestimmt ist.

Eine Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV über seinen Wortlaut hinaus mit der Folge, dass auch Empfänger von Arbeitslosengeld II mit einem Zuschlag unterhalb der Rundfunkgebühr in seinen Anwendungsbereich fallen würden, kommt angesichts der eindeutig formulierten Vorschrift nicht in Betracht. Einer Gebührenbefreiung nach § 6 Abs. 1 RGebStV steht auch der Zweck dieser Regelung entgegen. Der Gesetzgeber wollte – worauf der Beklagte zutreffend hinweist – mit § 6 Abs. 1 RGebStV eine deutliche Erleichterung des Verfahrens bei der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht dadurch erreichen, dass sämtliche Befreiungstatbestände an gewährte soziale Leistungen anknüpfen, so dass insbesondere die früher umfangreichen und schwierigen Berechnungen der Sozialbehörden und Rundfunkanstalten bei der Befreiung wegen geringen Einkommens nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 und 8 der bisherigen Befreiungsverordnungen entfallen. Stattdessen sind die Rundfunkanstalten bei ihrer Befreiungsentscheidung an die entsprechenden Sozialleistungsbescheide gebunden (vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 15/3369, S. 37). Hiergegen bestehen grundsätzlich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Legislative ist - insbesondere bei Erscheinungen der Massenverwaltung wie der Rundfunkgebührenbefreiung – befugt, zu generalisieren, zu typisieren und zu pauschalieren, ohne allein wegen damit verbundener Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG in st. Rspr., vgl. Beschluss vom 4. April 2001 – 2 BvL 7.98 – BVerfGE 103, 310 <319> m.w.N.).

Wie sich der Gesetzesbegründung weiter entnehmen lässt, werden die Befreiungstatbestände in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 10 (nach dem Gesetz zum Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 25. Januar 12007 – GVBl. S. 10 – Nr. 1 bis 11) als abschließend angesehen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 RGebStV die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für alle diejenigen Empfänger von Arbeitslosengeld II generell ausschließen wollte, die einen Zuschlag nach § 24 SGB II erhalten, unabhängig von dessen jeweiliger Höhe (statt aller VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2006 – 2-S-202.06 – Beschlussabschrift S. 2). Dies ist insoweit nicht zu beanstanden, als dem Gesetzgeber im Bereich der Sozialleistungen ein weiter Ermessensspielraum zusteht.

Bei der Befreiung von den Rundfunkgebühren ist zudem zu beachten, dass sie die Ausnahme von der Regel darstellt. Ausnahmen von der Rundfunkgebührenpflicht bedürfen mithin einer sachlichen Rechtfertigung, da sie andernfalls – auch hierauf weist der Beklagte zu Recht hin – gegen den Grundsatz der Gleichheit der Belastung aller Rundfunkteilnehmer verstoßen würden. Der Normgeber hat demgemäß einen engen Gestaltungsspielraum, was die Einräumung von Ausnahmen anbelangt, dagegen einen weiten Spielraum, die Einräumung von (weiteren) Ausnahmen zu unterlassen, da er andernfalls dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Abgabengleichheit und Abgabengerechtigkeit nicht genügen könnte und zudem die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefährden würde (Bay VerfGH, Beschluss vom 8. November 2002 –Vf.3-V-00 – Beschlussabschrift S. 12 f.). Der Gesetzgeber überschreitet aber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG in st. Rspr., siehe Beschluss vom 11. Februar 1992 – 1 BvL 29.87 – BVerfGE 85, 238 <244>; Beschluss vom 29. Oktober 1999 – 2 BvR 1264.90 – BVerfGE 101, 132 <138 f.>; Bay VerfGH a.a.O. S. 13 zur Rundfunkgebührenbefreiung).

Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung und im Bereich des Rundfunkgebührenrechts zugleich eine Verletzung des Grundrechts, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Art. 5 Abs. Satz1, 2. Alt. GG), wären die Folge, wenn Empfänger von Arbeitslosengeld II mit einem Zuschlag nach § 24 SGB II, der die Höhe der monatlichen Rundfunkgebühr unterschreitet, nicht von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Denn in diesen Fällen müsste der Hilfebedürftige die Zahlung der Rundfunkgebühren aus den monatlichen Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II in Höhe von 345 EUR bestreiten oder auf den Empfang von Rundfunk und/oder Fernsehen verzichten. Zwar begegnet eine genaue Bestimmung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins angesichts sich ständig ändernder gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse und Entwicklungen erheblichen Schwierigkeiten. Demgemäß hat der Gesetzgeber in den jeweiligen Gesetzen, die sich mit der Bestimmung des Existenzminimums befassen, keineswegs eine einheitliche Definition gewählt (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 2006 – B 11b AS 1.06 R – juris Rn. 47). Für den Bereich der im SGB II geregelten Grundsicherung für Arbeitssuchende hat der Gesetzgeber jedoch die monatliche Regelleistung für allein stehende Personen auf 345 EUR festgesetzt (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Nach § 20 Abs. 1 SGB II umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarf des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Mag auch die Höhe der in § 20 Abs. 2 SGB II festgelegten Regelleistung von 345 EUR pro Monat verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein (so BSG, a.a.O. Rn. 49 ff.), ist damit jedoch für den Personenkreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, zu denen der Kläger gehört, das nicht zu unterschreitende Existenzminimum definiert. Durch die Bezugnahme auf diesen Leistungsempfang in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV bezeichnet dieser Betrag zugleich das Existenzminimum, bei dem nach der Wertung des Gesetzgebers eine Gebührenpflicht für den Empfang von Rundfunk- und Fernsehsendungen nicht mehr zumutbar ist (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 22. März 2006 – 4 PA 38.06 – juris Rn. 7). Hier hat der Kläger im entscheidungserheblichen Zeitraum einen Zuschlag in Höhe von 7 EUR monatlich erhalten. Da die monatlichen Rundfunkgebühren nach § 8 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages 17,03 EUR betragen, hat der Kläger gegenüber dem Empfänger von Arbeitslosengeld II ohne Zuschlag eine finanzielle Schlechterstellung von 10,03 EUR im Monat hinzunehmen. Damit handelt es sich für den hier in Rede stehenden Personenkreis um eine erhebliche Belastung. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist aber wegen der dargestellten Bezugnahme des Gesetzgebers – unabhängig vom konkreten Ausmaß der Benachteiligung – jeder zur Bestreitung der Rundfunkgebühr erforderliche Rückgriff auf das Existenzminimum für den Hilfebedürftigen unzumutbar. Dieses Ergebnis ist auch unabhängig von den Einkünften, die den Hilfebedürftigen real zur Verfügung stehen, soweit sie nach der Freibetragsregelung des § 30 SGB II ohne Einfluss auf die Grundsicherung bleiben. Denn wie dargelegt beziehen sich die Befreiungstatbestände nicht auf die Höhe des Einkommens, sondern auf in Anspruch genommene Sozialleistungen.

Hält die Kammer demnach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV wegen Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. GG für verfassungswidrig, soweit er Empfänger von Arbeitslosengeld II mit einem befristeten Zuschlag, dessen Höhe unterhalb der Rundfunkgebühr bleibt, von der Gebührenbefreiung ausschließt, müsste sie grundsätzlich gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen. Vorrang vor der Prüfung der Gültigkeit einer Norm hat aber – soweit möglich – die verfassungskonforme Auslegung des einfachgesetzlichen Rechts. Den hierfür erforderlichen Anknüpfungspunkt bietet die Härtefallregelung in § 6 Abs. 3 RGebStV.

2. Nach § 6 Abs. 3 RGebStV kann die Rundfunkanstalt, unbeschadet der Gebührenbefreiung nach Absatz 1, in besonderen Härtefällen auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht befreien. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 6 Abs. 3 RGebStV nach fast einhelliger Rechtsprechung ein Auffangtatbestand gerade auch für soziale Härten (a.A. – soweit ersichtlich – nur OVG Niedersachsen, Urteil vom 18. Juli 2006 – 12 LC 87.06 – Urteilsabschrift S. 9). Die Neuregelung der Befreiung aus Härtegründen unterscheidet sich maßgeblich von der zuvor geltenden Regelung des § 2 BefrVO (vom 2. Januar 1992 [GVBl. S. 3]), der nach ständiger Rechtsprechung gerade nicht soziale Härten erfasste, weil § 1 Nr. 7 BefrVO die Befreiung generalklauselartig bei Unterschreitung einer bestimmten Einkommensgrenze vorsah (Kammerurteil vom 28. Juni 2006 – VG 27 A 29.06 – Urteilsabschrift S. 5). Unbestritten ist Anknüpfungspunkt für die Gebührenbefreiung nicht mehr das Einkommen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. November 2006 – 2 S 1528.06 – juris Rn. 19).

Wortlaut („unbeschadet der Gebührenbefreiung nach Absatz 1“) und systematische Stellung des § 6 Abs. 3 RGebStV schließen die Annahme eines Härtefalles grundsätzlich aus, wenn der jeweilige Antragsteller Leistungen nach § 6 Abs. 1 RGebStV erhält, die – wie bei dem Bezug von Arbeitslosengeld II mit Zuschlägen nach § 24 SGB II – nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung gerade nicht zu einer Befreiung führen (Kammerurteil vom 28. Juni 2006, a.a.O. S. 8). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs bleibt – neben den Befreiungstatbeständen in § 6 Abs. 1 Satz 1 – ergänzend nach Absatz 3 die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung bei der Befreiung in besonderen Härtefällen erhalten. Ein besonderer Härtefall liegt danach insbesondere vor, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 15/3369 S. 37 f.). Auch aus dem subjektiven Gesetzeszweck lässt sich demnach die Anwendung der Härtefallregelung auf Empfänger eines monatlichen Zuschlages zum Arbeitslosengeld II, der den Monatsbetrag der Rundfunkgebühr unterschreitet, nicht zwingend begründen. Zwar liegt eine „vergleichbare Bedürftigkeit“ vor, wenn der Empfänger eines solchen geringfügigen Zuschlags die Rundfunkgebühr teilweise aus seiner Grundsicherung bestreiten müsste und dies den Sozialleistungsempfängern im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 gerade nicht zugemutet werden soll. Der Gesetzgeber hatte aber offenbar diejenigen Fallkonstellationen als Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 RGebStV im Blick, in denen der jeweilige Antragsteller Leistungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV weder erhält noch erhalten könnte (vgl. Kammerurteil vom 28. Juni 2006 – VG 27 A 29.06 – Urteilsabschrift S. 8).

Ergeben nach allem die herkömmlichen Auslegungsmethoden noch kein eindeutiges Ergebnis, ob die Fälle unterhalb der Rundfunkgebühren verbleibender Zuschläge zum Arbeitslosengeld II zur Annahme einer besonderen Härte führen, folgt dies jedoch zwingend aus der gebotenen verfassungskonformen Auslegung dieses vagen Tatbestandsmerkmals. Wie oben dargelegt werden der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Grundrecht der Informationsfreiheit verletzt, soweit § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV Empfänger von Arbeitslosengeld II mit einem befristeten Zuschlag, dessen Höhe unterhalb der monatlichen Rundfunkgebühr liegt, von der Befreiung ausschließt. Zur Vermeidung dieser Grundrechtsverletzungen ist für die hier zu beurteilende Fallkonstellation eine besondere Härte anzunehmen (im Ergebnis ebenso: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 22. März 2006 – 4 PA 38.06 – juris Rn. 7; im Anschluss daran VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. November 2006 – 2 S 1528.06 – juris Rn. 19; siehe auch VG Regensburg, Urteil vom 1. August 2006 – RO 2 K 05.1472 – juris Rn. 12 ff.). Dies verkennt das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 11. Januar 2006 – 3 K 3135/06 -, wenn es über die üblichen Methoden der Gesetzesauslegung nicht hinausgeht und auf dieser Grundlage das Vorliegen eines besonderen Härtefalles verneint (Beschlussabschrift S. 3).

Gründe der Verfahrensökonomie sind zwar von vornherein nicht geeignet, gegen eine verfassungsrechtliche gebotene Auslegung angeführt zu werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich das gefundene Ergebnis aber als unproblematisch. Denn ein maßgeblicher Verwaltungsmehraufwand lässt sich bei der Prüfung der Höhe des Zuschlags nicht feststellen.

Rein vorsorglich sei der Beklagte im Übrigen darauf hingewiesen, dass der besondere Härtefall im Sinne des § 6 Abs. 3 RGebStV keineswegs durch einen Leistungsbescheid nachgewiesen werden muss (so aber VG Ansbach, Urteil vom 7. September 2005 – AN 5 K 05.01617 – juris Rn. 19). Dies hat die Kammer in ihrem Urteil vom 28. Juni 2006 ausführlich begründet (Urteilsabschrift S. 5 f.). Auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen. Die Frage hat hier keine Bedeutung, da ein Sozialleistungsbescheid vorliegt.

3. Nach seinem Wortlaut eröffnet § 6 Abs. 3 RGebStV Ermessen. Danach kann in besonderen Härtefällen von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Auch der Gesetzgeber spricht in der Begründung von der Möglichkeit der Ermessensentscheidung. Das Ermessen der Rundfunkanstalt ist hier jedoch auf Null reduziert. Ist von Verfassungs wegen eine besondere Härte anzunehmen, so ist auch das Gebot verfassungskonformer Ermessensbetätigung zu beachten. Die Versagung der Befreiung hätte eine verfassungswidrige Grundrechtsbeeinträchtigung, in diesem Fall durch die Behörde, zur Folge. Die oben zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Härte angeführten verfassungsrechtlichen Erwägungen gelten auch für die Ermessensausübung. Würde dem Empfänger von Arbeitslosengeld II ohne Zuschlag aufgrund der zwingenden Norm des § 6 Abs. 1 RGebStV die Befreiung gewährt, dem Empfänger von Arbeitslosengeld II mit Zuschlag, der unter der Höhe der Rundfunkgebühr liegt, hingegen die Befreiung aufgrund eines Ermessensspielraums im Rahmen des § 6 Abs. 3 RGebStV versagt, läge auch insoweit eine mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung und eine Verletzung des Grundrechts der Informationsfreiheit vor. Damit hat die Grundrechtsposition des betroffenen Rundfunkteilnehmers hier ein so schweres Gewicht, dass die Ermessensermächtigung durch den Gesetzgeber dahinter zurücktreten muss (anders VGH Baden-Württemberg, a.a.O. Rn. 21).

4. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist es unbeachtlich, dass der Kläger keinen gesonderten Antrag auf Befreiung aus Härtefallgründen gestellt hat. Bei jedem Antrag auf Rundfunkgebührenbefreiung wird auch die Anwendung der Härtefallregelung geltend gemacht (Kammerurteil vom 28. Juni 2006, a.a.O. S. 7). Es wäre lebensfremd, den einheitlichen Sachverhalt der Befreiung aus sozialen Gründen auf einzelne gesetzliche Tatbestände aufzuspalten. Dies gilt umso mehr als der formularmäßige Antrag auf Rundfunkgebührenbefreiung der GEZ eine Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV nicht vorsieht (vgl. VG Regensburg, a.a.O. Rn. 34). Soweit das VG Ansbach in seinem Urteil vom 3. Juli 2006 – AN 5 K 05.03730 – für die Härtefallentscheidung nach § 6 Abs. 3 RGebStV einen entsprechenden Antrag gefordert hat (juris Rn. 22), folgt die Kammer dem nicht. Die vom VG Ansbach zur Begründung herangezogene Rechtsprechung zur früheren Befreiungsverordnung ist auf die derzeitige Rechtslage nicht übertragbar (Kammerurteil vom 28. Juni 2006, a.a.O.).

5. Der Beginn der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht wird in § 6 Abs. 5 Hs. 1 RGebStV auf den Ersten des Monats festgestellt, der dem Monat folgt, in dem der Antrag gestellt wird. Angesichts der Gesetzessystematik gilt diese Vorschrift auch für Anträge nach § 6 Abs. 3 RGebStV. Der Befreiungsantrag ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, für deren Zugang der Erklärende die materielle Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. § 130 Abs. 3 BGB). Der hier allein streitige Zeitpunkt der Antragstellung liegt allerdings in der Sphäre des Beklagten und wird üblicherweise durch den Eingangsstempel der Behörde bewiesen. Bei dem Eingangsvermerk handelt es sich um eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO, die durch einen Gegenbeweis widerlegt werden kann. Der Beklagte bzw. die GEZ kann regelmäßig – so auch hier – keinen entsprechenden Einlaufvermerk vorweisen. Dass sein Ausgangsbescheid die Angabe „eingegangen am 02.11.2005“ enthält, reicht, da der Kläger diese Angabe bestreitet, nicht aus. Dies gilt umso mehr, als der Kläger den Antrag unter dem 27. Oktober 2005 gestellt hat. Selbst bei Zugrundelegung der in § 41 VwVfG für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten großzügig bemessenen Postlaufzeiten von drei Tagen nach der Aufgabe zur Post wäre noch von einem Zugang des Antrags vor Ablauf des Monats Oktober auszugehen.

Gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 RGebStV ist die Befreiung nach der Gültigkeitsdauer des bei Antragstellung vorgelegten Bescheides über die Sozialleistung zu befristen. Zwar ist – wie bereits dargelegt – die Annahme eines besonderen Härtefalls im Sinne des § 6 Abs. 3 RGebStV nicht in jedem Fall an die Vorlage eines Leistungsbescheides geknüpft, so dass in diesen Fällen die Befristungsregelung keine Rolle spielt. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV ist aber entsprechend anzuwenden, wenn – wie hier – die Befreiung aus Härtefallgründen letztlich auf den Regelungen des Sozialleistungsbescheides beruht.

Danach hat der Kläger einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für den Zeitraum vom 1. November 2005 bis 30. April 2006.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.